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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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I. Hauptstück.
ley Art in das Auge fallen. Und dieser Grundsatz, auf
jede Sinnen ausgedehnt, wird so lauten: daß einerley
Empfindung entstehe, wenn eben der Sinn einerley
Eindruck leidet.

§. 4. Die Optiker sind darinn noch weiter gegan-
gen, und haben in der Perspective Mittel angegeben,
den Schein der sichtbaren Dinge zu malen, oder wenig-
stens ihre scheinbare Figur nach geometrischer Schärfe
so zu zeichnen, daß| sowohl die Gegenstände selbst, als
die Zeichnung, aus den angegebenen Gesichtspunkten be-
trachtet, einerley Bild auf dem Augennetze machen,
oder auf einerley Art in das Auge fallen. Und da der
Schein von dem Wahren öfters sehr verschieden, ja
ganz entgegengesetzt seyn kann, so haben sie besonders
in der Astronomie für den Schein eine eigene Sprache
angenommen, und die Uebersetzung aus derselben in die
wahre, und hinwiederum aus dieser in jene gewiesen.
Und dieses macht in der That auch den Unterschied
zwischen der sphärischen und theorischen Astronomie
aus. Wir merken dieses hier um desto mehr an, weil,
wenn wir die Phänomenologie als eine transcendente
Optik ansehen, wir uns ebenfalls eine transcendente
Perspective, und Sprache des Scheins gedenken, und
folglich diese Begriffe zugleich mit dem Begriffe des
Scheins bis zu ihrer wahren Allgemeinheit erweitern
können. Und in so ferne Dichter malen, so ferne wird
auch ein Theil der Dichtkunst zu dieser transcendenten
Perspective oder Malerkunst gerechnet werden können.

§. 5. Wenn wir den optischen Begriff des Scheins
(§. 3.) auf jede Sinnen ausdehnen, so wird er über-
haupt in dem Eindrucke bestehen, den die empfunde-
nen Dinge in den Sinnen machen. Dieser Eindruck
wird in Absicht auf das Auge insbesondere das Bild
der Sache genennt, und das Bewußtseyn, daß wir
dieses Bild empfinden, giebt den klaren Begriff von

dem

I. Hauptſtuͤck.
ley Art in das Auge fallen. Und dieſer Grundſatz, auf
jede Sinnen ausgedehnt, wird ſo lauten: daß einerley
Empfindung entſtehe, wenn eben der Sinn einerley
Eindruck leidet.

§. 4. Die Optiker ſind darinn noch weiter gegan-
gen, und haben in der Perſpective Mittel angegeben,
den Schein der ſichtbaren Dinge zu malen, oder wenig-
ſtens ihre ſcheinbare Figur nach geometriſcher Schaͤrfe
ſo zu zeichnen, daß| ſowohl die Gegenſtaͤnde ſelbſt, als
die Zeichnung, aus den angegebenen Geſichtspunkten be-
trachtet, einerley Bild auf dem Augennetze machen,
oder auf einerley Art in das Auge fallen. Und da der
Schein von dem Wahren oͤfters ſehr verſchieden, ja
ganz entgegengeſetzt ſeyn kann, ſo haben ſie beſonders
in der Aſtronomie fuͤr den Schein eine eigene Sprache
angenommen, und die Ueberſetzung aus derſelben in die
wahre, und hinwiederum aus dieſer in jene gewieſen.
Und dieſes macht in der That auch den Unterſchied
zwiſchen der ſphaͤriſchen und theoriſchen Aſtronomie
aus. Wir merken dieſes hier um deſto mehr an, weil,
wenn wir die Phaͤnomenologie als eine tranſcendente
Optik anſehen, wir uns ebenfalls eine tranſcendente
Perſpective, und Sprache des Scheins gedenken, und
folglich dieſe Begriffe zugleich mit dem Begriffe des
Scheins bis zu ihrer wahren Allgemeinheit erweitern
koͤnnen. Und in ſo ferne Dichter malen, ſo ferne wird
auch ein Theil der Dichtkunſt zu dieſer tranſcendenten
Perſpective oder Malerkunſt gerechnet werden koͤnnen.

§. 5. Wenn wir den optiſchen Begriff des Scheins
(§. 3.) auf jede Sinnen ausdehnen, ſo wird er uͤber-
haupt in dem Eindrucke beſtehen, den die empfunde-
nen Dinge in den Sinnen machen. Dieſer Eindruck
wird in Abſicht auf das Auge insbeſondere das Bild
der Sache genennt, und das Bewußtſeyn, daß wir
dieſes Bild empfinden, giebt den klaren Begriff von

dem
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[220/0226] I. Hauptſtuͤck. ley Art in das Auge fallen. Und dieſer Grundſatz, auf jede Sinnen ausgedehnt, wird ſo lauten: daß einerley Empfindung entſtehe, wenn eben der Sinn einerley Eindruck leidet. §. 4. Die Optiker ſind darinn noch weiter gegan- gen, und haben in der Perſpective Mittel angegeben, den Schein der ſichtbaren Dinge zu malen, oder wenig- ſtens ihre ſcheinbare Figur nach geometriſcher Schaͤrfe ſo zu zeichnen, daß| ſowohl die Gegenſtaͤnde ſelbſt, als die Zeichnung, aus den angegebenen Geſichtspunkten be- trachtet, einerley Bild auf dem Augennetze machen, oder auf einerley Art in das Auge fallen. Und da der Schein von dem Wahren oͤfters ſehr verſchieden, ja ganz entgegengeſetzt ſeyn kann, ſo haben ſie beſonders in der Aſtronomie fuͤr den Schein eine eigene Sprache angenommen, und die Ueberſetzung aus derſelben in die wahre, und hinwiederum aus dieſer in jene gewieſen. Und dieſes macht in der That auch den Unterſchied zwiſchen der ſphaͤriſchen und theoriſchen Aſtronomie aus. Wir merken dieſes hier um deſto mehr an, weil, wenn wir die Phaͤnomenologie als eine tranſcendente Optik anſehen, wir uns ebenfalls eine tranſcendente Perſpective, und Sprache des Scheins gedenken, und folglich dieſe Begriffe zugleich mit dem Begriffe des Scheins bis zu ihrer wahren Allgemeinheit erweitern koͤnnen. Und in ſo ferne Dichter malen, ſo ferne wird auch ein Theil der Dichtkunſt zu dieſer tranſcendenten Perſpective oder Malerkunſt gerechnet werden koͤnnen. §. 5. Wenn wir den optiſchen Begriff des Scheins (§. 3.) auf jede Sinnen ausdehnen, ſo wird er uͤber- haupt in dem Eindrucke beſtehen, den die empfunde- nen Dinge in den Sinnen machen. Dieſer Eindruck wird in Abſicht auf das Auge insbeſondere das Bild der Sache genennt, und das Bewußtſeyn, daß wir dieſes Bild empfinden, giebt den klaren Begriff von dem

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/226>, abgerufen am 11.05.2024.