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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 11, v. 20-22.
[Spaltenumbruch] Mosaischen Gesetzes bringet Gal. 5, 1.) so euch
iemand schindet,
(katesthiei, auffrisset, un-
ter allerhand Vorwand euch um das eurige
bringet,) so euch iemand nimmt (das euri-
ge von euch im Uberfluß annimmt, bey der fal-
schen Lehre, da ich hingegen bey der wahren
mich auch der Nothdurft begeben, und auch die-
se nicht einmal von euch angenommen habe,)
so euch iemand trotzet, (epairetai, sich un-
ter euch und über euch erhebet, und sich zu gros-
se auctorität und Gewalt anmasset,) so euch
iemand ins Angesicht schläget,
(euch schim-
pfet, aufs gröbste mit euch umgehet, und die
grösseste Unehre anthut, davon das Schlagen
ins Angesicht ein Zeichen ist.)

Anmerckungen.

1. Man siehet hieraus, wie die falschen
Apostel ihren recht ungebrochenen und fleischli-
chen Sinn auf die gröbste Art an den Tag ge-
leget, und dabey doch den Schein an sich ge-
nommen, als wären sie CHristi Diener und
Prediger der Gerechtigkeit: Gleichwie man die-
se Larve, aber jene Proben, noch heute zu Ta-
ge leider bey manchen Lehrern findet.

2. Und dabey ist dieses zu verwundern, wie
auch noch ietzo gar viele Leute so geartet sind,
daß sie von solchen Bauch-Dienern fast alles
vertragen können, sie mögen auch noch so arg
und grob mit ihnen umgehen, und sich in ihrem
fleischlichen Sinn noch so sehr bloß geben.
Welches wol daher kömmt, theils daß sie in
der That ihres Sinnes sind, theils auch zur an-
dern Zeit von ihnen bey ihrem unbekehrten
Welt-Sinne wieder geliebkoset, gelobet, ge-
tröstet und in den Himmel erhoben, ja gleich-
sam in den Schooß GOttes gesetzet, das ist, für
liebe und theure Kinder GOttes erkläret wer-
den. Hingegen an einem treuen Knechte Got-
tes können und wollen sie fast nichts tragen:
Und ob er gleich ihnen die Proben giebet, wie
er so gar nicht das ihrige suche, sondern sie selbst,
oder das Heil ihrer Seelen, und mit ihnen,
nach dem Exempel Pauli, aufs liebreichste um-
gehet, so ist ihnen doch diß und das nicht recht:
so ist doch hie und da ein Anstoß: aber am mei-
sten daher, weil sie von ihm gar keinen falschen
Trost, oder keinen Vorschub zur fleischlichen
Sicherheit bekommen, sondern mit seiner Lehr
und mit seinem damit übereinstimmenden Leben
darinn bestrafet werden; aber doch ungestrafet
und bey ihrem Sünden-Dienst ungestöret seyn
wollen.

V. 21.

Das sage ich nach der Unehre, (das,
was ich von den falschen Aposteln ietzo angefüh-
ret habe, ist weder ihnen, noch euch, die ihr
das alles so habet ertragen können, eine Ehre,)
als wären wir schwach worden, (derglei-
chen haben jene gethan, und ihr ertragen in der
Meinung, als würden wir getreue Diener Got-
tes so stille dazu schweigen, und weder Muth
noch Kraft haben, solchen Unbefugnissen im Na-
men GOttes getrost zu widersprechen, und den
[Spaltenumbruch] reissenden Wölfen das Schafs-Kleid abzuzie-
hen,) worauf nun iemand kühn ist, (was
iemand mit Kühnheit für sich anführet,) ich
rede
(os, wie) in Thorheit v. 17. (muß wi-
der meinen Willen wider das fälschliche Rüh-
men die Wahrheit sagen, ob ich gleich darüber
könte angesehen werden, als stellete ich mich den
Thoren gleich,) darauf bin ich auch kühn,
(kan mich mit gutem Gewissen darauf beziehen,
so wenig ich auch an sich selbst daraus mache;
wie Phil. 3, 7. 8. da es heißt: Aber was mir
Gewinn war, das habe ich um CHristi
willen für Schaden geachtet
u. s. w.)

Anmerckung.

Wenn man die ersten Worte dieses Ver-
ses zu der vorhergehenden Materie ziehet; von
den übrigen aber ein neues Theil der Rede an-
hebet, und mit dem folgenden verbindet, so wird
der Verstand der Worte deutlicher.

V. 22.

Sie sind Hebräer; ich auch: sie sind
Jsraeliter; ich auch: sie sind Abrahams
Samen; ich auch.

Anmerckungen.
1. Es können in den dreyen Theilen dieses
Verses die ersten Worte gar wohl Fragweise
gelesen werden: Sie sind Hebräer u. f. Auf
welche Art die Rede einen mehrern Nachdruck
bekömmt, den falschen Aposteln zum Vorwurf
ihres falschen Ruhms.
2. Das Volck der Hebräer hatte im Al-
ten Testament wircklich sehr grosse Vorzüge vor
allen andern Völckern auf dem gantzen Erdbo-
den; und es hatte sich GOTT sonderlich zu ih-
ren ersten Stamm-Vätern, dem Abraham,
Jsaac und Jacob, sehr nahe und freundlichst
zugethan, und sie seines vertraulichsten und ge-
heimesten Umgangs und seiner besondern Ge-
meinschaft in so herrlichen Erscheinungen gewür-
diget. Dieses aber machten sich ihre fleischlich
gesinnete Nachkommen so schlecht zu Nutze, daß
sie es mißbrauchten, sich in ihrem Sinne über
alle andere Völcker erhuben, und meineten, sie
wären besser als alle andere, und sässen GOtt
vor allen andern gleichsam im Schosse.
3. Man siehet, daß die falschen Apostel
von Jüdischer Nation gewesen: wie denn auch
fast aller andern Orten die Widersprecher und
Verfälscher der Evangelischen Wahrheit von
einigen nur halb, oder vielmehr nicht recht be-
kehrten Juden gewesen sind; die zwar die Leh-
re angenommen, daß JEsus von Nazareth der
wahre Meßias sey, ihn auch dafür verkündiget
haben; allein entweder von seiner Person, oder
von seinem Mittler-Amte, auch wol beyden,
keine reine und wahre Erkäntniß gehabt, son-
dern sind in vielen Stücken bey ihren vorigen
Jüdischen Vorurtheilen stehen geblieben. Und
wenn denn solche sich für Lehrer ausgegeben,
und in die von den Aposteln gepflantzte Gemei-
nen gekommen, haben sie viele Verwirrung ge-
macht: Zumal wenn sie in denselben, bey der
allent-

Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 11, v. 20-22.
[Spaltenumbruch] Moſaiſchen Geſetzes bringet Gal. 5, 1.) ſo euch
iemand ſchindet,
(κατεσϑίει, auffriſſet, un-
ter allerhand Vorwand euch um das eurige
bringet,) ſo euch iemand nimmt (das euri-
ge von euch im Uberfluß annimmt, bey der fal-
ſchen Lehre, da ich hingegen bey der wahren
mich auch der Nothdurft begeben, und auch die-
ſe nicht einmal von euch angenommen habe,)
ſo euch iemand trotzet, (ἐπαίρεται, ſich un-
ter euch und uͤber euch erhebet, und ſich zu groſ-
ſe auctoritaͤt und Gewalt anmaſſet,) ſo euch
iemand ins Angeſicht ſchlaͤget,
(euch ſchim-
pfet, aufs groͤbſte mit euch umgehet, und die
groͤſſeſte Unehre anthut, davon das Schlagen
ins Angeſicht ein Zeichen iſt.)

Anmerckungen.

1. Man ſiehet hieraus, wie die falſchen
Apoſtel ihren recht ungebrochenen und fleiſchli-
chen Sinn auf die groͤbſte Art an den Tag ge-
leget, und dabey doch den Schein an ſich ge-
nommen, als waͤren ſie CHriſti Diener und
Prediger der Gerechtigkeit: Gleichwie man die-
ſe Larve, aber jene Proben, noch heute zu Ta-
ge leider bey manchen Lehrern findet.

2. Und dabey iſt dieſes zu verwundern, wie
auch noch ietzo gar viele Leute ſo geartet ſind,
daß ſie von ſolchen Bauch-Dienern faſt alles
vertragen koͤnnen, ſie moͤgen auch noch ſo arg
und grob mit ihnen umgehen, und ſich in ihrem
fleiſchlichen Sinn noch ſo ſehr bloß geben.
Welches wol daher koͤmmt, theils daß ſie in
der That ihres Sinnes ſind, theils auch zur an-
dern Zeit von ihnen bey ihrem unbekehrten
Welt-Sinne wieder geliebkoſet, gelobet, ge-
troͤſtet und in den Himmel erhoben, ja gleich-
ſam in den Schooß GOttes geſetzet, das iſt, fuͤr
liebe und theure Kinder GOttes erklaͤret wer-
den. Hingegen an einem treuen Knechte Got-
tes koͤnnen und wollen ſie faſt nichts tragen:
Und ob er gleich ihnen die Proben giebet, wie
er ſo gar nicht das ihrige ſuche, ſondern ſie ſelbſt,
oder das Heil ihrer Seelen, und mit ihnen,
nach dem Exempel Pauli, aufs liebreichſte um-
gehet, ſo iſt ihnen doch diß und das nicht recht:
ſo iſt doch hie und da ein Anſtoß: aber am mei-
ſten daher, weil ſie von ihm gar keinen falſchen
Troſt, oder keinen Vorſchub zur fleiſchlichen
Sicherheit bekommen, ſondern mit ſeiner Lehr
und mit ſeinem damit uͤbereinſtimmenden Leben
darinn beſtrafet werden; aber doch ungeſtrafet
und bey ihrem Suͤnden-Dienſt ungeſtoͤret ſeyn
wollen.

V. 21.

Das ſage ich nach der Unehre, (das,
was ich von den falſchen Apoſteln ietzo angefuͤh-
ret habe, iſt weder ihnen, noch euch, die ihr
das alles ſo habet ertragen koͤnnen, eine Ehre,)
als waͤren wir ſchwach worden, (derglei-
chen haben jene gethan, und ihr ertragen in der
Meinung, als wuͤrden wir getreue Diener Got-
tes ſo ſtille dazu ſchweigen, und weder Muth
noch Kraft haben, ſolchen Unbefugniſſen im Na-
men GOttes getroſt zu widerſprechen, und den
[Spaltenumbruch] reiſſenden Woͤlfen das Schafs-Kleid abzuzie-
hen,) worauf nun iemand kuͤhn iſt, (was
iemand mit Kuͤhnheit fuͤr ſich anfuͤhret,) ich
rede
(ὡς, wie) in Thorheit v. 17. (muß wi-
der meinen Willen wider das faͤlſchliche Ruͤh-
men die Wahrheit ſagen, ob ich gleich daruͤber
koͤnte angeſehen werden, als ſtellete ich mich den
Thoren gleich,) darauf bin ich auch kuͤhn,
(kan mich mit gutem Gewiſſen darauf beziehen,
ſo wenig ich auch an ſich ſelbſt daraus mache;
wie Phil. 3, 7. 8. da es heißt: Aber was mir
Gewinn war, das habe ich um CHriſti
willen fuͤr Schaden geachtet
u. ſ. w.)

Anmerckung.

Wenn man die erſten Worte dieſes Ver-
ſes zu der vorhergehenden Materie ziehet; von
den uͤbrigen aber ein neues Theil der Rede an-
hebet, und mit dem folgenden verbindet, ſo wird
der Verſtand der Worte deutlicher.

V. 22.

Sie ſind Hebraͤer; ich auch: ſie ſind
Jſraeliter; ich auch: ſie ſind Abrahams
Samen; ich auch.

Anmerckungen.
1. Es koͤnnen in den dreyen Theilen dieſes
Verſes die erſten Worte gar wohl Fragweiſe
geleſen werden: Sie ſind Hebraͤer u. f. Auf
welche Art die Rede einen mehrern Nachdruck
bekoͤmmt, den falſchen Apoſteln zum Vorwurf
ihres falſchen Ruhms.
2. Das Volck der Hebraͤer hatte im Al-
ten Teſtament wircklich ſehr groſſe Vorzuͤge vor
allen andern Voͤlckern auf dem gantzen Erdbo-
den; und es hatte ſich GOTT ſonderlich zu ih-
ren erſten Stamm-Vaͤtern, dem Abraham,
Jſaac und Jacob, ſehr nahe und freundlichſt
zugethan, und ſie ſeines vertraulichſten und ge-
heimeſten Umgangs und ſeiner beſondern Ge-
meinſchaft in ſo herrlichen Erſcheinungen gewuͤr-
diget. Dieſes aber machten ſich ihre fleiſchlich
geſinnete Nachkommen ſo ſchlecht zu Nutze, daß
ſie es mißbrauchten, ſich in ihrem Sinne uͤber
alle andere Voͤlcker erhuben, und meineten, ſie
waͤren beſſer als alle andere, und ſaͤſſen GOtt
vor allen andern gleichſam im Schoſſe.
3. Man ſiehet, daß die falſchen Apoſtel
von Juͤdiſcher Nation geweſen: wie denn auch
faſt aller andern Orten die Widerſprecher und
Verfaͤlſcher der Evangeliſchen Wahrheit von
einigen nur halb, oder vielmehr nicht recht be-
kehrten Juden geweſen ſind; die zwar die Leh-
re angenommen, daß JEſus von Nazareth der
wahre Meßias ſey, ihn auch dafuͤr verkuͤndiget
haben; allein entweder von ſeiner Perſon, oder
von ſeinem Mittler-Amte, auch wol beyden,
keine reine und wahre Erkaͤntniß gehabt, ſon-
dern ſind in vielen Stuͤcken bey ihren vorigen
Juͤdiſchen Vorurtheilen ſtehen geblieben. Und
wenn denn ſolche ſich fuͤr Lehrer ausgegeben,
und in die von den Apoſteln gepflantzte Gemei-
nen gekommen, haben ſie viele Verwirrung ge-
macht: Zumal wenn ſie in denſelben, bey der
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[450/0478] Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 11, v. 20-22. Moſaiſchen Geſetzes bringet Gal. 5, 1.) ſo euch iemand ſchindet, (κατεσϑίει, auffriſſet, un- ter allerhand Vorwand euch um das eurige bringet,) ſo euch iemand nimmt (das euri- ge von euch im Uberfluß annimmt, bey der fal- ſchen Lehre, da ich hingegen bey der wahren mich auch der Nothdurft begeben, und auch die- ſe nicht einmal von euch angenommen habe,) ſo euch iemand trotzet, (ἐπαίρεται, ſich un- ter euch und uͤber euch erhebet, und ſich zu groſ- ſe auctoritaͤt und Gewalt anmaſſet,) ſo euch iemand ins Angeſicht ſchlaͤget, (euch ſchim- pfet, aufs groͤbſte mit euch umgehet, und die groͤſſeſte Unehre anthut, davon das Schlagen ins Angeſicht ein Zeichen iſt.) Anmerckungen. 1. Man ſiehet hieraus, wie die falſchen Apoſtel ihren recht ungebrochenen und fleiſchli- chen Sinn auf die groͤbſte Art an den Tag ge- leget, und dabey doch den Schein an ſich ge- nommen, als waͤren ſie CHriſti Diener und Prediger der Gerechtigkeit: Gleichwie man die- ſe Larve, aber jene Proben, noch heute zu Ta- ge leider bey manchen Lehrern findet. 2. Und dabey iſt dieſes zu verwundern, wie auch noch ietzo gar viele Leute ſo geartet ſind, daß ſie von ſolchen Bauch-Dienern faſt alles vertragen koͤnnen, ſie moͤgen auch noch ſo arg und grob mit ihnen umgehen, und ſich in ihrem fleiſchlichen Sinn noch ſo ſehr bloß geben. Welches wol daher koͤmmt, theils daß ſie in der That ihres Sinnes ſind, theils auch zur an- dern Zeit von ihnen bey ihrem unbekehrten Welt-Sinne wieder geliebkoſet, gelobet, ge- troͤſtet und in den Himmel erhoben, ja gleich- ſam in den Schooß GOttes geſetzet, das iſt, fuͤr liebe und theure Kinder GOttes erklaͤret wer- den. Hingegen an einem treuen Knechte Got- tes koͤnnen und wollen ſie faſt nichts tragen: Und ob er gleich ihnen die Proben giebet, wie er ſo gar nicht das ihrige ſuche, ſondern ſie ſelbſt, oder das Heil ihrer Seelen, und mit ihnen, nach dem Exempel Pauli, aufs liebreichſte um- gehet, ſo iſt ihnen doch diß und das nicht recht: ſo iſt doch hie und da ein Anſtoß: aber am mei- ſten daher, weil ſie von ihm gar keinen falſchen Troſt, oder keinen Vorſchub zur fleiſchlichen Sicherheit bekommen, ſondern mit ſeiner Lehr und mit ſeinem damit uͤbereinſtimmenden Leben darinn beſtrafet werden; aber doch ungeſtrafet und bey ihrem Suͤnden-Dienſt ungeſtoͤret ſeyn wollen. V. 21. Das ſage ich nach der Unehre, (das, was ich von den falſchen Apoſteln ietzo angefuͤh- ret habe, iſt weder ihnen, noch euch, die ihr das alles ſo habet ertragen koͤnnen, eine Ehre,) als waͤren wir ſchwach worden, (derglei- chen haben jene gethan, und ihr ertragen in der Meinung, als wuͤrden wir getreue Diener Got- tes ſo ſtille dazu ſchweigen, und weder Muth noch Kraft haben, ſolchen Unbefugniſſen im Na- men GOttes getroſt zu widerſprechen, und den reiſſenden Woͤlfen das Schafs-Kleid abzuzie- hen,) worauf nun iemand kuͤhn iſt, (was iemand mit Kuͤhnheit fuͤr ſich anfuͤhret,) ich rede (ὡς, wie) in Thorheit v. 17. (muß wi- der meinen Willen wider das faͤlſchliche Ruͤh- men die Wahrheit ſagen, ob ich gleich daruͤber koͤnte angeſehen werden, als ſtellete ich mich den Thoren gleich,) darauf bin ich auch kuͤhn, (kan mich mit gutem Gewiſſen darauf beziehen, ſo wenig ich auch an ſich ſelbſt daraus mache; wie Phil. 3, 7. 8. da es heißt: Aber was mir Gewinn war, das habe ich um CHriſti willen fuͤr Schaden geachtet u. ſ. w.) Anmerckung. Wenn man die erſten Worte dieſes Ver- ſes zu der vorhergehenden Materie ziehet; von den uͤbrigen aber ein neues Theil der Rede an- hebet, und mit dem folgenden verbindet, ſo wird der Verſtand der Worte deutlicher. V. 22. Sie ſind Hebraͤer; ich auch: ſie ſind Jſraeliter; ich auch: ſie ſind Abrahams Samen; ich auch. Anmerckungen. 1. Es koͤnnen in den dreyen Theilen dieſes Verſes die erſten Worte gar wohl Fragweiſe geleſen werden: Sie ſind Hebraͤer u. f. Auf welche Art die Rede einen mehrern Nachdruck bekoͤmmt, den falſchen Apoſteln zum Vorwurf ihres falſchen Ruhms. 2. Das Volck der Hebraͤer hatte im Al- ten Teſtament wircklich ſehr groſſe Vorzuͤge vor allen andern Voͤlckern auf dem gantzen Erdbo- den; und es hatte ſich GOTT ſonderlich zu ih- ren erſten Stamm-Vaͤtern, dem Abraham, Jſaac und Jacob, ſehr nahe und freundlichſt zugethan, und ſie ſeines vertraulichſten und ge- heimeſten Umgangs und ſeiner beſondern Ge- meinſchaft in ſo herrlichen Erſcheinungen gewuͤr- diget. Dieſes aber machten ſich ihre fleiſchlich geſinnete Nachkommen ſo ſchlecht zu Nutze, daß ſie es mißbrauchten, ſich in ihrem Sinne uͤber alle andere Voͤlcker erhuben, und meineten, ſie waͤren beſſer als alle andere, und ſaͤſſen GOtt vor allen andern gleichſam im Schoſſe. 3. Man ſiehet, daß die falſchen Apoſtel von Juͤdiſcher Nation geweſen: wie denn auch faſt aller andern Orten die Widerſprecher und Verfaͤlſcher der Evangeliſchen Wahrheit von einigen nur halb, oder vielmehr nicht recht be- kehrten Juden geweſen ſind; die zwar die Leh- re angenommen, daß JEſus von Nazareth der wahre Meßias ſey, ihn auch dafuͤr verkuͤndiget haben; allein entweder von ſeiner Perſon, oder von ſeinem Mittler-Amte, auch wol beyden, keine reine und wahre Erkaͤntniß gehabt, ſon- dern ſind in vielen Stuͤcken bey ihren vorigen Juͤdiſchen Vorurtheilen ſtehen geblieben. Und wenn denn ſolche ſich fuͤr Lehrer ausgegeben, und in die von den Apoſteln gepflantzte Gemei- nen gekommen, haben ſie viele Verwirrung ge- macht: Zumal wenn ſie in denſelben, bey der allent-

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/478>, abgerufen am 24.11.2024.