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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
Vollkommenheiten aus der Welt, und folglich den Schö-
pfer aus seinem Werke wollen kennen lernen, es auf
diese Art geschehen müsse. So gewöhnen wir uns an
eine gedoppelte Sprache. Die erste stellt uns die Din-
ge der Welt, ihre Veränderungen, Verbindungen und
Verhältnisse nebst den Gesetzen, so, wie sie die Erfah-
rung angiebt, mit eigenen Worten vor. Wir reden
darinn von Ursachen, Kräften und Wirkungen. Die
andere Sprache macht aus den Wirkungen Absichten,
aus den Ursachen Mittel, aus den Gesetzen Vorschrif-
ten des göttlichen Willens, die den göttlichen Vollkom-
menheiten gemäß sind, und die ganze Schöpfung vom
Anfange an durch alle Zeiten durch, wird darinn ein
Abdruck und fortdauernde Wirkung aller göttlichen
Vollkommenheiten zusammengenommen, genennt. Die
Uebersetzung aus der ersten dieser Sprachen in die letz-
tere, ist immer möglich und leicht, so weit erstere reicht
und richtig ist. Jn so ferne aber dient diese Ueberset-
zung eigentlich nur zur Erbauung. Es könnte aber
diese Erbauung noch ungleich größer und ausgedehnter
und zugleich noch mit wichtigen Vortheilen begleitet
werden, wenn wir die zweyte dieser Sprachen zum
Grunde legen, sie in ein richtiges System bringen, und
was wir daraus finden, in die erstere übersetzen könn-
ten. Das will sagen: Die Theologie oder die
Lehre von den Absichten der Dinge in der Welt,
sollte ihre allgemeinen Gründe aus der Theo-
rie der göttlichen Vollkommenheiten herneh-
men, und uns nicht nur die Allgemeinheit der
Gesetze der Natur beweisen, sondern auch zur
Erfindung derselben dienen.
So weit ist aber
diese Wissenschaft noch nicht gebracht, und in dem, was
wir davon haben, auch so strenge nicht a priori erwie-
sen, daß die daraus entliehene Gründe nicht immer noch
der Erfahrung, als einer Probe bedürften, wodurch

die

V. Hauptſtuͤck.
Vollkommenheiten aus der Welt, und folglich den Schoͤ-
pfer aus ſeinem Werke wollen kennen lernen, es auf
dieſe Art geſchehen muͤſſe. So gewoͤhnen wir uns an
eine gedoppelte Sprache. Die erſte ſtellt uns die Din-
ge der Welt, ihre Veraͤnderungen, Verbindungen und
Verhaͤltniſſe nebſt den Geſetzen, ſo, wie ſie die Erfah-
rung angiebt, mit eigenen Worten vor. Wir reden
darinn von Urſachen, Kraͤften und Wirkungen. Die
andere Sprache macht aus den Wirkungen Abſichten,
aus den Urſachen Mittel, aus den Geſetzen Vorſchrif-
ten des goͤttlichen Willens, die den goͤttlichen Vollkom-
menheiten gemaͤß ſind, und die ganze Schoͤpfung vom
Anfange an durch alle Zeiten durch, wird darinn ein
Abdruck und fortdauernde Wirkung aller goͤttlichen
Vollkommenheiten zuſammengenommen, genennt. Die
Ueberſetzung aus der erſten dieſer Sprachen in die letz-
tere, iſt immer moͤglich und leicht, ſo weit erſtere reicht
und richtig iſt. Jn ſo ferne aber dient dieſe Ueberſet-
zung eigentlich nur zur Erbauung. Es koͤnnte aber
dieſe Erbauung noch ungleich groͤßer und ausgedehnter
und zugleich noch mit wichtigen Vortheilen begleitet
werden, wenn wir die zweyte dieſer Sprachen zum
Grunde legen, ſie in ein richtiges Syſtem bringen, und
was wir daraus finden, in die erſtere uͤberſetzen koͤnn-
ten. Das will ſagen: Die Theologie oder die
Lehre von den Abſichten der Dinge in der Welt,
ſollte ihre allgemeinen Gruͤnde aus der Theo-
rie der goͤttlichen Vollkommenheiten herneh-
men, und uns nicht nur die Allgemeinheit der
Geſetze der Natur beweiſen, ſondern auch zur
Erfindung derſelben dienen.
So weit iſt aber
dieſe Wiſſenſchaft noch nicht gebracht, und in dem, was
wir davon haben, auch ſo ſtrenge nicht a priori erwie-
ſen, daß die daraus entliehene Gruͤnde nicht immer noch
der Erfahrung, als einer Probe beduͤrften, wodurch

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[392/0398] V. Hauptſtuͤck. Vollkommenheiten aus der Welt, und folglich den Schoͤ- pfer aus ſeinem Werke wollen kennen lernen, es auf dieſe Art geſchehen muͤſſe. So gewoͤhnen wir uns an eine gedoppelte Sprache. Die erſte ſtellt uns die Din- ge der Welt, ihre Veraͤnderungen, Verbindungen und Verhaͤltniſſe nebſt den Geſetzen, ſo, wie ſie die Erfah- rung angiebt, mit eigenen Worten vor. Wir reden darinn von Urſachen, Kraͤften und Wirkungen. Die andere Sprache macht aus den Wirkungen Abſichten, aus den Urſachen Mittel, aus den Geſetzen Vorſchrif- ten des goͤttlichen Willens, die den goͤttlichen Vollkom- menheiten gemaͤß ſind, und die ganze Schoͤpfung vom Anfange an durch alle Zeiten durch, wird darinn ein Abdruck und fortdauernde Wirkung aller goͤttlichen Vollkommenheiten zuſammengenommen, genennt. Die Ueberſetzung aus der erſten dieſer Sprachen in die letz- tere, iſt immer moͤglich und leicht, ſo weit erſtere reicht und richtig iſt. Jn ſo ferne aber dient dieſe Ueberſet- zung eigentlich nur zur Erbauung. Es koͤnnte aber dieſe Erbauung noch ungleich groͤßer und ausgedehnter und zugleich noch mit wichtigen Vortheilen begleitet werden, wenn wir die zweyte dieſer Sprachen zum Grunde legen, ſie in ein richtiges Syſtem bringen, und was wir daraus finden, in die erſtere uͤberſetzen koͤnn- ten. Das will ſagen: Die Theologie oder die Lehre von den Abſichten der Dinge in der Welt, ſollte ihre allgemeinen Gruͤnde aus der Theo- rie der goͤttlichen Vollkommenheiten herneh- men, und uns nicht nur die Allgemeinheit der Geſetze der Natur beweiſen, ſondern auch zur Erfindung derſelben dienen. So weit iſt aber dieſe Wiſſenſchaft noch nicht gebracht, und in dem, was wir davon haben, auch ſo ſtrenge nicht a priori erwie- ſen, daß die daraus entliehene Gruͤnde nicht immer noch der Erfahrung, als einer Probe beduͤrften, wodurch die

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/398>, abgerufen am 22.11.2024.