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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem psychologischen Schein.
Erfahrung, folglich statt der Ursachen, die Wirkungen
betrachten.

§. 102. Zu diesem Ende werden wir uns nach der
Art und Weise umsehen, wie wir zu allgemeinen, ab-
stracten und transcendenten Begriffen gelangen, und
da wird sich leicht zeigen, daß die in der Semiotik
(§. 12. seq.) bereits angezeigte Nothwendigkeit der Spra-
che und Zeichen, viel dazu beytrage. Denn die Spra-
che würde unendlich weitläuftig werden, wenn wir für
jede Indiuidua, so uns die Körperwelt darbeut, und für
jede Theile, Modificationen und Veränderungen dersel-
ben, eigene Wörter und Zeichen haben müßten. Sol-
che eigene Namen gebrauchen wir nur für die Indiui-
dua,
die wir aus besondern Gründen von andern zu
unterscheiden haben, dergleichen die Namen einzelner
Personen, Städte, Häuser, Flüsse etc. sind. Um diese
Weitläuftigkeit abzukürzen, wäre es sehr natürlich, daß
sich die Urheber der Sprachen nach Aehnlichkeiten
umsähen, und ähnliche Dinge, Theile, Modificationen,
Handlungen, Verhältnisse etc. mit einerley Namen be-
nennten. So würden die Thiere, Pflanzen, Metalle,
Steine etc. nach ihrer Art benennt, ohne daß man
sich an den Jndividualunterschieden und Varietäten
aufhielte. So erhielten auch die ähnlichen Glieder und
Theile verschiedener Arten von Thieren und Pflanzen
einerley Namen, und die Namen der Handlungen und
Verrichtungen sind auch großentheils von dem Begriffe
der Art der Thiere unabhängig, so oft sie nämlich bey
allen oder auch bey mehrern eine Aehnlichkeit haben.
Eben dieses läßt sich auch von den Namen der Verän-
derungen, Figur, Verhältnisse, Gestalt, Farbe, Zahl etc.
anmerken. Die Bedeutung solcher Wörter würde un-
vermerkt weiter ausgedehnt, weil es sehr natürlich wäre,
neuempfundenen Dingen und ihren Theilen den Na-
men von solchen zu geben, deren Empfindung ähnlichen

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Von dem pſychologiſchen Schein.
Erfahrung, folglich ſtatt der Urſachen, die Wirkungen
betrachten.

§. 102. Zu dieſem Ende werden wir uns nach der
Art und Weiſe umſehen, wie wir zu allgemeinen, ab-
ſtracten und tranſcendenten Begriffen gelangen, und
da wird ſich leicht zeigen, daß die in der Semiotik
(§. 12. ſeq.) bereits angezeigte Nothwendigkeit der Spra-
che und Zeichen, viel dazu beytrage. Denn die Spra-
che wuͤrde unendlich weitlaͤuftig werden, wenn wir fuͤr
jede Indiuidua, ſo uns die Koͤrperwelt darbeut, und fuͤr
jede Theile, Modificationen und Veraͤnderungen derſel-
ben, eigene Woͤrter und Zeichen haben muͤßten. Sol-
che eigene Namen gebrauchen wir nur fuͤr die Indiui-
dua,
die wir aus beſondern Gruͤnden von andern zu
unterſcheiden haben, dergleichen die Namen einzelner
Perſonen, Staͤdte, Haͤuſer, Fluͤſſe ꝛc. ſind. Um dieſe
Weitlaͤuftigkeit abzukuͤrzen, waͤre es ſehr natuͤrlich, daß
ſich die Urheber der Sprachen nach Aehnlichkeiten
umſaͤhen, und aͤhnliche Dinge, Theile, Modificationen,
Handlungen, Verhaͤltniſſe ꝛc. mit einerley Namen be-
nennten. So wuͤrden die Thiere, Pflanzen, Metalle,
Steine ꝛc. nach ihrer Art benennt, ohne daß man
ſich an den Jndividualunterſchieden und Varietaͤten
aufhielte. So erhielten auch die aͤhnlichen Glieder und
Theile verſchiedener Arten von Thieren und Pflanzen
einerley Namen, und die Namen der Handlungen und
Verrichtungen ſind auch großentheils von dem Begriffe
der Art der Thiere unabhaͤngig, ſo oft ſie naͤmlich bey
allen oder auch bey mehrern eine Aehnlichkeit haben.
Eben dieſes laͤßt ſich auch von den Namen der Veraͤn-
derungen, Figur, Verhaͤltniſſe, Geſtalt, Farbe, Zahl ꝛc.
anmerken. Die Bedeutung ſolcher Woͤrter wuͤrde un-
vermerkt weiter ausgedehnt, weil es ſehr natuͤrlich waͤre,
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men von ſolchen zu geben, deren Empfindung aͤhnlichen

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[281/0287] Von dem pſychologiſchen Schein. Erfahrung, folglich ſtatt der Urſachen, die Wirkungen betrachten. §. 102. Zu dieſem Ende werden wir uns nach der Art und Weiſe umſehen, wie wir zu allgemeinen, ab- ſtracten und tranſcendenten Begriffen gelangen, und da wird ſich leicht zeigen, daß die in der Semiotik (§. 12. ſeq.) bereits angezeigte Nothwendigkeit der Spra- che und Zeichen, viel dazu beytrage. Denn die Spra- che wuͤrde unendlich weitlaͤuftig werden, wenn wir fuͤr jede Indiuidua, ſo uns die Koͤrperwelt darbeut, und fuͤr jede Theile, Modificationen und Veraͤnderungen derſel- ben, eigene Woͤrter und Zeichen haben muͤßten. Sol- che eigene Namen gebrauchen wir nur fuͤr die Indiui- dua, die wir aus beſondern Gruͤnden von andern zu unterſcheiden haben, dergleichen die Namen einzelner Perſonen, Staͤdte, Haͤuſer, Fluͤſſe ꝛc. ſind. Um dieſe Weitlaͤuftigkeit abzukuͤrzen, waͤre es ſehr natuͤrlich, daß ſich die Urheber der Sprachen nach Aehnlichkeiten umſaͤhen, und aͤhnliche Dinge, Theile, Modificationen, Handlungen, Verhaͤltniſſe ꝛc. mit einerley Namen be- nennten. So wuͤrden die Thiere, Pflanzen, Metalle, Steine ꝛc. nach ihrer Art benennt, ohne daß man ſich an den Jndividualunterſchieden und Varietaͤten aufhielte. So erhielten auch die aͤhnlichen Glieder und Theile verſchiedener Arten von Thieren und Pflanzen einerley Namen, und die Namen der Handlungen und Verrichtungen ſind auch großentheils von dem Begriffe der Art der Thiere unabhaͤngig, ſo oft ſie naͤmlich bey allen oder auch bey mehrern eine Aehnlichkeit haben. Eben dieſes laͤßt ſich auch von den Namen der Veraͤn- derungen, Figur, Verhaͤltniſſe, Geſtalt, Farbe, Zahl ꝛc. anmerken. Die Bedeutung ſolcher Woͤrter wuͤrde un- vermerkt weiter ausgedehnt, weil es ſehr natuͤrlich waͤre, neuempfundenen Dingen und ihren Theilen den Na- men von ſolchen zu geben, deren Empfindung aͤhnlichen Ein- S 5

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/287>, abgerufen am 24.11.2024.