Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Hauptstück.
nicht wohl weiter ausdehnen können, als die Empfin-
dungen des Aehnlichen im Schein gehen.

§. 98. Um nun zu der Betrachtung des psycholo-
gischen Scheins den Weg zu bahnen, wollen wir an-
merken, daß die Bewegung, die bey den Empfindungen
in den Empfindungsnerven vorgeht, zwar bis in das
Gehirn fortgepflanzt wird, aber auch in demselben, al-
lem Ansehen nach, andere ungleich feinere Bewegungen
und Empfindungen erregt. Jch sage, allem Ansehen
nach.
Denn diese Nerven und Fibern werden immer
feiner, je näher sie dem Gehirne liegen, und in dem Ge-
hirne selbst verlieren sie sich aus dem Gesichte. Die
Bewegung geht dabey aber allerdings nicht verlohren,
sondern scheint sich, wegen der Communication der an-
liegenden Theile, auszubreiten, und dadurch in jedem
Theile schwächer zu werden. Das Bewußtseyn, daß
wir nicht in den Gliedern sondern im Gehirne, und zwar
in einem gewissen Punkt desselben, denken, dessen Ort
wir, wie den Ort jeder innern Empfindung von Schmerz,
Reissen, Drücken, etc. gleichsam anzeigen zu können
glauben, macht glaublich, daß daselbst gleichsam die
Werkstätte der Seele ist, dahin sich jede von den
Empfindungsnerven herrührende Bewegungen concen-
triren, und wo gleichsam die Zügel sich vereinigen, wo-
mit der Wille den Leib und jede Glieder in Bewegung
setzt, und lenkt. Ein Fall, den man thut, und wodurch
das Gehirn erschüttert wird, verursacht in demselben
allerdings nur mechanische und körperliche Veränderun-
gen. Daß man aber dadurch das Bewußtseyn und
Gedächtniß verlieren kann, lehren uns einige Erfahrun-
gen. Und so giebt es bey vielen die Erfahrung auch,
daß ein allzustarkes Nachsinnen Kopfweh oder Schmerz
in dem Gehirne und dessen einzeln Theilen verursachen
könne; daß man nach dem Essen überhaupt zum Nach-
denken weniger aufgelegt ist, und starke. Getränke an-

fangs

III. Hauptſtuͤck.
nicht wohl weiter ausdehnen koͤnnen, als die Empfin-
dungen des Aehnlichen im Schein gehen.

§. 98. Um nun zu der Betrachtung des pſycholo-
giſchen Scheins den Weg zu bahnen, wollen wir an-
merken, daß die Bewegung, die bey den Empfindungen
in den Empfindungsnerven vorgeht, zwar bis in das
Gehirn fortgepflanzt wird, aber auch in demſelben, al-
lem Anſehen nach, andere ungleich feinere Bewegungen
und Empfindungen erregt. Jch ſage, allem Anſehen
nach.
Denn dieſe Nerven und Fibern werden immer
feiner, je naͤher ſie dem Gehirne liegen, und in dem Ge-
hirne ſelbſt verlieren ſie ſich aus dem Geſichte. Die
Bewegung geht dabey aber allerdings nicht verlohren,
ſondern ſcheint ſich, wegen der Communication der an-
liegenden Theile, auszubreiten, und dadurch in jedem
Theile ſchwaͤcher zu werden. Das Bewußtſeyn, daß
wir nicht in den Gliedern ſondern im Gehirne, und zwar
in einem gewiſſen Punkt deſſelben, denken, deſſen Ort
wir, wie den Ort jeder innern Empfindung von Schmerz,
Reiſſen, Druͤcken, ꝛc. gleichſam anzeigen zu koͤnnen
glauben, macht glaublich, daß daſelbſt gleichſam die
Werkſtaͤtte der Seele iſt, dahin ſich jede von den
Empfindungsnerven herruͤhrende Bewegungen concen-
triren, und wo gleichſam die Zuͤgel ſich vereinigen, wo-
mit der Wille den Leib und jede Glieder in Bewegung
ſetzt, und lenkt. Ein Fall, den man thut, und wodurch
das Gehirn erſchuͤttert wird, verurſacht in demſelben
allerdings nur mechaniſche und koͤrperliche Veraͤnderun-
gen. Daß man aber dadurch das Bewußtſeyn und
Gedaͤchtniß verlieren kann, lehren uns einige Erfahrun-
gen. Und ſo giebt es bey vielen die Erfahrung auch,
daß ein allzuſtarkes Nachſinnen Kopfweh oder Schmerz
in dem Gehirne und deſſen einzeln Theilen verurſachen
koͤnne; daß man nach dem Eſſen uͤberhaupt zum Nach-
denken weniger aufgelegt iſt, und ſtarke. Getraͤnke an-

fangs
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0284" n="278"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
nicht wohl weiter ausdehnen ko&#x0364;nnen, als die Empfin-<lb/>
dungen des Aehnlichen im Schein gehen.</p><lb/>
          <p>§. 98. Um nun zu der Betrachtung des p&#x017F;ycholo-<lb/>
gi&#x017F;chen Scheins den Weg zu bahnen, wollen wir an-<lb/>
merken, daß die Bewegung, die bey den Empfindungen<lb/>
in den Empfindungsnerven vorgeht, zwar bis in das<lb/>
Gehirn fortgepflanzt wird, aber auch in dem&#x017F;elben, al-<lb/>
lem An&#x017F;ehen nach, andere ungleich feinere Bewegungen<lb/>
und Empfindungen erregt. Jch &#x017F;age, <hi rendition="#fr">allem An&#x017F;ehen<lb/>
nach.</hi> Denn die&#x017F;e Nerven und Fibern werden immer<lb/>
feiner, je na&#x0364;her &#x017F;ie dem Gehirne liegen, und in dem Ge-<lb/>
hirne &#x017F;elb&#x017F;t verlieren &#x017F;ie &#x017F;ich aus dem Ge&#x017F;ichte. Die<lb/>
Bewegung geht dabey aber allerdings nicht verlohren,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;cheint &#x017F;ich, wegen der Communication der an-<lb/>
liegenden Theile, auszubreiten, und dadurch in jedem<lb/>
Theile &#x017F;chwa&#x0364;cher zu werden. Das Bewußt&#x017F;eyn, daß<lb/>
wir nicht in den Gliedern &#x017F;ondern im Gehirne, und zwar<lb/>
in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Punkt de&#x017F;&#x017F;elben, denken, de&#x017F;&#x017F;en Ort<lb/>
wir, wie den Ort jeder innern Empfindung von Schmerz,<lb/>
Rei&#x017F;&#x017F;en, Dru&#x0364;cken, &#xA75B;c. gleich&#x017F;am anzeigen zu ko&#x0364;nnen<lb/>
glauben, macht glaublich, daß da&#x017F;elb&#x017F;t gleich&#x017F;am die<lb/><hi rendition="#fr">Werk&#x017F;ta&#x0364;tte der Seele</hi> i&#x017F;t, dahin &#x017F;ich jede von den<lb/>
Empfindungsnerven herru&#x0364;hrende Bewegungen concen-<lb/>
triren, und wo gleich&#x017F;am die <hi rendition="#fr">Zu&#x0364;gel</hi> &#x017F;ich vereinigen, wo-<lb/>
mit der Wille den Leib und jede Glieder in Bewegung<lb/>
&#x017F;etzt, und lenkt. Ein Fall, den man thut, und wodurch<lb/>
das Gehirn er&#x017F;chu&#x0364;ttert wird, verur&#x017F;acht in dem&#x017F;elben<lb/>
allerdings nur mechani&#x017F;che und ko&#x0364;rperliche Vera&#x0364;nderun-<lb/>
gen. Daß man aber dadurch das Bewußt&#x017F;eyn und<lb/>
Geda&#x0364;chtniß verlieren kann, lehren uns einige Erfahrun-<lb/>
gen. Und &#x017F;o giebt es bey vielen die Erfahrung auch,<lb/>
daß ein allzu&#x017F;tarkes Nach&#x017F;innen Kopfweh oder Schmerz<lb/>
in dem Gehirne und de&#x017F;&#x017F;en einzeln Theilen verur&#x017F;achen<lb/>
ko&#x0364;nne; daß man nach dem E&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;berhaupt zum Nach-<lb/>
denken weniger aufgelegt i&#x017F;t, und &#x017F;tarke. Getra&#x0364;nke an-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fangs</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0284] III. Hauptſtuͤck. nicht wohl weiter ausdehnen koͤnnen, als die Empfin- dungen des Aehnlichen im Schein gehen. §. 98. Um nun zu der Betrachtung des pſycholo- giſchen Scheins den Weg zu bahnen, wollen wir an- merken, daß die Bewegung, die bey den Empfindungen in den Empfindungsnerven vorgeht, zwar bis in das Gehirn fortgepflanzt wird, aber auch in demſelben, al- lem Anſehen nach, andere ungleich feinere Bewegungen und Empfindungen erregt. Jch ſage, allem Anſehen nach. Denn dieſe Nerven und Fibern werden immer feiner, je naͤher ſie dem Gehirne liegen, und in dem Ge- hirne ſelbſt verlieren ſie ſich aus dem Geſichte. Die Bewegung geht dabey aber allerdings nicht verlohren, ſondern ſcheint ſich, wegen der Communication der an- liegenden Theile, auszubreiten, und dadurch in jedem Theile ſchwaͤcher zu werden. Das Bewußtſeyn, daß wir nicht in den Gliedern ſondern im Gehirne, und zwar in einem gewiſſen Punkt deſſelben, denken, deſſen Ort wir, wie den Ort jeder innern Empfindung von Schmerz, Reiſſen, Druͤcken, ꝛc. gleichſam anzeigen zu koͤnnen glauben, macht glaublich, daß daſelbſt gleichſam die Werkſtaͤtte der Seele iſt, dahin ſich jede von den Empfindungsnerven herruͤhrende Bewegungen concen- triren, und wo gleichſam die Zuͤgel ſich vereinigen, wo- mit der Wille den Leib und jede Glieder in Bewegung ſetzt, und lenkt. Ein Fall, den man thut, und wodurch das Gehirn erſchuͤttert wird, verurſacht in demſelben allerdings nur mechaniſche und koͤrperliche Veraͤnderun- gen. Daß man aber dadurch das Bewußtſeyn und Gedaͤchtniß verlieren kann, lehren uns einige Erfahrun- gen. Und ſo giebt es bey vielen die Erfahrung auch, daß ein allzuſtarkes Nachſinnen Kopfweh oder Schmerz in dem Gehirne und deſſen einzeln Theilen verurſachen koͤnne; daß man nach dem Eſſen uͤberhaupt zum Nach- denken weniger aufgelegt iſt, und ſtarke. Getraͤnke an- fangs

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/284
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/284>, abgerufen am 24.11.2024.