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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des Briefs Pauli Cap. 13, v. 8-10.
[Spaltenumbruch] hier in der Unvollkommenheit statt hat, nicht alle
Stufen erreichet: so muß sie doch alle Theile der
Liebes-Pflichten in sich halten.
4. Das Wort halten wird wol deßwegen
öfter in der Heil. Schrift gebrauchet, weil es von
unserer Unvollkommenheit etwas füglicher kan
gesaget werden, als das erfüllen. Siehe auch
3 B. Mos. 19, 18. Matth. 22, 37. seqq. 1 Cor.
13. Gal. 5, 14. 1 Tim. 1, 5. Jac. 2, 8.
V. 9.

Denn das da gesagt ist: Du solt nicht
ehebrechen, du solt nicht tödten,
(in welcher
Ordnung der Gebote Paulus mehr den Griechisch.
Interpretibus gefolget ist, als dem Hebräischen
Texte, da es ohne das auf die Ordnung so genau
nicht ankam,) du solt nicht stehlen, du solt
nicht falsch Zeugniß geben, dich soll nicht
gelüsten, und so ein ander Gebot mehr ist,
das wird in diesem Wort
(en to, darin)
verfasset: Du solt deinen Nächsten lieben,
als dich selbst.

Anmerckungen.
1. Da uns die Liebe gegen uns selbst befoh-
len ist, so ist wohl zu mercken, daß die Liebe gegen
uns selbsten unterschieden ist in die ordentliche
und unordentliche. Die unordentliche ist
durch den Sünden-Fall eingetreten, und ist nach
demselben vor dem Stande der Gnaden alle
Selbst-Liebe unordentlich: sintemal der
Mensch sich selbst liebet ohne GOtt, ausser
GOtt, ja wider und über GOtt, also, daß er
in solcher Selbst-Liebe seinen eigenen Willen
dem Willen GOttes vorziehet. Und diese un-
ordentliche
Liebe ist entweder gemäßiget, oder
unmäßig. Gemäßiget ist sie, so lange der
Mensch dabey der Vorschrift der in gewissem
Verstande noch gesunden Vernunft folget, und
sich vor solchen groben Uberfahrungen in der Ei-
gen-Liebe hütet, dadurch er sich auch bey bloß
natürlichen, aber vernünftig und äusserlich tu-
gendhaften Menschen, bloß giebet, und zum Ge-
spötte machet: wie man zum Exempel an den
tollen Prahlern, unmenschlichen Fressern und
Säufern und dergleichen Leuten mehr siehet;
welche durch die Unmäßigkeit ihrer unordentli-
chen Selbst-Liebe zu solchen Unmenschen werden,
die noch ärger sind, als die Bestien. Und also se-
hen wir zugleich, was die unmäßige Eigen-Lie-
be ist.
2. Nun muß man aber ja nicht gedencken,
als wenn die mäßige Eigen-Liebe zuläßig sey.
Denn so lange sie unordentlich ist, so lange ist
und bleibet sie sündlich, sie mag unmäßig, oder
gemäßiget seyn, und ist die gemäßigte Selbst-
Liebe
nichts anders, als eine von gröbern Aus-
brüchen gemäßigte Sünde. Wie man zum
Exempel an einem solchen Ehrgeitzigen siehet, der
sich zwar vor einer recht lächerlichen Pralerey,
damit er sich dadurch nicht prostituiren möge, hü-
tet, weil er wohl weiß, daß Eigen-Lob stincket:
aber unterdessen doch den eitlen Ehrgeitz derge-
stalt innerlich bey sich herrschen läßt, daß er das
principium und die Richtschnur ist aller seiner
Handlungen, und also alle Dinge so einzurichten
[Spaltenumbruch] suchet, daß er dadurch nur Ehre vor Menschen er-
jagen möge; sich auch, wenn er solche erhält, dar-
über, als über sein höchstes Gut, erfreuet; hin-
gegen aber sich heftig datüber betrübet und ver-
unruhiget, wenn er seines Zwecks verfehlet, und
wol gar das Gegentheil erfähret.
3. Eben also stehet es um die gemäßigte
Liebe des Nächsten und der Welt. Denn so
lange die Liebe gegen den Nächsten und gegen
andere Dinge dieser Welt noch unordentlich ist,
so wird durch die Mäßigung der Unordnung nicht
abgeholfen, sondern sie wird nur einiger massen
eingeschrencket. Denn zum Exempel, unmäßig
liebet der im Geitze des andern Gut, der es durch
allerhand Betrug und Ungerechtigkeit suchet an
sich zu bringen: mäßig, aber doch in der Unord-
nung, liebet er es, wenn er ihn darum beneidet,
es ihme nicht gönnet, auch auf verborgene Art,
und unter dem Schein des Rechten, suchet nach
und nach etwas davon an sich zu ziehen.
4. Von dieser in der Unordnung mäßigen
oder unmäßigen Liebe gegen uns selbst, ist die
ordentliche Liebe so weit unterschieden, als das
Gute von dem Bösen. Sie heißt aber und wird
ordentlich von der Heils-Ordnung, darinnen
sie sich anhebet und statt findet: das ist, sie enste-
het in der wahren Busse, und hebet sich in der
Erkäntniß unsers sündlichen Elendes vom ernst-
lichen Haß und Mißfallen gegen uns selbst an,
wird auch unter beständiger Verleugnung unser
selbst ausgeübet, und bestehet in der Sorgfalt,
daß wir, in der Ordnung der wahren Liebe GOt-
tes und unsers Heils, nach dem Willen GOttes
unser wahres Beste nach Seel und Leib schon
auf dieses, sonderlich aber auf das ewige Leben,
suchen. So stehet die Liebe gegen uns selbst in
ihrer rechten subordination: so ist und wird sie
immer mehr rectificiret. Und in dieser subordi-
nation
unter der Liebe GOttes, (welcher die un-
ordentliche Selbst-Liebe, sie mag unmäßig oder
gemäßiget seyn, entgegen stehet) wird die Liebe
gegen uns selbst erst die Vorschrift, oder die Re-
gel, von der rechten, oder ordentlichen Liebe
gegen den Nächsten
und alle andere Dinge
in der Welt.
5. Es sind diese Erinnerungen deßwegen
wohl zu mercken, weil der so gar grosse Unterscheid
der ordentlichen u. unordentlichen Selbst-
Liebe
von wenigen recht erkannt wird, und ohne
diese Erkäntniß doch dieser apostolische Text von
der Liebe weder recht verstanden, noch recht ap-
plicir
et werden kan.
V. 10.

Die Liebe thut dem Nächsten (so gar)
nichts Böses, (daß sie ihm vielmehr alles Gu-
tes nach Leib und Seele gönnet, es auch aus al-
len Kräften zu befördern bemühet ist.) So ist
denn nun die
(wohlgeordnete) Liebe (gegen
uns selbst und gegen andere Menschen, dazu
auch die Liebe gegen die Feinde gehöret) des Ge-
setzes Erfüllung
(nach der andern Tafel;
gleichwie die wahre Liebe gegen GOtt, so sich auf
den Glauben gründet, des Gesetzes Erfüllung
ist nach der ersten Tafel.

An-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 13, v. 8-10.
[Spaltenumbruch] hier in der Unvollkommenheit ſtatt hat, nicht alle
Stufen erreichet: ſo muß ſie doch alle Theile der
Liebes-Pflichten in ſich halten.
4. Das Wort halten wird wol deßwegen
oͤfter in der Heil. Schrift gebrauchet, weil es von
unſerer Unvollkommenheit etwas fuͤglicher kan
geſaget werden, als das erfuͤllen. Siehe auch
3 B. Moſ. 19, 18. Matth. 22, 37. ſeqq. 1 Cor.
13. Gal. 5, 14. 1 Tim. 1, 5. Jac. 2, 8.
V. 9.

Denn das da geſagt iſt: Du ſolt nicht
ehebrechen, du ſolt nicht toͤdten,
(in welcher
Oꝛdnung der Gebote Paulus mehr den Griechiſch.
Interpretibus gefolget iſt, als dem Hebraͤiſchen
Texte, da es ohne das auf die Ordnung ſo genau
nicht ankam,) du ſolt nicht ſtehlen, du ſolt
nicht falſch Zeugniß geben, dich ſoll nicht
geluͤſten, und ſo ein ander Gebot mehr iſt,
das wird in dieſem Wort
(ἐν τῷ, darin)
verfaſſet: Du ſolt deinen Naͤchſten lieben,
als dich ſelbſt.

Anmerckungen.
1. Da uns die Liebe gegen uns ſelbſt befoh-
len iſt, ſo iſt wohl zu mercken, daß die Liebe gegen
uns ſelbſten unterſchieden iſt in die ordentliche
und unordentliche. Die unordentliche iſt
durch den Suͤnden-Fall eingetreten, und iſt nach
demſelben vor dem Stande der Gnaden alle
Selbſt-Liebe unordentlich: ſintemal der
Menſch ſich ſelbſt liebet ohne GOtt, auſſer
GOtt, ja wider und uͤber GOtt, alſo, daß er
in ſolcher Selbſt-Liebe ſeinen eigenen Willen
dem Willen GOttes vorziehet. Und dieſe un-
ordentliche
Liebe iſt entweder gemaͤßiget, oder
unmaͤßig. Gemaͤßiget iſt ſie, ſo lange der
Menſch dabey der Vorſchrift der in gewiſſem
Verſtande noch geſunden Vernunft folget, und
ſich vor ſolchen groben Uberfahrungen in der Ei-
gen-Liebe huͤtet, dadurch er ſich auch bey bloß
natuͤrlichen, aber vernuͤnftig und aͤuſſerlich tu-
gendhaften Menſchen, bloß giebet, und zum Ge-
ſpoͤtte machet: wie man zum Exempel an den
tollen Prahlern, unmenſchlichen Freſſern und
Saͤufern und dergleichen Leuten mehr ſiehet;
welche durch die Unmaͤßigkeit ihrer unordentli-
chen Selbſt-Liebe zu ſolchen Unmenſchen werden,
die noch aͤrger ſind, als die Beſtien. Und alſo ſe-
hen wir zugleich, was die unmaͤßige Eigen-Lie-
be iſt.
2. Nun muß man aber ja nicht gedencken,
als wenn die maͤßige Eigen-Liebe zulaͤßig ſey.
Denn ſo lange ſie unordentlich iſt, ſo lange iſt
und bleibet ſie ſuͤndlich, ſie mag unmaͤßig, oder
gemaͤßiget ſeyn, und iſt die gemaͤßigte Selbſt-
Liebe
nichts anders, als eine von groͤbern Aus-
bruͤchen gemaͤßigte Suͤnde. Wie man zum
Exempel an einem ſolchen Ehrgeitzigen ſiehet, der
ſich zwar vor einer recht laͤcherlichen Pralerey,
damit er ſich dadurch nicht proſtituiren moͤge, huͤ-
tet, weil er wohl weiß, daß Eigen-Lob ſtincket:
aber unterdeſſen doch den eitlen Ehrgeitz derge-
ſtalt innerlich bey ſich herrſchen laͤßt, daß er das
principium und die Richtſchnur iſt aller ſeiner
Handlungen, und alſo alle Dinge ſo einzurichten
[Spaltenumbruch] ſuchet, daß er dadurch nur Ehre vor Menſchen er-
jagen moͤge; ſich auch, wenn er ſolche erhaͤlt, dar-
uͤber, als uͤber ſein hoͤchſtes Gut, erfreuet; hin-
gegen aber ſich heftig datuͤber betruͤbet und ver-
unruhiget, wenn er ſeines Zwecks verfehlet, und
wol gar das Gegentheil erfaͤhret.
3. Eben alſo ſtehet es um die gemaͤßigte
Liebe des Naͤchſten und der Welt. Denn ſo
lange die Liebe gegen den Naͤchſten und gegen
andere Dinge dieſer Welt noch unordentlich iſt,
ſo wird durch die Maͤßigung der Unordnung nicht
abgeholfen, ſondern ſie wird nur einiger maſſen
eingeſchrencket. Denn zum Exempel, unmaͤßig
liebet der im Geitze des andern Gut, der es durch
allerhand Betrug und Ungerechtigkeit ſuchet an
ſich zu bringen: maͤßig, aber doch in der Unord-
nung, liebet er es, wenn er ihn darum beneidet,
es ihme nicht goͤnnet, auch auf verborgene Art,
und unter dem Schein des Rechten, ſuchet nach
und nach etwas davon an ſich zu ziehen.
4. Von dieſer in der Unordnung maͤßigen
oder unmaͤßigen Liebe gegen uns ſelbſt, iſt die
ordentliche Liebe ſo weit unterſchieden, als das
Gute von dem Boͤſen. Sie heißt aber und wird
ordentlich von der Heils-Ordnung, darinnen
ſie ſich anhebet und ſtatt findet: das iſt, ſie enſte-
het in der wahren Buſſe, und hebet ſich in der
Erkaͤntniß unſers ſuͤndlichen Elendes vom ernſt-
lichen Haß und Mißfallen gegen uns ſelbſt an,
wird auch unter beſtaͤndiger Verleugnung unſer
ſelbſt ausgeuͤbet, und beſtehet in der Sorgfalt,
daß wir, in der Ordnung der wahren Liebe GOt-
tes und unſers Heils, nach dem Willen GOttes
unſer wahres Beſte nach Seel und Leib ſchon
auf dieſes, ſonderlich aber auf das ewige Leben,
ſuchen. So ſtehet die Liebe gegen uns ſelbſt in
ihrer rechten ſubordination: ſo iſt und wird ſie
immer mehr rectificiret. Und in dieſer ſubordi-
nation
unter der Liebe GOttes, (welcher die un-
ordentliche Selbſt-Liebe, ſie mag unmaͤßig oder
gemaͤßiget ſeyn, entgegen ſtehet) wird die Liebe
gegen uns ſelbſt erſt die Vorſchrift, oder die Re-
gel, von der rechten, oder ordentlichen Liebe
gegen den Naͤchſten
und alle andere Dinge
in der Welt.
5. Es ſind dieſe Erinnerungen deßwegen
wohl zu mercken, weil der ſo gar groſſe Unterſcheid
der ordentlichen u. unordentlichen Selbſt-
Liebe
von wenigen recht erkannt wird, und ohne
dieſe Erkaͤntniß doch dieſer apoſtoliſche Text von
der Liebe weder recht verſtanden, noch recht ap-
plicir
et werden kan.
V. 10.

Die Liebe thut dem Naͤchſten (ſo gar)
nichts Boͤſes, (daß ſie ihm vielmehr alles Gu-
tes nach Leib und Seele goͤnnet, es auch aus al-
len Kraͤften zu befoͤrdern bemuͤhet iſt.) So iſt
denn nun die
(wohlgeordnete) Liebe (gegen
uns ſelbſt und gegen andere Menſchen, dazu
auch die Liebe gegen die Feinde gehoͤret) des Ge-
ſetzes Erfuͤllung
(nach der andern Tafel;
gleichwie die wahre Liebe gegen GOtt, ſo ſich auf
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iſt nach der erſten Tafel.

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[156/0184] Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 13, v. 8-10. hier in der Unvollkommenheit ſtatt hat, nicht alle Stufen erreichet: ſo muß ſie doch alle Theile der Liebes-Pflichten in ſich halten. 4. Das Wort halten wird wol deßwegen oͤfter in der Heil. Schrift gebrauchet, weil es von unſerer Unvollkommenheit etwas fuͤglicher kan geſaget werden, als das erfuͤllen. Siehe auch 3 B. Moſ. 19, 18. Matth. 22, 37. ſeqq. 1 Cor. 13. Gal. 5, 14. 1 Tim. 1, 5. Jac. 2, 8. V. 9. Denn das da geſagt iſt: Du ſolt nicht ehebrechen, du ſolt nicht toͤdten, (in welcher Oꝛdnung der Gebote Paulus mehr den Griechiſch. Interpretibus gefolget iſt, als dem Hebraͤiſchen Texte, da es ohne das auf die Ordnung ſo genau nicht ankam,) du ſolt nicht ſtehlen, du ſolt nicht falſch Zeugniß geben, dich ſoll nicht geluͤſten, und ſo ein ander Gebot mehr iſt, das wird in dieſem Wort (ἐν τῷ, darin) verfaſſet: Du ſolt deinen Naͤchſten lieben, als dich ſelbſt. Anmerckungen. 1. Da uns die Liebe gegen uns ſelbſt befoh- len iſt, ſo iſt wohl zu mercken, daß die Liebe gegen uns ſelbſten unterſchieden iſt in die ordentliche und unordentliche. Die unordentliche iſt durch den Suͤnden-Fall eingetreten, und iſt nach demſelben vor dem Stande der Gnaden alle Selbſt-Liebe unordentlich: ſintemal der Menſch ſich ſelbſt liebet ohne GOtt, auſſer GOtt, ja wider und uͤber GOtt, alſo, daß er in ſolcher Selbſt-Liebe ſeinen eigenen Willen dem Willen GOttes vorziehet. Und dieſe un- ordentliche Liebe iſt entweder gemaͤßiget, oder unmaͤßig. Gemaͤßiget iſt ſie, ſo lange der Menſch dabey der Vorſchrift der in gewiſſem Verſtande noch geſunden Vernunft folget, und ſich vor ſolchen groben Uberfahrungen in der Ei- gen-Liebe huͤtet, dadurch er ſich auch bey bloß natuͤrlichen, aber vernuͤnftig und aͤuſſerlich tu- gendhaften Menſchen, bloß giebet, und zum Ge- ſpoͤtte machet: wie man zum Exempel an den tollen Prahlern, unmenſchlichen Freſſern und Saͤufern und dergleichen Leuten mehr ſiehet; welche durch die Unmaͤßigkeit ihrer unordentli- chen Selbſt-Liebe zu ſolchen Unmenſchen werden, die noch aͤrger ſind, als die Beſtien. Und alſo ſe- hen wir zugleich, was die unmaͤßige Eigen-Lie- be iſt. 2. Nun muß man aber ja nicht gedencken, als wenn die maͤßige Eigen-Liebe zulaͤßig ſey. Denn ſo lange ſie unordentlich iſt, ſo lange iſt und bleibet ſie ſuͤndlich, ſie mag unmaͤßig, oder gemaͤßiget ſeyn, und iſt die gemaͤßigte Selbſt- Liebe nichts anders, als eine von groͤbern Aus- bruͤchen gemaͤßigte Suͤnde. Wie man zum Exempel an einem ſolchen Ehrgeitzigen ſiehet, der ſich zwar vor einer recht laͤcherlichen Pralerey, damit er ſich dadurch nicht proſtituiren moͤge, huͤ- tet, weil er wohl weiß, daß Eigen-Lob ſtincket: aber unterdeſſen doch den eitlen Ehrgeitz derge- ſtalt innerlich bey ſich herrſchen laͤßt, daß er das principium und die Richtſchnur iſt aller ſeiner Handlungen, und alſo alle Dinge ſo einzurichten ſuchet, daß er dadurch nur Ehre vor Menſchen er- jagen moͤge; ſich auch, wenn er ſolche erhaͤlt, dar- uͤber, als uͤber ſein hoͤchſtes Gut, erfreuet; hin- gegen aber ſich heftig datuͤber betruͤbet und ver- unruhiget, wenn er ſeines Zwecks verfehlet, und wol gar das Gegentheil erfaͤhret. 3. Eben alſo ſtehet es um die gemaͤßigte Liebe des Naͤchſten und der Welt. Denn ſo lange die Liebe gegen den Naͤchſten und gegen andere Dinge dieſer Welt noch unordentlich iſt, ſo wird durch die Maͤßigung der Unordnung nicht abgeholfen, ſondern ſie wird nur einiger maſſen eingeſchrencket. Denn zum Exempel, unmaͤßig liebet der im Geitze des andern Gut, der es durch allerhand Betrug und Ungerechtigkeit ſuchet an ſich zu bringen: maͤßig, aber doch in der Unord- nung, liebet er es, wenn er ihn darum beneidet, es ihme nicht goͤnnet, auch auf verborgene Art, und unter dem Schein des Rechten, ſuchet nach und nach etwas davon an ſich zu ziehen. 4. Von dieſer in der Unordnung maͤßigen oder unmaͤßigen Liebe gegen uns ſelbſt, iſt die ordentliche Liebe ſo weit unterſchieden, als das Gute von dem Boͤſen. Sie heißt aber und wird ordentlich von der Heils-Ordnung, darinnen ſie ſich anhebet und ſtatt findet: das iſt, ſie enſte- het in der wahren Buſſe, und hebet ſich in der Erkaͤntniß unſers ſuͤndlichen Elendes vom ernſt- lichen Haß und Mißfallen gegen uns ſelbſt an, wird auch unter beſtaͤndiger Verleugnung unſer ſelbſt ausgeuͤbet, und beſtehet in der Sorgfalt, daß wir, in der Ordnung der wahren Liebe GOt- tes und unſers Heils, nach dem Willen GOttes unſer wahres Beſte nach Seel und Leib ſchon auf dieſes, ſonderlich aber auf das ewige Leben, ſuchen. So ſtehet die Liebe gegen uns ſelbſt in ihrer rechten ſubordination: ſo iſt und wird ſie immer mehr rectificiret. Und in dieſer ſubordi- nation unter der Liebe GOttes, (welcher die un- ordentliche Selbſt-Liebe, ſie mag unmaͤßig oder gemaͤßiget ſeyn, entgegen ſtehet) wird die Liebe gegen uns ſelbſt erſt die Vorſchrift, oder die Re- gel, von der rechten, oder ordentlichen Liebe gegen den Naͤchſten und alle andere Dinge in der Welt. 5. Es ſind dieſe Erinnerungen deßwegen wohl zu mercken, weil der ſo gar groſſe Unterſcheid der ordentlichen u. unordentlichen Selbſt- Liebe von wenigen recht erkannt wird, und ohne dieſe Erkaͤntniß doch dieſer apoſtoliſche Text von der Liebe weder recht verſtanden, noch recht ap- pliciret werden kan. V. 10. Die Liebe thut dem Naͤchſten (ſo gar) nichts Boͤſes, (daß ſie ihm vielmehr alles Gu- tes nach Leib und Seele goͤnnet, es auch aus al- len Kraͤften zu befoͤrdern bemuͤhet iſt.) So iſt denn nun die (wohlgeordnete) Liebe (gegen uns ſelbſt und gegen andere Menſchen, dazu auch die Liebe gegen die Feinde gehoͤret) des Ge- ſetzes Erfuͤllung (nach der andern Tafel; gleichwie die wahre Liebe gegen GOtt, ſo ſich auf den Glauben gruͤndet, des Geſetzes Erfuͤllung iſt nach der erſten Tafel. An-

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/184>, abgerufen am 24.11.2024.