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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 6, v. 6. 7.
[Spaltenumbruch] nen Wesen eines wahren Christen, sonderlich ei-
nes Lehrers, gehöret; nemlich daß er bereit, tüch-
tig und treue sey, alles Böse zu leiden, und alles
Gute zu thun. Und darinnen bestehet die Christ-
liche Vollkommenheit, wenn man in der Unvoll-
kommenheit es bey sich in keinem Stücke des thä-
tigen Christenthums fehlen lässet, auch darinnen
immer mehr und mehr wächset.
2. Ein Diener GOttes seyn, und doch so
viel Noth und Elend auf dem Halse haben, da-
von hier Paulus gedencket, gehöret zum Ge-
heimniß des Creutzes CHristi: und gilt hier auch,
was unser Heyland von sich sagte: Selig ist, der
sich nicht an mir ärgert.
Wer in seinem
Amte treu ist, und mit solchen Leiden verschonet
bleibet, (wie sie denn nicht über alle zu allen Zei-
ten und aller Orten ergehen, zumal in gleichem
Grad,) der hat Ursache GOTT dafür zu dan-
cken, die äussere Ruhe wohl anzulegen, und das,
was ihm dabey etwa widriges begegnet, gleich-
sam für Mücken-Stiche zu halten gegen die rech-
ten Leiden.
3. Oben c. 4, 8. sagt der Apostel, er sey nicht
stenokhoroumenos, und hier spricht er doch, er stehe
in stenokhoriais. Es ist aber leicht zu conciliiren.
Denn hier saget er, wie die Leiden an sich selbst
sind, daß sie Beklemmung und Beängstigung
machen. Dort aber redet er von der Gnade, die
ihme darinnen wiederfahre, es wenig, oder doch
als erträglich zu empfinden.
4. Es ist leicht zu erachten, daß Paulo noch
viel ein mehrers begegnet, als Lucas von ihm in
der Apostel-Geschicht, und er selbst von sich hin
und wieder gedencket: wie denn von den ersten
Jahren seines Apostel-Amts das allerwenigste
ist aufgezeichnet worden.
5. Jn den Tumulten, davon der Apostel
schreibet, die der Predigt des Evangelii wegen
sind erreget worden, haben die Zeugen der Wahr-
heit, die doch Boten des Friedens waren, die
Schuld tragen müssen: wie es zu den Zeiten
CHristi ging, und noch alle wege geschiehet, daß
das Lamm dem Wolfe soll das Wasser trübe ge-
machet haben, und die Propheten des alten Te-
staments, Elias, Jeremias und andere, auch da-
für angesehen wurden.
6. Durch agrupnias, durch das Wachen,
verstehet der Apostel solche Schlaflose Nächte,
welche durch allerhand schwere Umstände und
Zufälle wol oft sind verursachet worden. Es hat
zwar auch an solcher Kraft der Gnade nicht ge-
fehlet, Vermöge welcher der Apostel hat gutes
Muthes seyn, und also auch oft ruhig schlafen
können. Er ist aber doch nicht selten in solche Um-
stände gerathen, welche, seiner Glaubens-Freu-
digkeit unbeschadet, das Gemüth dergestalt an-
gegriffen, daß ihm darüber mehrmal der Schlaf
gantz entgangen ist. Welches auch oft allein da-
her entstehen kan, wenn einer in seinem Amte
nicht gerne etwas versehen will, und damit es bey
diesen und jenen bedencklichen Begebenheiten
nicht geschehe, sehr besorget ist. Es gedencket
zwar auch sonst der Apostel, daß er Tag und
Nacht mit seinen Händen gewircket habe. 1 Thess.
2, 19. daß es also scheinen könte, als hätte man
das Wachen hierauf zu ziehen. Allein wenn er
[Spaltenumbruch] bey seiner Arbeit auch der Nächte gedencket, so
verstehet er solches wol ohne Zweifel nach der jü-
dischen Redens-Art von einigen Abend- und
Frühe-Stunden, welche bey den Juden, die zur
Nacht von 6 bis 6, 12 Stunden rechneten, mit
zur Nacht gerechnet wurden. Wie denn der
Apostel vorher durch das Wort Arbeit wol ei-
gentlich die sehr mühesamen Amts-Verrichtun-
gen verstehet. Siehe davon 2 Cor. 11, 23.
7. Nachdem der Apostel zehen Stücke sei-
ner Leidenschaften v. 4. 5. angezeiget hat, so thut
er v. 6. noch fünf Stücke von Tugenden hinzu,
und bezeuget damit, daß er nicht weniger auch das
Gute gethan, als das Böse unterlassen. Und un-
ter diesen fünf letztern Stücken gedencket er auch
des Heil. Geistes, als dessen, durch dessen Kraft
er so vielerley Art der Widerwärtigkeit hätte er-
tragen, und dagegen so viel Gutes ausüben kön-
nen.
8. Und wenn er hierunter auch der Freund-
lichkeitgedencket, und dieselbe nennet khrestoteta,
so bezeichnet er damit eine solche Tugend, welche
nach dem Evangelischen guten Grunde des Her-
tzens, ausser liebreichen Geberden, sich in aller-
hand Dienstfertigkeit hervor thut. Und da über
das dazu auch noch die Liebe gesetzet wird, so
werden damit auch alle übrige Pflichten ange-
zeiget.
9. Dieses alles aber, dazu auch noch das
folgende gehöret, schreibet der Apostel von sich,
und, den er sich im Anfange des Briefes zur Sei-
te setzet, von Timotheo, wie ohne allen eignen
Ruhm und nach der Wahrheit, also zum Exem-
pel der Nachfolge, und gegen die falschen und
bösen Lehrer, weiche ihn bey den Corinthiern
verunglimpfeten, und damit den Lauf des Evan-
gelii zu hemmen suchten.
V. 7.

Jn dem Worte der Wahrheit, in der
Kraft GOttes, durch Waffen der Ge-
rechtigkeit, zur Rechten und zur Lincken.

Anmerckungen.
1. Zu den gemeinen Pflichten des Christen-
thums, welche der Apostel mit allen andern ge-
mein hatte, und darinnen er andern suchte ein
gutes Vorbild zu geben, thut er noch etwas hin-
zu von seinen Amts-Verrichtungen. Wie denn
beyderley Arten der Treue immer bey einander
seyn müssen. Denn wolte einer die Pflichten
des Christenthums unterlassen, so würde es
auch um die Amts-Verrichtungen bey einem
so unlautern Hertzen sehr schlecht stehen: gleich-
wie die Versäumung bey diesen auch den Man-
gel bey jenen an den Tag leget.
2. Durch das Wort der Wahrheit wird
sonderlich das Evangelium verstanden, doch in
seiner Länge und Breite, wie dazu der gantze
Rath GOttes von dem Grunde und von der
Ordnung des Heils gehöret, und also davon
das Gesetz auch ungeschieden ist. Es ist aber
der Apostel also mit dem Worte der Wahrheit
umgegangen, daß er es in seiner Lauterkeit gelas-
sen, wie er Cap. 1, 12. 2, 17. und anderwärtig
mehr bezeuget.
3. Wie
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 6, v. 6. 7.
[Spaltenumbruch] nen Weſen eines wahren Chriſten, ſonderlich ei-
nes Lehrers, gehoͤret; nemlich daß er bereit, tuͤch-
tig und treue ſey, alles Boͤſe zu leiden, und alles
Gute zu thun. Und darinnen beſtehet die Chriſt-
liche Vollkommenheit, wenn man in der Unvoll-
kommenheit es bey ſich in keinem Stuͤcke des thaͤ-
tigen Chriſtenthums fehlen laͤſſet, auch darinnen
immer mehr und mehr waͤchſet.
2. Ein Diener GOttes ſeyn, und doch ſo
viel Noth und Elend auf dem Halſe haben, da-
von hier Paulus gedencket, gehoͤret zum Ge-
heimniß des Creutzes CHriſti: und gilt hier auch,
was unſer Heyland von ſich ſagte: Selig iſt, der
ſich nicht an mir aͤrgert.
Wer in ſeinem
Amte treu iſt, und mit ſolchen Leiden verſchonet
bleibet, (wie ſie denn nicht uͤber alle zu allen Zei-
ten und aller Orten ergehen, zumal in gleichem
Grad,) der hat Urſache GOTT dafuͤr zu dan-
cken, die aͤuſſere Ruhe wohl anzulegen, und das,
was ihm dabey etwa widriges begegnet, gleich-
ſam fuͤr Muͤcken-Stiche zu halten gegen die rech-
ten Leiden.
3. Oben c. 4, 8. ſagt der Apoſtel, er ſey nicht
ϛενοχωρούμενος, und hier ſpricht er doch, er ſtehe
in ϛενοχωρίαις. Es iſt aber leicht zu conciliiren.
Denn hier ſaget er, wie die Leiden an ſich ſelbſt
ſind, daß ſie Beklemmung und Beaͤngſtigung
machen. Dort aber redet er von der Gnade, die
ihme darinnen wiederfahre, es wenig, oder doch
als ertraͤglich zu empfinden.
4. Es iſt leicht zu erachten, daß Paulo noch
viel ein mehrers begegnet, als Lucas von ihm in
der Apoſtel-Geſchicht, und er ſelbſt von ſich hin
und wieder gedencket: wie denn von den erſten
Jahren ſeines Apoſtel-Amts das allerwenigſte
iſt aufgezeichnet worden.
5. Jn den Tumulten, davon der Apoſtel
ſchreibet, die der Predigt des Evangelii wegen
ſind erreget worden, haben die Zeugen der Wahr-
heit, die doch Boten des Friedens waren, die
Schuld tragen muͤſſen: wie es zu den Zeiten
CHriſti ging, und noch alle wege geſchiehet, daß
das Lamm dem Wolfe ſoll das Waſſer truͤbe ge-
machet haben, und die Propheten des alten Te-
ſtaments, Elias, Jeremias und andere, auch da-
fuͤr angeſehen wurden.
6. Durch ἀγρυπνίας, durch das Wachen,
verſtehet der Apoſtel ſolche Schlafloſe Naͤchte,
welche durch allerhand ſchwere Umſtaͤnde und
Zufaͤlle wol oft ſind verurſachet worden. Es hat
zwar auch an ſolcher Kraft der Gnade nicht ge-
fehlet, Vermoͤge welcher der Apoſtel hat gutes
Muthes ſeyn, und alſo auch oft ruhig ſchlafen
koͤnnen. Er iſt aber doch nicht ſelten in ſolche Um-
ſtaͤnde gerathen, welche, ſeiner Glaubens-Freu-
digkeit unbeſchadet, das Gemuͤth dergeſtalt an-
gegriffen, daß ihm daruͤber mehrmal der Schlaf
gantz entgangen iſt. Welches auch oft allein da-
her entſtehen kan, wenn einer in ſeinem Amte
nicht gerne etwas verſehen will, und damit es bey
dieſen und jenen bedencklichen Begebenheiten
nicht geſchehe, ſehr beſorget iſt. Es gedencket
zwar auch ſonſt der Apoſtel, daß er Tag und
Nacht mit ſeinen Haͤnden gewircket habe. 1 Theſſ.
2, 19. daß es alſo ſcheinen koͤnte, als haͤtte man
das Wachen hierauf zu ziehen. Allein wenn er
[Spaltenumbruch] bey ſeiner Arbeit auch der Naͤchte gedencket, ſo
verſtehet er ſolches wol ohne Zweifel nach der juͤ-
diſchen Redens-Art von einigen Abend- und
Fruͤhe-Stunden, welche bey den Juden, die zur
Nacht von 6 bis 6, 12 Stunden rechneten, mit
zur Nacht gerechnet wurden. Wie denn der
Apoſtel vorher durch das Wort Arbeit wol ei-
gentlich die ſehr muͤheſamen Amts-Verrichtun-
gen verſtehet. Siehe davon 2 Cor. 11, 23.
7. Nachdem der Apoſtel zehen Stuͤcke ſei-
ner Leidenſchaften v. 4. 5. angezeiget hat, ſo thut
er v. 6. noch fuͤnf Stuͤcke von Tugenden hinzu,
und bezeuget damit, daß er nicht weniger auch das
Gute gethan, als das Boͤſe unterlaſſen. Und un-
ter dieſen fuͤnf letztern Stuͤcken gedencket er auch
des Heil. Geiſtes, als deſſen, durch deſſen Kraft
er ſo vielerley Art der Widerwaͤrtigkeit haͤtte er-
tragen, und dagegen ſo viel Gutes ausuͤben koͤn-
nen.
8. Und wenn er hierunter auch der Freund-
lichkeitgedencket, und dieſelbe nennet χρηϛότητα,
ſo bezeichnet er damit eine ſolche Tugend, welche
nach dem Evangeliſchen guten Grunde des Her-
tzens, auſſer liebreichen Geberden, ſich in aller-
hand Dienſtfertigkeit hervor thut. Und da uͤber
das dazu auch noch die Liebe geſetzet wird, ſo
werden damit auch alle uͤbrige Pflichten ange-
zeiget.
9. Dieſes alles aber, dazu auch noch das
folgende gehoͤret, ſchreibet der Apoſtel von ſich,
und, den er ſich im Anfange des Briefes zur Sei-
te ſetzet, von Timotheo, wie ohne allen eignen
Ruhm und nach der Wahrheit, alſo zum Exem-
pel der Nachfolge, und gegen die falſchen und
boͤſen Lehrer, weiche ihn bey den Corinthiern
verunglimpfeten, und damit den Lauf des Evan-
gelii zu hemmen ſuchten.
V. 7.

Jn dem Worte der Wahrheit, in der
Kraft GOttes, durch Waffen der Ge-
rechtigkeit, zur Rechten und zur Lincken.

Anmerckungen.
1. Zu den gemeinen Pflichten des Chriſten-
thums, welche der Apoſtel mit allen andern ge-
mein hatte, und darinnen er andern ſuchte ein
gutes Vorbild zu geben, thut er noch etwas hin-
zu von ſeinen Amts-Verrichtungen. Wie denn
beyderley Arten der Treue immer bey einander
ſeyn muͤſſen. Denn wolte einer die Pflichten
des Chriſtenthums unterlaſſen, ſo wuͤrde es
auch um die Amts-Verrichtungen bey einem
ſo unlautern Hertzen ſehr ſchlecht ſtehen: gleich-
wie die Verſaͤumung bey dieſen auch den Man-
gel bey jenen an den Tag leget.
2. Durch das Wort der Wahrheit wird
ſonderlich das Evangelium verſtanden, doch in
ſeiner Laͤnge und Breite, wie dazu der gantze
Rath GOttes von dem Grunde und von der
Ordnung des Heils gehoͤret, und alſo davon
das Geſetz auch ungeſchieden iſt. Es iſt aber
der Apoſtel alſo mit dem Worte der Wahrheit
umgegangen, daß er es in ſeiner Lauterkeit gelaſ-
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[406/0434] Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 6, v. 6. 7. nen Weſen eines wahren Chriſten, ſonderlich ei- nes Lehrers, gehoͤret; nemlich daß er bereit, tuͤch- tig und treue ſey, alles Boͤſe zu leiden, und alles Gute zu thun. Und darinnen beſtehet die Chriſt- liche Vollkommenheit, wenn man in der Unvoll- kommenheit es bey ſich in keinem Stuͤcke des thaͤ- tigen Chriſtenthums fehlen laͤſſet, auch darinnen immer mehr und mehr waͤchſet. 2. Ein Diener GOttes ſeyn, und doch ſo viel Noth und Elend auf dem Halſe haben, da- von hier Paulus gedencket, gehoͤret zum Ge- heimniß des Creutzes CHriſti: und gilt hier auch, was unſer Heyland von ſich ſagte: Selig iſt, der ſich nicht an mir aͤrgert. Wer in ſeinem Amte treu iſt, und mit ſolchen Leiden verſchonet bleibet, (wie ſie denn nicht uͤber alle zu allen Zei- ten und aller Orten ergehen, zumal in gleichem Grad,) der hat Urſache GOTT dafuͤr zu dan- cken, die aͤuſſere Ruhe wohl anzulegen, und das, was ihm dabey etwa widriges begegnet, gleich- ſam fuͤr Muͤcken-Stiche zu halten gegen die rech- ten Leiden. 3. Oben c. 4, 8. ſagt der Apoſtel, er ſey nicht ϛενοχωρούμενος, und hier ſpricht er doch, er ſtehe in ϛενοχωρίαις. Es iſt aber leicht zu conciliiren. Denn hier ſaget er, wie die Leiden an ſich ſelbſt ſind, daß ſie Beklemmung und Beaͤngſtigung machen. Dort aber redet er von der Gnade, die ihme darinnen wiederfahre, es wenig, oder doch als ertraͤglich zu empfinden. 4. Es iſt leicht zu erachten, daß Paulo noch viel ein mehrers begegnet, als Lucas von ihm in der Apoſtel-Geſchicht, und er ſelbſt von ſich hin und wieder gedencket: wie denn von den erſten Jahren ſeines Apoſtel-Amts das allerwenigſte iſt aufgezeichnet worden. 5. Jn den Tumulten, davon der Apoſtel ſchreibet, die der Predigt des Evangelii wegen ſind erreget worden, haben die Zeugen der Wahr- heit, die doch Boten des Friedens waren, die Schuld tragen muͤſſen: wie es zu den Zeiten CHriſti ging, und noch alle wege geſchiehet, daß das Lamm dem Wolfe ſoll das Waſſer truͤbe ge- machet haben, und die Propheten des alten Te- ſtaments, Elias, Jeremias und andere, auch da- fuͤr angeſehen wurden. 6. Durch ἀγρυπνίας, durch das Wachen, verſtehet der Apoſtel ſolche Schlafloſe Naͤchte, welche durch allerhand ſchwere Umſtaͤnde und Zufaͤlle wol oft ſind verurſachet worden. Es hat zwar auch an ſolcher Kraft der Gnade nicht ge- fehlet, Vermoͤge welcher der Apoſtel hat gutes Muthes ſeyn, und alſo auch oft ruhig ſchlafen koͤnnen. Er iſt aber doch nicht ſelten in ſolche Um- ſtaͤnde gerathen, welche, ſeiner Glaubens-Freu- digkeit unbeſchadet, das Gemuͤth dergeſtalt an- gegriffen, daß ihm daruͤber mehrmal der Schlaf gantz entgangen iſt. Welches auch oft allein da- her entſtehen kan, wenn einer in ſeinem Amte nicht gerne etwas verſehen will, und damit es bey dieſen und jenen bedencklichen Begebenheiten nicht geſchehe, ſehr beſorget iſt. Es gedencket zwar auch ſonſt der Apoſtel, daß er Tag und Nacht mit ſeinen Haͤnden gewircket habe. 1 Theſſ. 2, 19. daß es alſo ſcheinen koͤnte, als haͤtte man das Wachen hierauf zu ziehen. Allein wenn er bey ſeiner Arbeit auch der Naͤchte gedencket, ſo verſtehet er ſolches wol ohne Zweifel nach der juͤ- diſchen Redens-Art von einigen Abend- und Fruͤhe-Stunden, welche bey den Juden, die zur Nacht von 6 bis 6, 12 Stunden rechneten, mit zur Nacht gerechnet wurden. Wie denn der Apoſtel vorher durch das Wort Arbeit wol ei- gentlich die ſehr muͤheſamen Amts-Verrichtun- gen verſtehet. Siehe davon 2 Cor. 11, 23. 7. Nachdem der Apoſtel zehen Stuͤcke ſei- ner Leidenſchaften v. 4. 5. angezeiget hat, ſo thut er v. 6. noch fuͤnf Stuͤcke von Tugenden hinzu, und bezeuget damit, daß er nicht weniger auch das Gute gethan, als das Boͤſe unterlaſſen. Und un- ter dieſen fuͤnf letztern Stuͤcken gedencket er auch des Heil. Geiſtes, als deſſen, durch deſſen Kraft er ſo vielerley Art der Widerwaͤrtigkeit haͤtte er- tragen, und dagegen ſo viel Gutes ausuͤben koͤn- nen. 8. Und wenn er hierunter auch der Freund- lichkeitgedencket, und dieſelbe nennet χρηϛότητα, ſo bezeichnet er damit eine ſolche Tugend, welche nach dem Evangeliſchen guten Grunde des Her- tzens, auſſer liebreichen Geberden, ſich in aller- hand Dienſtfertigkeit hervor thut. Und da uͤber das dazu auch noch die Liebe geſetzet wird, ſo werden damit auch alle uͤbrige Pflichten ange- zeiget. 9. Dieſes alles aber, dazu auch noch das folgende gehoͤret, ſchreibet der Apoſtel von ſich, und, den er ſich im Anfange des Briefes zur Sei- te ſetzet, von Timotheo, wie ohne allen eignen Ruhm und nach der Wahrheit, alſo zum Exem- pel der Nachfolge, und gegen die falſchen und boͤſen Lehrer, weiche ihn bey den Corinthiern verunglimpfeten, und damit den Lauf des Evan- gelii zu hemmen ſuchten. V. 7. Jn dem Worte der Wahrheit, in der Kraft GOttes, durch Waffen der Ge- rechtigkeit, zur Rechten und zur Lincken. Anmerckungen. 1. Zu den gemeinen Pflichten des Chriſten- thums, welche der Apoſtel mit allen andern ge- mein hatte, und darinnen er andern ſuchte ein gutes Vorbild zu geben, thut er noch etwas hin- zu von ſeinen Amts-Verrichtungen. Wie denn beyderley Arten der Treue immer bey einander ſeyn muͤſſen. Denn wolte einer die Pflichten des Chriſtenthums unterlaſſen, ſo wuͤrde es auch um die Amts-Verrichtungen bey einem ſo unlautern Hertzen ſehr ſchlecht ſtehen: gleich- wie die Verſaͤumung bey dieſen auch den Man- gel bey jenen an den Tag leget. 2. Durch das Wort der Wahrheit wird ſonderlich das Evangelium verſtanden, doch in ſeiner Laͤnge und Breite, wie dazu der gantze Rath GOttes von dem Grunde und von der Ordnung des Heils gehoͤret, und alſo davon das Geſetz auch ungeſchieden iſt. Es iſt aber der Apoſtel alſo mit dem Worte der Wahrheit umgegangen, daß er es in ſeiner Lauterkeit gelaſ- ſen, wie er Cap. 1, 12. 2, 17. und anderwaͤrtig mehr bezeuget. 3. Wie

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/434>, abgerufen am 24.11.2024.