Cajus darf nur nach diesen greifen, um den Zweifel so gleich zu heben.
§. 185. Hingegen ist es ganz anders, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Schlußsatzes aus der Wahr- scheinlichkeit der Vordersätze solle bestimmt werden. Denn da lassen sich die Vordersätze nicht als einzelne und von einander unabhängige Argumente ansehen, weil der Schlußsatz nothwendig von beyden zugleich ab- hängt; so daß der Schlußsatz nur alsdann zutrifft, wenn die Vordersätze alle zutreffen. Dieses vorausge- setzt, so läßt sich die Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines Schlußsatzes auch von ganzen Schlußketten eben- falls auf die Theorie der Glücksspiele reduciren. Wir wollen zu diesem Ende wiederum die Haufen Zettel neh- men, und zwar so viele als Vordersätze in der Schluß- kette sind. Jn jedem Haufen sey die Anzahl der gülti- gen zu der Anzahl der ungültigen in eben der Verhält- niß, wie die Fälle, in welchen der Vordersatz zutrifft, zu denen, in welchen er nicht zutrifft. Man setze nun, Cajus nehme blindhin von jedem Haufen einen Zettel: so ist die Frage, wie wahrscheinlich es sey, daß unter den gezogenen Zetteln kein ungültiger vorkomme, oder daß alle gültig seyn? Diesen Grad der Wahrscheinlich- keit wird bey der vorgegebenen Schlußkette der Schluß- satz haben. Die Theorie der Glücksspiele giebt zu die- ser Berechnung folgende Regel: Man multiplicire die Anzahl der gesammten Zettel eines jeden Haufens mit einander; und eben so multiplici- re man auch die Anzahl der gültigen Zettel ei- nes jeden Haufens mit einander: so wird das letzte Product durch das erste dividirt, den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schlußsat- zes angeben. Oder das erste Product stellt die An- zahl aller möglichen Fälle, das letztere aber die Anzahl
der-
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Von dem Wahrſcheinlichen.
Cajus darf nur nach dieſen greifen, um den Zweifel ſo gleich zu heben.
§. 185. Hingegen iſt es ganz anders, wenn die Wahrſcheinlichkeit eines Schlußſatzes aus der Wahr- ſcheinlichkeit der Vorderſaͤtze ſolle beſtimmt werden. Denn da laſſen ſich die Vorderſaͤtze nicht als einzelne und von einander unabhaͤngige Argumente anſehen, weil der Schlußſatz nothwendig von beyden zugleich ab- haͤngt; ſo daß der Schlußſatz nur alsdann zutrifft, wenn die Vorderſaͤtze alle zutreffen. Dieſes vorausge- ſetzt, ſo laͤßt ſich die Berechnung der Wahrſcheinlichkeit eines Schlußſatzes auch von ganzen Schlußketten eben- falls auf die Theorie der Gluͤcksſpiele reduciren. Wir wollen zu dieſem Ende wiederum die Haufen Zettel neh- men, und zwar ſo viele als Vorderſaͤtze in der Schluß- kette ſind. Jn jedem Haufen ſey die Anzahl der guͤlti- gen zu der Anzahl der unguͤltigen in eben der Verhaͤlt- niß, wie die Faͤlle, in welchen der Vorderſatz zutrifft, zu denen, in welchen er nicht zutrifft. Man ſetze nun, Cajus nehme blindhin von jedem Haufen einen Zettel: ſo iſt die Frage, wie wahrſcheinlich es ſey, daß unter den gezogenen Zetteln kein unguͤltiger vorkomme, oder daß alle guͤltig ſeyn? Dieſen Grad der Wahrſcheinlich- keit wird bey der vorgegebenen Schlußkette der Schluß- ſatz haben. Die Theorie der Gluͤcksſpiele giebt zu die- ſer Berechnung folgende Regel: Man multiplicire die Anzahl der geſammten Zettel eines jeden Haufens mit einander; und eben ſo multiplici- re man auch die Anzahl der guͤltigen Zettel ei- nes jeden Haufens mit einander: ſo wird das letzte Product durch das erſte dividirt, den Grad der Wahrſcheinlichkeit des Schlußſat- zes angeben. Oder das erſte Product ſtellt die An- zahl aller moͤglichen Faͤlle, das letztere aber die Anzahl
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Von dem Wahrſcheinlichen.
Cajus darf nur nach dieſen greifen, um den Zweifel
ſo gleich zu heben.
§. 185. Hingegen iſt es ganz anders, wenn die
Wahrſcheinlichkeit eines Schlußſatzes aus der Wahr-
ſcheinlichkeit der Vorderſaͤtze ſolle beſtimmt werden.
Denn da laſſen ſich die Vorderſaͤtze nicht als einzelne
und von einander unabhaͤngige Argumente anſehen,
weil der Schlußſatz nothwendig von beyden zugleich ab-
haͤngt; ſo daß der Schlußſatz nur alsdann zutrifft,
wenn die Vorderſaͤtze alle zutreffen. Dieſes vorausge-
ſetzt, ſo laͤßt ſich die Berechnung der Wahrſcheinlichkeit
eines Schlußſatzes auch von ganzen Schlußketten eben-
falls auf die Theorie der Gluͤcksſpiele reduciren. Wir
wollen zu dieſem Ende wiederum die Haufen Zettel neh-
men, und zwar ſo viele als Vorderſaͤtze in der Schluß-
kette ſind. Jn jedem Haufen ſey die Anzahl der guͤlti-
gen zu der Anzahl der unguͤltigen in eben der Verhaͤlt-
niß, wie die Faͤlle, in welchen der Vorderſatz zutrifft, zu
denen, in welchen er nicht zutrifft. Man ſetze nun,
Cajus nehme blindhin von jedem Haufen einen Zettel:
ſo iſt die Frage, wie wahrſcheinlich es ſey, daß unter
den gezogenen Zetteln kein unguͤltiger vorkomme, oder
daß alle guͤltig ſeyn? Dieſen Grad der Wahrſcheinlich-
keit wird bey der vorgegebenen Schlußkette der Schluß-
ſatz haben. Die Theorie der Gluͤcksſpiele giebt zu die-
ſer Berechnung folgende Regel: Man multiplicire
die Anzahl der geſammten Zettel eines jeden
Haufens mit einander; und eben ſo multiplici-
re man auch die Anzahl der guͤltigen Zettel ei-
nes jeden Haufens mit einander: ſo wird das
letzte Product durch das erſte dividirt, den
Grad der Wahrſcheinlichkeit des Schlußſat-
zes angeben. Oder das erſte Product ſtellt die An-
zahl aller moͤglichen Faͤlle, das letztere aber die Anzahl
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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