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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
wiß zu werden. Wir haben bereits oben (§. 107. 108.
113.) über den Selbstbetrug, die Aufrichtigkeit und das
Mistrauen Anmerkungen gemacht, die ebenfalls hieher
dienen können.

§. 258. Jn die bisher erwähnten Classen läßt sich
unsere ganze Erkenntniß in Absicht auf die Gewißheit
und ihre Grade eintheilen. Denn sie beruht entweder
auf unmittelbaren Empfindungen, oder auf De-
monstrationen,
oder auf Nachrichten, oder sie
fleußt aus zwoen oder allen drey dieser Quellen zusam-
men. Und wenn eine Erkenntniß aus mehr als einer
dieser Quellen, und zwar aus jeder besonders, kann her-
geleitet werden, so dient eine der andern zur Probe.
Die Rangordnung ist folgende: 1. Wo Demonstratio-
nen statt haben können, da gehen diese vor, weil diesel-
ben gleichsam nichts weiter als ein denkendes Wesen,
und in so ferne, weder Sinnen noch Beyfall anderer
fordern. Jndessen da man sich, zumal bey weitläufti-
gern Schlüssen, und wo man auf viele Bedingungen
und Umstände zugleich zu sehen hat, leicht übersehen,
und daß Bewußtseyn, daß man auf alles Acht habe,
verlieren oder müde werden kann; so nimmt man die
Erfahrung zu Hülfe, um sich von der Richtigkeit des
Herausgebrachten zu versichern, oder man legt den Fall
anderen in solchen Dingen Geübten vor, um von ihnen
zu vernehmen, ob sie einerley Facit herausbringen. Zu-
weilen geht es aber auch an, daß man das Gefundene
noch auf eine andere Art herauszubringen sucht, oder
nachsieht, ob sich die einzeln und an sich offenbaren Fäl-
le daraus herleiten lassen? 2. Die eigenen Empfin-
dungen, Erfahrungen und Versuche
gehen an
sich den Nachrichten vor, hingegen werden sie in
Sachen, wo Demonstrationen möglich sind, den De-
monstrationen
nachgesetzt. Sie haben demnach ei-
gentlich nur da den Rang, wo es nicht um allgemeine

Möglich-

V. Hauptſtuͤck.
wiß zu werden. Wir haben bereits oben (§. 107. 108.
113.) uͤber den Selbſtbetrug, die Aufrichtigkeit und das
Mistrauen Anmerkungen gemacht, die ebenfalls hieher
dienen koͤnnen.

§. 258. Jn die bisher erwaͤhnten Claſſen laͤßt ſich
unſere ganze Erkenntniß in Abſicht auf die Gewißheit
und ihre Grade eintheilen. Denn ſie beruht entweder
auf unmittelbaren Empfindungen, oder auf De-
monſtrationen,
oder auf Nachrichten, oder ſie
fleußt aus zwoen oder allen drey dieſer Quellen zuſam-
men. Und wenn eine Erkenntniß aus mehr als einer
dieſer Quellen, und zwar aus jeder beſonders, kann her-
geleitet werden, ſo dient eine der andern zur Probe.
Die Rangordnung iſt folgende: 1. Wo Demonſtratio-
nen ſtatt haben koͤnnen, da gehen dieſe vor, weil dieſel-
ben gleichſam nichts weiter als ein denkendes Weſen,
und in ſo ferne, weder Sinnen noch Beyfall anderer
fordern. Jndeſſen da man ſich, zumal bey weitlaͤufti-
gern Schluͤſſen, und wo man auf viele Bedingungen
und Umſtaͤnde zugleich zu ſehen hat, leicht uͤberſehen,
und daß Bewußtſeyn, daß man auf alles Acht habe,
verlieren oder muͤde werden kann; ſo nimmt man die
Erfahrung zu Huͤlfe, um ſich von der Richtigkeit des
Herausgebrachten zu verſichern, oder man legt den Fall
anderen in ſolchen Dingen Geuͤbten vor, um von ihnen
zu vernehmen, ob ſie einerley Facit herausbringen. Zu-
weilen geht es aber auch an, daß man das Gefundene
noch auf eine andere Art herauszubringen ſucht, oder
nachſieht, ob ſich die einzeln und an ſich offenbaren Faͤl-
le daraus herleiten laſſen? 2. Die eigenen Empfin-
dungen, Erfahrungen und Verſuche
gehen an
ſich den Nachrichten vor, hingegen werden ſie in
Sachen, wo Demonſtrationen moͤglich ſind, den De-
monſtrationen
nachgeſetzt. Sie haben demnach ei-
gentlich nur da den Rang, wo es nicht um allgemeine

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[414/0420] V. Hauptſtuͤck. wiß zu werden. Wir haben bereits oben (§. 107. 108. 113.) uͤber den Selbſtbetrug, die Aufrichtigkeit und das Mistrauen Anmerkungen gemacht, die ebenfalls hieher dienen koͤnnen. §. 258. Jn die bisher erwaͤhnten Claſſen laͤßt ſich unſere ganze Erkenntniß in Abſicht auf die Gewißheit und ihre Grade eintheilen. Denn ſie beruht entweder auf unmittelbaren Empfindungen, oder auf De- monſtrationen, oder auf Nachrichten, oder ſie fleußt aus zwoen oder allen drey dieſer Quellen zuſam- men. Und wenn eine Erkenntniß aus mehr als einer dieſer Quellen, und zwar aus jeder beſonders, kann her- geleitet werden, ſo dient eine der andern zur Probe. Die Rangordnung iſt folgende: 1. Wo Demonſtratio- nen ſtatt haben koͤnnen, da gehen dieſe vor, weil dieſel- ben gleichſam nichts weiter als ein denkendes Weſen, und in ſo ferne, weder Sinnen noch Beyfall anderer fordern. Jndeſſen da man ſich, zumal bey weitlaͤufti- gern Schluͤſſen, und wo man auf viele Bedingungen und Umſtaͤnde zugleich zu ſehen hat, leicht uͤberſehen, und daß Bewußtſeyn, daß man auf alles Acht habe, verlieren oder muͤde werden kann; ſo nimmt man die Erfahrung zu Huͤlfe, um ſich von der Richtigkeit des Herausgebrachten zu verſichern, oder man legt den Fall anderen in ſolchen Dingen Geuͤbten vor, um von ihnen zu vernehmen, ob ſie einerley Facit herausbringen. Zu- weilen geht es aber auch an, daß man das Gefundene noch auf eine andere Art herauszubringen ſucht, oder nachſieht, ob ſich die einzeln und an ſich offenbaren Faͤl- le daraus herleiten laſſen? 2. Die eigenen Empfin- dungen, Erfahrungen und Verſuche gehen an ſich den Nachrichten vor, hingegen werden ſie in Sachen, wo Demonſtrationen moͤglich ſind, den De- monſtrationen nachgeſetzt. Sie haben demnach ei- gentlich nur da den Rang, wo es nicht um allgemeine Moͤglich-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/420>, abgerufen am 21.11.2024.