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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem Wahrscheinlichen.
eigene Existenz auch mit unter diese Frage gehört, weil
die historische Erkenntniß eigentlich auf existirende Din-
ge geht. Wir machen aber unsere Existenz zum
Maaßstabe der Gewißheit, wenn wir Z. E. sagen:
so gewiß ich da bin, (Alethiol. §. 72. 110.). Und
diesen Maaßstab gebrauchen wir auch vornehmlich nur
bey historischen Wahrheiten, wo es schlechthin auf un-
sere Glaubwürdigkeit ankömmt. Denn in der Geome-
trie und andern a priori erweisbaren Wissenschaften
wird der Beyfall durch Demonstrationen erhalten, so
wie wir da, wo wir die Sache selbst empfinden, den
Beyfall nicht mehr auf der Glaubwürdigkeit des Er-
zählenden, sondern auf der Empfindung beruhen lassen.
Nämlich bey Demonstrationen glauben wir, weil
wir uns die Sache vorstellen; bey Empfindun-
gen,
weil wir uns der Empfindung bewußt sind; bey
Nachrichten, sie mögen nun beweisbar seyn oder hi-
storisch, weil wir den Erzählenden für glaubwürdig
ansehen.

§. 245. Wir können ferner die ganze Reihe unserer
Gedanken mit unter die historische Erkenntniß rechnen,
und dabey haben wir den Grundsatz: Wenn wir
etwas denken, so ist es gewiß, daß wir es den-
ken.
Und diese Gewißheit geht mit der von unserer
Existenz durchaus zu paaren.

§. 246. Jn Ansehung der Empfindungen haben
wir bereits im zweyten Hauptstücke das, was in densel-
ben Schein ist, und besonders den organischen und pa-
thologischen Schein von dem realen getrennt, und die
specialern Mittel angegeben, Empfindungen als Em-
pfindungen zu erkennen, und das Wahre darinn zu ent-
decken, und uns davon zu versichern. Denn hiebey muß
man die Gewißheit in specialen Fällen aufsuchen. Die
Zweifel, die man macht, daß sie niemals = 1 werde,
gründen sich nur auf Sätze, worinn man jede Stuffen

des
C c 3

Von dem Wahrſcheinlichen.
eigene Exiſtenz auch mit unter dieſe Frage gehoͤrt, weil
die hiſtoriſche Erkenntniß eigentlich auf exiſtirende Din-
ge geht. Wir machen aber unſere Exiſtenz zum
Maaßſtabe der Gewißheit, wenn wir Z. E. ſagen:
ſo gewiß ich da bin, (Alethiol. §. 72. 110.). Und
dieſen Maaßſtab gebrauchen wir auch vornehmlich nur
bey hiſtoriſchen Wahrheiten, wo es ſchlechthin auf un-
ſere Glaubwuͤrdigkeit ankoͤmmt. Denn in der Geome-
trie und andern a priori erweisbaren Wiſſenſchaften
wird der Beyfall durch Demonſtrationen erhalten, ſo
wie wir da, wo wir die Sache ſelbſt empfinden, den
Beyfall nicht mehr auf der Glaubwuͤrdigkeit des Er-
zaͤhlenden, ſondern auf der Empfindung beruhen laſſen.
Naͤmlich bey Demonſtrationen glauben wir, weil
wir uns die Sache vorſtellen; bey Empfindun-
gen,
weil wir uns der Empfindung bewußt ſind; bey
Nachrichten, ſie moͤgen nun beweisbar ſeyn oder hi-
ſtoriſch, weil wir den Erzaͤhlenden fuͤr glaubwuͤrdig
anſehen.

§. 245. Wir koͤnnen ferner die ganze Reihe unſerer
Gedanken mit unter die hiſtoriſche Erkenntniß rechnen,
und dabey haben wir den Grundſatz: Wenn wir
etwas denken, ſo iſt es gewiß, daß wir es den-
ken.
Und dieſe Gewißheit geht mit der von unſerer
Exiſtenz durchaus zu paaren.

§. 246. Jn Anſehung der Empfindungen haben
wir bereits im zweyten Hauptſtuͤcke das, was in denſel-
ben Schein iſt, und beſonders den organiſchen und pa-
thologiſchen Schein von dem realen getrennt, und die
ſpecialern Mittel angegeben, Empfindungen als Em-
pfindungen zu erkennen, und das Wahre darinn zu ent-
decken, und uns davon zu verſichern. Denn hiebey muß
man die Gewißheit in ſpecialen Faͤllen aufſuchen. Die
Zweifel, die man macht, daß ſie niemals = 1 werde,
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des
C c 3
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[405/0411] Von dem Wahrſcheinlichen. eigene Exiſtenz auch mit unter dieſe Frage gehoͤrt, weil die hiſtoriſche Erkenntniß eigentlich auf exiſtirende Din- ge geht. Wir machen aber unſere Exiſtenz zum Maaßſtabe der Gewißheit, wenn wir Z. E. ſagen: ſo gewiß ich da bin, (Alethiol. §. 72. 110.). Und dieſen Maaßſtab gebrauchen wir auch vornehmlich nur bey hiſtoriſchen Wahrheiten, wo es ſchlechthin auf un- ſere Glaubwuͤrdigkeit ankoͤmmt. Denn in der Geome- trie und andern a priori erweisbaren Wiſſenſchaften wird der Beyfall durch Demonſtrationen erhalten, ſo wie wir da, wo wir die Sache ſelbſt empfinden, den Beyfall nicht mehr auf der Glaubwuͤrdigkeit des Er- zaͤhlenden, ſondern auf der Empfindung beruhen laſſen. Naͤmlich bey Demonſtrationen glauben wir, weil wir uns die Sache vorſtellen; bey Empfindun- gen, weil wir uns der Empfindung bewußt ſind; bey Nachrichten, ſie moͤgen nun beweisbar ſeyn oder hi- ſtoriſch, weil wir den Erzaͤhlenden fuͤr glaubwuͤrdig anſehen. §. 245. Wir koͤnnen ferner die ganze Reihe unſerer Gedanken mit unter die hiſtoriſche Erkenntniß rechnen, und dabey haben wir den Grundſatz: Wenn wir etwas denken, ſo iſt es gewiß, daß wir es den- ken. Und dieſe Gewißheit geht mit der von unſerer Exiſtenz durchaus zu paaren. §. 246. Jn Anſehung der Empfindungen haben wir bereits im zweyten Hauptſtuͤcke das, was in denſel- ben Schein iſt, und beſonders den organiſchen und pa- thologiſchen Schein von dem realen getrennt, und die ſpecialern Mittel angegeben, Empfindungen als Em- pfindungen zu erkennen, und das Wahre darinn zu ent- decken, und uns davon zu verſichern. Denn hiebey muß man die Gewißheit in ſpecialen Faͤllen aufſuchen. Die Zweifel, die man macht, daß ſie niemals = 1 werde, gruͤnden ſich nur auf Saͤtze, worinn man jede Stuffen des C c 3

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/411>, abgerufen am 12.05.2024.