Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 9, v. 18. [Spaltenumbruch]
da du in deinem Leben so und so hausgehalten,und mit meinem Volcke, welchem deine Vor- fahren zur Erhaltung ihres Reichs von meinet- wegen so viel zu dancken haben, so und so un- barmhertzig umgegangen, schon vorlängst in dei- nen Sünden können sterben lassen: allein, ich habe es nicht gethan, um zuvorderst an dir ein Exempel meiner grossen Gedult und Langmuth, und denn auch, da solche auf Muthwillen ge- zogen, die Macht meiner Straf-Gerechtigkeit in so vielen Gerichten, als bisher geschehen sind, zu erweisen, damit mein Name durch dieselben bey allen auswärtigen Völckern gepriesen wer- de; da du ihn durch den Weg der Gnade und Barmhertzigkeit nicht an dir hast, preisen lassen wollen. 5. Jm übrigen ist hiebey noch wohl zu mer- cken, daß, da der Apostel aus der Geschichte von der Verstockung Pharaonis eine Stelle anfüh- ren wolte, er eben diejenige anführet, welche un- ter noch mehren andern GOtt von der gar sünd- lichen Beschuldigung, als rührete die Verhär- tung Pharaonis von ihm her, erwiesener massen frey spricht. 6. So schwer auch nun gleich der bisherige Text Pauli zu seyn, und so sehr er dem absolu- ten Decreto GOttes zur Seligmachung und zur ewigen Verwerfung der Menschen das Wort zu reden scheinet, so wenig findet sich davon in demselben, und so leichte ist er doch, wenn er nur nach dem Apostolischen Zwecke und in dem gan- tzen Zusammenhange der Deduction recht einge- sehen wird. Und will ich hoffen, daß ein iegli- cher Leser davon überzeuget sey, daß bishero nichts gezwungnes zur Erklärung angebracht ist. Und eben so wenig soll sich, wie ich zu GOtt und dem gantzen apostolischen Texte hoffe, ja es gewiß bin, davon im nachfolgenden finden. V. 18. So erbarmet er sich nun, welches er Anmerckungen. 1. Diß ist der Schluß aus der bisherigen Rede in der Application beyder Schrift-Stel- len, der ersten von der Erbarmung, der an- dern von der Verstockung. 2. Was die Erbarmung sey, und wie sie in Christo geschehe, auch über alle gehe, das ha- ben wir gehöret, und ist dieselbe zuvor in dem grössesten Theile der ersten acht Capitel beschrie- ben worden; da wir gesehen, daß sie nicht abso- lut verfähret, sondern sich in einer gemachten gewissen Heils-Ordnung hervor thut. 3. Die Verstockung, oder Verhärtung, des Menschen ist ein solcher Zustand der herr- schenden Sünde, da ein Mensch, mit Verach- tung der berufenden und züchtigenden Gnade, wider sein Gewissen, mit vorsetzlicher Bosheit aus einer Sünde in die andere fällt, und das Maaß derselben dergestalt häufet, daß GOtt seine züchtigende Gnade, durch welche vorhin noch dieser und jener Ausbruch war zurück gehal- ten, oder doch mehr eingeschrencket worden, gar zurück nimmt, und so denn einen solchen Men- [Spaltenumbruch] schen aus gerechtem Gerichte zur ewigen Ver- dammniß noch immer weiter verfallen läßt. 4. Da nun die Verstockung etwas böses, ja der äusserste Grad der Bosheit ist; so kan sie unmöglich GOTT in solchem Verstande zuge- schrieben werden, als wenn sie von ihm gewir- cket werde. Denn dieses lauft wider die Idee, die wir uns nicht allein aus der heiligen Schrift, sondern auch aus dem Lichte der Natur von GOtt zu machen haben. 5. Gleichwie nun GOtt eines Theils die Verstockung nicht selbst wircket und billiget: so verhält er sich doch andern Theils mit seiner Zu- lassung nicht dabey, als ein blosser Zuschauer, sondern als ein gerechter Richter, der seine gemißbrauchete und verachtete Gnade der Be- rufung zur Busse, da er gar keine Frucht davon vorher siehet, von einem durch Ruchlosigkeit sich selbst immer mehr verhärtenden Menschen zu- rück nimmt, und ihn folglich ihme selbst und dem Satan überläßt, und verhänget, daß auch wol bereits in dieser Welt Sünde mit Sünden ge- strafet, und solche Sünden begangen werden, die schon einige Strafe über die vorigen mit sich führen. Denn wenn es GOTT verhindern wolte, so müste er seine absolute Gewalt dazu ge- brauchen, und den Menschen aus einem mit ei- nem freyen Willen begabten Geschöpfe eine ma- chine, oder ein Uhr-Werck, und also aus Men- schen Unmenschen machen. Welches also nicht seyn kan; und dannenhero eine solche Zulas- sung, ohne Verletzung göttlicher Liebe und Hei- ligkeit, gar wohl statt findet. 6. Da nun diese Zulassung GOttes bey der Verstockung nicht ohne eine gerechte rich- terliche Handlung ist, und also nicht in einer blossen Zuschauung bestehet; so werden von der Verstockung auf Seiten GOttes auch verba activa, oder solche Worte gebrauchet, darinnen GOtt selbst auch etwas thätiges zugeschrieben wird: allein in keinem andern Verstande als in dem gedachten richterlichen. 7. Es darf uns aber im geringsten nicht ir- ren, daß Paulus saget, GOtt verstocke, wel- che er wolle, und erbarme sich, welcher er wolle. Denn bey diesen Worten ist zweyer- ley wohl zu mercken: erstlich, daß diese Worte im Gegensatze stehen: und denn, daß man es theils aus dem Contexte, theils aus andern Schrift-Stellen zu erklären habe, welcher sich GOtt wolle erbarmen, und welche er wolle verstocken. 8. Der Gegensatz war der widerspensti- gen Jüden. Denn diese wolten GOtt vor- schreiben, gegen welche er die Erbarmung und Verstockung ergehen lassen solte: nemlich die Erbarmung und Seligmachung gegen sie, die Jüden, welche sich auf ihre Abkunft von Abraham und andere Vorrechte, auch eigne Verdienste, beriefen, und damit vor GOTT bestehen wolten, und daher Got- tes Erbarmung zu einer schuldigen Wiederver- geltung machten, und dabey die im Meßia an- gebotene Gnade verachteten und Christum selbst verlästerten und in seinen Gliedern verfolgeten. Hingegen solte GOtt die Heiden, als der Selig- keit
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 9, v. 18. [Spaltenumbruch]
da du in deinem Leben ſo und ſo hausgehalten,und mit meinem Volcke, welchem deine Vor- fahren zur Erhaltung ihres Reichs von meinet- wegen ſo viel zu dancken haben, ſo und ſo un- barmhertzig umgegangen, ſchon vorlaͤngſt in dei- nen Suͤnden koͤnnen ſterben laſſen: allein, ich habe es nicht gethan, um zuvorderſt an dir ein Exempel meiner groſſen Gedult und Langmuth, und denn auch, da ſolche auf Muthwillen ge- zogen, die Macht meiner Straf-Gerechtigkeit in ſo vielen Gerichten, als bisher geſchehen ſind, zu erweiſen, damit mein Name durch dieſelben bey allen auswaͤrtigen Voͤlckern geprieſen wer- de; da du ihn durch den Weg der Gnade und Barmhertzigkeit nicht an dir haſt, preiſen laſſen wollen. 5. Jm uͤbrigen iſt hiebey noch wohl zu mer- cken, daß, da der Apoſtel aus der Geſchichte von der Verſtockung Pharaonis eine Stelle anfuͤh- ren wolte, er eben diejenige anfuͤhret, welche un- ter noch mehren andern GOtt von der gar ſuͤnd- lichen Beſchuldigung, als ruͤhrete die Verhaͤr- tung Pharaonis von ihm her, erwieſener maſſen frey ſpricht. 6. So ſchwer auch nun gleich der bisherige Text Pauli zu ſeyn, und ſo ſehr er dem abſolu- ten Decreto GOttes zur Seligmachung und zur ewigen Verwerfung der Menſchen das Wort zu reden ſcheinet, ſo wenig findet ſich davon in demſelben, und ſo leichte iſt er doch, wenn er nur nach dem Apoſtoliſchen Zwecke und in dem gan- tzen Zuſammenhange der Deduction recht einge- ſehen wird. Und will ich hoffen, daß ein iegli- cher Leſer davon uͤberzeuget ſey, daß bishero nichts gezwungnes zur Erklaͤrung angebracht iſt. Und eben ſo wenig ſoll ſich, wie ich zu GOtt und dem gantzen apoſtoliſchen Texte hoffe, ja es gewiß bin, davon im nachfolgenden finden. V. 18. So erbarmet er ſich nun, welches er Anmerckungen. 1. Diß iſt der Schluß aus der bisherigen Rede in der Application beyder Schrift-Stel- len, der erſten von der Erbarmung, der an- dern von der Verſtockung. 2. Was die Erbarmung ſey, und wie ſie in Chriſto geſchehe, auch uͤber alle gehe, das ha- ben wir gehoͤret, und iſt dieſelbe zuvor in dem groͤſſeſten Theile der erſten acht Capitel beſchrie- ben worden; da wir geſehen, daß ſie nicht abſo- lut verfaͤhret, ſondern ſich in einer gemachten gewiſſen Heils-Ordnung hervor thut. 3. Die Verſtockung, oder Verhaͤrtung, des Menſchen iſt ein ſolcher Zuſtand der herr- ſchenden Suͤnde, da ein Menſch, mit Verach- tung der berufenden und zuͤchtigenden Gnade, wider ſein Gewiſſen, mit vorſetzlicher Bosheit aus einer Suͤnde in die andere faͤllt, und das Maaß derſelben dergeſtalt haͤufet, daß GOtt ſeine zuͤchtigende Gnade, durch welche vorhin noch dieſer und jener Ausbruch war zuruͤck gehal- ten, oder doch mehr eingeſchrencket worden, gar zuruͤck nimmt, und ſo denn einen ſolchen Men- [Spaltenumbruch] ſchen aus gerechtem Gerichte zur ewigen Ver- dammniß noch immer weiter verfallen laͤßt. 4. Da nun die Verſtockung etwas boͤſes, ja der aͤuſſerſte Grad der Bosheit iſt; ſo kan ſie unmoͤglich GOTT in ſolchem Verſtande zuge- ſchrieben werden, als wenn ſie von ihm gewir- cket werde. Denn dieſes lauft wider die Idee, die wir uns nicht allein aus der heiligen Schrift, ſondern auch aus dem Lichte der Natur von GOtt zu machen haben. 5. Gleichwie nun GOtt eines Theils die Verſtockung nicht ſelbſt wircket und billiget: ſo verhaͤlt er ſich doch andern Theils mit ſeiner Zu- laſſung nicht dabey, als ein bloſſer Zuſchauer, ſondern als ein gerechter Richter, der ſeine gemißbrauchete und verachtete Gnade der Be- rufung zur Buſſe, da er gar keine Frucht davon vorher ſiehet, von einem durch Ruchloſigkeit ſich ſelbſt immer mehr verhaͤrtenden Menſchen zu- ruͤck nimmt, und ihn folglich ihme ſelbſt und dem Satan uͤberlaͤßt, und verhaͤnget, daß auch wol bereits in dieſer Welt Suͤnde mit Suͤnden ge- ſtrafet, und ſolche Suͤnden begangen werden, die ſchon einige Strafe uͤber die vorigen mit ſich fuͤhren. Denn wenn es GOTT verhindern wolte, ſo muͤſte er ſeine abſolute Gewalt dazu ge- brauchen, und den Menſchen aus einem mit ei- nem freyen Willen begabten Geſchoͤpfe eine ma- chine, oder ein Uhr-Werck, und alſo aus Men- ſchen Unmenſchen machen. Welches alſo nicht ſeyn kan; und dannenhero eine ſolche Zulaſ- ſung, ohne Verletzung goͤttlicher Liebe und Hei- ligkeit, gar wohl ſtatt findet. 6. Da nun dieſe Zulaſſung GOttes bey der Verſtockung nicht ohne eine gerechte rich- terliche Handlung iſt, und alſo nicht in einer bloſſen Zuſchauung beſtehet; ſo werden von der Verſtockung auf Seiten GOttes auch verba activa, oder ſolche Worte gebrauchet, darinnen GOtt ſelbſt auch etwas thaͤtiges zugeſchrieben wird: allein in keinem andern Verſtande als in dem gedachten richterlichen. 7. Es darf uns aber im geringſten nicht ir- ren, daß Paulus ſaget, GOtt verſtocke, wel- che er wolle, und erbarme ſich, welcher er wolle. Denn bey dieſen Worten iſt zweyer- ley wohl zu mercken: erſtlich, daß dieſe Worte im Gegenſatze ſtehen: und denn, daß man es theils aus dem Contexte, theils aus andern Schrift-Stellen zu erklaͤren habe, welcher ſich GOtt wolle erbarmen, und welche er wolle verſtocken. 8. Der Gegenſatz war der widerſpenſti- gen Juͤden. Denn dieſe wolten GOtt vor- ſchreiben, gegen welche er die Erbarmung und Verſtockung ergehen laſſen ſolte: nemlich die Erbarmung und Seligmachung gegen ſie, die Juͤden, welche ſich auf ihre Abkunft von Abraham und andere Vorrechte, auch eigne Verdienſte, beriefen, und damit vor GOTT beſtehen wolten, und daher Got- tes Erbarmung zu einer ſchuldigen Wiederver- geltung machten, und dabey die im Meßia an- gebotene Gnade verachteten und Chriſtum ſelbſt verlaͤſterten und in ſeinen Gliedern verfolgeten. Hingegen ſolte GOtt die Heiden, als der Selig- keit
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0150" n="122"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erklaͤrung des Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap. 9, v. 18.</hi></hi></fw><lb/><cb/> da du in deinem Leben ſo und ſo hausgehalten,<lb/> und mit meinem Volcke, welchem deine Vor-<lb/> fahren zur Erhaltung ihres Reichs von meinet-<lb/> wegen ſo viel zu dancken haben, ſo und ſo un-<lb/> barmhertzig umgegangen, ſchon vorlaͤngſt in dei-<lb/> nen Suͤnden koͤnnen ſterben laſſen: allein, ich<lb/> habe es nicht gethan, um zuvorderſt an dir ein<lb/> Exempel meiner groſſen Gedult und Langmuth,<lb/> und denn auch, da ſolche auf Muthwillen ge-<lb/> zogen, die Macht meiner Straf-Gerechtigkeit<lb/> in ſo vielen Gerichten, als bisher geſchehen ſind,<lb/> zu erweiſen, damit mein Name durch dieſelben<lb/> bey allen auswaͤrtigen Voͤlckern geprieſen wer-<lb/> de; da du ihn durch den Weg der Gnade und<lb/> Barmhertzigkeit nicht an dir haſt, preiſen laſſen<lb/> wollen.</item><lb/> <item>5. Jm uͤbrigen iſt hiebey noch wohl zu mer-<lb/> cken, daß, da der Apoſtel aus der Geſchichte von<lb/> der Verſtockung Pharaonis eine Stelle anfuͤh-<lb/> ren wolte, er eben diejenige anfuͤhret, welche un-<lb/> ter noch mehren andern GOtt von der gar ſuͤnd-<lb/> lichen Beſchuldigung, als ruͤhrete die Verhaͤr-<lb/> tung Pharaonis von ihm her, erwieſener maſſen<lb/> frey ſpricht.</item><lb/> <item>6. So ſchwer auch nun gleich der bisherige<lb/> Text Pauli zu ſeyn, und ſo ſehr er dem <hi rendition="#aq">abſolu-</hi><lb/> ten <hi rendition="#aq">Decreto</hi> GOttes zur Seligmachung und<lb/> zur ewigen Verwerfung der Menſchen das Wort<lb/> zu reden ſcheinet, ſo wenig findet ſich davon in<lb/> demſelben, und ſo leichte iſt er doch, wenn er nur<lb/> nach dem Apoſtoliſchen Zwecke und in dem gan-<lb/> tzen Zuſammenhange der <hi rendition="#aq">Deduction</hi> recht einge-<lb/> ſehen wird. Und will ich hoffen, daß ein iegli-<lb/> cher Leſer davon uͤberzeuget ſey, daß bishero<lb/> nichts gezwungnes zur Erklaͤrung angebracht iſt.<lb/> Und eben ſo wenig ſoll ſich, wie ich zu GOtt<lb/> und dem gantzen apoſtoliſchen Texte hoffe, ja es<lb/> gewiß bin, davon im nachfolgenden finden.</item> </list> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head>V. 18.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">So erbarmet er ſich nun, welches er<lb/> will, und verſtocket, welchen er will.</hi> </p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Diß iſt der Schluß aus der bisherigen<lb/> Rede in der <hi rendition="#aq">Application</hi> beyder Schrift-Stel-<lb/> len, der erſten von der <hi rendition="#fr">Erbarmung,</hi> der an-<lb/> dern von der <hi rendition="#fr">Verſtockung.</hi></item><lb/> <item>2. Was die Erbarmung ſey, und wie ſie<lb/> in Chriſto geſchehe, auch uͤber alle gehe, das ha-<lb/> ben wir gehoͤret, und iſt dieſelbe zuvor in dem<lb/> groͤſſeſten Theile der erſten acht Capitel beſchrie-<lb/> ben worden; da wir geſehen, daß ſie nicht <hi rendition="#aq">abſo-<lb/> lut</hi> verfaͤhret, ſondern ſich in einer gemachten<lb/> gewiſſen <hi rendition="#fr">Heils-Ordnung</hi> hervor thut.</item><lb/> <item>3. Die <hi rendition="#fr">Verſtockung,</hi> oder <hi rendition="#fr">Verhaͤrtung,</hi><lb/> des Menſchen iſt ein ſolcher Zuſtand der herr-<lb/> ſchenden Suͤnde, da ein Menſch, mit Verach-<lb/> tung der berufenden und zuͤchtigenden Gnade,<lb/> wider ſein Gewiſſen, mit vorſetzlicher Bosheit<lb/> aus einer Suͤnde in die andere faͤllt, und das<lb/> Maaß derſelben dergeſtalt haͤufet, daß GOtt<lb/> ſeine zuͤchtigende Gnade, durch welche vorhin<lb/> noch dieſer und jener Ausbruch war zuruͤck gehal-<lb/> ten, oder doch mehr eingeſchrencket worden, gar<lb/> zuruͤck nimmt, und ſo denn einen ſolchen Men-<lb/><cb/> ſchen aus gerechtem Gerichte zur ewigen Ver-<lb/> dammniß noch immer weiter verfallen laͤßt.</item><lb/> <item>4. Da nun die Verſtockung etwas boͤſes,<lb/> ja der aͤuſſerſte Grad der Bosheit iſt; ſo kan ſie<lb/> unmoͤglich GOTT in ſolchem Verſtande zuge-<lb/> ſchrieben werden, als wenn ſie von ihm gewir-<lb/> cket werde. Denn dieſes lauft wider die <hi rendition="#aq">Idee,</hi><lb/> die wir uns nicht allein aus der heiligen Schrift,<lb/> ſondern auch aus dem Lichte der Natur von<lb/> GOtt zu machen haben.</item><lb/> <item>5. Gleichwie nun GOtt eines Theils die<lb/> Verſtockung nicht ſelbſt wircket und billiget: ſo<lb/> verhaͤlt er ſich doch andern Theils mit ſeiner <hi rendition="#fr">Zu-<lb/> laſſung</hi> nicht dabey, als ein bloſſer <hi rendition="#fr">Zuſchauer,</hi><lb/> ſondern als ein <hi rendition="#fr">gerechter Richter,</hi> der ſeine<lb/> gemißbrauchete und verachtete Gnade der Be-<lb/> rufung zur Buſſe, da er gar keine Frucht davon<lb/> vorher ſiehet, von einem durch Ruchloſigkeit ſich<lb/> ſelbſt immer mehr verhaͤrtenden Menſchen zu-<lb/> ruͤck nimmt, und ihn folglich ihme ſelbſt und dem<lb/> Satan uͤberlaͤßt, und verhaͤnget, daß auch wol<lb/> bereits in dieſer Welt Suͤnde mit Suͤnden ge-<lb/> ſtrafet, und ſolche Suͤnden begangen werden,<lb/> die ſchon einige Strafe uͤber die vorigen mit ſich<lb/> fuͤhren. Denn wenn es GOTT verhindern<lb/> wolte, ſo muͤſte er ſeine <hi rendition="#aq">abſolute</hi> Gewalt dazu ge-<lb/> brauchen, und den Menſchen aus einem mit ei-<lb/> nem freyen Willen begabten Geſchoͤpfe eine <hi rendition="#aq">ma-<lb/> chine,</hi> oder ein Uhr-Werck, und alſo aus Men-<lb/> ſchen Unmenſchen machen. Welches alſo nicht<lb/> ſeyn kan; und dannenhero eine ſolche Zulaſ-<lb/> ſung, ohne Verletzung goͤttlicher Liebe und Hei-<lb/> ligkeit, gar wohl ſtatt findet.</item><lb/> <item>6. Da nun dieſe Zulaſſung GOttes bey<lb/> der Verſtockung nicht ohne eine gerechte <hi rendition="#fr">rich-<lb/> terliche Handlung</hi> iſt, und alſo nicht in einer<lb/> bloſſen Zuſchauung beſtehet; ſo werden von der<lb/> Verſtockung auf Seiten GOttes auch <hi rendition="#aq">verba<lb/> activa,</hi> oder ſolche Worte gebrauchet, darinnen<lb/> GOtt ſelbſt auch etwas thaͤtiges zugeſchrieben<lb/> wird: allein in keinem andern Verſtande als in<lb/> dem gedachten <hi rendition="#fr">richterlichen.</hi></item><lb/> <item>7. Es darf uns aber im geringſten nicht ir-<lb/> ren, daß Paulus ſaget, GOtt verſtocke, <hi rendition="#fr">wel-<lb/> che er wolle,</hi> und erbarme ſich, <hi rendition="#fr">welcher er<lb/> wolle.</hi> Denn bey dieſen Worten iſt zweyer-<lb/> ley wohl zu mercken: erſtlich, daß dieſe Worte<lb/> im <hi rendition="#fr">Gegenſatze</hi> ſtehen: und denn, daß man es<lb/> theils aus dem <hi rendition="#aq">Contexte,</hi> theils aus andern<lb/> Schrift-Stellen zu erklaͤren habe, welcher ſich<lb/> GOtt <hi rendition="#fr">wolle erbarmen,</hi> und welche er <hi rendition="#fr">wolle<lb/> verſtocken.</hi></item><lb/> <item>8. Der <hi rendition="#fr">Gegenſatz</hi> war der widerſpenſti-<lb/> gen Juͤden. Denn dieſe wolten GOtt vor-<lb/> ſchreiben, gegen welche er die Erbarmung und<lb/> Verſtockung ergehen laſſen ſolte: nemlich die<lb/> Erbarmung und Seligmachung gegen ſie,<lb/> die Juͤden, welche ſich auf ihre Abkunft<lb/> von Abraham und andere Vorrechte, auch<lb/> eigne Verdienſte, beriefen, und damit vor<lb/> GOTT beſtehen wolten, und daher Got-<lb/> tes Erbarmung zu einer ſchuldigen Wiederver-<lb/> geltung machten, und dabey die im Meßia an-<lb/> gebotene Gnade verachteten und Chriſtum ſelbſt<lb/> verlaͤſterten und in ſeinen Gliedern verfolgeten.<lb/> Hingegen ſolte GOtt die Heiden, als der Selig-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">keit</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0150]
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 9, v. 18.
da du in deinem Leben ſo und ſo hausgehalten,
und mit meinem Volcke, welchem deine Vor-
fahren zur Erhaltung ihres Reichs von meinet-
wegen ſo viel zu dancken haben, ſo und ſo un-
barmhertzig umgegangen, ſchon vorlaͤngſt in dei-
nen Suͤnden koͤnnen ſterben laſſen: allein, ich
habe es nicht gethan, um zuvorderſt an dir ein
Exempel meiner groſſen Gedult und Langmuth,
und denn auch, da ſolche auf Muthwillen ge-
zogen, die Macht meiner Straf-Gerechtigkeit
in ſo vielen Gerichten, als bisher geſchehen ſind,
zu erweiſen, damit mein Name durch dieſelben
bey allen auswaͤrtigen Voͤlckern geprieſen wer-
de; da du ihn durch den Weg der Gnade und
Barmhertzigkeit nicht an dir haſt, preiſen laſſen
wollen.
5. Jm uͤbrigen iſt hiebey noch wohl zu mer-
cken, daß, da der Apoſtel aus der Geſchichte von
der Verſtockung Pharaonis eine Stelle anfuͤh-
ren wolte, er eben diejenige anfuͤhret, welche un-
ter noch mehren andern GOtt von der gar ſuͤnd-
lichen Beſchuldigung, als ruͤhrete die Verhaͤr-
tung Pharaonis von ihm her, erwieſener maſſen
frey ſpricht.
6. So ſchwer auch nun gleich der bisherige
Text Pauli zu ſeyn, und ſo ſehr er dem abſolu-
ten Decreto GOttes zur Seligmachung und
zur ewigen Verwerfung der Menſchen das Wort
zu reden ſcheinet, ſo wenig findet ſich davon in
demſelben, und ſo leichte iſt er doch, wenn er nur
nach dem Apoſtoliſchen Zwecke und in dem gan-
tzen Zuſammenhange der Deduction recht einge-
ſehen wird. Und will ich hoffen, daß ein iegli-
cher Leſer davon uͤberzeuget ſey, daß bishero
nichts gezwungnes zur Erklaͤrung angebracht iſt.
Und eben ſo wenig ſoll ſich, wie ich zu GOtt
und dem gantzen apoſtoliſchen Texte hoffe, ja es
gewiß bin, davon im nachfolgenden finden.
V. 18.
So erbarmet er ſich nun, welches er
will, und verſtocket, welchen er will.
Anmerckungen.
1. Diß iſt der Schluß aus der bisherigen
Rede in der Application beyder Schrift-Stel-
len, der erſten von der Erbarmung, der an-
dern von der Verſtockung.
2. Was die Erbarmung ſey, und wie ſie
in Chriſto geſchehe, auch uͤber alle gehe, das ha-
ben wir gehoͤret, und iſt dieſelbe zuvor in dem
groͤſſeſten Theile der erſten acht Capitel beſchrie-
ben worden; da wir geſehen, daß ſie nicht abſo-
lut verfaͤhret, ſondern ſich in einer gemachten
gewiſſen Heils-Ordnung hervor thut.
3. Die Verſtockung, oder Verhaͤrtung,
des Menſchen iſt ein ſolcher Zuſtand der herr-
ſchenden Suͤnde, da ein Menſch, mit Verach-
tung der berufenden und zuͤchtigenden Gnade,
wider ſein Gewiſſen, mit vorſetzlicher Bosheit
aus einer Suͤnde in die andere faͤllt, und das
Maaß derſelben dergeſtalt haͤufet, daß GOtt
ſeine zuͤchtigende Gnade, durch welche vorhin
noch dieſer und jener Ausbruch war zuruͤck gehal-
ten, oder doch mehr eingeſchrencket worden, gar
zuruͤck nimmt, und ſo denn einen ſolchen Men-
ſchen aus gerechtem Gerichte zur ewigen Ver-
dammniß noch immer weiter verfallen laͤßt.
4. Da nun die Verſtockung etwas boͤſes,
ja der aͤuſſerſte Grad der Bosheit iſt; ſo kan ſie
unmoͤglich GOTT in ſolchem Verſtande zuge-
ſchrieben werden, als wenn ſie von ihm gewir-
cket werde. Denn dieſes lauft wider die Idee,
die wir uns nicht allein aus der heiligen Schrift,
ſondern auch aus dem Lichte der Natur von
GOtt zu machen haben.
5. Gleichwie nun GOtt eines Theils die
Verſtockung nicht ſelbſt wircket und billiget: ſo
verhaͤlt er ſich doch andern Theils mit ſeiner Zu-
laſſung nicht dabey, als ein bloſſer Zuſchauer,
ſondern als ein gerechter Richter, der ſeine
gemißbrauchete und verachtete Gnade der Be-
rufung zur Buſſe, da er gar keine Frucht davon
vorher ſiehet, von einem durch Ruchloſigkeit ſich
ſelbſt immer mehr verhaͤrtenden Menſchen zu-
ruͤck nimmt, und ihn folglich ihme ſelbſt und dem
Satan uͤberlaͤßt, und verhaͤnget, daß auch wol
bereits in dieſer Welt Suͤnde mit Suͤnden ge-
ſtrafet, und ſolche Suͤnden begangen werden,
die ſchon einige Strafe uͤber die vorigen mit ſich
fuͤhren. Denn wenn es GOTT verhindern
wolte, ſo muͤſte er ſeine abſolute Gewalt dazu ge-
brauchen, und den Menſchen aus einem mit ei-
nem freyen Willen begabten Geſchoͤpfe eine ma-
chine, oder ein Uhr-Werck, und alſo aus Men-
ſchen Unmenſchen machen. Welches alſo nicht
ſeyn kan; und dannenhero eine ſolche Zulaſ-
ſung, ohne Verletzung goͤttlicher Liebe und Hei-
ligkeit, gar wohl ſtatt findet.
6. Da nun dieſe Zulaſſung GOttes bey
der Verſtockung nicht ohne eine gerechte rich-
terliche Handlung iſt, und alſo nicht in einer
bloſſen Zuſchauung beſtehet; ſo werden von der
Verſtockung auf Seiten GOttes auch verba
activa, oder ſolche Worte gebrauchet, darinnen
GOtt ſelbſt auch etwas thaͤtiges zugeſchrieben
wird: allein in keinem andern Verſtande als in
dem gedachten richterlichen.
7. Es darf uns aber im geringſten nicht ir-
ren, daß Paulus ſaget, GOtt verſtocke, wel-
che er wolle, und erbarme ſich, welcher er
wolle. Denn bey dieſen Worten iſt zweyer-
ley wohl zu mercken: erſtlich, daß dieſe Worte
im Gegenſatze ſtehen: und denn, daß man es
theils aus dem Contexte, theils aus andern
Schrift-Stellen zu erklaͤren habe, welcher ſich
GOtt wolle erbarmen, und welche er wolle
verſtocken.
8. Der Gegenſatz war der widerſpenſti-
gen Juͤden. Denn dieſe wolten GOtt vor-
ſchreiben, gegen welche er die Erbarmung und
Verſtockung ergehen laſſen ſolte: nemlich die
Erbarmung und Seligmachung gegen ſie,
die Juͤden, welche ſich auf ihre Abkunft
von Abraham und andere Vorrechte, auch
eigne Verdienſte, beriefen, und damit vor
GOTT beſtehen wolten, und daher Got-
tes Erbarmung zu einer ſchuldigen Wiederver-
geltung machten, und dabey die im Meßia an-
gebotene Gnade verachteten und Chriſtum ſelbſt
verlaͤſterten und in ſeinen Gliedern verfolgeten.
Hingegen ſolte GOtt die Heiden, als der Selig-
keit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |