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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
widersprechend scheinende Aussagen mit einander ver-
glichen und zusammengereimt werden können, wobey
denn der Anstand, ob es den Aussagern am Willen fehle,
fast nothwendig verschwindet.

§. 242. Kommen aber die Aussagen in den Wor-
ten überein, und sie sind übrigens von einander unab-
hängig, so ist es wohl möglich, daß sie in gewissen Fäl-
len nur den Schein der Sache angeben, zumal wenn
sich die Sache nur nach dem Schein zeigt. Man for-
dert aber auch von den genauesten Beobachtern selbst
nichts anders, und in so ferne kann auch von den Zeu-
gen nicht mehr gefordert werden, weil man das Wahre
durch Schlüsse herausbringen, und diese von der Em-
pfindung selbst unterscheiden solle (§. 91.).

§. 243. So fern man aber die Zuverläßigkeit der
Aussage aus den Graden der Glaubwürdigkeit schätzen
muß, so ist allerdings darauf zu sehen, ob man das
Ansehen des einen Aussagers durch das Anse-
hen des andern ergänzen könne.
Dazu wird nun
nothwendig erfordert, daß es nicht beyden in einerley
Stücken fehle, wie z. E. wenn keiner die Kenntniß hat,
die zu Beurtheilung und richtiger Benennung der em-
pfundenen Sache erfordert wird, oder wenn beyde aus
einerley oder auch verschiedenen Gründen in Ansehung
des Willens verdächtig sind. Sind aber die Aussagen
von Wort zu Wort oder wenigstens im Grunde einer-
ley, so ist auch öfters die Aussage des Verständigern ein
Beweis, daß der Einfältigere nicht geirret oder eines
für das andere genommen habe; so wie hingegen die
Aufrichtigkeit des Einfältigern den Zweifel heben kann,
daß der Verständigere sich keinen Betrug vorgesetzt habe.

§. 244. Die Hauptfrage aber, die hier zu untersu-
chen vorkömmt, betrifft die historische Gewißheit
überhaupt, ob sie jemals vollständig oder = 1 werden
konne? Hierüber merken wir vorerst an, daß unsere

eigene

V. Hauptſtuͤck.
widerſprechend ſcheinende Ausſagen mit einander ver-
glichen und zuſammengereimt werden koͤnnen, wobey
denn der Anſtand, ob es den Ausſagern am Willen fehle,
faſt nothwendig verſchwindet.

§. 242. Kommen aber die Ausſagen in den Wor-
ten uͤberein, und ſie ſind uͤbrigens von einander unab-
haͤngig, ſo iſt es wohl moͤglich, daß ſie in gewiſſen Faͤl-
len nur den Schein der Sache angeben, zumal wenn
ſich die Sache nur nach dem Schein zeigt. Man for-
dert aber auch von den genaueſten Beobachtern ſelbſt
nichts anders, und in ſo ferne kann auch von den Zeu-
gen nicht mehr gefordert werden, weil man das Wahre
durch Schluͤſſe herausbringen, und dieſe von der Em-
pfindung ſelbſt unterſcheiden ſolle (§. 91.).

§. 243. So fern man aber die Zuverlaͤßigkeit der
Ausſage aus den Graden der Glaubwuͤrdigkeit ſchaͤtzen
muß, ſo iſt allerdings darauf zu ſehen, ob man das
Anſehen des einen Ausſagers durch das Anſe-
hen des andern ergaͤnzen koͤnne.
Dazu wird nun
nothwendig erfordert, daß es nicht beyden in einerley
Stuͤcken fehle, wie z. E. wenn keiner die Kenntniß hat,
die zu Beurtheilung und richtiger Benennung der em-
pfundenen Sache erfordert wird, oder wenn beyde aus
einerley oder auch verſchiedenen Gruͤnden in Anſehung
des Willens verdaͤchtig ſind. Sind aber die Ausſagen
von Wort zu Wort oder wenigſtens im Grunde einer-
ley, ſo iſt auch oͤfters die Ausſage des Verſtaͤndigern ein
Beweis, daß der Einfaͤltigere nicht geirret oder eines
fuͤr das andere genommen habe; ſo wie hingegen die
Aufrichtigkeit des Einfaͤltigern den Zweifel heben kann,
daß der Verſtaͤndigere ſich keinen Betrug vorgeſetzt habe.

§. 244. Die Hauptfrage aber, die hier zu unterſu-
chen vorkoͤmmt, betrifft die hiſtoriſche Gewißheit
uͤberhaupt, ob ſie jemals vollſtaͤndig oder = 1 werden
konne? Hieruͤber merken wir vorerſt an, daß unſere

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[404/0410] V. Hauptſtuͤck. widerſprechend ſcheinende Ausſagen mit einander ver- glichen und zuſammengereimt werden koͤnnen, wobey denn der Anſtand, ob es den Ausſagern am Willen fehle, faſt nothwendig verſchwindet. §. 242. Kommen aber die Ausſagen in den Wor- ten uͤberein, und ſie ſind uͤbrigens von einander unab- haͤngig, ſo iſt es wohl moͤglich, daß ſie in gewiſſen Faͤl- len nur den Schein der Sache angeben, zumal wenn ſich die Sache nur nach dem Schein zeigt. Man for- dert aber auch von den genaueſten Beobachtern ſelbſt nichts anders, und in ſo ferne kann auch von den Zeu- gen nicht mehr gefordert werden, weil man das Wahre durch Schluͤſſe herausbringen, und dieſe von der Em- pfindung ſelbſt unterſcheiden ſolle (§. 91.). §. 243. So fern man aber die Zuverlaͤßigkeit der Ausſage aus den Graden der Glaubwuͤrdigkeit ſchaͤtzen muß, ſo iſt allerdings darauf zu ſehen, ob man das Anſehen des einen Ausſagers durch das Anſe- hen des andern ergaͤnzen koͤnne. Dazu wird nun nothwendig erfordert, daß es nicht beyden in einerley Stuͤcken fehle, wie z. E. wenn keiner die Kenntniß hat, die zu Beurtheilung und richtiger Benennung der em- pfundenen Sache erfordert wird, oder wenn beyde aus einerley oder auch verſchiedenen Gruͤnden in Anſehung des Willens verdaͤchtig ſind. Sind aber die Ausſagen von Wort zu Wort oder wenigſtens im Grunde einer- ley, ſo iſt auch oͤfters die Ausſage des Verſtaͤndigern ein Beweis, daß der Einfaͤltigere nicht geirret oder eines fuͤr das andere genommen habe; ſo wie hingegen die Aufrichtigkeit des Einfaͤltigern den Zweifel heben kann, daß der Verſtaͤndigere ſich keinen Betrug vorgeſetzt habe. §. 244. Die Hauptfrage aber, die hier zu unterſu- chen vorkoͤmmt, betrifft die hiſtoriſche Gewißheit uͤberhaupt, ob ſie jemals vollſtaͤndig oder = 1 werden konne? Hieruͤber merken wir vorerſt an, daß unſere eigene

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/410>, abgerufen am 24.11.2024.