derjenigen vor, in welchen der Schlußsatz zutrifft, oder, welches einerley ist, alle Vordersätze zugleich zutreffen.
§. 186. Vergleicht man diese Berechnung mit der- jenigen, so wir (§. 169.) für Argumente, die von einan- der unabhängig sind, gegeben haben: so wird man sie in vielen Stücken ähnlich, in den übrigen aber ganz entgegengesetzt finden, so daß, was dort die Wahrschein- lichkeit des Zutreffens vermehrte, sie hier vermindert, weil die Data und das Quaesitum ganz umgekehrt sind. Um so viel desto mehr hat man bey Bestimmung der Grade der Wahrscheinlichkeit auf den Unterschied zu sehen, ob die Argumente von einander abhängen oder nicht. Und da bey Schlußketten jeder Vordersatz, der nur wahrscheinlich ist, die Wahrscheinlichkeit des Schlußsatzes vermindern hilft; so sieht man überhaupt, daß es mit solchen Schlußketten eine mißliche Sache ist, wobey man mehrere eben nicht in einem größern Grad wahrscheinliche Sätze gebraucht.
§. 187. Wir wollen aber nicht so schlechthin bey die- ser Berechnung stehen bleiben, sondern die Gründe, worauf sie beruht, etwas genauer betrachten. Und die- ses ist hier um desto nothwendiger, weil die Theorie von den wahrscheinlichen Schlüssen und Schlußketten einen beträchtlichen Theil der Vernunftlehre des Wahr- scheinlichen ausmacht. Zu diesem Ende werden wir damit anfangen, daß wir sehen, was eigentlich ein wahrscheinlicher Satz ist, woher sie entstehen, und wie das Wahrscheinliche derselben sich von dem Wahren und von dem Gewissen unterscheide? Zu diesem Ende merken wir an, daß die oben (§. 154. seqq.) betrachtete Abzählung der Fälle, so sehr man sie auch zur Bestimmung der Grade der Wahrscheinlichkeit gebrauchen kann, an sich selbst dennoch nicht bloß wahrscheinliche, son- dern wahre, gewisse und bestimmte Sätze an-
gebe.
V. Hauptſtuͤck.
derjenigen vor, in welchen der Schlußſatz zutrifft, oder, welches einerley iſt, alle Vorderſaͤtze zugleich zutreffen.
§. 186. Vergleicht man dieſe Berechnung mit der- jenigen, ſo wir (§. 169.) fuͤr Argumente, die von einan- der unabhaͤngig ſind, gegeben haben: ſo wird man ſie in vielen Stuͤcken aͤhnlich, in den uͤbrigen aber ganz entgegengeſetzt finden, ſo daß, was dort die Wahrſchein- lichkeit des Zutreffens vermehrte, ſie hier vermindert, weil die Data und das Quaeſitum ganz umgekehrt ſind. Um ſo viel deſto mehr hat man bey Beſtimmung der Grade der Wahrſcheinlichkeit auf den Unterſchied zu ſehen, ob die Argumente von einander abhaͤngen oder nicht. Und da bey Schlußketten jeder Vorderſatz, der nur wahrſcheinlich iſt, die Wahrſcheinlichkeit des Schlußſatzes vermindern hilft; ſo ſieht man uͤberhaupt, daß es mit ſolchen Schlußketten eine mißliche Sache iſt, wobey man mehrere eben nicht in einem groͤßern Grad wahrſcheinliche Saͤtze gebraucht.
§. 187. Wir wollen aber nicht ſo ſchlechthin bey die- ſer Berechnung ſtehen bleiben, ſondern die Gruͤnde, worauf ſie beruht, etwas genauer betrachten. Und die- ſes iſt hier um deſto nothwendiger, weil die Theorie von den wahrſcheinlichen Schluͤſſen und Schlußketten einen betraͤchtlichen Theil der Vernunftlehre des Wahr- ſcheinlichen ausmacht. Zu dieſem Ende werden wir damit anfangen, daß wir ſehen, was eigentlich ein wahrſcheinlicher Satz iſt, woher ſie entſtehen, und wie das Wahrſcheinliche derſelben ſich von dem Wahren und von dem Gewiſſen unterſcheide? Zu dieſem Ende merken wir an, daß die oben (§. 154. ſeqq.) betrachtete Abzaͤhlung der Faͤlle, ſo ſehr man ſie auch zur Beſtimmung der Grade der Wahrſcheinlichkeit gebrauchen kann, an ſich ſelbſt dennoch nicht bloß wahrſcheinliche, ſon- dern wahre, gewiſſe und beſtimmte Saͤtze an-
gebe.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0362"n="356"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">V.</hi> Hauptſtuͤck.</hi></fw><lb/>
derjenigen vor, in welchen der Schlußſatz zutrifft, oder,<lb/>
welches einerley iſt, alle Vorderſaͤtze zugleich zutreffen.</p><lb/><p>§. 186. Vergleicht man dieſe Berechnung mit der-<lb/>
jenigen, ſo wir (§. 169.) fuͤr Argumente, die von einan-<lb/>
der unabhaͤngig ſind, gegeben haben: ſo wird man ſie<lb/>
in vielen Stuͤcken aͤhnlich, in den uͤbrigen aber ganz<lb/>
entgegengeſetzt finden, ſo daß, was dort die Wahrſchein-<lb/>
lichkeit des Zutreffens vermehrte, ſie hier vermindert,<lb/>
weil die <hirendition="#aq">Data</hi> und das <hirendition="#aq">Quaeſitum</hi> ganz umgekehrt ſind.<lb/>
Um ſo viel deſto mehr hat man bey Beſtimmung der<lb/>
Grade der Wahrſcheinlichkeit auf den Unterſchied zu<lb/>ſehen, ob die Argumente von einander abhaͤngen oder<lb/>
nicht. Und da bey Schlußketten jeder Vorderſatz, der<lb/>
nur wahrſcheinlich iſt, die Wahrſcheinlichkeit des<lb/>
Schlußſatzes vermindern hilft; ſo ſieht man uͤberhaupt,<lb/>
daß es mit ſolchen Schlußketten eine mißliche Sache<lb/>
iſt, wobey man mehrere eben nicht in einem groͤßern<lb/>
Grad wahrſcheinliche Saͤtze gebraucht.</p><lb/><p>§. 187. Wir wollen aber nicht ſo ſchlechthin bey die-<lb/>ſer Berechnung ſtehen bleiben, ſondern die Gruͤnde,<lb/>
worauf ſie beruht, etwas genauer betrachten. Und die-<lb/>ſes iſt hier um deſto nothwendiger, weil die Theorie von<lb/>
den wahrſcheinlichen Schluͤſſen und Schlußketten einen<lb/>
betraͤchtlichen Theil der <hirendition="#fr">Vernunftlehre des Wahr-<lb/>ſcheinlichen</hi> ausmacht. Zu dieſem Ende werden<lb/>
wir damit anfangen, daß wir ſehen, was eigentlich ein<lb/><hirendition="#fr">wahrſcheinlicher</hi> Satz iſt, woher ſie entſtehen, und<lb/>
wie das <hirendition="#fr">Wahrſcheinliche</hi> derſelben ſich von dem<lb/><hirendition="#fr">Wahren</hi> und von dem <hirendition="#fr">Gewiſſen</hi> unterſcheide? Zu<lb/>
dieſem Ende merken wir an, <hirendition="#fr">daß die oben</hi> (§. 154.<lb/><hirendition="#aq">ſeqq.</hi>) <hirendition="#fr">betrachtete Abzaͤhlung der Faͤlle, ſo ſehr<lb/>
man ſie auch zur Beſtimmung der Grade der<lb/>
Wahrſcheinlichkeit gebrauchen kann, an ſich<lb/>ſelbſt dennoch nicht bloß wahrſcheinliche, ſon-<lb/>
dern wahre, gewiſſe und beſtimmte Saͤtze an-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">gebe.</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[356/0362]
V. Hauptſtuͤck.
derjenigen vor, in welchen der Schlußſatz zutrifft, oder,
welches einerley iſt, alle Vorderſaͤtze zugleich zutreffen.
§. 186. Vergleicht man dieſe Berechnung mit der-
jenigen, ſo wir (§. 169.) fuͤr Argumente, die von einan-
der unabhaͤngig ſind, gegeben haben: ſo wird man ſie
in vielen Stuͤcken aͤhnlich, in den uͤbrigen aber ganz
entgegengeſetzt finden, ſo daß, was dort die Wahrſchein-
lichkeit des Zutreffens vermehrte, ſie hier vermindert,
weil die Data und das Quaeſitum ganz umgekehrt ſind.
Um ſo viel deſto mehr hat man bey Beſtimmung der
Grade der Wahrſcheinlichkeit auf den Unterſchied zu
ſehen, ob die Argumente von einander abhaͤngen oder
nicht. Und da bey Schlußketten jeder Vorderſatz, der
nur wahrſcheinlich iſt, die Wahrſcheinlichkeit des
Schlußſatzes vermindern hilft; ſo ſieht man uͤberhaupt,
daß es mit ſolchen Schlußketten eine mißliche Sache
iſt, wobey man mehrere eben nicht in einem groͤßern
Grad wahrſcheinliche Saͤtze gebraucht.
§. 187. Wir wollen aber nicht ſo ſchlechthin bey die-
ſer Berechnung ſtehen bleiben, ſondern die Gruͤnde,
worauf ſie beruht, etwas genauer betrachten. Und die-
ſes iſt hier um deſto nothwendiger, weil die Theorie von
den wahrſcheinlichen Schluͤſſen und Schlußketten einen
betraͤchtlichen Theil der Vernunftlehre des Wahr-
ſcheinlichen ausmacht. Zu dieſem Ende werden
wir damit anfangen, daß wir ſehen, was eigentlich ein
wahrſcheinlicher Satz iſt, woher ſie entſtehen, und
wie das Wahrſcheinliche derſelben ſich von dem
Wahren und von dem Gewiſſen unterſcheide? Zu
dieſem Ende merken wir an, daß die oben (§. 154.
ſeqq.) betrachtete Abzaͤhlung der Faͤlle, ſo ſehr
man ſie auch zur Beſtimmung der Grade der
Wahrſcheinlichkeit gebrauchen kann, an ſich
ſelbſt dennoch nicht bloß wahrſcheinliche, ſon-
dern wahre, gewiſſe und beſtimmte Saͤtze an-
gebe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/362>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.