der Dianoiologie von solchen Fehlern des Erschlei- chens angemerkt haben.
§. 15. Sodann ist die Einbildungskraft die eigent- liche Quelle jeder Hirngespinster, Chimären, lee- ren Träume und Einbildungen. Sie unterschei- det den von den Sinnen herrührenden Schein von dem wahren nicht, sondern setzt die Bilder zusammen, so unvollständig sie auch seyn mögen, und läßt sie als rich- tig gelten, so lange sie keine Dissonanz bemerkt, und je- desmal scheinen die Bilder vollständig, weil die Lücken darinn, als etwas Leeres, nicht empfunden werden kön- nen. Daher sind die Ausschweifungen der Ein- bildungskraft und ihre Jllusionen und Blend- werke nicht selten, und es gebraucht viele Vernunft dazu, wenn man voraus bestimmen soll, wie weit man ihr könne den Lauf lassen, und wo die Grenzlinie an- fängt, da man sie wieder zurücke lenken muß, dafern man bey dem Wahren und Zuläßigen bleiben will.
§. 16. Der Schein, so hiebey vorkömmt, geht auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Begrif- fe, auf die Wahrheit der Sätze und Urtheile, und auf die Zuläßigkeit der Fragen (Dianoiolog. §. 430.). Diese Erfordernisse müssen in jedem Fall er- wiesen seyn. Wenn wir uns aber in Ermanglung ei- nes vollständigen Beweises, nur mit dem begnügen, daß wir einen Theil der Gründe wissen, und daß uns nichts dawider einfällt, so ist auch nur noch der bloße Schein da, und die Frage, ob er mit der Wahrheit übereinstimme, oder davon abweiche, ist noch unentschie- den. Wie sich aber dennoch nach diesem Schein un- ser Beyfall richte, haben wir in der Alethiologie (§. 179.) angezeigt, und (Dianoiol. §. 620. seq.) umständlicher aufgeklärt, wie eine Fertigkeit möglich sey, durch Em- pfinden der in dem täuschenden Schein vorkommenden
Disso-
I. Hauptſtuͤck.
der Dianoiologie von ſolchen Fehlern des Erſchlei- chens angemerkt haben.
§. 15. Sodann iſt die Einbildungskraft die eigent- liche Quelle jeder Hirngeſpinſter, Chimaͤren, lee- ren Traͤume und Einbildungen. Sie unterſchei- det den von den Sinnen herruͤhrenden Schein von dem wahren nicht, ſondern ſetzt die Bilder zuſammen, ſo unvollſtaͤndig ſie auch ſeyn moͤgen, und laͤßt ſie als rich- tig gelten, ſo lange ſie keine Diſſonanz bemerkt, und je- desmal ſcheinen die Bilder vollſtaͤndig, weil die Luͤcken darinn, als etwas Leeres, nicht empfunden werden koͤn- nen. Daher ſind die Ausſchweifungen der Ein- bildungskraft und ihre Jlluſionen und Blend- werke nicht ſelten, und es gebraucht viele Vernunft dazu, wenn man voraus beſtimmen ſoll, wie weit man ihr koͤnne den Lauf laſſen, und wo die Grenzlinie an- faͤngt, da man ſie wieder zuruͤcke lenken muß, dafern man bey dem Wahren und Zulaͤßigen bleiben will.
§. 16. Der Schein, ſo hiebey vorkoͤmmt, geht auf die Richtigkeit und Vollſtaͤndigkeit der Begrif- fe, auf die Wahrheit der Saͤtze und Urtheile, und auf die Zulaͤßigkeit der Fragen (Dianoiolog. §. 430.). Dieſe Erforderniſſe muͤſſen in jedem Fall er- wieſen ſeyn. Wenn wir uns aber in Ermanglung ei- nes vollſtaͤndigen Beweiſes, nur mit dem begnuͤgen, daß wir einen Theil der Gruͤnde wiſſen, und daß uns nichts dawider einfaͤllt, ſo iſt auch nur noch der bloße Schein da, und die Frage, ob er mit der Wahrheit uͤbereinſtimme, oder davon abweiche, iſt noch unentſchie- den. Wie ſich aber dennoch nach dieſem Schein un- ſer Beyfall richte, haben wir in der Alethiologie (§. 179.) angezeigt, und (Dianoiol. §. 620. ſeq.) umſtaͤndlicher aufgeklaͤrt, wie eine Fertigkeit moͤglich ſey, durch Em- pfinden der in dem taͤuſchenden Schein vorkommenden
Diſſo-
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I. Hauptſtuͤck.
der Dianoiologie von ſolchen Fehlern des Erſchlei-
chens angemerkt haben.
§. 15. Sodann iſt die Einbildungskraft die eigent-
liche Quelle jeder Hirngeſpinſter, Chimaͤren, lee-
ren Traͤume und Einbildungen. Sie unterſchei-
det den von den Sinnen herruͤhrenden Schein von dem
wahren nicht, ſondern ſetzt die Bilder zuſammen, ſo
unvollſtaͤndig ſie auch ſeyn moͤgen, und laͤßt ſie als rich-
tig gelten, ſo lange ſie keine Diſſonanz bemerkt, und je-
desmal ſcheinen die Bilder vollſtaͤndig, weil die Luͤcken
darinn, als etwas Leeres, nicht empfunden werden koͤn-
nen. Daher ſind die Ausſchweifungen der Ein-
bildungskraft und ihre Jlluſionen und Blend-
werke nicht ſelten, und es gebraucht viele Vernunft
dazu, wenn man voraus beſtimmen ſoll, wie weit man
ihr koͤnne den Lauf laſſen, und wo die Grenzlinie an-
faͤngt, da man ſie wieder zuruͤcke lenken muß, dafern
man bey dem Wahren und Zulaͤßigen bleiben will.
§. 16. Der Schein, ſo hiebey vorkoͤmmt, geht auf
die Richtigkeit und Vollſtaͤndigkeit der Begrif-
fe, auf die Wahrheit der Saͤtze und Urtheile,
und auf die Zulaͤßigkeit der Fragen (Dianoiolog.
§. 430.). Dieſe Erforderniſſe muͤſſen in jedem Fall er-
wieſen ſeyn. Wenn wir uns aber in Ermanglung ei-
nes vollſtaͤndigen Beweiſes, nur mit dem begnuͤgen,
daß wir einen Theil der Gruͤnde wiſſen, und daß uns
nichts dawider einfaͤllt, ſo iſt auch nur noch der bloße
Schein da, und die Frage, ob er mit der Wahrheit
uͤbereinſtimme, oder davon abweiche, iſt noch unentſchie-
den. Wie ſich aber dennoch nach dieſem Schein un-
ſer Beyfall richte, haben wir in der Alethiologie (§. 179.)
angezeigt, und (Dianoiol. §. 620. ſeq.) umſtaͤndlicher
aufgeklaͤrt, wie eine Fertigkeit moͤglich ſey, durch Em-
pfinden der in dem taͤuſchenden Schein vorkommenden
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/232>, abgerufen am 26.11.2024.
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