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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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I. Hauptstück. Von der symbolischen
steigenden, Collaterallinien, die Grade der Ver-
wandschaft etc. gründen sich darauf, daß die Succession
nur eine Dimension hat, und als Linear vorgestellt, und
hingegen was zugleich ist, wie z. E. Zwillinge und
überhaupt Geschwister, neben einander gezeichnet wer-
den können. Da demnach diese figürliche Vorstellung
mit der Sache selbst eine durchgängige Aehnlichkeit hat,
so ist sie allerdings wissenschaftlich, und wird in den
Rechten zum augenscheinlichen Demonstriren, und zur
Abzählung der Grade der Verwandschaft und Schwä-
gerschaft wirklich gebraucht.

§. 33. Die sogenannten Sinnbilder, Emblema-
ta,
und allem Ansehen nach auch die ägyptischen Hiero-
glyphen,
haben ebenfalls etwas von der Charakteristik.
Sie dienen aber mehr, schlechthin die bedeutende Sache
gleichsam poetisch vorzustellen, und es muß immer aus
andern Gründen erwiesen werden, wie weit sich die Al-
lusion und Aehnlichkeit erstrecke. So malt man die
Gerechtigkeit mit verbundenen Augen, mit der Wage
und dem Schwert etc. die Zeit mit der Sense und Stun-
denglas etc. weil diese Bilder eine Aehnlichkeit mit der
dadurch vorgestellten Sache haben. Aber diese Aehn-
lichkeit muß man voraus wissen.

§. 34. Auf eine vollständigere Art ist das Zahlen-
gebäude
charakteristisch, wie wir es heut zu Tage ha-
ben. Es ist allerdings nichts geringes, durch zehen Zif-
fern, oder nach der Leibnizischen Dyadik, nur durch zwo
Ziffern, alle mögliche Zahlen vorstellen zu können, und
jede Rechnungen damit zu macher, und zwar auf eine so
mechanische Art, daß es wirklich auch durch Maschinen
geschehen kann, dergleichen Pascal, Leibniz, Ludolf
und andere erfunden. Das heißt im strengsten Ver-
stande: die Theorie der Sache auf die Theorie
der Zeichen reduciren,
und man ist so sehr daran
gewöhnt, daß man die Zahlen bald für nichts anders

als

I. Hauptſtuͤck. Von der ſymboliſchen
ſteigenden, Collaterallinien, die Grade der Ver-
wandſchaft ꝛc. gruͤnden ſich darauf, daß die Succeſſion
nur eine Dimenſion hat, und als Linear vorgeſtellt, und
hingegen was zugleich iſt, wie z. E. Zwillinge und
uͤberhaupt Geſchwiſter, neben einander gezeichnet wer-
den koͤnnen. Da demnach dieſe figuͤrliche Vorſtellung
mit der Sache ſelbſt eine durchgaͤngige Aehnlichkeit hat,
ſo iſt ſie allerdings wiſſenſchaftlich, und wird in den
Rechten zum augenſcheinlichen Demonſtriren, und zur
Abzaͤhlung der Grade der Verwandſchaft und Schwaͤ-
gerſchaft wirklich gebraucht.

§. 33. Die ſogenannten Sinnbilder, Emblema-
ta,
und allem Anſehen nach auch die aͤgyptiſchen Hiero-
glyphen,
haben ebenfalls etwas von der Charakteriſtik.
Sie dienen aber mehr, ſchlechthin die bedeutende Sache
gleichſam poetiſch vorzuſtellen, und es muß immer aus
andern Gruͤnden erwieſen werden, wie weit ſich die Al-
luſion und Aehnlichkeit erſtrecke. So malt man die
Gerechtigkeit mit verbundenen Augen, mit der Wage
und dem Schwert ꝛc. die Zeit mit der Senſe und Stun-
denglas ꝛc. weil dieſe Bilder eine Aehnlichkeit mit der
dadurch vorgeſtellten Sache haben. Aber dieſe Aehn-
lichkeit muß man voraus wiſſen.

§. 34. Auf eine vollſtaͤndigere Art iſt das Zahlen-
gebaͤude
charakteriſtiſch, wie wir es heut zu Tage ha-
ben. Es iſt allerdings nichts geringes, durch zehen Zif-
fern, oder nach der Leibniziſchen Dyadik, nur durch zwo
Ziffern, alle moͤgliche Zahlen vorſtellen zu koͤnnen, und
jede Rechnungen damit zu macher, und zwar auf eine ſo
mechaniſche Art, daß es wirklich auch durch Maſchinen
geſchehen kann, dergleichen Paſcal, Leibniz, Ludolf
und andere erfunden. Das heißt im ſtrengſten Ver-
ſtande: die Theorie der Sache auf die Theorie
der Zeichen reduciren,
und man iſt ſo ſehr daran
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[22/0028] I. Hauptſtuͤck. Von der ſymboliſchen ſteigenden, Collaterallinien, die Grade der Ver- wandſchaft ꝛc. gruͤnden ſich darauf, daß die Succeſſion nur eine Dimenſion hat, und als Linear vorgeſtellt, und hingegen was zugleich iſt, wie z. E. Zwillinge und uͤberhaupt Geſchwiſter, neben einander gezeichnet wer- den koͤnnen. Da demnach dieſe figuͤrliche Vorſtellung mit der Sache ſelbſt eine durchgaͤngige Aehnlichkeit hat, ſo iſt ſie allerdings wiſſenſchaftlich, und wird in den Rechten zum augenſcheinlichen Demonſtriren, und zur Abzaͤhlung der Grade der Verwandſchaft und Schwaͤ- gerſchaft wirklich gebraucht. §. 33. Die ſogenannten Sinnbilder, Emblema- ta, und allem Anſehen nach auch die aͤgyptiſchen Hiero- glyphen, haben ebenfalls etwas von der Charakteriſtik. Sie dienen aber mehr, ſchlechthin die bedeutende Sache gleichſam poetiſch vorzuſtellen, und es muß immer aus andern Gruͤnden erwieſen werden, wie weit ſich die Al- luſion und Aehnlichkeit erſtrecke. So malt man die Gerechtigkeit mit verbundenen Augen, mit der Wage und dem Schwert ꝛc. die Zeit mit der Senſe und Stun- denglas ꝛc. weil dieſe Bilder eine Aehnlichkeit mit der dadurch vorgeſtellten Sache haben. Aber dieſe Aehn- lichkeit muß man voraus wiſſen. §. 34. Auf eine vollſtaͤndigere Art iſt das Zahlen- gebaͤude charakteriſtiſch, wie wir es heut zu Tage ha- ben. Es iſt allerdings nichts geringes, durch zehen Zif- fern, oder nach der Leibniziſchen Dyadik, nur durch zwo Ziffern, alle moͤgliche Zahlen vorſtellen zu koͤnnen, und jede Rechnungen damit zu macher, und zwar auf eine ſo mechaniſche Art, daß es wirklich auch durch Maſchinen geſchehen kann, dergleichen Paſcal, Leibniz, Ludolf und andere erfunden. Das heißt im ſtrengſten Ver- ſtande: die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeichen reduciren, und man iſt ſo ſehr daran gewoͤhnt, daß man die Zahlen bald fuͤr nichts anders als

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/28>, abgerufen am 28.04.2024.