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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
Schein, wie von dem Wahren reden, bis sich etwan der
Unterschied zeigt. Und dieses geht um desto mehr an,
weil wir ohnehin öfters aus der Sprache des Wahren
in die Sprache des Scheins übersetzen müssen, wo wir
uns, wie es in der Astronomie geschieht, im gemeinen
Leben nach dem Schein richten wollen.

§. 53. Wir haben ferner dem Schein Begriffe zu
danken, die sich für sich gedenken lassen. So z. E. ha-
ben wir den Begriff der Ausdehnung von dem Au-
ge und dem Gefühle, und wenn auch die scheinbare Ge-
stalt der Figuren nie mit der wahren zusammenträfe, so
würde dieses dennoch nicht hindern, Begriffe von Figu-
ren überhaupt zu haben, und die Geometrie daraus her-
zuleiten, vermittelst deren wir aus der scheinbaren Ge-
stalt und Figur der Dinge ihre wahre finden können.
Der geometrische Grundsatz, daß Figuren, die einander
decken, gleich sind, ist von dem Schein unabhängig,
und führt folglich unmittelbar zu dem Wahren. Wir
können eben dieses von der Dauer, von der Bewe-
gung,
und überhaupt von den einfachen Begriffen
und ihren Grundsätzen anmerken, die wir in dem zwey-
ten Hauptstücke der Alethiologie, als die Grundlage zu
dem Wahren in unserer Erkenntniß betrachtet haben.

§. 54. Wenn in dem Schein eine Aende-
rung vorgeht, so geht auch in der That eine
Aenderung vor. Es bleibt aber noch unaus-
gemacht, ob sie in dem Objecte, oder in dem
Sinn oder in der Verhältniß von beyden, oder
in zwey oder in allen diesen drey Stücken vor-
gehe. Hingegen aber giebt die Aenderung im
Schein das Relative von der wirklichen Aen-
derung an.
Wir haben diese drey Sätze hier zu-
sammengenommen, weil sie gleichsam drey Theile eines
Satzes sind. Der erste beweist sich dadurch, daß der
Schein verursacht wird, und sich daher ohne die Aen-

derung

II. Hauptſtuͤck.
Schein, wie von dem Wahren reden, bis ſich etwan der
Unterſchied zeigt. Und dieſes geht um deſto mehr an,
weil wir ohnehin oͤfters aus der Sprache des Wahren
in die Sprache des Scheins uͤberſetzen muͤſſen, wo wir
uns, wie es in der Aſtronomie geſchieht, im gemeinen
Leben nach dem Schein richten wollen.

§. 53. Wir haben ferner dem Schein Begriffe zu
danken, die ſich fuͤr ſich gedenken laſſen. So z. E. ha-
ben wir den Begriff der Ausdehnung von dem Au-
ge und dem Gefuͤhle, und wenn auch die ſcheinbare Ge-
ſtalt der Figuren nie mit der wahren zuſammentraͤfe, ſo
wuͤrde dieſes dennoch nicht hindern, Begriffe von Figu-
ren uͤberhaupt zu haben, und die Geometrie daraus her-
zuleiten, vermittelſt deren wir aus der ſcheinbaren Ge-
ſtalt und Figur der Dinge ihre wahre finden koͤnnen.
Der geometriſche Grundſatz, daß Figuren, die einander
decken, gleich ſind, iſt von dem Schein unabhaͤngig,
und fuͤhrt folglich unmittelbar zu dem Wahren. Wir
koͤnnen eben dieſes von der Dauer, von der Bewe-
gung,
und uͤberhaupt von den einfachen Begriffen
und ihren Grundſaͤtzen anmerken, die wir in dem zwey-
ten Hauptſtuͤcke der Alethiologie, als die Grundlage zu
dem Wahren in unſerer Erkenntniß betrachtet haben.

§. 54. Wenn in dem Schein eine Aende-
rung vorgeht, ſo geht auch in der That eine
Aenderung vor. Es bleibt aber noch unaus-
gemacht, ob ſie in dem Objecte, oder in dem
Sinn oder in der Verhaͤltniß von beyden, oder
in zwey oder in allen dieſen drey Stuͤcken vor-
gehe. Hingegen aber giebt die Aenderung im
Schein das Relative von der wirklichen Aen-
derung an.
Wir haben dieſe drey Saͤtze hier zu-
ſammengenommen, weil ſie gleichſam drey Theile eines
Satzes ſind. Der erſte beweiſt ſich dadurch, daß der
Schein verurſacht wird, und ſich daher ohne die Aen-

derung
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[248/0254] II. Hauptſtuͤck. Schein, wie von dem Wahren reden, bis ſich etwan der Unterſchied zeigt. Und dieſes geht um deſto mehr an, weil wir ohnehin oͤfters aus der Sprache des Wahren in die Sprache des Scheins uͤberſetzen muͤſſen, wo wir uns, wie es in der Aſtronomie geſchieht, im gemeinen Leben nach dem Schein richten wollen. §. 53. Wir haben ferner dem Schein Begriffe zu danken, die ſich fuͤr ſich gedenken laſſen. So z. E. ha- ben wir den Begriff der Ausdehnung von dem Au- ge und dem Gefuͤhle, und wenn auch die ſcheinbare Ge- ſtalt der Figuren nie mit der wahren zuſammentraͤfe, ſo wuͤrde dieſes dennoch nicht hindern, Begriffe von Figu- ren uͤberhaupt zu haben, und die Geometrie daraus her- zuleiten, vermittelſt deren wir aus der ſcheinbaren Ge- ſtalt und Figur der Dinge ihre wahre finden koͤnnen. Der geometriſche Grundſatz, daß Figuren, die einander decken, gleich ſind, iſt von dem Schein unabhaͤngig, und fuͤhrt folglich unmittelbar zu dem Wahren. Wir koͤnnen eben dieſes von der Dauer, von der Bewe- gung, und uͤberhaupt von den einfachen Begriffen und ihren Grundſaͤtzen anmerken, die wir in dem zwey- ten Hauptſtuͤcke der Alethiologie, als die Grundlage zu dem Wahren in unſerer Erkenntniß betrachtet haben. §. 54. Wenn in dem Schein eine Aende- rung vorgeht, ſo geht auch in der That eine Aenderung vor. Es bleibt aber noch unaus- gemacht, ob ſie in dem Objecte, oder in dem Sinn oder in der Verhaͤltniß von beyden, oder in zwey oder in allen dieſen drey Stuͤcken vor- gehe. Hingegen aber giebt die Aenderung im Schein das Relative von der wirklichen Aen- derung an. Wir haben dieſe drey Saͤtze hier zu- ſammengenommen, weil ſie gleichſam drey Theile eines Satzes ſind. Der erſte beweiſt ſich dadurch, daß der Schein verurſacht wird, und ſich daher ohne die Aen- derung

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/254>, abgerufen am 24.11.2024.