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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem psychologischen Schein.
wohl anders einige Deutlichkeit, als in so weit wir sie
durch Ziffern vorstellen. Jn dieser Absicht können wir
sagen, daß wir, vermittelst der Sprache und anderer
Zeichen, unsere Erkenntniß über die Bilder und Gren-
zen der Einbildungskraft hinaus schwingen, wovon uns
die Algeber ein vollkommeneres Beyspiel giebt.

§. 123. Die Einbildungskraft hat in ihren Bildern
immer etwas Jndividuales, so oft sie sich nicht bloß die
Wörter, sondern die Sache vorstellt. Wir finden die-
ses in den Träumen, wo sie gleichsam allein wirkt.
Und wenn wir uns auch wachend eine Sache, z. E. ei-
nen Triangel, Circul oder andere Figur vorstellen wol-
len, so geben wir ihm sogleich einen Ort, Größe und
Lage. Das heißt: wir stellen uns die Sache in Ge-
danken gleichsam vor Augen. Bey abstracten Be-
griffen giebt uns die Einbildungskraft ein Exempel,
oder einzeln Fall, so klar oder dunkel wir uns auch des-
sen mögen bewußt seyn. Demnach wenn wir das Ab-
stracte rein denken wollen, so stellen wir uns eigentlich
nur die Worte, und zwar mit dem Bewußtseyn vor,
daß sie etwas Wahres und Allgemeines aus-
drücken oder anzeigen, welches sich auf jede
durch die Worte vorgestellte Fälle anwenden
lasse.
Und so ferne wir darinn richtig verfahren, so
ferne thut uns die symbolische Erkenntniß eben den
Dienst, den wir von dem reinen Verstand erwarten
könnten.

§. 124. So bald wir einmal einen Vorrath von all-
gemeinen Sätzen haben, sie mögen nun Grundsätze,
Forderungen oder Erfahrungssätze seyn, so giebt uns
die Lehre von den Schlüssen die Möglichkeit an die
Hand, aus der Berbindung solcher Sätze neue Schluß-
sätze zu ziehen, und dadurch auf neue Verhältnisse der
Dinge zu kommen, die wir sodann als Begriffe ansehen,
mit Namen benennen und die Theorie davon fortsetzen

können.
T 5

Von dem pſychologiſchen Schein.
wohl anders einige Deutlichkeit, als in ſo weit wir ſie
durch Ziffern vorſtellen. Jn dieſer Abſicht koͤnnen wir
ſagen, daß wir, vermittelſt der Sprache und anderer
Zeichen, unſere Erkenntniß uͤber die Bilder und Gren-
zen der Einbildungskraft hinaus ſchwingen, wovon uns
die Algeber ein vollkommeneres Beyſpiel giebt.

§. 123. Die Einbildungskraft hat in ihren Bildern
immer etwas Jndividuales, ſo oft ſie ſich nicht bloß die
Woͤrter, ſondern die Sache vorſtellt. Wir finden die-
ſes in den Traͤumen, wo ſie gleichſam allein wirkt.
Und wenn wir uns auch wachend eine Sache, z. E. ei-
nen Triangel, Circul oder andere Figur vorſtellen wol-
len, ſo geben wir ihm ſogleich einen Ort, Groͤße und
Lage. Das heißt: wir ſtellen uns die Sache in Ge-
danken gleichſam vor Augen. Bey abſtracten Be-
griffen giebt uns die Einbildungskraft ein Exempel,
oder einzeln Fall, ſo klar oder dunkel wir uns auch deſ-
ſen moͤgen bewußt ſeyn. Demnach wenn wir das Ab-
ſtracte rein denken wollen, ſo ſtellen wir uns eigentlich
nur die Worte, und zwar mit dem Bewußtſeyn vor,
daß ſie etwas Wahres und Allgemeines aus-
druͤcken oder anzeigen, welches ſich auf jede
durch die Worte vorgeſtellte Faͤlle anwenden
laſſe.
Und ſo ferne wir darinn richtig verfahren, ſo
ferne thut uns die ſymboliſche Erkenntniß eben den
Dienſt, den wir von dem reinen Verſtand erwarten
koͤnnten.

§. 124. So bald wir einmal einen Vorrath von all-
gemeinen Saͤtzen haben, ſie moͤgen nun Grundſaͤtze,
Forderungen oder Erfahrungsſaͤtze ſeyn, ſo giebt uns
die Lehre von den Schluͤſſen die Moͤglichkeit an die
Hand, aus der Berbindung ſolcher Saͤtze neue Schluß-
ſaͤtze zu ziehen, und dadurch auf neue Verhaͤltniſſe der
Dinge zu kommen, die wir ſodann als Begriffe anſehen,
mit Namen benennen und die Theorie davon fortſetzen

koͤnnen.
T 5
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[297/0303] Von dem pſychologiſchen Schein. wohl anders einige Deutlichkeit, als in ſo weit wir ſie durch Ziffern vorſtellen. Jn dieſer Abſicht koͤnnen wir ſagen, daß wir, vermittelſt der Sprache und anderer Zeichen, unſere Erkenntniß uͤber die Bilder und Gren- zen der Einbildungskraft hinaus ſchwingen, wovon uns die Algeber ein vollkommeneres Beyſpiel giebt. §. 123. Die Einbildungskraft hat in ihren Bildern immer etwas Jndividuales, ſo oft ſie ſich nicht bloß die Woͤrter, ſondern die Sache vorſtellt. Wir finden die- ſes in den Traͤumen, wo ſie gleichſam allein wirkt. Und wenn wir uns auch wachend eine Sache, z. E. ei- nen Triangel, Circul oder andere Figur vorſtellen wol- len, ſo geben wir ihm ſogleich einen Ort, Groͤße und Lage. Das heißt: wir ſtellen uns die Sache in Ge- danken gleichſam vor Augen. Bey abſtracten Be- griffen giebt uns die Einbildungskraft ein Exempel, oder einzeln Fall, ſo klar oder dunkel wir uns auch deſ- ſen moͤgen bewußt ſeyn. Demnach wenn wir das Ab- ſtracte rein denken wollen, ſo ſtellen wir uns eigentlich nur die Worte, und zwar mit dem Bewußtſeyn vor, daß ſie etwas Wahres und Allgemeines aus- druͤcken oder anzeigen, welches ſich auf jede durch die Worte vorgeſtellte Faͤlle anwenden laſſe. Und ſo ferne wir darinn richtig verfahren, ſo ferne thut uns die ſymboliſche Erkenntniß eben den Dienſt, den wir von dem reinen Verſtand erwarten koͤnnten. §. 124. So bald wir einmal einen Vorrath von all- gemeinen Saͤtzen haben, ſie moͤgen nun Grundſaͤtze, Forderungen oder Erfahrungsſaͤtze ſeyn, ſo giebt uns die Lehre von den Schluͤſſen die Moͤglichkeit an die Hand, aus der Berbindung ſolcher Saͤtze neue Schluß- ſaͤtze zu ziehen, und dadurch auf neue Verhaͤltniſſe der Dinge zu kommen, die wir ſodann als Begriffe anſehen, mit Namen benennen und die Theorie davon fortſetzen koͤnnen. T 5

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/303>, abgerufen am 24.11.2024.