aber noch weiter, und giebt in der Perspective Mittel an, den Schein der sichtbaren Dinge zu malen, oder ih- re scheinbare Gestalt so zu zeichnen, daß die Zeichnung eben so in das Auge falle, als die Gegenstände selbst, wenn beyde aus dem dazu gewählten Gesichtspunkt be- trachtet werden. Wir haben diesen Begriff der Per- spective bereits (§. 4.) allgemeiner genommen, und den- selben auf die ganze Phänomenologie ausgedehnt, und werden nun umständlicher bestimmen, was diese tran- scendente Perspective, in diesem weitläuftigen Um- fange genommen, für besondere Arten und Theile be- greift, und in dieser Absicht werden wir den Be- griff der optischen Perspective stuffenweise allgemeiner machen.
§. 267. Wir merken demnach an, daß die perspe- ctivische Zeichnung des Scheins jedesmal auf einen Gesichtspunkt eingeschränkt ist. Hierinn ist nun die Bildhauer-Modellir- und Poßirkunst allgemei- ner, weil das Bild oder das Modell die abgebildete oder modellirte Sache in jeden Gesichtspunkten eben so vorstellen soll, wie sich in demselben die Sache selbst zeigt, und überdieß nicht nur dem Auge, sondern auch dem Gefühl einerley Schein zeigen muß. Wir mer- ken hiebey an, daß man in solcher Nachahmung ei- gentlich nur auf die körperliche Gestalt sieht, so fern sie sichtbar und fühlbar ist, und daß hingegen diese Ge- stalt der Größe nach von dem Original verschieden seyn könne, wenn nur jede Theile in der Lage und Propor- tion dem Original ähnlich bleiben.
§. 268. Noch weiter aber geht man in solchen Nach- ahmungen, wenn man selbst auch den Stoff eines Körpers durch Kunst nachzumachen sucht, wie z. E. bey nachgemachten Perlen, Edelgesteinen, Metallen, Mine- ralien, Arzneyen, Speisen, Getränken etc. wobey, wie wir bereits oben (§. 76.) bey der Betrachtung dieser
Art
VI. Hauptſtuͤck.
aber noch weiter, und giebt in der Perſpective Mittel an, den Schein der ſichtbaren Dinge zu malen, oder ih- re ſcheinbare Geſtalt ſo zu zeichnen, daß die Zeichnung eben ſo in das Auge falle, als die Gegenſtaͤnde ſelbſt, wenn beyde aus dem dazu gewaͤhlten Geſichtspunkt be- trachtet werden. Wir haben dieſen Begriff der Per- ſpective bereits (§. 4.) allgemeiner genommen, und den- ſelben auf die ganze Phaͤnomenologie ausgedehnt, und werden nun umſtaͤndlicher beſtimmen, was dieſe tran- ſcendente Perſpective, in dieſem weitlaͤuftigen Um- fange genommen, fuͤr beſondere Arten und Theile be- greift, und in dieſer Abſicht werden wir den Be- griff der optiſchen Perſpective ſtuffenweiſe allgemeiner machen.
§. 267. Wir merken demnach an, daß die perſpe- ctiviſche Zeichnung des Scheins jedesmal auf einen Geſichtspunkt eingeſchraͤnkt iſt. Hierinn iſt nun die Bildhauer-Modellir- und Poßirkunſt allgemei- ner, weil das Bild oder das Modell die abgebildete oder modellirte Sache in jeden Geſichtspunkten eben ſo vorſtellen ſoll, wie ſich in demſelben die Sache ſelbſt zeigt, und uͤberdieß nicht nur dem Auge, ſondern auch dem Gefuͤhl einerley Schein zeigen muß. Wir mer- ken hiebey an, daß man in ſolcher Nachahmung ei- gentlich nur auf die koͤrperliche Geſtalt ſieht, ſo fern ſie ſichtbar und fuͤhlbar iſt, und daß hingegen dieſe Ge- ſtalt der Groͤße nach von dem Original verſchieden ſeyn koͤnne, wenn nur jede Theile in der Lage und Propor- tion dem Original aͤhnlich bleiben.
§. 268. Noch weiter aber geht man in ſolchen Nach- ahmungen, wenn man ſelbſt auch den Stoff eines Koͤrpers durch Kunſt nachzumachen ſucht, wie z. E. bey nachgemachten Perlen, Edelgeſteinen, Metallen, Mine- ralien, Arzneyen, Speiſen, Getraͤnken ꝛc. wobey, wie wir bereits oben (§. 76.) bey der Betrachtung dieſer
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VI. Hauptſtuͤck.
aber noch weiter, und giebt in der Perſpective Mittel
an, den Schein der ſichtbaren Dinge zu malen, oder ih-
re ſcheinbare Geſtalt ſo zu zeichnen, daß die Zeichnung
eben ſo in das Auge falle, als die Gegenſtaͤnde ſelbſt,
wenn beyde aus dem dazu gewaͤhlten Geſichtspunkt be-
trachtet werden. Wir haben dieſen Begriff der Per-
ſpective bereits (§. 4.) allgemeiner genommen, und den-
ſelben auf die ganze Phaͤnomenologie ausgedehnt, und
werden nun umſtaͤndlicher beſtimmen, was dieſe tran-
ſcendente Perſpective, in dieſem weitlaͤuftigen Um-
fange genommen, fuͤr beſondere Arten und Theile be-
greift, und in dieſer Abſicht werden wir den Be-
griff der optiſchen Perſpective ſtuffenweiſe allgemeiner
machen.
§. 267. Wir merken demnach an, daß die perſpe-
ctiviſche Zeichnung des Scheins jedesmal auf einen
Geſichtspunkt eingeſchraͤnkt iſt. Hierinn iſt nun die
Bildhauer-Modellir- und Poßirkunſt allgemei-
ner, weil das Bild oder das Modell die abgebildete
oder modellirte Sache in jeden Geſichtspunkten eben ſo
vorſtellen ſoll, wie ſich in demſelben die Sache ſelbſt
zeigt, und uͤberdieß nicht nur dem Auge, ſondern auch
dem Gefuͤhl einerley Schein zeigen muß. Wir mer-
ken hiebey an, daß man in ſolcher Nachahmung ei-
gentlich nur auf die koͤrperliche Geſtalt ſieht, ſo fern
ſie ſichtbar und fuͤhlbar iſt, und daß hingegen dieſe Ge-
ſtalt der Groͤße nach von dem Original verſchieden ſeyn
koͤnne, wenn nur jede Theile in der Lage und Propor-
tion dem Original aͤhnlich bleiben.
§. 268. Noch weiter aber geht man in ſolchen Nach-
ahmungen, wenn man ſelbſt auch den Stoff eines
Koͤrpers durch Kunſt nachzumachen ſucht, wie z. E. bey
nachgemachten Perlen, Edelgeſteinen, Metallen, Mine-
ralien, Arzneyen, Speiſen, Getraͤnken ꝛc. wobey, wie
wir bereits oben (§. 76.) bey der Betrachtung dieſer
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/428>, abgerufen am 16.02.2025.
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