Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Hauptstück.
schiede zu machen haben, die wir zwischen dem Realen
und dem Schein machen müssen, wenn wir Zusammen-
hang und Ordnung von dem Unzusammenhängenden
und Verwirrten trennen wollen.

§. 62. Wir werden in dieser Absicht die Begriffe,
welche wir durch die Sinnen von den Körpern haben,
genauer betrachten. Die drey allgemeinsten sind die
Ausdehnung, die Solidität und die Beweglich-
keit.
Der erste stellt uns den Raum, der zweyte die
Ausfüllung des Raums mit etwas, das wir Dich-
te
oder Materie nennen können, und der dritte die
Möglichkeit, den Ort zu verändern oder bewegt zu wer-
den, vor.

§. 63. Außer diesen drey Begriffen, welche sich auf
alle Körper ausdehnen, und worauf die Theorie ihrer
Structur, ihrer Veränderungen und ihres Mechanis-
mus
beruht, geben uns die Sinnen noch eine Menge
von andern Begriffen, die nicht so allgemein sind. Da-
hin rechnen wir die Begriffe der Farben, des Schalls,
des Geruchs, des Geschmackes, der Härtigkeit,
Flüßigkeit,
der Wärme und Rälte, des Schmer-
zens
etc. Von diesen ist nun vornehmlich die Frage,
ob es nur Bilder sind, unter welchen sich uns die Kör-
per vorstellen, oder was davon den Körpern selbst kön-
ne zugeeignet werden? Wie ferne hierinn die Sprache
des Wahren von der Sprache des Scheins abgehe,
und wie ferne letztere ohne Nachtheil des Wahren ge-
braucht und beybehalten werden könne?

§. 64. Um die Beantwortung dieser Fragen deut-
licher zu machen, wollen wir den Begriff der Farben
besonders vornehmen, und sehen, was die Versuche und
die Anatomie des Auges uns hierüber angeben. Daß
eine Mauer weiß scheine, dazu wird allerdings Licht
erfordert, weil ohne Licht nichts sichtbar ist. Die Ca-
mera obscura,
mit welcher sich das Auge durchaus ver-

gleichen

II. Hauptſtuͤck.
ſchiede zu machen haben, die wir zwiſchen dem Realen
und dem Schein machen muͤſſen, wenn wir Zuſammen-
hang und Ordnung von dem Unzuſammenhaͤngenden
und Verwirrten trennen wollen.

§. 62. Wir werden in dieſer Abſicht die Begriffe,
welche wir durch die Sinnen von den Koͤrpern haben,
genauer betrachten. Die drey allgemeinſten ſind die
Ausdehnung, die Soliditaͤt und die Beweglich-
keit.
Der erſte ſtellt uns den Raum, der zweyte die
Ausfuͤllung des Raums mit etwas, das wir Dich-
te
oder Materie nennen koͤnnen, und der dritte die
Moͤglichkeit, den Ort zu veraͤndern oder bewegt zu wer-
den, vor.

§. 63. Außer dieſen drey Begriffen, welche ſich auf
alle Koͤrper ausdehnen, und worauf die Theorie ihrer
Structur, ihrer Veraͤnderungen und ihres Mechanis-
mus
beruht, geben uns die Sinnen noch eine Menge
von andern Begriffen, die nicht ſo allgemein ſind. Da-
hin rechnen wir die Begriffe der Farben, des Schalls,
des Geruchs, des Geſchmackes, der Haͤrtigkeit,
Fluͤßigkeit,
der Waͤrme und Raͤlte, des Schmer-
zens
ꝛc. Von dieſen iſt nun vornehmlich die Frage,
ob es nur Bilder ſind, unter welchen ſich uns die Koͤr-
per vorſtellen, oder was davon den Koͤrpern ſelbſt koͤn-
ne zugeeignet werden? Wie ferne hierinn die Sprache
des Wahren von der Sprache des Scheins abgehe,
und wie ferne letztere ohne Nachtheil des Wahren ge-
braucht und beybehalten werden koͤnne?

§. 64. Um die Beantwortung dieſer Fragen deut-
licher zu machen, wollen wir den Begriff der Farben
beſonders vornehmen, und ſehen, was die Verſuche und
die Anatomie des Auges uns hieruͤber angeben. Daß
eine Mauer weiß ſcheine, dazu wird allerdings Licht
erfordert, weil ohne Licht nichts ſichtbar iſt. Die Ca-
mera obſcura,
mit welcher ſich das Auge durchaus ver-

gleichen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="254"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chiede zu machen haben, die wir zwi&#x017F;chen dem Realen<lb/>
und dem Schein machen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn wir Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang und Ordnung von dem Unzu&#x017F;ammenha&#x0364;ngenden<lb/>
und Verwirrten trennen wollen.</p><lb/>
          <p>§. 62. Wir werden in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht die Begriffe,<lb/>
welche wir durch die Sinnen von den Ko&#x0364;rpern haben,<lb/>
genauer betrachten. Die drey allgemein&#x017F;ten &#x017F;ind die<lb/><hi rendition="#fr">Ausdehnung,</hi> die <hi rendition="#fr">Solidita&#x0364;t</hi> und die <hi rendition="#fr">Beweglich-<lb/>
keit.</hi> Der er&#x017F;te &#x017F;tellt uns den <hi rendition="#fr">Raum,</hi> der zweyte die<lb/><hi rendition="#fr">Ausfu&#x0364;llung</hi> des Raums mit <hi rendition="#fr">etwas,</hi> das wir <hi rendition="#fr">Dich-<lb/>
te</hi> oder <hi rendition="#fr">Materie</hi> nennen ko&#x0364;nnen, und der dritte die<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit, den Ort zu vera&#x0364;ndern oder bewegt zu wer-<lb/>
den, vor.</p><lb/>
          <p>§. 63. Außer die&#x017F;en drey Begriffen, welche &#x017F;ich auf<lb/>
alle Ko&#x0364;rper ausdehnen, und worauf die Theorie ihrer<lb/>
Structur, ihrer Vera&#x0364;nderungen und ihres <hi rendition="#aq">Mechanis-<lb/>
mus</hi> beruht, geben uns die Sinnen noch eine Menge<lb/>
von andern Begriffen, die nicht &#x017F;o allgemein &#x017F;ind. Da-<lb/>
hin rechnen wir die Begriffe der <hi rendition="#fr">Farben,</hi> des <hi rendition="#fr">Schalls,</hi><lb/>
des <hi rendition="#fr">Geruchs,</hi> des <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chmackes,</hi> der <hi rendition="#fr">Ha&#x0364;rtigkeit,<lb/>
Flu&#x0364;ßigkeit,</hi> der <hi rendition="#fr">Wa&#x0364;rme</hi> und <hi rendition="#fr">Ra&#x0364;lte,</hi> des <hi rendition="#fr">Schmer-<lb/>
zens</hi> &#xA75B;c. Von die&#x017F;en i&#x017F;t nun vornehmlich die Frage,<lb/>
ob es nur Bilder &#x017F;ind, unter welchen &#x017F;ich uns die Ko&#x0364;r-<lb/>
per vor&#x017F;tellen, oder was davon den Ko&#x0364;rpern &#x017F;elb&#x017F;t ko&#x0364;n-<lb/>
ne zugeeignet werden? Wie ferne hierinn die Sprache<lb/>
des Wahren von der Sprache des Scheins abgehe,<lb/>
und wie ferne letztere ohne Nachtheil des Wahren ge-<lb/>
braucht und beybehalten werden ko&#x0364;nne?</p><lb/>
          <p>§. 64. Um die Beantwortung die&#x017F;er Fragen deut-<lb/>
licher zu machen, wollen wir den Begriff der Farben<lb/>
be&#x017F;onders vornehmen, und &#x017F;ehen, was die Ver&#x017F;uche und<lb/>
die Anatomie des Auges uns hieru&#x0364;ber angeben. Daß<lb/>
eine Mauer weiß &#x017F;cheine, dazu wird allerdings Licht<lb/>
erfordert, weil ohne Licht nichts &#x017F;ichtbar i&#x017F;t. Die <hi rendition="#aq">Ca-<lb/>
mera ob&#x017F;cura,</hi> mit welcher &#x017F;ich das Auge durchaus ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gleichen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0260] II. Hauptſtuͤck. ſchiede zu machen haben, die wir zwiſchen dem Realen und dem Schein machen muͤſſen, wenn wir Zuſammen- hang und Ordnung von dem Unzuſammenhaͤngenden und Verwirrten trennen wollen. §. 62. Wir werden in dieſer Abſicht die Begriffe, welche wir durch die Sinnen von den Koͤrpern haben, genauer betrachten. Die drey allgemeinſten ſind die Ausdehnung, die Soliditaͤt und die Beweglich- keit. Der erſte ſtellt uns den Raum, der zweyte die Ausfuͤllung des Raums mit etwas, das wir Dich- te oder Materie nennen koͤnnen, und der dritte die Moͤglichkeit, den Ort zu veraͤndern oder bewegt zu wer- den, vor. §. 63. Außer dieſen drey Begriffen, welche ſich auf alle Koͤrper ausdehnen, und worauf die Theorie ihrer Structur, ihrer Veraͤnderungen und ihres Mechanis- mus beruht, geben uns die Sinnen noch eine Menge von andern Begriffen, die nicht ſo allgemein ſind. Da- hin rechnen wir die Begriffe der Farben, des Schalls, des Geruchs, des Geſchmackes, der Haͤrtigkeit, Fluͤßigkeit, der Waͤrme und Raͤlte, des Schmer- zens ꝛc. Von dieſen iſt nun vornehmlich die Frage, ob es nur Bilder ſind, unter welchen ſich uns die Koͤr- per vorſtellen, oder was davon den Koͤrpern ſelbſt koͤn- ne zugeeignet werden? Wie ferne hierinn die Sprache des Wahren von der Sprache des Scheins abgehe, und wie ferne letztere ohne Nachtheil des Wahren ge- braucht und beybehalten werden koͤnne? §. 64. Um die Beantwortung dieſer Fragen deut- licher zu machen, wollen wir den Begriff der Farben beſonders vornehmen, und ſehen, was die Verſuche und die Anatomie des Auges uns hieruͤber angeben. Daß eine Mauer weiß ſcheine, dazu wird allerdings Licht erfordert, weil ohne Licht nichts ſichtbar iſt. Die Ca- mera obſcura, mit welcher ſich das Auge durchaus ver- gleichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/260
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/260>, abgerufen am 24.11.2024.