Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Hauptstück.
der Welt gewesen sey, oder wenn der Raum nichts ist,
ob die Körper im nichts seyn können etc. Es ist hier
der Ort nicht, die Voraussetzungen dieser Fragen zu
untersuchen, oder die etwan in den Worten liegende Un-
bestimmtheit und Vieldeutigkeit aus einander zu setzen.
So viel ist für sich klar, daß von dem Begriffe des
Raums, der an sich einfach ist, und daher durch innere
Merkmale nicht definirt werden kaun, viele fremde Bil-
der müssen getrennt werden, die die Einbildungskraft
gar zu leicht damit verbindet. Locke in seinem Wer-
le von dem menschlichen Verstande hält sich bey
diesen Untersuchungen weitläuftig auf, und so wird man
auch in dem ersten Hauptstücke der Alethiologie (§. 43.
48. 49. 50.) hieher dienende Betrachtungen finden.
Allem Ansehen nach trägt auch die Sprache dazu bey,
daß, indem sie Raum und Zeit durch Substantiva
ausdrückt, und alle Redensarten darnach einrich-
tet,
diese beyde Begriffe als körperliche Substanzen
ansehen macht. Dieses mag die Schwierigkeit, diese
beyden an sich einfachen Begriffe rein zu denken, noch
merklich vermehren.

§. 122. Läßt man aber die Begriffe der Ausdeh-
nung, Zeit, und Bewegung als wahre Begriffe gelten,
so bleibt auch in dem Bilde davon viel, das mit zu der
reinen Vorstellung gehört, und der reine Verstand kann
davon nicht abstrahiren, weil es zur Sache selbst gehört.
Jn Ansehung der meisten übrigen Wahrheiten, und
besonders der abstracten, müssen wir anmerken, daß,
so ferne die sinnlichen Bilder sie nicht an sich vorstellen,
der reine Verstand allerdings davon abstrahirt, und
abstrahiren muß, daferne die Vorstellung ohne solche
Bilder seyn soll. Dadurch aber erhalten wir nur so
viel, daß wir das, so an der Sache ist, uns vermittelst
der Wörter und anderer dafür angenommenen Zeichen
vorstellen müssen. So finden wir in den Zahlen nicht

wohl

III. Hauptſtuͤck.
der Welt geweſen ſey, oder wenn der Raum nichts iſt,
ob die Koͤrper im nichts ſeyn koͤnnen ꝛc. Es iſt hier
der Ort nicht, die Vorausſetzungen dieſer Fragen zu
unterſuchen, oder die etwan in den Worten liegende Un-
beſtimmtheit und Vieldeutigkeit aus einander zu ſetzen.
So viel iſt fuͤr ſich klar, daß von dem Begriffe des
Raums, der an ſich einfach iſt, und daher durch innere
Merkmale nicht definirt werden kaun, viele fremde Bil-
der muͤſſen getrennt werden, die die Einbildungskraft
gar zu leicht damit verbindet. Locke in ſeinem Wer-
le von dem menſchlichen Verſtande haͤlt ſich bey
dieſen Unterſuchungen weitlaͤuftig auf, und ſo wird man
auch in dem erſten Hauptſtuͤcke der Alethiologie (§. 43.
48. 49. 50.) hieher dienende Betrachtungen finden.
Allem Anſehen nach traͤgt auch die Sprache dazu bey,
daß, indem ſie Raum und Zeit durch Subſtantiva
ausdruͤckt, und alle Redensarten darnach einrich-
tet,
dieſe beyde Begriffe als koͤrperliche Subſtanzen
anſehen macht. Dieſes mag die Schwierigkeit, dieſe
beyden an ſich einfachen Begriffe rein zu denken, noch
merklich vermehren.

§. 122. Laͤßt man aber die Begriffe der Ausdeh-
nung, Zeit, und Bewegung als wahre Begriffe gelten,
ſo bleibt auch in dem Bilde davon viel, das mit zu der
reinen Vorſtellung gehoͤrt, und der reine Verſtand kann
davon nicht abſtrahiren, weil es zur Sache ſelbſt gehoͤrt.
Jn Anſehung der meiſten uͤbrigen Wahrheiten, und
beſonders der abſtracten, muͤſſen wir anmerken, daß,
ſo ferne die ſinnlichen Bilder ſie nicht an ſich vorſtellen,
der reine Verſtand allerdings davon abſtrahirt, und
abſtrahiren muß, daferne die Vorſtellung ohne ſolche
Bilder ſeyn ſoll. Dadurch aber erhalten wir nur ſo
viel, daß wir das, ſo an der Sache iſt, uns vermittelſt
der Woͤrter und anderer dafuͤr angenommenen Zeichen
vorſtellen muͤſſen. So finden wir in den Zahlen nicht

wohl
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="296"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
der Welt gewe&#x017F;en &#x017F;ey, oder wenn der Raum nichts i&#x017F;t,<lb/>
ob die Ko&#x0364;rper im nichts &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen &#xA75B;c. Es i&#x017F;t hier<lb/>
der Ort nicht, die Voraus&#x017F;etzungen die&#x017F;er Fragen zu<lb/>
unter&#x017F;uchen, oder die etwan in den Worten liegende Un-<lb/>
be&#x017F;timmtheit und Vieldeutigkeit aus einander zu &#x017F;etzen.<lb/>
So viel i&#x017F;t fu&#x0364;r &#x017F;ich klar, daß von dem Begriffe des<lb/>
Raums, der an &#x017F;ich einfach i&#x017F;t, und daher durch innere<lb/>
Merkmale nicht definirt werden kaun, viele fremde Bil-<lb/>
der mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en getrennt werden, die die Einbildungskraft<lb/>
gar zu leicht damit verbindet. <hi rendition="#fr">Locke</hi> in &#x017F;einem Wer-<lb/>
le <hi rendition="#fr">von dem men&#x017F;chlichen Ver&#x017F;tande</hi> ha&#x0364;lt &#x017F;ich bey<lb/>
die&#x017F;en Unter&#x017F;uchungen weitla&#x0364;uftig auf, und &#x017F;o wird man<lb/>
auch in dem er&#x017F;ten Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke der Alethiologie (§. 43.<lb/>
48. 49. 50.) hieher dienende Betrachtungen finden.<lb/>
Allem An&#x017F;ehen nach tra&#x0364;gt auch die Sprache dazu bey,<lb/>
daß, indem &#x017F;ie <hi rendition="#fr">Raum</hi> und <hi rendition="#fr">Zeit</hi> durch Sub&#x017F;tantiva<lb/>
ausdru&#x0364;ckt, und <hi rendition="#fr">alle Redensarten darnach einrich-<lb/>
tet,</hi> die&#x017F;e beyde Begriffe als ko&#x0364;rperliche Sub&#x017F;tanzen<lb/>
an&#x017F;ehen macht. Die&#x017F;es mag die Schwierigkeit, die&#x017F;e<lb/>
beyden an &#x017F;ich <hi rendition="#fr">einfachen</hi> Begriffe <hi rendition="#fr">rein</hi> zu denken, noch<lb/>
merklich vermehren.</p><lb/>
          <p>§. 122. La&#x0364;ßt man aber die Begriffe der Ausdeh-<lb/>
nung, Zeit, und Bewegung als wahre Begriffe gelten,<lb/>
&#x017F;o bleibt auch in dem Bilde davon viel, das mit zu der<lb/>
reinen Vor&#x017F;tellung geho&#x0364;rt, und der reine Ver&#x017F;tand kann<lb/>
davon nicht ab&#x017F;trahiren, weil es zur Sache &#x017F;elb&#x017F;t geho&#x0364;rt.<lb/>
Jn An&#x017F;ehung der mei&#x017F;ten u&#x0364;brigen Wahrheiten, und<lb/>
be&#x017F;onders der ab&#x017F;tracten, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir anmerken, daß,<lb/>
&#x017F;o ferne die &#x017F;innlichen Bilder &#x017F;ie nicht an &#x017F;ich vor&#x017F;tellen,<lb/>
der reine Ver&#x017F;tand allerdings davon ab&#x017F;trahirt, und<lb/>
ab&#x017F;trahiren muß, daferne die Vor&#x017F;tellung ohne &#x017F;olche<lb/>
Bilder &#x017F;eyn &#x017F;oll. Dadurch aber erhalten wir nur &#x017F;o<lb/>
viel, daß wir das, &#x017F;o an der Sache i&#x017F;t, uns vermittel&#x017F;t<lb/>
der Wo&#x0364;rter und anderer dafu&#x0364;r angenommenen Zeichen<lb/>
vor&#x017F;tellen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. So finden wir in den Zahlen nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wohl</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0302] III. Hauptſtuͤck. der Welt geweſen ſey, oder wenn der Raum nichts iſt, ob die Koͤrper im nichts ſeyn koͤnnen ꝛc. Es iſt hier der Ort nicht, die Vorausſetzungen dieſer Fragen zu unterſuchen, oder die etwan in den Worten liegende Un- beſtimmtheit und Vieldeutigkeit aus einander zu ſetzen. So viel iſt fuͤr ſich klar, daß von dem Begriffe des Raums, der an ſich einfach iſt, und daher durch innere Merkmale nicht definirt werden kaun, viele fremde Bil- der muͤſſen getrennt werden, die die Einbildungskraft gar zu leicht damit verbindet. Locke in ſeinem Wer- le von dem menſchlichen Verſtande haͤlt ſich bey dieſen Unterſuchungen weitlaͤuftig auf, und ſo wird man auch in dem erſten Hauptſtuͤcke der Alethiologie (§. 43. 48. 49. 50.) hieher dienende Betrachtungen finden. Allem Anſehen nach traͤgt auch die Sprache dazu bey, daß, indem ſie Raum und Zeit durch Subſtantiva ausdruͤckt, und alle Redensarten darnach einrich- tet, dieſe beyde Begriffe als koͤrperliche Subſtanzen anſehen macht. Dieſes mag die Schwierigkeit, dieſe beyden an ſich einfachen Begriffe rein zu denken, noch merklich vermehren. §. 122. Laͤßt man aber die Begriffe der Ausdeh- nung, Zeit, und Bewegung als wahre Begriffe gelten, ſo bleibt auch in dem Bilde davon viel, das mit zu der reinen Vorſtellung gehoͤrt, und der reine Verſtand kann davon nicht abſtrahiren, weil es zur Sache ſelbſt gehoͤrt. Jn Anſehung der meiſten uͤbrigen Wahrheiten, und beſonders der abſtracten, muͤſſen wir anmerken, daß, ſo ferne die ſinnlichen Bilder ſie nicht an ſich vorſtellen, der reine Verſtand allerdings davon abſtrahirt, und abſtrahiren muß, daferne die Vorſtellung ohne ſolche Bilder ſeyn ſoll. Dadurch aber erhalten wir nur ſo viel, daß wir das, ſo an der Sache iſt, uns vermittelſt der Woͤrter und anderer dafuͤr angenommenen Zeichen vorſtellen muͤſſen. So finden wir in den Zahlen nicht wohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/302
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/302>, abgerufen am 24.11.2024.