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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
machen einen wesentlichen Theil der Naturgeschichte
aus. Das Wachsthum der Pflanzen und Thiere, die
Verwandlungen der Nahrung in jede Säfte, die Auf-
lösung, Fäulniß, Verwesung, Vermoderung etc. jede
chymische Processe der Natur und Kunst gehören sämt-
lich hieher. Und da solche Veränderungen in den klein-
sten Theilen vorgehen, so läßt sich der Mechanismus
davon selten oder gar nie erklären, daher muß man es
fast nothwendig bey der Bemerkung der Jngredientien
und der daraus erfolgenden scheinbaren Veränderungen
bewenden lassen. Dadurch erhalten wir statt der wis-
senschaftlichen Erkenntniß, eine bloß historische, zumal
wo die wirkenden Ursachen unempfindbar sind, und ihr
Daseyn erst aus der erfolgten Veränderung muß ge-
schlossen werden, wie z. E. wenn ein Stück Eisen durch
die Länge der Zeit magnetisch wird.

§. 80. Die bisher (§. 77. seqq.) betrachteten zween
Fälle, sind die äußersten von sehr vielen andern, wo
bey Vergleichung der Dinge Aehnlichkeiten und Ver-
schiedenheiten zusammentreffen, und wo die Frage, ob
sie einerley sind, oder zu einer gleichen Art gehören, oder
verschieden, oder von verschiedener Art sind, leichter ent-
schieden wird. Die Vergleichung der Aehnlichkeiten
hat schon längsten zu der Eintheilung der Dinge in Ar-
ten und stuffenweise höhere Gattungen Anlaß gegeben.
Wir werden hier nicht wiederholen, was wir in den
zwey ersten Hauptstücken der Dianoiologie hierüber an-
gemerkt haben, wo von dem Unterschiede der Begriffe
und ihren Eintheilungen die Rede war, in so ferne sie
ohne Rücksicht auf den Unterschied des Wahren und
des Scheins, überhaupt nur als Begriffe zu betrachten
vorkamen. Hier aber, wo wir auf diesen Unterschied
sehen, können wir überhaupt anmerken, daß wir die
Eintheilung der körperlichen Dinge in Arten und Gat-
tungen, noch größtentheils nur in der Sprache des

Scheins

II. Hauptſtuͤck.
machen einen weſentlichen Theil der Naturgeſchichte
aus. Das Wachsthum der Pflanzen und Thiere, die
Verwandlungen der Nahrung in jede Saͤfte, die Auf-
loͤſung, Faͤulniß, Verweſung, Vermoderung ꝛc. jede
chymiſche Proceſſe der Natur und Kunſt gehoͤren ſaͤmt-
lich hieher. Und da ſolche Veraͤnderungen in den klein-
ſten Theilen vorgehen, ſo laͤßt ſich der Mechaniſmus
davon ſelten oder gar nie erklaͤren, daher muß man es
faſt nothwendig bey der Bemerkung der Jngredientien
und der daraus erfolgenden ſcheinbaren Veraͤnderungen
bewenden laſſen. Dadurch erhalten wir ſtatt der wiſ-
ſenſchaftlichen Erkenntniß, eine bloß hiſtoriſche, zumal
wo die wirkenden Urſachen unempfindbar ſind, und ihr
Daſeyn erſt aus der erfolgten Veraͤnderung muß ge-
ſchloſſen werden, wie z. E. wenn ein Stuͤck Eiſen durch
die Laͤnge der Zeit magnetiſch wird.

§. 80. Die bisher (§. 77. ſeqq.) betrachteten zween
Faͤlle, ſind die aͤußerſten von ſehr vielen andern, wo
bey Vergleichung der Dinge Aehnlichkeiten und Ver-
ſchiedenheiten zuſammentreffen, und wo die Frage, ob
ſie einerley ſind, oder zu einer gleichen Art gehoͤren, oder
verſchieden, oder von verſchiedener Art ſind, leichter ent-
ſchieden wird. Die Vergleichung der Aehnlichkeiten
hat ſchon laͤngſten zu der Eintheilung der Dinge in Ar-
ten und ſtuffenweiſe hoͤhere Gattungen Anlaß gegeben.
Wir werden hier nicht wiederholen, was wir in den
zwey erſten Hauptſtuͤcken der Dianoiologie hieruͤber an-
gemerkt haben, wo von dem Unterſchiede der Begriffe
und ihren Eintheilungen die Rede war, in ſo ferne ſie
ohne Ruͤckſicht auf den Unterſchied des Wahren und
des Scheins, uͤberhaupt nur als Begriffe zu betrachten
vorkamen. Hier aber, wo wir auf dieſen Unterſchied
ſehen, koͤnnen wir uͤberhaupt anmerken, daß wir die
Eintheilung der koͤrperlichen Dinge in Arten und Gat-
tungen, noch groͤßtentheils nur in der Sprache des

Scheins
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[264/0270] II. Hauptſtuͤck. machen einen weſentlichen Theil der Naturgeſchichte aus. Das Wachsthum der Pflanzen und Thiere, die Verwandlungen der Nahrung in jede Saͤfte, die Auf- loͤſung, Faͤulniß, Verweſung, Vermoderung ꝛc. jede chymiſche Proceſſe der Natur und Kunſt gehoͤren ſaͤmt- lich hieher. Und da ſolche Veraͤnderungen in den klein- ſten Theilen vorgehen, ſo laͤßt ſich der Mechaniſmus davon ſelten oder gar nie erklaͤren, daher muß man es faſt nothwendig bey der Bemerkung der Jngredientien und der daraus erfolgenden ſcheinbaren Veraͤnderungen bewenden laſſen. Dadurch erhalten wir ſtatt der wiſ- ſenſchaftlichen Erkenntniß, eine bloß hiſtoriſche, zumal wo die wirkenden Urſachen unempfindbar ſind, und ihr Daſeyn erſt aus der erfolgten Veraͤnderung muß ge- ſchloſſen werden, wie z. E. wenn ein Stuͤck Eiſen durch die Laͤnge der Zeit magnetiſch wird. §. 80. Die bisher (§. 77. ſeqq.) betrachteten zween Faͤlle, ſind die aͤußerſten von ſehr vielen andern, wo bey Vergleichung der Dinge Aehnlichkeiten und Ver- ſchiedenheiten zuſammentreffen, und wo die Frage, ob ſie einerley ſind, oder zu einer gleichen Art gehoͤren, oder verſchieden, oder von verſchiedener Art ſind, leichter ent- ſchieden wird. Die Vergleichung der Aehnlichkeiten hat ſchon laͤngſten zu der Eintheilung der Dinge in Ar- ten und ſtuffenweiſe hoͤhere Gattungen Anlaß gegeben. Wir werden hier nicht wiederholen, was wir in den zwey erſten Hauptſtuͤcken der Dianoiologie hieruͤber an- gemerkt haben, wo von dem Unterſchiede der Begriffe und ihren Eintheilungen die Rede war, in ſo ferne ſie ohne Ruͤckſicht auf den Unterſchied des Wahren und des Scheins, uͤberhaupt nur als Begriffe zu betrachten vorkamen. Hier aber, wo wir auf dieſen Unterſchied ſehen, koͤnnen wir uͤberhaupt anmerken, daß wir die Eintheilung der koͤrperlichen Dinge in Arten und Gat- tungen, noch groͤßtentheils nur in der Sprache des Scheins

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/270>, abgerufen am 20.05.2024.