Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Wahrscheinlichen.
schiedener solche Ursachen seyn müßten, desto unwahr-
scheinlicher wird es, daß sie alle sollten zusammengetrof-
fen haben, um Folgen nachzulassen, die sämtlich von ei-
ner gleichen Sache hergeleitet werden können. Hiebey
helfen nun besonders die Jndividualien in den Folgen,
daß man davon rückwärts auf die Ursache schließen
kann. Widrigenfalls aber nimmt man die Ursache
hypothetisch an, und leitet die Folgen daraus her.
Diese Art zu schließen, ist aber nur eine Jnduction, wel-
che demnach complet seyn muß, wenn sie statt eines Be-
weises dienen soll. Denn so ist unstreitig, daß, wenn
jede Folgen, die eine Ursache in vorgegebenen Umstän-
den nach sich ziehen muß, durchaus in der Erfahrung
gefunden werden, der Schluß, daß sie von nichts anders
herrühren können, richtig gemacht werden kann (Dia-
noiolog. §. 569. 595. Alethiol. §. 176.). Uebrigens ist
zwischen den Folgen selbst allerdings der Unterschied zu
machen, ob sie unmittelbar oder entfernter sind. Denn
bey der Jnduction ist es an sich genug, wenn man die
unmittelbaren Folgen complet hat, weil die entferntern
von diesen herrühren, und weil man öfters viele entfern-
tere zusammennehmen muß, um den Abgang einer un-
mittelbaren zu ersetzen. Wir machen diese Anmerkung
zum Behuf der Berechnung der Wahrscheinlichkeit bey
solchen Jnductionen. Alle unmittelbare Folgen zusam-
mengenommen, machen die Gewißheit aus, welche in
der Berechnung der Wahrscheinlichkeit als eine Ein-
heit
genommen wird, wovon die Grade der Wahr-
scheinlichkeit Brüche sind (Alethiol. §. 76.). Jede un-
mittelbare Folge giebt einen solchen Bruch, und man
sieht leicht, daß die Bestimmung desselben auf die Be-
stimmung des Theils ankömmt, den die Folge von dem
Ganzen ausmacht. Wie aber auch immer die Berech-
nung hiebey angestellt werden müsse, so sieht man leicht,
daß die Summe aller dieser Brüche nicht größer als

die
X 5

Von dem Wahrſcheinlichen.
ſchiedener ſolche Urſachen ſeyn muͤßten, deſto unwahr-
ſcheinlicher wird es, daß ſie alle ſollten zuſammengetrof-
fen haben, um Folgen nachzulaſſen, die ſaͤmtlich von ei-
ner gleichen Sache hergeleitet werden koͤnnen. Hiebey
helfen nun beſonders die Jndividualien in den Folgen,
daß man davon ruͤckwaͤrts auf die Urſache ſchließen
kann. Widrigenfalls aber nimmt man die Urſache
hypothetiſch an, und leitet die Folgen daraus her.
Dieſe Art zu ſchließen, iſt aber nur eine Jnduction, wel-
che demnach complet ſeyn muß, wenn ſie ſtatt eines Be-
weiſes dienen ſoll. Denn ſo iſt unſtreitig, daß, wenn
jede Folgen, die eine Urſache in vorgegebenen Umſtaͤn-
den nach ſich ziehen muß, durchaus in der Erfahrung
gefunden werden, der Schluß, daß ſie von nichts anders
herruͤhren koͤnnen, richtig gemacht werden kann (Dia-
noiolog. §. 569. 595. Alethiol. §. 176.). Uebrigens iſt
zwiſchen den Folgen ſelbſt allerdings der Unterſchied zu
machen, ob ſie unmittelbar oder entfernter ſind. Denn
bey der Jnduction iſt es an ſich genug, wenn man die
unmittelbaren Folgen complet hat, weil die entferntern
von dieſen herruͤhren, und weil man oͤfters viele entfern-
tere zuſammennehmen muß, um den Abgang einer un-
mittelbaren zu erſetzen. Wir machen dieſe Anmerkung
zum Behuf der Berechnung der Wahrſcheinlichkeit bey
ſolchen Jnductionen. Alle unmittelbare Folgen zuſam-
mengenommen, machen die Gewißheit aus, welche in
der Berechnung der Wahrſcheinlichkeit als eine Ein-
heit
genommen wird, wovon die Grade der Wahr-
ſcheinlichkeit Bruͤche ſind (Alethiol. §. 76.). Jede un-
mittelbare Folge giebt einen ſolchen Bruch, und man
ſieht leicht, daß die Beſtimmung deſſelben auf die Be-
ſtimmung des Theils ankoͤmmt, den die Folge von dem
Ganzen ausmacht. Wie aber auch immer die Berech-
nung hiebey angeſtellt werden muͤſſe, ſo ſieht man leicht,
daß die Summe aller dieſer Bruͤche nicht groͤßer als

die
X 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0335" n="329"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Wahr&#x017F;cheinlichen.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chiedener &#x017F;olche Ur&#x017F;achen &#x017F;eyn mu&#x0364;ßten, de&#x017F;to unwahr-<lb/>
&#x017F;cheinlicher wird es, daß &#x017F;ie alle &#x017F;ollten zu&#x017F;ammengetrof-<lb/>
fen haben, um Folgen nachzula&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;a&#x0364;mtlich von ei-<lb/>
ner gleichen Sache hergeleitet werden ko&#x0364;nnen. Hiebey<lb/>
helfen nun be&#x017F;onders die Jndividualien in den Folgen,<lb/>
daß man davon ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts auf die Ur&#x017F;ache &#x017F;chließen<lb/>
kann. Widrigenfalls aber nimmt man die Ur&#x017F;ache<lb/><hi rendition="#fr">hypotheti&#x017F;ch</hi> an, und leitet die Folgen daraus her.<lb/>
Die&#x017F;e Art zu &#x017F;chließen, i&#x017F;t aber nur eine Jnduction, wel-<lb/>
che demnach complet &#x017F;eyn muß, wenn &#x017F;ie &#x017F;tatt eines Be-<lb/>
wei&#x017F;es dienen &#x017F;oll. Denn &#x017F;o i&#x017F;t un&#x017F;treitig, daß, wenn<lb/>
jede Folgen, die eine Ur&#x017F;ache in vorgegebenen Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den nach &#x017F;ich ziehen muß, durchaus in der Erfahrung<lb/>
gefunden werden, der Schluß, daß &#x017F;ie von nichts anders<lb/>
herru&#x0364;hren ko&#x0364;nnen, richtig gemacht werden kann (Dia-<lb/>
noiolog. §. 569. 595. Alethiol. §. 176.). Uebrigens i&#x017F;t<lb/>
zwi&#x017F;chen den Folgen &#x017F;elb&#x017F;t allerdings der Unter&#x017F;chied zu<lb/>
machen, ob &#x017F;ie unmittelbar oder entfernter &#x017F;ind. Denn<lb/>
bey der Jnduction i&#x017F;t es an &#x017F;ich genug, wenn man die<lb/>
unmittelbaren Folgen complet hat, weil die entferntern<lb/>
von die&#x017F;en herru&#x0364;hren, und weil man o&#x0364;fters viele entfern-<lb/>
tere zu&#x017F;ammennehmen muß, um den Abgang einer un-<lb/>
mittelbaren zu er&#x017F;etzen. Wir machen die&#x017F;e Anmerkung<lb/>
zum Behuf der Berechnung der Wahr&#x017F;cheinlichkeit bey<lb/>
&#x017F;olchen Jnductionen. Alle unmittelbare Folgen zu&#x017F;am-<lb/>
mengenommen, machen die Gewißheit aus, welche in<lb/>
der Berechnung der Wahr&#x017F;cheinlichkeit als eine <hi rendition="#fr">Ein-<lb/>
heit</hi> genommen wird, wovon die Grade der Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit Bru&#x0364;che &#x017F;ind (Alethiol. §. 76.). Jede un-<lb/>
mittelbare Folge giebt einen &#x017F;olchen Bruch, und man<lb/>
&#x017F;ieht leicht, daß die Be&#x017F;timmung de&#x017F;&#x017F;elben auf die Be-<lb/>
&#x017F;timmung des Theils anko&#x0364;mmt, den die Folge von dem<lb/>
Ganzen ausmacht. Wie aber auch immer die Berech-<lb/>
nung hiebey ange&#x017F;tellt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o &#x017F;ieht man leicht,<lb/>
daß die Summe aller die&#x017F;er Bru&#x0364;che nicht gro&#x0364;ßer als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 5</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0335] Von dem Wahrſcheinlichen. ſchiedener ſolche Urſachen ſeyn muͤßten, deſto unwahr- ſcheinlicher wird es, daß ſie alle ſollten zuſammengetrof- fen haben, um Folgen nachzulaſſen, die ſaͤmtlich von ei- ner gleichen Sache hergeleitet werden koͤnnen. Hiebey helfen nun beſonders die Jndividualien in den Folgen, daß man davon ruͤckwaͤrts auf die Urſache ſchließen kann. Widrigenfalls aber nimmt man die Urſache hypothetiſch an, und leitet die Folgen daraus her. Dieſe Art zu ſchließen, iſt aber nur eine Jnduction, wel- che demnach complet ſeyn muß, wenn ſie ſtatt eines Be- weiſes dienen ſoll. Denn ſo iſt unſtreitig, daß, wenn jede Folgen, die eine Urſache in vorgegebenen Umſtaͤn- den nach ſich ziehen muß, durchaus in der Erfahrung gefunden werden, der Schluß, daß ſie von nichts anders herruͤhren koͤnnen, richtig gemacht werden kann (Dia- noiolog. §. 569. 595. Alethiol. §. 176.). Uebrigens iſt zwiſchen den Folgen ſelbſt allerdings der Unterſchied zu machen, ob ſie unmittelbar oder entfernter ſind. Denn bey der Jnduction iſt es an ſich genug, wenn man die unmittelbaren Folgen complet hat, weil die entferntern von dieſen herruͤhren, und weil man oͤfters viele entfern- tere zuſammennehmen muß, um den Abgang einer un- mittelbaren zu erſetzen. Wir machen dieſe Anmerkung zum Behuf der Berechnung der Wahrſcheinlichkeit bey ſolchen Jnductionen. Alle unmittelbare Folgen zuſam- mengenommen, machen die Gewißheit aus, welche in der Berechnung der Wahrſcheinlichkeit als eine Ein- heit genommen wird, wovon die Grade der Wahr- ſcheinlichkeit Bruͤche ſind (Alethiol. §. 76.). Jede un- mittelbare Folge giebt einen ſolchen Bruch, und man ſieht leicht, daß die Beſtimmung deſſelben auf die Be- ſtimmung des Theils ankoͤmmt, den die Folge von dem Ganzen ausmacht. Wie aber auch immer die Berech- nung hiebey angeſtellt werden muͤſſe, ſo ſieht man leicht, daß die Summe aller dieſer Bruͤche nicht groͤßer als die X 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/335
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/335>, abgerufen am 20.05.2024.