Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem sinnlichen Schein.
derung der Ursachen nicht ändert. Der zweyte Theil
zählt die Ursachen des Scheins ab, weil der ganze
Schein aus dem subjectiven, objectiven und relati-
ven zusammengesetzt ist, und folglich die wirkliche Aen-
derung entweder in dem Sinn, oder in dem Object,
oder in ihrer Verhältniß, oder in zwey oder in allen
drey Stücken vorgehen muß. Welches aber hievon
statt habe, läßt sich aus der Aenderung des Scheins
nicht schließen, weil dieser nur die Summe oder Dif-
ferenz von den drey Ursachen angiebt. Wird aber
die Summe vor und nach der Aenderung verglichen,
so giebt der Unterschied das Relative in der Aende-
rung an.

§. 55. Wir wollen diesen Lehrsatz durch Beyspiele
von der localen Bewegung erläutern. Die Sonne
scheint in 24 Stunden 360 Grade eines Circuls zu
durchlaufen. Dieser Schein kann hervorgebracht wer-
den, es sey, daß die Erde, oder die Sonne ruhe, oder
beyde sich bewegen. Dreht sich die Erde und die Son-
ne zugleich, so giebt der Schein nur die Summe oder
Differenz der Bewegung an; die Summe, wenn die
Richtung entgegengesetzt ist, die Differenz, wenn sie
nach einerley Gegend geht. Und in beyden Fällen be-
trägt es in 24 Stunden 360 Grade, ohne daß wir aus
dem Schein noch schließen könnten, was der Erde oder
der Sonne davon besonders zuzuschreiben ist. Auf ei-
ne ähnliche Art giebt das Copernicanische System nur
die relative Bewegung der Erde um die Sonne an,
und diese ist elliptisch, da hingegen die wahre cycloi-
disch ist. Die Empfindung der Wärme giebt uns ähn-
liche Beyspiele. Wir kommen in ein Zimmer, und
finden es das erstemal wärmer als das andere. Jedes-
mal urtheilen wir nach dem Unterschied der Wärme des
Leibes und des Zimmers. Diesen Unterschied finden
wir geändert, und die Aenderung zeigt uns nur das Re-

lative
Q 5

Von dem ſinnlichen Schein.
derung der Urſachen nicht aͤndert. Der zweyte Theil
zaͤhlt die Urſachen des Scheins ab, weil der ganze
Schein aus dem ſubjectiven, objectiven und relati-
ven zuſammengeſetzt iſt, und folglich die wirkliche Aen-
derung entweder in dem Sinn, oder in dem Object,
oder in ihrer Verhaͤltniß, oder in zwey oder in allen
drey Stuͤcken vorgehen muß. Welches aber hievon
ſtatt habe, laͤßt ſich aus der Aenderung des Scheins
nicht ſchließen, weil dieſer nur die Summe oder Dif-
ferenz von den drey Urſachen angiebt. Wird aber
die Summe vor und nach der Aenderung verglichen,
ſo giebt der Unterſchied das Relative in der Aende-
rung an.

§. 55. Wir wollen dieſen Lehrſatz durch Beyſpiele
von der localen Bewegung erlaͤutern. Die Sonne
ſcheint in 24 Stunden 360 Grade eines Circuls zu
durchlaufen. Dieſer Schein kann hervorgebracht wer-
den, es ſey, daß die Erde, oder die Sonne ruhe, oder
beyde ſich bewegen. Dreht ſich die Erde und die Son-
ne zugleich, ſo giebt der Schein nur die Summe oder
Differenz der Bewegung an; die Summe, wenn die
Richtung entgegengeſetzt iſt, die Differenz, wenn ſie
nach einerley Gegend geht. Und in beyden Faͤllen be-
traͤgt es in 24 Stunden 360 Grade, ohne daß wir aus
dem Schein noch ſchließen koͤnnten, was der Erde oder
der Sonne davon beſonders zuzuſchreiben iſt. Auf ei-
ne aͤhnliche Art giebt das Copernicaniſche Syſtem nur
die relative Bewegung der Erde um die Sonne an,
und dieſe iſt elliptiſch, da hingegen die wahre cycloi-
diſch iſt. Die Empfindung der Waͤrme giebt uns aͤhn-
liche Beyſpiele. Wir kommen in ein Zimmer, und
finden es das erſtemal waͤrmer als das andere. Jedes-
mal urtheilen wir nach dem Unterſchied der Waͤrme des
Leibes und des Zimmers. Dieſen Unterſchied finden
wir geaͤndert, und die Aenderung zeigt uns nur das Re-

lative
Q 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="249"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem &#x017F;innlichen Schein.</hi></fw><lb/>
derung der Ur&#x017F;achen nicht a&#x0364;ndert. Der zweyte Theil<lb/>
za&#x0364;hlt die Ur&#x017F;achen des Scheins ab, weil der ganze<lb/>
Schein aus dem &#x017F;ubjectiven, objectiven und relati-<lb/>
ven zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt i&#x017F;t, und folglich die wirkliche Aen-<lb/>
derung entweder in dem Sinn, oder in dem Object,<lb/>
oder in ihrer Verha&#x0364;ltniß, oder in zwey oder in allen<lb/>
drey Stu&#x0364;cken vorgehen muß. Welches aber hievon<lb/>
&#x017F;tatt habe, la&#x0364;ßt &#x017F;ich aus der Aenderung des Scheins<lb/>
nicht &#x017F;chließen, weil die&#x017F;er nur die Summe oder Dif-<lb/>
ferenz von den drey Ur&#x017F;achen angiebt. Wird aber<lb/>
die Summe vor und nach der Aenderung verglichen,<lb/>
&#x017F;o giebt der Unter&#x017F;chied das Relative in der Aende-<lb/>
rung an.</p><lb/>
          <p>§. 55. Wir wollen die&#x017F;en Lehr&#x017F;atz durch Bey&#x017F;piele<lb/>
von der localen Bewegung erla&#x0364;utern. Die Sonne<lb/>
&#x017F;cheint in 24 Stunden 360 Grade eines Circuls zu<lb/>
durchlaufen. Die&#x017F;er Schein kann hervorgebracht wer-<lb/>
den, es &#x017F;ey, daß die Erde, oder die Sonne ruhe, oder<lb/>
beyde &#x017F;ich bewegen. Dreht &#x017F;ich die Erde und die Son-<lb/>
ne zugleich, &#x017F;o giebt der Schein nur die Summe oder<lb/>
Differenz der Bewegung an; die Summe, wenn die<lb/>
Richtung entgegenge&#x017F;etzt i&#x017F;t, die Differenz, wenn &#x017F;ie<lb/>
nach einerley Gegend geht. Und in beyden Fa&#x0364;llen be-<lb/>
tra&#x0364;gt es in 24 Stunden 360 Grade, ohne daß wir aus<lb/>
dem Schein noch &#x017F;chließen ko&#x0364;nnten, was der Erde oder<lb/>
der Sonne davon be&#x017F;onders zuzu&#x017F;chreiben i&#x017F;t. Auf ei-<lb/>
ne a&#x0364;hnliche Art giebt das Copernicani&#x017F;che Sy&#x017F;tem nur<lb/>
die relative Bewegung der Erde um die Sonne an,<lb/>
und die&#x017F;e i&#x017F;t ellipti&#x017F;ch, da hingegen die wahre cycloi-<lb/>
di&#x017F;ch i&#x017F;t. Die Empfindung der Wa&#x0364;rme giebt uns a&#x0364;hn-<lb/>
liche Bey&#x017F;piele. Wir kommen in ein Zimmer, und<lb/>
finden es das er&#x017F;temal wa&#x0364;rmer als das andere. Jedes-<lb/>
mal urtheilen wir nach dem Unter&#x017F;chied der Wa&#x0364;rme des<lb/>
Leibes und des Zimmers. Die&#x017F;en Unter&#x017F;chied finden<lb/>
wir gea&#x0364;ndert, und die Aenderung zeigt uns nur das Re-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 5</fw><fw place="bottom" type="catch">lative</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0255] Von dem ſinnlichen Schein. derung der Urſachen nicht aͤndert. Der zweyte Theil zaͤhlt die Urſachen des Scheins ab, weil der ganze Schein aus dem ſubjectiven, objectiven und relati- ven zuſammengeſetzt iſt, und folglich die wirkliche Aen- derung entweder in dem Sinn, oder in dem Object, oder in ihrer Verhaͤltniß, oder in zwey oder in allen drey Stuͤcken vorgehen muß. Welches aber hievon ſtatt habe, laͤßt ſich aus der Aenderung des Scheins nicht ſchließen, weil dieſer nur die Summe oder Dif- ferenz von den drey Urſachen angiebt. Wird aber die Summe vor und nach der Aenderung verglichen, ſo giebt der Unterſchied das Relative in der Aende- rung an. §. 55. Wir wollen dieſen Lehrſatz durch Beyſpiele von der localen Bewegung erlaͤutern. Die Sonne ſcheint in 24 Stunden 360 Grade eines Circuls zu durchlaufen. Dieſer Schein kann hervorgebracht wer- den, es ſey, daß die Erde, oder die Sonne ruhe, oder beyde ſich bewegen. Dreht ſich die Erde und die Son- ne zugleich, ſo giebt der Schein nur die Summe oder Differenz der Bewegung an; die Summe, wenn die Richtung entgegengeſetzt iſt, die Differenz, wenn ſie nach einerley Gegend geht. Und in beyden Faͤllen be- traͤgt es in 24 Stunden 360 Grade, ohne daß wir aus dem Schein noch ſchließen koͤnnten, was der Erde oder der Sonne davon beſonders zuzuſchreiben iſt. Auf ei- ne aͤhnliche Art giebt das Copernicaniſche Syſtem nur die relative Bewegung der Erde um die Sonne an, und dieſe iſt elliptiſch, da hingegen die wahre cycloi- diſch iſt. Die Empfindung der Waͤrme giebt uns aͤhn- liche Beyſpiele. Wir kommen in ein Zimmer, und finden es das erſtemal waͤrmer als das andere. Jedes- mal urtheilen wir nach dem Unterſchied der Waͤrme des Leibes und des Zimmers. Dieſen Unterſchied finden wir geaͤndert, und die Aenderung zeigt uns nur das Re- lative Q 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/255
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/255>, abgerufen am 24.11.2024.