die Besorgniß, es möchten andere Gründe Ausnahmen und Aenderungen an unseren teleologischen Schlüssen machen, gehoben wird.
§. 232. Der allgemeinste Anstand, der in Ansehung der teleologischen Gründe vorkömmt, und als ein Zwei- fel wider dieselben gebraucht wird, ist die Besorgniß, daß wir von Gott viel zu menschlich denken. Wer diesen Anstand hat, nimmt die vorgemeldte zweyte Sprache nur als eine Hypothese an, und zweifelt, ob sie weiter, als die Erfahrung reicht, gebraucht werden kön- ne? Jn so ferne wird er teleologische Schlüsse höchstens nur als eine Veranlassung ansehen, Erfahrungen auf- zusuchen, die uns vielleicht ohne solche Schlüsse nicht beygefallen wären. Hierüber merken wir nun an, daß beyde Sprachen einerley Sache benennen, und daher gleichsam nur in der Benennung verschieden seyn sol- len. Nämlich, die physische Sprache gebraucht die ei- genen Namen, die teleologische aber solche, die die Ver- hältniß der Dinge gegen Gott zugleich mit den Dingen benennen. Man fange nun bey der Erfahrung an, um sich zur Uebersetzung aus einer Sprache in die an- dere den Weg zu bahnen, und die Gründe zu dieser Ue- bersetzung zu bestimmen: so entsteht die Frage, ob man aus Erfahrungen andere Erfahrungen herleiten könne? Dieses ist nun allerdings möglich, und die Physik giebt uns häufig Beyspiele davon. Nun sage ich, daß diese Möglichkeit bey dem Gebrauche der teleologischen Spra- che nicht wegfalle, wenn sie auf erstbemeldte Art einge- richtet ist. Denn so benennt sie einerley Dinge, wie die physische Sprache, nur daß sie Namen gebraucht, die eine Verhältniß der Dinge zu den göttlichen Voll- kommenheiten mit anzeigen. Diese Verhältniß aber verwandelt höchstens nur das ist, so die physische Spra- che gebraucht, in ein muß seyn, weil die göttlichen Vollkommenheiten das fordern, was die Erfahrung
lehrt,
B b 5
Von dem Wahrſcheinlichen.
die Beſorgniß, es moͤchten andere Gruͤnde Ausnahmen und Aenderungen an unſeren teleologiſchen Schluͤſſen machen, gehoben wird.
§. 232. Der allgemeinſte Anſtand, der in Anſehung der teleologiſchen Gruͤnde vorkoͤmmt, und als ein Zwei- fel wider dieſelben gebraucht wird, iſt die Beſorgniß, daß wir von Gott viel zu menſchlich denken. Wer dieſen Anſtand hat, nimmt die vorgemeldte zweyte Sprache nur als eine Hypotheſe an, und zweifelt, ob ſie weiter, als die Erfahrung reicht, gebraucht werden koͤn- ne? Jn ſo ferne wird er teleologiſche Schluͤſſe hoͤchſtens nur als eine Veranlaſſung anſehen, Erfahrungen auf- zuſuchen, die uns vielleicht ohne ſolche Schluͤſſe nicht beygefallen waͤren. Hieruͤber merken wir nun an, daß beyde Sprachen einerley Sache benennen, und daher gleichſam nur in der Benennung verſchieden ſeyn ſol- len. Naͤmlich, die phyſiſche Sprache gebraucht die ei- genen Namen, die teleologiſche aber ſolche, die die Ver- haͤltniß der Dinge gegen Gott zugleich mit den Dingen benennen. Man fange nun bey der Erfahrung an, um ſich zur Ueberſetzung aus einer Sprache in die an- dere den Weg zu bahnen, und die Gruͤnde zu dieſer Ue- berſetzung zu beſtimmen: ſo entſteht die Frage, ob man aus Erfahrungen andere Erfahrungen herleiten koͤnne? Dieſes iſt nun allerdings moͤglich, und die Phyſik giebt uns haͤufig Beyſpiele davon. Nun ſage ich, daß dieſe Moͤglichkeit bey dem Gebrauche der teleologiſchen Spra- che nicht wegfalle, wenn ſie auf erſtbemeldte Art einge- richtet iſt. Denn ſo benennt ſie einerley Dinge, wie die phyſiſche Sprache, nur daß ſie Namen gebraucht, die eine Verhaͤltniß der Dinge zu den goͤttlichen Voll- kommenheiten mit anzeigen. Dieſe Verhaͤltniß aber verwandelt hoͤchſtens nur das iſt, ſo die phyſiſche Spra- che gebraucht, in ein muß ſeyn, weil die goͤttlichen Vollkommenheiten das fordern, was die Erfahrung
lehrt,
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Von dem Wahrſcheinlichen.
die Beſorgniß, es moͤchten andere Gruͤnde Ausnahmen
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machen, gehoben wird.
§. 232. Der allgemeinſte Anſtand, der in Anſehung
der teleologiſchen Gruͤnde vorkoͤmmt, und als ein Zwei-
fel wider dieſelben gebraucht wird, iſt die Beſorgniß,
daß wir von Gott viel zu menſchlich denken. Wer
dieſen Anſtand hat, nimmt die vorgemeldte zweyte
Sprache nur als eine Hypotheſe an, und zweifelt, ob ſie
weiter, als die Erfahrung reicht, gebraucht werden koͤn-
ne? Jn ſo ferne wird er teleologiſche Schluͤſſe hoͤchſtens
nur als eine Veranlaſſung anſehen, Erfahrungen auf-
zuſuchen, die uns vielleicht ohne ſolche Schluͤſſe nicht
beygefallen waͤren. Hieruͤber merken wir nun an, daß
beyde Sprachen einerley Sache benennen, und daher
gleichſam nur in der Benennung verſchieden ſeyn ſol-
len. Naͤmlich, die phyſiſche Sprache gebraucht die ei-
genen Namen, die teleologiſche aber ſolche, die die Ver-
haͤltniß der Dinge gegen Gott zugleich mit den Dingen
benennen. Man fange nun bey der Erfahrung an,
um ſich zur Ueberſetzung aus einer Sprache in die an-
dere den Weg zu bahnen, und die Gruͤnde zu dieſer Ue-
berſetzung zu beſtimmen: ſo entſteht die Frage, ob man
aus Erfahrungen andere Erfahrungen herleiten koͤnne?
Dieſes iſt nun allerdings moͤglich, und die Phyſik giebt
uns haͤufig Beyſpiele davon. Nun ſage ich, daß dieſe
Moͤglichkeit bey dem Gebrauche der teleologiſchen Spra-
che nicht wegfalle, wenn ſie auf erſtbemeldte Art einge-
richtet iſt. Denn ſo benennt ſie einerley Dinge, wie
die phyſiſche Sprache, nur daß ſie Namen gebraucht,
die eine Verhaͤltniß der Dinge zu den goͤttlichen Voll-
kommenheiten mit anzeigen. Dieſe Verhaͤltniß aber
verwandelt hoͤchſtens nur das iſt, ſo die phyſiſche Spra-
che gebraucht, in ein muß ſeyn, weil die goͤttlichen
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/399>, abgerufen am 21.11.2024.
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