Sinnen und ihren Nerven herrührende Vorstellungen mit einmengen, die das Bild der Sache ändern, und mehr hinzusetzen, oder die Empfindung derselben ganz verdunkeln, oder, wie bey dem durchaus organischen Schein, ganz allein sind. Wir haben diese Vermi- schung der beyden Arten des Scheins, so von den Sin- nen herrührt, bereits schon (§. 20.) angemerkt.
§. 45. Bey der Beurtheilung des physischen Scheins werden wir den vorhin schon (§. 3.) aus der Optik entliehenen und allgemeinen vorgetragenen Grund- satz gebrauchen: daß nämlich einerley Empfin- dung entstehe, wenn eben der Sinn einerley Eindruck leidet. Was dieses sagen will, müssen wir umständlicher anzeigen, und den Nachdruck eines jeden Wortes bestimmen. Einmal ist hier von Em- pfindungen und nicht von dem Bewußtseyn dessen, was sie in sich fassen, die Rede. Es giebt ungemein zusammengesetzte Empfindungen, wovon wir uns lange nicht aller einzelnen Theile bewußt sind, weil sich die Aufmerksamkeit nicht immer so weit ausbreitet, sondern fast immer vorzüglicher auf einige Theile als auf andere geht, und zuweilen ganz wegbleibt, oder durch die Ge- wohnheit unmerklich wird. Jndessen wirkt die Em- pfindung immer ganz in die Gliedmaßen und Ner- ven des Sinnes, und bringt das Bild der Sache theils klar, theils auch dunkel in die Gedanken. Der Unter- schied besteht darinn, daß wir uns des Klaren bewußt sind, und uns dessen leichter errinnern, da hingegen die dunkeln Theile des Bildes nachgehends in uns aufleben können, und uns etwas neuer und fremder vorkommen, oder daß wir sie gar als eigene Einfälle ansehen, weil wir uns nicht errinnern, daß sie Theile einer ehmaligen Empfindung waren (§. 12.).
§. 46. Sodann merken wir an, daß wir in erstan- geführtem Grundsatze unbestimmt lassen, ob der Ein-
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Q 2
Von dem ſinnlichen Schein.
Sinnen und ihren Nerven herruͤhrende Vorſtellungen mit einmengen, die das Bild der Sache aͤndern, und mehr hinzuſetzen, oder die Empfindung derſelben ganz verdunkeln, oder, wie bey dem durchaus organiſchen Schein, ganz allein ſind. Wir haben dieſe Vermi- ſchung der beyden Arten des Scheins, ſo von den Sin- nen herruͤhrt, bereits ſchon (§. 20.) angemerkt.
§. 45. Bey der Beurtheilung des phyſiſchen Scheins werden wir den vorhin ſchon (§. 3.) aus der Optik entliehenen und allgemeinen vorgetragenen Grund- ſatz gebrauchen: daß naͤmlich einerley Empfin- dung entſtehe, wenn eben der Sinn einerley Eindruck leidet. Was dieſes ſagen will, muͤſſen wir umſtaͤndlicher anzeigen, und den Nachdruck eines jeden Wortes beſtimmen. Einmal iſt hier von Em- pfindungen und nicht von dem Bewußtſeyn deſſen, was ſie in ſich faſſen, die Rede. Es giebt ungemein zuſammengeſetzte Empfindungen, wovon wir uns lange nicht aller einzelnen Theile bewußt ſind, weil ſich die Aufmerkſamkeit nicht immer ſo weit ausbreitet, ſondern faſt immer vorzuͤglicher auf einige Theile als auf andere geht, und zuweilen ganz wegbleibt, oder durch die Ge- wohnheit unmerklich wird. Jndeſſen wirkt die Em- pfindung immer ganz in die Gliedmaßen und Ner- ven des Sinnes, und bringt das Bild der Sache theils klar, theils auch dunkel in die Gedanken. Der Unter- ſchied beſteht darinn, daß wir uns des Klaren bewußt ſind, und uns deſſen leichter errinnern, da hingegen die dunkeln Theile des Bildes nachgehends in uns aufleben koͤnnen, und uns etwas neuer und fremder vorkommen, oder daß wir ſie gar als eigene Einfaͤlle anſehen, weil wir uns nicht errinnern, daß ſie Theile einer ehmaligen Empfindung waren (§. 12.).
§. 46. Sodann merken wir an, daß wir in erſtan- gefuͤhrtem Grundſatze unbeſtimmt laſſen, ob der Ein-
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Von dem ſinnlichen Schein.
Sinnen und ihren Nerven herruͤhrende Vorſtellungen
mit einmengen, die das Bild der Sache aͤndern, und
mehr hinzuſetzen, oder die Empfindung derſelben ganz
verdunkeln, oder, wie bey dem durchaus organiſchen
Schein, ganz allein ſind. Wir haben dieſe Vermi-
ſchung der beyden Arten des Scheins, ſo von den Sin-
nen herruͤhrt, bereits ſchon (§. 20.) angemerkt.
§. 45. Bey der Beurtheilung des phyſiſchen
Scheins werden wir den vorhin ſchon (§. 3.) aus der
Optik entliehenen und allgemeinen vorgetragenen Grund-
ſatz gebrauchen: daß naͤmlich einerley Empfin-
dung entſtehe, wenn eben der Sinn einerley
Eindruck leidet. Was dieſes ſagen will, muͤſſen
wir umſtaͤndlicher anzeigen, und den Nachdruck eines
jeden Wortes beſtimmen. Einmal iſt hier von Em-
pfindungen und nicht von dem Bewußtſeyn deſſen,
was ſie in ſich faſſen, die Rede. Es giebt ungemein
zuſammengeſetzte Empfindungen, wovon wir uns lange
nicht aller einzelnen Theile bewußt ſind, weil ſich die
Aufmerkſamkeit nicht immer ſo weit ausbreitet, ſondern
faſt immer vorzuͤglicher auf einige Theile als auf andere
geht, und zuweilen ganz wegbleibt, oder durch die Ge-
wohnheit unmerklich wird. Jndeſſen wirkt die Em-
pfindung immer ganz in die Gliedmaßen und Ner-
ven des Sinnes, und bringt das Bild der Sache theils
klar, theils auch dunkel in die Gedanken. Der Unter-
ſchied beſteht darinn, daß wir uns des Klaren bewußt
ſind, und uns deſſen leichter errinnern, da hingegen die
dunkeln Theile des Bildes nachgehends in uns aufleben
koͤnnen, und uns etwas neuer und fremder vorkommen,
oder daß wir ſie gar als eigene Einfaͤlle anſehen, weil
wir uns nicht errinnern, daß ſie Theile einer ehmaligen
Empfindung waren (§. 12.).
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/249>, abgerufen am 21.07.2024.
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