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Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904.

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Und nun erst konnte ein dritter Schritt geschehen. Das denkende
Bewußtsein, das erst das Verhältnis des Menschen zum Kosmos,
dann zu dem engeren Kreis der ihn umgebenden staatlichen Ordnung
betrachtet hatte, wandte sich nun den innersten Beziehungen zu, in
denen der Mensch sich fand: dem Verhältnis der Geschlechter innerhalb
der sozialen Ordnung.

Es ist natürlich, daß dieses erst auf einer späten Entwicklungsstufe
des menschlichen Denkens zum Problem werden konnte. Hier schien
durch die Natur selbst alles so durchaus bestimmt. Das Jnstinkt-
leben, das persönliche Empfinden hatte an diesen ursprünglichsten
sozialen Beziehungen einen so entscheidenden Anteil, daß sie sich als
Problem des Denkens zunächst gar nicht darboten. Und vor allem,
das praktische Jnteresse, das der stärkste Antrieb zur Kritik der staat-
lichen Ordnung gewesen war, das Gefühl der Unbefriedigung, sprach
bei dem, der bis dahin allein den Träger des denkenden Bewußt-
seins darstellte, beim Mann nicht mit. Er empfand sein Verhältnis
zur Frau als so durchaus befriedigend, daß ihm nicht im ent-
ferntesten der Gedanke aufsteigen konnte, auch hier sei ein Problem,
auch hier etwas, was einer Kritik nach den neu gewonnenen sozial-
ethischen Maßstäben nicht stand hielt. Und so stellt denn auch Rousseau,
als er seinen Staatsbau nach Vernunftprinzipien aufführt, das Ver-
hältnis der Geschlechter einfach unter die Formel: La femme est
faite specialement pour plaire a l'homme.
Daß diese Formel mit
den Grundlagen seiner Gesellschaftstheorie in klaffendem Widerspruch
steht, übersieht er. Mit dem Jnstinkt des Besitzenden hält er seine
Prinzipien von diesem Gebiet fern. Nur die Frauen selbst konnten
sie auf ihre eigene Stellung in der Gesellschaft anwenden. Denn nur
für sie bedeutete das herrschende System, wie für den tiers etat
im Staat, Druck und Einengung. Von ihrer Seite mußte die Kritik
einsetzen. Mary Wolstonecraft tat diesen Schritt mit den Waffen
des Jean Jacques selbst. Aus seinen Voraussetzungen zog sie die
Schlüsse für ihr eigenes Geschlecht.

Fassen wir nun zusammen, was diese Betrachtungen klar gemacht
haben: Jm Mittelalter haben wir Frauenfrage und Frauennot, aber
keine Frauenbewegung, weil der geistige Unterbau dafür noch nicht
vorhanden ist, weil dem menschlichen Denken auf seinem Wege von
außen nach innen die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter zu-

Und nun erst konnte ein dritter Schritt geschehen. Das denkende
Bewußtsein, das erst das Verhältnis des Menschen zum Kosmos,
dann zu dem engeren Kreis der ihn umgebenden staatlichen Ordnung
betrachtet hatte, wandte sich nun den innersten Beziehungen zu, in
denen der Mensch sich fand: dem Verhältnis der Geschlechter innerhalb
der sozialen Ordnung.

Es ist natürlich, daß dieses erst auf einer späten Entwicklungsstufe
des menschlichen Denkens zum Problem werden konnte. Hier schien
durch die Natur selbst alles so durchaus bestimmt. Das Jnstinkt-
leben, das persönliche Empfinden hatte an diesen ursprünglichsten
sozialen Beziehungen einen so entscheidenden Anteil, daß sie sich als
Problem des Denkens zunächst gar nicht darboten. Und vor allem,
das praktische Jnteresse, das der stärkste Antrieb zur Kritik der staat-
lichen Ordnung gewesen war, das Gefühl der Unbefriedigung, sprach
bei dem, der bis dahin allein den Träger des denkenden Bewußt-
seins darstellte, beim Mann nicht mit. Er empfand sein Verhältnis
zur Frau als so durchaus befriedigend, daß ihm nicht im ent-
ferntesten der Gedanke aufsteigen konnte, auch hier sei ein Problem,
auch hier etwas, was einer Kritik nach den neu gewonnenen sozial-
ethischen Maßstäben nicht stand hielt. Und so stellt denn auch Rousseau,
als er seinen Staatsbau nach Vernunftprinzipien aufführt, das Ver-
hältnis der Geschlechter einfach unter die Formel: La femme est
faite spécialement pour plaire á l'homme.
Daß diese Formel mit
den Grundlagen seiner Gesellschaftstheorie in klaffendem Widerspruch
steht, übersieht er. Mit dem Jnstinkt des Besitzenden hält er seine
Prinzipien von diesem Gebiet fern. Nur die Frauen selbst konnten
sie auf ihre eigene Stellung in der Gesellschaft anwenden. Denn nur
für sie bedeutete das herrschende System, wie für den tiers état
im Staat, Druck und Einengung. Von ihrer Seite mußte die Kritik
einsetzen. Mary Wolstonecraft tat diesen Schritt mit den Waffen
des Jean Jacques selbst. Aus seinen Voraussetzungen zog sie die
Schlüsse für ihr eigenes Geschlecht.

Fassen wir nun zusammen, was diese Betrachtungen klar gemacht
haben: Jm Mittelalter haben wir Frauenfrage und Frauennot, aber
keine Frauenbewegung, weil der geistige Unterbau dafür noch nicht
vorhanden ist, weil dem menschlichen Denken auf seinem Wege von
außen nach innen die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter zu-

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[7/0007] Und nun erst konnte ein dritter Schritt geschehen. Das denkende Bewußtsein, das erst das Verhältnis des Menschen zum Kosmos, dann zu dem engeren Kreis der ihn umgebenden staatlichen Ordnung betrachtet hatte, wandte sich nun den innersten Beziehungen zu, in denen der Mensch sich fand: dem Verhältnis der Geschlechter innerhalb der sozialen Ordnung. Es ist natürlich, daß dieses erst auf einer späten Entwicklungsstufe des menschlichen Denkens zum Problem werden konnte. Hier schien durch die Natur selbst alles so durchaus bestimmt. Das Jnstinkt- leben, das persönliche Empfinden hatte an diesen ursprünglichsten sozialen Beziehungen einen so entscheidenden Anteil, daß sie sich als Problem des Denkens zunächst gar nicht darboten. Und vor allem, das praktische Jnteresse, das der stärkste Antrieb zur Kritik der staat- lichen Ordnung gewesen war, das Gefühl der Unbefriedigung, sprach bei dem, der bis dahin allein den Träger des denkenden Bewußt- seins darstellte, beim Mann nicht mit. Er empfand sein Verhältnis zur Frau als so durchaus befriedigend, daß ihm nicht im ent- ferntesten der Gedanke aufsteigen konnte, auch hier sei ein Problem, auch hier etwas, was einer Kritik nach den neu gewonnenen sozial- ethischen Maßstäben nicht stand hielt. Und so stellt denn auch Rousseau, als er seinen Staatsbau nach Vernunftprinzipien aufführt, das Ver- hältnis der Geschlechter einfach unter die Formel: La femme est faite spécialement pour plaire á l'homme. Daß diese Formel mit den Grundlagen seiner Gesellschaftstheorie in klaffendem Widerspruch steht, übersieht er. Mit dem Jnstinkt des Besitzenden hält er seine Prinzipien von diesem Gebiet fern. Nur die Frauen selbst konnten sie auf ihre eigene Stellung in der Gesellschaft anwenden. Denn nur für sie bedeutete das herrschende System, wie für den tiers état im Staat, Druck und Einengung. Von ihrer Seite mußte die Kritik einsetzen. Mary Wolstonecraft tat diesen Schritt mit den Waffen des Jean Jacques selbst. Aus seinen Voraussetzungen zog sie die Schlüsse für ihr eigenes Geschlecht. Fassen wir nun zusammen, was diese Betrachtungen klar gemacht haben: Jm Mittelalter haben wir Frauenfrage und Frauennot, aber keine Frauenbewegung, weil der geistige Unterbau dafür noch nicht vorhanden ist, weil dem menschlichen Denken auf seinem Wege von außen nach innen die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter zu-

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Das Endziel der Frauenbewegung. Berlin, 1904, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_endziel_1904/7>, abgerufen am 03.12.2024.