Zusammenhang zu bringen, und hiezu finden wir in wohlgeschriebenen Büchern zubereiteten Stoff, der es uns unnöthig macht, das in dieser Absicht bereits erfun- dene, nochmals zu erfinden.
§. 259. Die Rangordnung, so wir hier den ver- schiedenen Quellen unserer Erkenntniß gegeben haben, gründet sich darauf, daß zu der einen mehr erfordert wird als zu der andern. Die Demonstrationen for- dern gleichsam nur ein denkendes Wesen, weil sie auf Begriffe gehen, die einfach und für sich gedenkbar sind. Die Erfahrungen fordern nicht nur ein denkendes Wesen, sondern auch Sinnen, weil sie auf das Jndivi- duale gehen. Die Nachrichten setzen beydes bey andern und zugleich bey uns voraus, weil sie uns das, was andere erkennen, mittheilen. Hingegen hat die Schwierigkeit, aus diesen Quellen Erkenntniß zu erlan- gen, eine andere Ordnung. Was man erfragen kann, erfährt man am kürzesten. Das Selbsterfahren hat mehrentheils größere Mühe und Umwege, indessen ist es ebenfalls kurz, weil man sich mit der Antwort be- gnügt, die die befragte Natur giebt, wenn sie nicht an sich schon vernehmlich genug redet (Dianoiol. §. 599.). Hingegen fordern die Demonstrationen Verstand und Vernunft, und einen höhern Grad von Aufmerk- samkeit, wozu sich die wenigsten aufgelegt finden. Die Gewißheit in Ansehung dieser drey Quellen unserer Er- kenntniß, ist nicht an sich, sondern nur in der Art ver- schieden, wie sie erlangt wird. Denn an sich ist sie immer das Bewußtseyn, daß das, so wir erkennen, wahr sey. Sie hat demnach bey irrigen Sätzen, so ferne sie irrig sind, durchaus nicht statt, und in dieser Absicht sind jede Mittel, das Jrrige zu vermeiden, zu- gleich auch Mittel, zur Gewißheit zu gelangen.
§. 260. Jnsbesondere kann bey den Demonstratio- nen etwas an der Gewißheit abgehen, wenn sie theils
an
V. Hauptſtuͤck.
Zuſammenhang zu bringen, und hiezu finden wir in wohlgeſchriebenen Buͤchern zubereiteten Stoff, der es uns unnoͤthig macht, das in dieſer Abſicht bereits erfun- dene, nochmals zu erfinden.
§. 259. Die Rangordnung, ſo wir hier den ver- ſchiedenen Quellen unſerer Erkenntniß gegeben haben, gruͤndet ſich darauf, daß zu der einen mehr erfordert wird als zu der andern. Die Demonſtrationen for- dern gleichſam nur ein denkendes Weſen, weil ſie auf Begriffe gehen, die einfach und fuͤr ſich gedenkbar ſind. Die Erfahrungen fordern nicht nur ein denkendes Weſen, ſondern auch Sinnen, weil ſie auf das Jndivi- duale gehen. Die Nachrichten ſetzen beydes bey andern und zugleich bey uns voraus, weil ſie uns das, was andere erkennen, mittheilen. Hingegen hat die Schwierigkeit, aus dieſen Quellen Erkenntniß zu erlan- gen, eine andere Ordnung. Was man erfragen kann, erfaͤhrt man am kuͤrzeſten. Das Selbſterfahren hat mehrentheils groͤßere Muͤhe und Umwege, indeſſen iſt es ebenfalls kurz, weil man ſich mit der Antwort be- gnuͤgt, die die befragte Natur giebt, wenn ſie nicht an ſich ſchon vernehmlich genug redet (Dianoiol. §. 599.). Hingegen fordern die Demonſtrationen Verſtand und Vernunft, und einen hoͤhern Grad von Aufmerk- ſamkeit, wozu ſich die wenigſten aufgelegt finden. Die Gewißheit in Anſehung dieſer drey Quellen unſerer Er- kenntniß, iſt nicht an ſich, ſondern nur in der Art ver- ſchieden, wie ſie erlangt wird. Denn an ſich iſt ſie immer das Bewußtſeyn, daß das, ſo wir erkennen, wahr ſey. Sie hat demnach bey irrigen Saͤtzen, ſo ferne ſie irrig ſind, durchaus nicht ſtatt, und in dieſer Abſicht ſind jede Mittel, das Jrrige zu vermeiden, zu- gleich auch Mittel, zur Gewißheit zu gelangen.
§. 260. Jnsbeſondere kann bey den Demonſtratio- nen etwas an der Gewißheit abgehen, wenn ſie theils
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V. Hauptſtuͤck.
Zuſammenhang zu bringen, und hiezu finden wir in
wohlgeſchriebenen Buͤchern zubereiteten Stoff, der es
uns unnoͤthig macht, das in dieſer Abſicht bereits erfun-
dene, nochmals zu erfinden.
§. 259. Die Rangordnung, ſo wir hier den ver-
ſchiedenen Quellen unſerer Erkenntniß gegeben haben,
gruͤndet ſich darauf, daß zu der einen mehr erfordert
wird als zu der andern. Die Demonſtrationen for-
dern gleichſam nur ein denkendes Weſen, weil ſie auf
Begriffe gehen, die einfach und fuͤr ſich gedenkbar ſind.
Die Erfahrungen fordern nicht nur ein denkendes
Weſen, ſondern auch Sinnen, weil ſie auf das Jndivi-
duale gehen. Die Nachrichten ſetzen beydes bey
andern und zugleich bey uns voraus, weil ſie uns das,
was andere erkennen, mittheilen. Hingegen hat die
Schwierigkeit, aus dieſen Quellen Erkenntniß zu erlan-
gen, eine andere Ordnung. Was man erfragen kann,
erfaͤhrt man am kuͤrzeſten. Das Selbſterfahren
hat mehrentheils groͤßere Muͤhe und Umwege, indeſſen
iſt es ebenfalls kurz, weil man ſich mit der Antwort be-
gnuͤgt, die die befragte Natur giebt, wenn ſie nicht an
ſich ſchon vernehmlich genug redet (Dianoiol. §. 599.).
Hingegen fordern die Demonſtrationen Verſtand
und Vernunft, und einen hoͤhern Grad von Aufmerk-
ſamkeit, wozu ſich die wenigſten aufgelegt finden. Die
Gewißheit in Anſehung dieſer drey Quellen unſerer Er-
kenntniß, iſt nicht an ſich, ſondern nur in der Art ver-
ſchieden, wie ſie erlangt wird. Denn an ſich iſt ſie
immer das Bewußtſeyn, daß das, ſo wir erkennen,
wahr ſey. Sie hat demnach bey irrigen Saͤtzen, ſo
ferne ſie irrig ſind, durchaus nicht ſtatt, und in dieſer
Abſicht ſind jede Mittel, das Jrrige zu vermeiden, zu-
gleich auch Mittel, zur Gewißheit zu gelangen.
§. 260. Jnsbeſondere kann bey den Demonſtratio-
nen etwas an der Gewißheit abgehen, wenn ſie theils
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/422>, abgerufen am 24.11.2024.
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