Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Hauptstück.
Gesetzen gebrochen oder reflectirt wird. Diese Gesetze
sind nun ebenfalls so weit entdeckt, als sie zur Bestim-
mung des Weges in jeden Fällen dienen, und dadurch
ließe sich die Theorie des Bildes zu Stande bringen,
welches sich von jeden sichtbaren und angeschauten Ob-
jecten auf dem Augennetze abmalt. Die Größe und
Figur desselben ist ausmeßbar, und das ganze Bild der
Grund zur Theorie des optischen Scheins, weil sich un-
ser Urtheil von dem Schein der sichtbaren Dinge ganz
nach diesem Bilde richtet. Wo wir hierinn noch zu-
rücke bleiben, ist die genaue Ausmessung der Helligkeit
und Farbe, weil wir beydes noch mit dem Auge schätzen
müssen. Es fehlt uns ein Jnstrument, welches die
Grade der Helligkeit und Farbe ungefähr so anzeigte,
wie das Thermometer die Wärme, die Wage das Ge-
wicht etc. anzeigt. So dann bleiben wir in der Theorie
von dem scheinbaren Orte der sichtbaren Dinge, und in
der physischen Theorie der Materie des Lichtes und des
Mechanismi seiner Fortpflanzung, Brechung und Zu-
rückprallung noch so weit zurück, daß wir noch nicht alle
Erscheinungen daraus erklären und noch weniger unbe-
kannte voraussehen können.

§. 70. Wie sich das Auge gleichsam selbst ausge-
holfen hat, so hat es auch bey Erklärung der übrigen
Sinnen, und besonders des Gehörs, gute Dienste ge-
than. Die zitternde Schwünge gespannter Saiten sind
sichtbar. Sie ließen sich in einigen Fällen abzählen,
und mit der Länge, Dicke und Spannung der Saiten,
wie auch mit der Empfindung des Tones selbst verglei-
chen. Dieses gab den Anfang zur Theorie der Töne
und ihrer Harmonie und Dissonanz, welche man sodann
auf Glocken, Pfeifen und andere tönende Körper aus-
zudehnen, und die Theorie der Undulation der Luft oder
der Fortpflanzung des Schalles ebenfalls auf Gründe
zu bringen suchte. Hingegen beut uns das Ohr kein

sicht-

II. Hauptſtuͤck.
Geſetzen gebrochen oder reflectirt wird. Dieſe Geſetze
ſind nun ebenfalls ſo weit entdeckt, als ſie zur Beſtim-
mung des Weges in jeden Faͤllen dienen, und dadurch
ließe ſich die Theorie des Bildes zu Stande bringen,
welches ſich von jeden ſichtbaren und angeſchauten Ob-
jecten auf dem Augennetze abmalt. Die Groͤße und
Figur deſſelben iſt ausmeßbar, und das ganze Bild der
Grund zur Theorie des optiſchen Scheins, weil ſich un-
ſer Urtheil von dem Schein der ſichtbaren Dinge ganz
nach dieſem Bilde richtet. Wo wir hierinn noch zu-
ruͤcke bleiben, iſt die genaue Ausmeſſung der Helligkeit
und Farbe, weil wir beydes noch mit dem Auge ſchaͤtzen
muͤſſen. Es fehlt uns ein Jnſtrument, welches die
Grade der Helligkeit und Farbe ungefaͤhr ſo anzeigte,
wie das Thermometer die Waͤrme, die Wage das Ge-
wicht ꝛc. anzeigt. So dann bleiben wir in der Theorie
von dem ſcheinbaren Orte der ſichtbaren Dinge, und in
der phyſiſchen Theorie der Materie des Lichtes und des
Mechaniſmi ſeiner Fortpflanzung, Brechung und Zu-
ruͤckprallung noch ſo weit zuruͤck, daß wir noch nicht alle
Erſcheinungen daraus erklaͤren und noch weniger unbe-
kannte vorausſehen koͤnnen.

§. 70. Wie ſich das Auge gleichſam ſelbſt ausge-
holfen hat, ſo hat es auch bey Erklaͤrung der uͤbrigen
Sinnen, und beſonders des Gehoͤrs, gute Dienſte ge-
than. Die zitternde Schwuͤnge geſpannter Saiten ſind
ſichtbar. Sie ließen ſich in einigen Faͤllen abzaͤhlen,
und mit der Laͤnge, Dicke und Spannung der Saiten,
wie auch mit der Empfindung des Tones ſelbſt verglei-
chen. Dieſes gab den Anfang zur Theorie der Toͤne
und ihrer Harmonie und Diſſonanz, welche man ſodann
auf Glocken, Pfeifen und andere toͤnende Koͤrper aus-
zudehnen, und die Theorie der Undulation der Luft oder
der Fortpflanzung des Schalles ebenfalls auf Gruͤnde
zu bringen ſuchte. Hingegen beut uns das Ohr kein

ſicht-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="258"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
Ge&#x017F;etzen gebrochen oder reflectirt wird. Die&#x017F;e Ge&#x017F;etze<lb/>
&#x017F;ind nun ebenfalls &#x017F;o weit entdeckt, als &#x017F;ie zur Be&#x017F;tim-<lb/>
mung des Weges in jeden Fa&#x0364;llen dienen, und dadurch<lb/>
ließe &#x017F;ich die Theorie des Bildes zu Stande bringen,<lb/>
welches &#x017F;ich von jeden &#x017F;ichtbaren und ange&#x017F;chauten Ob-<lb/>
jecten auf dem Augennetze abmalt. Die Gro&#x0364;ße und<lb/>
Figur de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t ausmeßbar, und das ganze Bild der<lb/>
Grund zur Theorie des opti&#x017F;chen Scheins, weil &#x017F;ich un-<lb/>
&#x017F;er Urtheil von dem Schein der &#x017F;ichtbaren Dinge ganz<lb/>
nach die&#x017F;em Bilde richtet. Wo wir hierinn noch zu-<lb/>
ru&#x0364;cke bleiben, i&#x017F;t die genaue Ausme&#x017F;&#x017F;ung der Helligkeit<lb/>
und Farbe, weil wir beydes noch mit dem Auge &#x017F;cha&#x0364;tzen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Es fehlt uns ein Jn&#x017F;trument, welches die<lb/>
Grade der Helligkeit und Farbe ungefa&#x0364;hr &#x017F;o anzeigte,<lb/>
wie das Thermometer die Wa&#x0364;rme, die Wage das Ge-<lb/>
wicht &#xA75B;c. anzeigt. So dann bleiben wir in der Theorie<lb/>
von dem &#x017F;cheinbaren Orte der &#x017F;ichtbaren Dinge, und in<lb/>
der phy&#x017F;i&#x017F;chen Theorie der Materie des Lichtes und des<lb/><hi rendition="#aq">Mechani&#x017F;mi</hi> &#x017F;einer Fortpflanzung, Brechung und Zu-<lb/>
ru&#x0364;ckprallung noch &#x017F;o weit zuru&#x0364;ck, daß wir noch nicht alle<lb/>
Er&#x017F;cheinungen daraus erkla&#x0364;ren und noch weniger unbe-<lb/>
kannte voraus&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>§. 70. Wie &#x017F;ich das Auge gleich&#x017F;am &#x017F;elb&#x017F;t ausge-<lb/>
holfen hat, &#x017F;o hat es auch bey Erkla&#x0364;rung der u&#x0364;brigen<lb/>
Sinnen, und be&#x017F;onders des Geho&#x0364;rs, gute Dien&#x017F;te ge-<lb/>
than. Die zitternde Schwu&#x0364;nge ge&#x017F;pannter Saiten &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ichtbar. Sie ließen &#x017F;ich in einigen Fa&#x0364;llen abza&#x0364;hlen,<lb/>
und mit der La&#x0364;nge, Dicke und Spannung der Saiten,<lb/>
wie auch mit der Empfindung des Tones &#x017F;elb&#x017F;t verglei-<lb/>
chen. Die&#x017F;es gab den Anfang zur Theorie der To&#x0364;ne<lb/>
und ihrer Harmonie und Di&#x017F;&#x017F;onanz, welche man &#x017F;odann<lb/>
auf Glocken, Pfeifen und andere to&#x0364;nende Ko&#x0364;rper aus-<lb/>
zudehnen, und die Theorie der Undulation der Luft oder<lb/>
der Fortpflanzung des Schalles ebenfalls auf Gru&#x0364;nde<lb/>
zu bringen &#x017F;uchte. Hingegen beut uns das Ohr kein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;icht-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0264] II. Hauptſtuͤck. Geſetzen gebrochen oder reflectirt wird. Dieſe Geſetze ſind nun ebenfalls ſo weit entdeckt, als ſie zur Beſtim- mung des Weges in jeden Faͤllen dienen, und dadurch ließe ſich die Theorie des Bildes zu Stande bringen, welches ſich von jeden ſichtbaren und angeſchauten Ob- jecten auf dem Augennetze abmalt. Die Groͤße und Figur deſſelben iſt ausmeßbar, und das ganze Bild der Grund zur Theorie des optiſchen Scheins, weil ſich un- ſer Urtheil von dem Schein der ſichtbaren Dinge ganz nach dieſem Bilde richtet. Wo wir hierinn noch zu- ruͤcke bleiben, iſt die genaue Ausmeſſung der Helligkeit und Farbe, weil wir beydes noch mit dem Auge ſchaͤtzen muͤſſen. Es fehlt uns ein Jnſtrument, welches die Grade der Helligkeit und Farbe ungefaͤhr ſo anzeigte, wie das Thermometer die Waͤrme, die Wage das Ge- wicht ꝛc. anzeigt. So dann bleiben wir in der Theorie von dem ſcheinbaren Orte der ſichtbaren Dinge, und in der phyſiſchen Theorie der Materie des Lichtes und des Mechaniſmi ſeiner Fortpflanzung, Brechung und Zu- ruͤckprallung noch ſo weit zuruͤck, daß wir noch nicht alle Erſcheinungen daraus erklaͤren und noch weniger unbe- kannte vorausſehen koͤnnen. §. 70. Wie ſich das Auge gleichſam ſelbſt ausge- holfen hat, ſo hat es auch bey Erklaͤrung der uͤbrigen Sinnen, und beſonders des Gehoͤrs, gute Dienſte ge- than. Die zitternde Schwuͤnge geſpannter Saiten ſind ſichtbar. Sie ließen ſich in einigen Faͤllen abzaͤhlen, und mit der Laͤnge, Dicke und Spannung der Saiten, wie auch mit der Empfindung des Tones ſelbſt verglei- chen. Dieſes gab den Anfang zur Theorie der Toͤne und ihrer Harmonie und Diſſonanz, welche man ſodann auf Glocken, Pfeifen und andere toͤnende Koͤrper aus- zudehnen, und die Theorie der Undulation der Luft oder der Fortpflanzung des Schalles ebenfalls auf Gruͤnde zu bringen ſuchte. Hingegen beut uns das Ohr kein ſicht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/264
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/264>, abgerufen am 20.05.2024.