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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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IV. Hauptstück.
möglichen sind. Jede Sprache hat ihre eigene, die
durch den Gebrauch eingeführt worden, und die in al-
len Sprachen ebenfalls seyn könnten. Wir haben nur
solche als Beyspiele angeführt, die im Französischen und
Deutschen einen Jnfinitivum zu sich nehmen, weil auf
diese Art alle übrigen Bestimmungen der Zeit, Zahl,
Person etc. auf das Hülfswort fallen. Man sieht aber
leicht, daß bald alle Modificationen der Handlung, die
Verhältnisse des Redenden, der Antheil, den er an der
Handlung nimmt, die Art, Kraft, Geschwindigkeit,
Wiederholung, Gewohnheit, der Affect, die Grade der
Heftigkeit, die Gewißheit, Möglichkeit, Nothwendig-
keit, Wichtigkeit etc. entweder durch Hülfswörter oder
durch Ableitungstheilchen ausgedruckt werden könnten,
statt deren wir in den wirklichen Sprachen mehren-
theils nur Bestimmungswörter gebrauchen (§. 126.).

§. 159. Jm Deutschen haben wir nicht viele Ab-
leitungstheilchen, die den Zeitwörtern angehängt wer-
den. Hingegen haben wir desto mehrere denselben
vorzusetzen, dergleichen die Sylben: ab, an, auf,
aus, be, bey, ein, em, ent, er, für, ge, her, hin,
miß, nach, in, por, ver, um, un, unter, vor,
ur, weg, zer, zu, voll, dar, wider, fort, mit,
ob, über, durch, gegen, zwischen,
etc. sind, aus
welchen sich noch mehrere zusammensetzen lassen. Der
Grund davon ist, weil die letzten Sylben der Zeitwör-
ter zum Conjugiren, und folglich zur Bestimmung der
Zeit, Zahl, Person, etc. gewiedmet sind. Dieses macht,
daß die Ableitungstheilchen eigentlich eingeschoben wer-
den, wie z. E. in den Wörtern: vereinigen, offen-
baren, räuchern, wandeln
etc., und unzähligen an-
dern, die sich von Nennwörtern herleiten lassen. Man
sieht übrigens auch hieraus, daß in der Ordnung der
Sylben mehr oder weniger Bedeutendes ist (§. 135.).

§. 160.

IV. Hauptſtuͤck.
moͤglichen ſind. Jede Sprache hat ihre eigene, die
durch den Gebrauch eingefuͤhrt worden, und die in al-
len Sprachen ebenfalls ſeyn koͤnnten. Wir haben nur
ſolche als Beyſpiele angefuͤhrt, die im Franzoͤſiſchen und
Deutſchen einen Jnfinitivum zu ſich nehmen, weil auf
dieſe Art alle uͤbrigen Beſtimmungen der Zeit, Zahl,
Perſon ꝛc. auf das Huͤlfswort fallen. Man ſieht aber
leicht, daß bald alle Modificationen der Handlung, die
Verhaͤltniſſe des Redenden, der Antheil, den er an der
Handlung nimmt, die Art, Kraft, Geſchwindigkeit,
Wiederholung, Gewohnheit, der Affect, die Grade der
Heftigkeit, die Gewißheit, Moͤglichkeit, Nothwendig-
keit, Wichtigkeit ꝛc. entweder durch Huͤlfswoͤrter oder
durch Ableitungstheilchen ausgedruckt werden koͤnnten,
ſtatt deren wir in den wirklichen Sprachen mehren-
theils nur Beſtimmungswoͤrter gebrauchen (§. 126.).

§. 159. Jm Deutſchen haben wir nicht viele Ab-
leitungstheilchen, die den Zeitwoͤrtern angehaͤngt wer-
den. Hingegen haben wir deſto mehrere denſelben
vorzuſetzen, dergleichen die Sylben: ab, an, auf,
aus, be, bey, ein, em, ent, er, fuͤr, ge, her, hin,
miß, nach, in, por, ver, um, un, unter, vor,
ur, weg, zer, zu, voll, dar, wider, fort, mit,
ob, uͤber, durch, gegen, zwiſchen,
ꝛc. ſind, aus
welchen ſich noch mehrere zuſammenſetzen laſſen. Der
Grund davon iſt, weil die letzten Sylben der Zeitwoͤr-
ter zum Conjugiren, und folglich zur Beſtimmung der
Zeit, Zahl, Perſon, ꝛc. gewiedmet ſind. Dieſes macht,
daß die Ableitungstheilchen eigentlich eingeſchoben wer-
den, wie z. E. in den Woͤrtern: vereinigen, offen-
baren, raͤuchern, wandeln
ꝛc., und unzaͤhligen an-
dern, die ſich von Nennwoͤrtern herleiten laſſen. Man
ſieht uͤbrigens auch hieraus, daß in der Ordnung der
Sylben mehr oder weniger Bedeutendes iſt (§. 135.).

§. 160.
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[92/0098] IV. Hauptſtuͤck. moͤglichen ſind. Jede Sprache hat ihre eigene, die durch den Gebrauch eingefuͤhrt worden, und die in al- len Sprachen ebenfalls ſeyn koͤnnten. Wir haben nur ſolche als Beyſpiele angefuͤhrt, die im Franzoͤſiſchen und Deutſchen einen Jnfinitivum zu ſich nehmen, weil auf dieſe Art alle uͤbrigen Beſtimmungen der Zeit, Zahl, Perſon ꝛc. auf das Huͤlfswort fallen. Man ſieht aber leicht, daß bald alle Modificationen der Handlung, die Verhaͤltniſſe des Redenden, der Antheil, den er an der Handlung nimmt, die Art, Kraft, Geſchwindigkeit, Wiederholung, Gewohnheit, der Affect, die Grade der Heftigkeit, die Gewißheit, Moͤglichkeit, Nothwendig- keit, Wichtigkeit ꝛc. entweder durch Huͤlfswoͤrter oder durch Ableitungstheilchen ausgedruckt werden koͤnnten, ſtatt deren wir in den wirklichen Sprachen mehren- theils nur Beſtimmungswoͤrter gebrauchen (§. 126.). §. 159. Jm Deutſchen haben wir nicht viele Ab- leitungstheilchen, die den Zeitwoͤrtern angehaͤngt wer- den. Hingegen haben wir deſto mehrere denſelben vorzuſetzen, dergleichen die Sylben: ab, an, auf, aus, be, bey, ein, em, ent, er, fuͤr, ge, her, hin, miß, nach, in, por, ver, um, un, unter, vor, ur, weg, zer, zu, voll, dar, wider, fort, mit, ob, uͤber, durch, gegen, zwiſchen, ꝛc. ſind, aus welchen ſich noch mehrere zuſammenſetzen laſſen. Der Grund davon iſt, weil die letzten Sylben der Zeitwoͤr- ter zum Conjugiren, und folglich zur Beſtimmung der Zeit, Zahl, Perſon, ꝛc. gewiedmet ſind. Dieſes macht, daß die Ableitungstheilchen eigentlich eingeſchoben wer- den, wie z. E. in den Woͤrtern: vereinigen, offen- baren, raͤuchern, wandeln ꝛc., und unzaͤhligen an- dern, die ſich von Nennwoͤrtern herleiten laſſen. Man ſieht uͤbrigens auch hieraus, daß in der Ordnung der Sylben mehr oder weniger Bedeutendes iſt (§. 135.). §. 160.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/98>, abgerufen am 10.05.2024.