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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem sinnlichen Schein.
noch nicht haben, fast nothwendig bey solchen Verglei-
chungen der Empfindungen und des Scheins anfangen.
So lange der Schein mit dem Wahren zusammentrift,
geht es damit richtig. Hingegen wo der Schein an-
fängt, von dem Wahren abzugehen, da zeigen sich nach
und nach bey genauern Vergleichungen, Anomalien
darinn, welche bey dem Wahren nicht seyn können und
folglich den Schein verrathen. Auf diese Art ist aus
der anfänglich bloß sphärischen Astronomie die theori-
sche erwachsen, worinn man den Weltbau ganz anders
als nach dem Urtheil der Sinnen vorstellt.

§. 52. Durch Bemerkung solcher Anomalien kann
man allerdings endlich dahin gelangen, in den meisten
Fällen den Schein als Schein zu erkennen, und wo
nicht das Wahre zu entdecken, doch wenigstens zu
schließen, daß es anders beschaffen seyn müsse. Was
hiebey vorausgesetzt wird, ist, daß nur das Wahre mit
sich selbst und mit jedem andern Wahren bestehe.
Nimmt man daher einen in der That von dem Wahren
verschiedenen Schein als durchaus wahr an, so ist die-
ses ein Jrrthum, aus welchem es folglich immer mög-
lich ist, Widersprüche herzuleiten (Alethiol. §. 171.). Hin-
gegen bleiben solche Anomalien weg, so oft der Schein
mit dem Wahren übereintrifft, und hinwiederum wenn
in der That keine Anomalien können gefunden werden,
so läßt sich richtig der Schluß machen, daß der Schein
von dem Wahren nicht abgehe. Denn sonst wäre es
nothwendig möglich, Anomalien zu finden. Dieses will
nun allerdings nicht sagen, als wenn sie sich von uns je-
desmal sogleich finden ließen, und aus unserm nicht
finden
können wir eben nicht so unbedingt auf das
nicht seyn einen Schluß machen. Jnzwischen mag
es unstreitig Fälle geben, und giebt auch solche, wo wir
gleichsam interimsweise oder bis auf genauere Untersu-
chung einen solchen Schluß gelten lassen, und von dem

Schein,
Q 4

Von dem ſinnlichen Schein.
noch nicht haben, faſt nothwendig bey ſolchen Verglei-
chungen der Empfindungen und des Scheins anfangen.
So lange der Schein mit dem Wahren zuſammentrift,
geht es damit richtig. Hingegen wo der Schein an-
faͤngt, von dem Wahren abzugehen, da zeigen ſich nach
und nach bey genauern Vergleichungen, Anomalien
darinn, welche bey dem Wahren nicht ſeyn koͤnnen und
folglich den Schein verrathen. Auf dieſe Art iſt aus
der anfaͤnglich bloß ſphaͤriſchen Aſtronomie die theori-
ſche erwachſen, worinn man den Weltbau ganz anders
als nach dem Urtheil der Sinnen vorſtellt.

§. 52. Durch Bemerkung ſolcher Anomalien kann
man allerdings endlich dahin gelangen, in den meiſten
Faͤllen den Schein als Schein zu erkennen, und wo
nicht das Wahre zu entdecken, doch wenigſtens zu
ſchließen, daß es anders beſchaffen ſeyn muͤſſe. Was
hiebey vorausgeſetzt wird, iſt, daß nur das Wahre mit
ſich ſelbſt und mit jedem andern Wahren beſtehe.
Nimmt man daher einen in der That von dem Wahren
verſchiedenen Schein als durchaus wahr an, ſo iſt die-
ſes ein Jrrthum, aus welchem es folglich immer moͤg-
lich iſt, Widerſpruͤche herzuleiten (Alethiol. §. 171.). Hin-
gegen bleiben ſolche Anomalien weg, ſo oft der Schein
mit dem Wahren uͤbereintrifft, und hinwiederum wenn
in der That keine Anomalien koͤnnen gefunden werden,
ſo laͤßt ſich richtig der Schluß machen, daß der Schein
von dem Wahren nicht abgehe. Denn ſonſt waͤre es
nothwendig moͤglich, Anomalien zu finden. Dieſes will
nun allerdings nicht ſagen, als wenn ſie ſich von uns je-
desmal ſogleich finden ließen, und aus unſerm nicht
finden
koͤnnen wir eben nicht ſo unbedingt auf das
nicht ſeyn einen Schluß machen. Jnzwiſchen mag
es unſtreitig Faͤlle geben, und giebt auch ſolche, wo wir
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chung einen ſolchen Schluß gelten laſſen, und von dem

Schein,
Q 4
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[247/0253] Von dem ſinnlichen Schein. noch nicht haben, faſt nothwendig bey ſolchen Verglei- chungen der Empfindungen und des Scheins anfangen. So lange der Schein mit dem Wahren zuſammentrift, geht es damit richtig. Hingegen wo der Schein an- faͤngt, von dem Wahren abzugehen, da zeigen ſich nach und nach bey genauern Vergleichungen, Anomalien darinn, welche bey dem Wahren nicht ſeyn koͤnnen und folglich den Schein verrathen. Auf dieſe Art iſt aus der anfaͤnglich bloß ſphaͤriſchen Aſtronomie die theori- ſche erwachſen, worinn man den Weltbau ganz anders als nach dem Urtheil der Sinnen vorſtellt. §. 52. Durch Bemerkung ſolcher Anomalien kann man allerdings endlich dahin gelangen, in den meiſten Faͤllen den Schein als Schein zu erkennen, und wo nicht das Wahre zu entdecken, doch wenigſtens zu ſchließen, daß es anders beſchaffen ſeyn muͤſſe. Was hiebey vorausgeſetzt wird, iſt, daß nur das Wahre mit ſich ſelbſt und mit jedem andern Wahren beſtehe. Nimmt man daher einen in der That von dem Wahren verſchiedenen Schein als durchaus wahr an, ſo iſt die- ſes ein Jrrthum, aus welchem es folglich immer moͤg- lich iſt, Widerſpruͤche herzuleiten (Alethiol. §. 171.). Hin- gegen bleiben ſolche Anomalien weg, ſo oft der Schein mit dem Wahren uͤbereintrifft, und hinwiederum wenn in der That keine Anomalien koͤnnen gefunden werden, ſo laͤßt ſich richtig der Schluß machen, daß der Schein von dem Wahren nicht abgehe. Denn ſonſt waͤre es nothwendig moͤglich, Anomalien zu finden. Dieſes will nun allerdings nicht ſagen, als wenn ſie ſich von uns je- desmal ſogleich finden ließen, und aus unſerm nicht finden koͤnnen wir eben nicht ſo unbedingt auf das nicht ſeyn einen Schluß machen. Jnzwiſchen mag es unſtreitig Faͤlle geben, und giebt auch ſolche, wo wir gleichſam interimsweiſe oder bis auf genauere Unterſu- chung einen ſolchen Schluß gelten laſſen, und von dem Schein, Q 4

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/253>, abgerufen am 24.11.2024.