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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Erkenntniß überhaupt.
men soll, daß sie die Hauptsache, die sie vorstellen, nicht
verdrängen, sondern eher dazu behülflich sind, daß die-
se ihre ächte Form erhalte. Die verabredeten Zeichen
aber sollen kenntlich und zuverläßig seyn, weil die da-
von abhängende Unternehmung fehlschlagen kann, wenn
sie nicht recht gewählt werden.

§. 49. Da die Zeichen, welche im strengsten Ver-
stande wissenschaftlich sind, von der Art seyn sollen, daß
die Theorie der dadurch vorgestelleten Sache auf die
Theorie der Zeichen sollen können reducirt werden
(§. 23.), so bleibt bey denselben ungleich weniger Will-
kührliches, als bey jeden andern Arten, die etwan nur
zur Abkürzung gebraucht werden, oder wodurch man,
wie bey den Ziffern oder verborgenen Schriften, ei-
gentlich die Absicht hat, seine Gedanken zu verstecken.
Wir haben demnach zu sehen, wie ferne bey den wissen-
schaftlichen Zeichen etwas Willkührliches bleibe.

§. 50. Zu diesem Ende können wir dabey anfan-
gen, daß wir die Zeichen, wodurch eine Sache vorge-
stellet wird, von der Nachahmung und dem bloßen
Bilde der Sache unterscheiden, so ferne nämlich diese
Wörter etwas Aehnliches in ihrer Bedeutung haben,
und in einigen Fällen mit einander verwechselt werden.
Denn das Zeichen, die Nachahmung und das Bild,
oder die Abbildung der Sache, stellen dieselbe vor, aber
jedes auf eine besondere Art. Die Nachahmung
hat unzählige Stufen, und erstrecket sich zuweilen auf
Dinge von ganz verschiedener Art. Der Maler, der
Tonkünstler und der Dichter suchen das Licht durch den
Schatten zu erhöhen, und darinn der Natur nachzuah-
men, der Maler fast von Wort zu Wort, der Tonkünst-
ler durch seine Contrapunkte und gewählte Dissonan-
zen, der Dichter durch das horazische: ex fumo dare
lucem,
oder wenn er, wie zuweilen Homer, zu schlafen
scheint, um mit mehrerem Leben aufzuwachen, wie z. E.

wenn,

Erkenntniß uͤberhaupt.
men ſoll, daß ſie die Hauptſache, die ſie vorſtellen, nicht
verdraͤngen, ſondern eher dazu behuͤlflich ſind, daß die-
ſe ihre aͤchte Form erhalte. Die verabredeten Zeichen
aber ſollen kenntlich und zuverlaͤßig ſeyn, weil die da-
von abhaͤngende Unternehmung fehlſchlagen kann, wenn
ſie nicht recht gewaͤhlt werden.

§. 49. Da die Zeichen, welche im ſtrengſten Ver-
ſtande wiſſenſchaftlich ſind, von der Art ſeyn ſollen, daß
die Theorie der dadurch vorgeſtelleten Sache auf die
Theorie der Zeichen ſollen koͤnnen reducirt werden
(§. 23.), ſo bleibt bey denſelben ungleich weniger Will-
kuͤhrliches, als bey jeden andern Arten, die etwan nur
zur Abkuͤrzung gebraucht werden, oder wodurch man,
wie bey den Ziffern oder verborgenen Schriften, ei-
gentlich die Abſicht hat, ſeine Gedanken zu verſtecken.
Wir haben demnach zu ſehen, wie ferne bey den wiſſen-
ſchaftlichen Zeichen etwas Willkuͤhrliches bleibe.

§. 50. Zu dieſem Ende koͤnnen wir dabey anfan-
gen, daß wir die Zeichen, wodurch eine Sache vorge-
ſtellet wird, von der Nachahmung und dem bloßen
Bilde der Sache unterſcheiden, ſo ferne naͤmlich dieſe
Woͤrter etwas Aehnliches in ihrer Bedeutung haben,
und in einigen Faͤllen mit einander verwechſelt werden.
Denn das Zeichen, die Nachahmung und das Bild,
oder die Abbildung der Sache, ſtellen dieſelbe vor, aber
jedes auf eine beſondere Art. Die Nachahmung
hat unzaͤhlige Stufen, und erſtrecket ſich zuweilen auf
Dinge von ganz verſchiedener Art. Der Maler, der
Tonkuͤnſtler und der Dichter ſuchen das Licht durch den
Schatten zu erhoͤhen, und darinn der Natur nachzuah-
men, der Maler faſt von Wort zu Wort, der Tonkuͤnſt-
ler durch ſeine Contrapunkte und gewaͤhlte Diſſonan-
zen, der Dichter durch das horaziſche: ex fumo dare
lucem,
oder wenn er, wie zuweilen Homer, zu ſchlafen
ſcheint, um mit mehrerem Leben aufzuwachen, wie z. E.

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[31/0037] Erkenntniß uͤberhaupt. men ſoll, daß ſie die Hauptſache, die ſie vorſtellen, nicht verdraͤngen, ſondern eher dazu behuͤlflich ſind, daß die- ſe ihre aͤchte Form erhalte. Die verabredeten Zeichen aber ſollen kenntlich und zuverlaͤßig ſeyn, weil die da- von abhaͤngende Unternehmung fehlſchlagen kann, wenn ſie nicht recht gewaͤhlt werden. §. 49. Da die Zeichen, welche im ſtrengſten Ver- ſtande wiſſenſchaftlich ſind, von der Art ſeyn ſollen, daß die Theorie der dadurch vorgeſtelleten Sache auf die Theorie der Zeichen ſollen koͤnnen reducirt werden (§. 23.), ſo bleibt bey denſelben ungleich weniger Will- kuͤhrliches, als bey jeden andern Arten, die etwan nur zur Abkuͤrzung gebraucht werden, oder wodurch man, wie bey den Ziffern oder verborgenen Schriften, ei- gentlich die Abſicht hat, ſeine Gedanken zu verſtecken. Wir haben demnach zu ſehen, wie ferne bey den wiſſen- ſchaftlichen Zeichen etwas Willkuͤhrliches bleibe. §. 50. Zu dieſem Ende koͤnnen wir dabey anfan- gen, daß wir die Zeichen, wodurch eine Sache vorge- ſtellet wird, von der Nachahmung und dem bloßen Bilde der Sache unterſcheiden, ſo ferne naͤmlich dieſe Woͤrter etwas Aehnliches in ihrer Bedeutung haben, und in einigen Faͤllen mit einander verwechſelt werden. Denn das Zeichen, die Nachahmung und das Bild, oder die Abbildung der Sache, ſtellen dieſelbe vor, aber jedes auf eine beſondere Art. Die Nachahmung hat unzaͤhlige Stufen, und erſtrecket ſich zuweilen auf Dinge von ganz verſchiedener Art. Der Maler, der Tonkuͤnſtler und der Dichter ſuchen das Licht durch den Schatten zu erhoͤhen, und darinn der Natur nachzuah- men, der Maler faſt von Wort zu Wort, der Tonkuͤnſt- ler durch ſeine Contrapunkte und gewaͤhlte Diſſonan- zen, der Dichter durch das horaziſche: ex fumo dare lucem, oder wenn er, wie zuweilen Homer, zu ſchlafen ſcheint, um mit mehrerem Leben aufzuwachen, wie z. E. wenn,

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/37>, abgerufen am 27.04.2024.