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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Cap. 6, v. 4. 5. an die Galater.
[Spaltenumbruch] auch der Sünde daher ein Jrrthum und Be-
trug
zugeschrieben wird. Eph. 4, 22. Hebr.
3, 13.
5. Jst es eine grosse Sünde, ja ein sehr gro-
bes und auch ein vor den Augen der ehrbaren
Welt-Menschen abscheuliches Verbrechen, an-
dere Leute betrügen; so muß es gewiß auch kei-
ne Kleinigkeit seyn, sich selbst betrügen: da ja die
wohlgeordnete Liebe gegen den Nechsten von der
wahren Liebe und Wahrnehmung unserer selbst
sich anheben muß.
V. 4.

Ein ieglicher aber (ohne alle Ausnahm,
um sich so wol vor allem Rückfall, als auch vor
aller Erhebung und allem Selbst-Betruge zu hü-
ten) prüfe (wohl und fleißig) sein (anderer
Leute Fehler und Beurtheilung entgegen gesetz-
tes) selbst Werck (zuvorderst den innern Zu-
stand seines Gemüths, ob er wahrhaftig aus
GOtt gebohren, und ob er noch im Stande der
Gnaden stehe, oder nicht: und denn alles sein
Thun in Worten und Wercken, so aus dem
innern Grunde herrühret. Und vermöge dieser
Selbst-Prüfung suche er alles so einzurichten,
daß es GOtt in Christo gefällig sey, und die rech-
te Probe halte) und alsdenn wird er an ihm
selber Ruhm
(darüber die Freudigkeit eines gu-
ten Gewissens) haben, und nicht an einem
andern
(wenn er sich mit dem vergleichet, und
besser zu seyn vermeinet, als jener: wie der Pha-
risaer that gegen den Zöllner. Luc. 18, 11.

Anmerckungen.
1. Das Wort dokimazein, prüfen, pro-
bir
en, ist eigentlich von den Goldschmieden her-
genommen, welche das Gold und Silber, da-
mit es von den Schlacken eines geringern Me-
talles gereiniget werde, ins Feuer bringen; es
auch auf einen Probier-Stein streichen, und
denn vermöge ihrer davon habenden Wis-
senschaft von desselben Feine und Güte ein richti-
ges Urtheil fällen können.
2. Es gehöret demnach zur rechten Prü-
fung, auch im geistlichen, nicht allein ein guter
Probier-Stein, sondern auch die rechte Wis-
senschaft,
wie die Prüfung darnach anzustellen
sey.
3. Und also ist zuvorderst nöthig, daß alle
Prüfung nach der untrieglichen Regel des
göttlichen Worts angestellet werde Denn wo
man sich mit andern, die etwa noch schlimmer
sind, oder doch für schlimmer angesehen werden,
ja die uns auch etwa gleich sind und gleiche Män-
gel an sich haben, vergleichet, und denn daher
den Schluß mit aller Zufriedenheit und Appli-
cation
auf sich selbst machet, so betrüget man sich
gar sehr, und dieses geschiehet insgemein. Und
das heißt denn Ruhm, das ist, eine Gewissens-
Freudigkeit
(wie das Wort kaukhema, kaukhe-
sis in den Paulinischen Briefen eigentlich ge-
nommen wird) nicht an ihm selbst, sondern
an einem andern,
den man für ärger hält, als
sich selbst, haben. Welches daher auch eine gantz
falsche Freudigkeit und Zufriedenheit ist. Und
[Spaltenumbruch] da man hiebey auf seine eigene Tichtigkeit und
Verdienste siehet; so nennet es der Apostel 2 Cor.
10, 12. sich bey sich selbst messet, allein von
sich selbst halten.
4. Es ist aber nicht genug, die richtige
Regel
der heiligen Schrift zur Prüfung vor sich
haben; sondern es ist auch nöthig, daß man sie
recht verstehe, und auf seinen Zustand, und auf
alles sein Thun recht zu appliciren wsse, und also
die gehörige peritiam probandi habe, oder doch
zu erlangen suche.
5. Die tägliche Selbst-Prüfung ist eines
der allernöthigsten Pflichten eines Christen.
Denn unterlässet man dieselbe, so ist man schon
halb verführet: sintemal der Betrug der Sün-
den so groß ist, daß man von aller Lauterkeit und
Treue herunter kömmt, ehe man es sich versie-
het. Ja es ist unmöglich, daß man ohne öftere
Prüfung seiner selbst im Stande der Gnaden
recht bestehe und fortgehe. Denn der Hinde-
rungen und Versuchungen sind so viel, daß man
eingeschläfert und ein tummes Saltz wird, ehe
man sichs versiehet.
6. Es gehören aber zur Selbst-Prüfung
sonderlich diese drey Haupt-Stücke:
a. Daß man sich vor dem Betruge der unordent-
lichen Selbst-Liebe, wodurch man alles Ar-
ge an sich zu geringe, und hingegen alles Gu-
te zu groß machet, sorgfältig hüte.
b. Daß man seine Mängel fein genau unter-
suche, sonderlich diejenigen, wozu man des
natürlichen Temperaments, oder auch der Ge-
wohnheit und Gelegenheit und Reitzungen we-
gen am meisten geneiget ist.
c. Daß man aus denselben den Vortheil einer
desto mehrern Wahrnehmung seiner selbst
ziehe, und zur Verbesserung allen Ernst be-
weise. Der Leser erwege, was von der
Selbst-Prüfung bereits 2 Cor. 13, 5. vor-
gestellet ist.
V. 5.

Denn ein ieglicher (er sey, wer er wolle,)
wird (dermaleins an jenem grossen Gerichts-
Tage) seine (to idion, seine eigene) Last (die er
sich der unvergebenen Sünden wegen selbst auf-
geladen hat, an dem göttlichen Straf-Gerich-
te) tragen (wenn er deßhalben wird zur Rechen-
schaft gezogen werden.)

Anmerckungen.
1. Die Verbindung dieses Verses mit dem
vorhergehenden ist diese: der Apostel führet hie-
mit eine Ursache an, warum man sich selbst und
sein eignes Werck wohl prüfen und recht einrich-
ten soll. Und die nimmt er her von dem künf-
tigen Gerichte, da man zuvorderst von sich selbst
würde müssen Rechenschaft geben.
2. Er hatte zwar vorher gesaget, daß einer
des andern Last zu tragen habe. Damit man
aber dabey den andern nicht ungütig beurtheilen,
und mit Vergessung seiner selbst nur auf den an-
dern sehen möchte, so führet er einen ieden dabey
auf die nothwendige Selbst-Prüfung, mit ange-
führter Beweg-Ursache, die er von der künftigen
Verantwortung hernimmt.
3. Und
D d d d
Cap. 6, v. 4. 5. an die Galater.
[Spaltenumbruch] auch der Suͤnde daher ein Jrrthum und Be-
trug
zugeſchrieben wird. Eph. 4, 22. Hebr.
3, 13.
5. Jſt es eine groſſe Suͤnde, ja ein ſehr gro-
bes und auch ein vor den Augen der ehrbaren
Welt-Menſchen abſcheuliches Verbrechen, an-
dere Leute betruͤgen; ſo muß es gewiß auch kei-
ne Kleinigkeit ſeyn, ſich ſelbſt betruͤgen: da ja die
wohlgeordnete Liebe gegen den Nechſten von der
wahren Liebe und Wahrnehmung unſerer ſelbſt
ſich anheben muß.
V. 4.

Ein ieglicher aber (ohne alle Ausnahm,
um ſich ſo wol vor allem Ruͤckfall, als auch vor
aller Erhebung und allem Selbſt-Betruge zu huͤ-
ten) pruͤfe (wohl und fleißig) ſein (anderer
Leute Fehler und Beurtheilung entgegen geſetz-
tes) ſelbſt Werck (zuvorderſt den innern Zu-
ſtand ſeines Gemuͤths, ob er wahrhaftig aus
GOtt gebohren, und ob er noch im Stande der
Gnaden ſtehe, oder nicht: und denn alles ſein
Thun in Worten und Wercken, ſo aus dem
innern Grunde herruͤhret. Und vermoͤge dieſer
Selbſt-Pruͤfung ſuche er alles ſo einzurichten,
daß es GOtt in Chriſto gefaͤllig ſey, und die rech-
te Probe halte) und alsdenn wird er an ihm
ſelber Ruhm
(daruͤber die Freudigkeit eines gu-
ten Gewiſſens) haben, und nicht an einem
andern
(wenn er ſich mit dem vergleichet, und
beſſer zu ſeyn vermeinet, als jener: wie der Pha-
riſaer that gegen den Zoͤllner. Luc. 18, 11.

Anmerckungen.
1. Das Wort δοκιμάζειν, pruͤfen, pro-
bir
en, iſt eigentlich von den Goldſchmieden her-
genommen, welche das Gold und Silber, da-
mit es von den Schlacken eines geringern Me-
talles gereiniget werde, ins Feuer bringen; es
auch auf einen Probier-Stein ſtreichen, und
denn vermoͤge ihrer davon habenden Wiſ-
ſenſchaft von deſſelben Feine und Guͤte ein richti-
ges Urtheil faͤllen koͤnnen.
2. Es gehoͤret demnach zur rechten Pruͤ-
fung, auch im geiſtlichen, nicht allein ein guter
Probier-Stein, ſondern auch die rechte Wiſ-
ſenſchaft,
wie die Pruͤfung darnach anzuſtellen
ſey.
3. Und alſo iſt zuvorderſt noͤthig, daß alle
Pruͤfung nach der untrieglichen Regel des
goͤttlichen Worts angeſtellet werde Denn wo
man ſich mit andern, die etwa noch ſchlimmer
ſind, oder doch fuͤr ſchlimmer angeſehen werden,
ja die uns auch etwa gleich ſind und gleiche Maͤn-
gel an ſich haben, vergleichet, und denn daher
den Schluß mit aller Zufriedenheit und Appli-
cation
auf ſich ſelbſt machet, ſo betruͤget man ſich
gar ſehr, und dieſes geſchiehet insgemein. Und
das heißt denn Ruhm, das iſt, eine Gewiſſens-
Freudigkeit
(wie das Wort καύχημα, καύχη-
σις in den Pauliniſchen Briefen eigentlich ge-
nommen wird) nicht an ihm ſelbſt, ſondern
an einem andern,
den man fuͤr aͤrger haͤlt, als
ſich ſelbſt, haben. Welches daher auch eine gantz
falſche Freudigkeit und Zufriedenheit iſt. Und
[Spaltenumbruch] da man hiebey auf ſeine eigene Tichtigkeit und
Verdienſte ſiehet; ſo nennet es der Apoſtel 2 Cor.
10, 12. ſich bey ſich ſelbſt meſſet, allein von
ſich ſelbſt halten.
4. Es iſt aber nicht genug, die richtige
Regel
der heiligen Schrift zur Pruͤfung vor ſich
haben; ſondern es iſt auch noͤthig, daß man ſie
recht verſtehe, und auf ſeinen Zuſtand, und auf
alles ſein Thun recht zu appliciren wſſe, und alſo
die gehoͤrige peritiam probandi habe, oder doch
zu erlangen ſuche.
5. Die taͤgliche Selbſt-Pruͤfung iſt eines
der allernoͤthigſten Pflichten eines Chriſten.
Denn unterlaͤſſet man dieſelbe, ſo iſt man ſchon
halb verfuͤhret: ſintemal der Betrug der Suͤn-
den ſo groß iſt, daß man von aller Lauterkeit und
Treue herunter koͤmmt, ehe man es ſich verſie-
het. Ja es iſt unmoͤglich, daß man ohne oͤftere
Pruͤfung ſeiner ſelbſt im Stande der Gnaden
recht beſtehe und fortgehe. Denn der Hinde-
rungen und Verſuchungen ſind ſo viel, daß man
eingeſchlaͤfert und ein tummes Saltz wird, ehe
man ſichs verſiehet.
6. Es gehoͤren aber zur Selbſt-Pruͤfung
ſonderlich dieſe drey Haupt-Stuͤcke:
a. Daß man ſich vor dem Betruge der unordent-
lichen Selbſt-Liebe, wodurch man alles Ar-
ge an ſich zu geringe, und hingegen alles Gu-
te zu groß machet, ſorgfaͤltig huͤte.
b. Daß man ſeine Maͤngel fein genau unter-
ſuche, ſonderlich diejenigen, wozu man des
natuͤrlichen Temperaments, oder auch der Ge-
wohnheit und Gelegenheit und Reitzungen we-
gen am meiſten geneiget iſt.
c. Daß man aus denſelben den Vortheil einer
deſto mehrern Wahrnehmung ſeiner ſelbſt
ziehe, und zur Verbeſſerung allen Ernſt be-
weiſe. Der Leſer erwege, was von der
Selbſt-Pruͤfung bereits 2 Cor. 13, 5. vor-
geſtellet iſt.
V. 5.

Denn ein ieglicher (er ſey, wer er wolle,)
wird (dermaleins an jenem groſſen Gerichts-
Tage) ſeine (τὸ ἴδιον, ſeine eigene) Laſt (die er
ſich der unvergebenen Suͤnden wegen ſelbſt auf-
geladen hat, an dem goͤttlichen Straf-Gerich-
te) tragen (wenn er deßhalben wird zur Rechen-
ſchaft gezogen werden.)

Anmerckungen.
1. Die Verbindung dieſes Verſes mit dem
vorhergehenden iſt dieſe: der Apoſtel fuͤhret hie-
mit eine Urſache an, warum man ſich ſelbſt und
ſein eignes Werck wohl pruͤfen und recht einrich-
ten ſoll. Und die nimmt er her von dem kuͤnf-
tigen Gerichte, da man zuvorderſt von ſich ſelbſt
wuͤrde muͤſſen Rechenſchaft geben.
2. Er hatte zwar vorher geſaget, daß einer
des andern Laſt zu tragen habe. Damit man
aber dabey den andern nicht unguͤtig beurtheilen,
und mit Vergeſſung ſeiner ſelbſt nur auf den an-
dern ſehen moͤchte, ſo fuͤhret er einen ieden dabey
auf die nothwendige Selbſt-Pruͤfung, mit ange-
fuͤhrter Beweg-Urſache, die er von der kuͤnftigen
Verantwortung hernimmt.
3. Und
D d d d
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[577/0605] Cap. 6, v. 4. 5. an die Galater. auch der Suͤnde daher ein Jrrthum und Be- trug zugeſchrieben wird. Eph. 4, 22. Hebr. 3, 13. 5. Jſt es eine groſſe Suͤnde, ja ein ſehr gro- bes und auch ein vor den Augen der ehrbaren Welt-Menſchen abſcheuliches Verbrechen, an- dere Leute betruͤgen; ſo muß es gewiß auch kei- ne Kleinigkeit ſeyn, ſich ſelbſt betruͤgen: da ja die wohlgeordnete Liebe gegen den Nechſten von der wahren Liebe und Wahrnehmung unſerer ſelbſt ſich anheben muß. V. 4. Ein ieglicher aber (ohne alle Ausnahm, um ſich ſo wol vor allem Ruͤckfall, als auch vor aller Erhebung und allem Selbſt-Betruge zu huͤ- ten) pruͤfe (wohl und fleißig) ſein (anderer Leute Fehler und Beurtheilung entgegen geſetz- tes) ſelbſt Werck (zuvorderſt den innern Zu- ſtand ſeines Gemuͤths, ob er wahrhaftig aus GOtt gebohren, und ob er noch im Stande der Gnaden ſtehe, oder nicht: und denn alles ſein Thun in Worten und Wercken, ſo aus dem innern Grunde herruͤhret. Und vermoͤge dieſer Selbſt-Pruͤfung ſuche er alles ſo einzurichten, daß es GOtt in Chriſto gefaͤllig ſey, und die rech- te Probe halte) und alsdenn wird er an ihm ſelber Ruhm (daruͤber die Freudigkeit eines gu- ten Gewiſſens) haben, und nicht an einem andern (wenn er ſich mit dem vergleichet, und beſſer zu ſeyn vermeinet, als jener: wie der Pha- riſaer that gegen den Zoͤllner. Luc. 18, 11. Anmerckungen. 1. Das Wort δοκιμάζειν, pruͤfen, pro- biren, iſt eigentlich von den Goldſchmieden her- genommen, welche das Gold und Silber, da- mit es von den Schlacken eines geringern Me- talles gereiniget werde, ins Feuer bringen; es auch auf einen Probier-Stein ſtreichen, und denn vermoͤge ihrer davon habenden Wiſ- ſenſchaft von deſſelben Feine und Guͤte ein richti- ges Urtheil faͤllen koͤnnen. 2. Es gehoͤret demnach zur rechten Pruͤ- fung, auch im geiſtlichen, nicht allein ein guter Probier-Stein, ſondern auch die rechte Wiſ- ſenſchaft, wie die Pruͤfung darnach anzuſtellen ſey. 3. Und alſo iſt zuvorderſt noͤthig, daß alle Pruͤfung nach der untrieglichen Regel des goͤttlichen Worts angeſtellet werde Denn wo man ſich mit andern, die etwa noch ſchlimmer ſind, oder doch fuͤr ſchlimmer angeſehen werden, ja die uns auch etwa gleich ſind und gleiche Maͤn- gel an ſich haben, vergleichet, und denn daher den Schluß mit aller Zufriedenheit und Appli- cation auf ſich ſelbſt machet, ſo betruͤget man ſich gar ſehr, und dieſes geſchiehet insgemein. Und das heißt denn Ruhm, das iſt, eine Gewiſſens- Freudigkeit (wie das Wort καύχημα, καύχη- σις in den Pauliniſchen Briefen eigentlich ge- nommen wird) nicht an ihm ſelbſt, ſondern an einem andern, den man fuͤr aͤrger haͤlt, als ſich ſelbſt, haben. Welches daher auch eine gantz falſche Freudigkeit und Zufriedenheit iſt. Und da man hiebey auf ſeine eigene Tichtigkeit und Verdienſte ſiehet; ſo nennet es der Apoſtel 2 Cor. 10, 12. ſich bey ſich ſelbſt meſſet, allein von ſich ſelbſt halten. 4. Es iſt aber nicht genug, die richtige Regel der heiligen Schrift zur Pruͤfung vor ſich haben; ſondern es iſt auch noͤthig, daß man ſie recht verſtehe, und auf ſeinen Zuſtand, und auf alles ſein Thun recht zu appliciren wſſe, und alſo die gehoͤrige peritiam probandi habe, oder doch zu erlangen ſuche. 5. Die taͤgliche Selbſt-Pruͤfung iſt eines der allernoͤthigſten Pflichten eines Chriſten. Denn unterlaͤſſet man dieſelbe, ſo iſt man ſchon halb verfuͤhret: ſintemal der Betrug der Suͤn- den ſo groß iſt, daß man von aller Lauterkeit und Treue herunter koͤmmt, ehe man es ſich verſie- het. Ja es iſt unmoͤglich, daß man ohne oͤftere Pruͤfung ſeiner ſelbſt im Stande der Gnaden recht beſtehe und fortgehe. Denn der Hinde- rungen und Verſuchungen ſind ſo viel, daß man eingeſchlaͤfert und ein tummes Saltz wird, ehe man ſichs verſiehet. 6. Es gehoͤren aber zur Selbſt-Pruͤfung ſonderlich dieſe drey Haupt-Stuͤcke: a. Daß man ſich vor dem Betruge der unordent- lichen Selbſt-Liebe, wodurch man alles Ar- ge an ſich zu geringe, und hingegen alles Gu- te zu groß machet, ſorgfaͤltig huͤte. b. Daß man ſeine Maͤngel fein genau unter- ſuche, ſonderlich diejenigen, wozu man des natuͤrlichen Temperaments, oder auch der Ge- wohnheit und Gelegenheit und Reitzungen we- gen am meiſten geneiget iſt. c. Daß man aus denſelben den Vortheil einer deſto mehrern Wahrnehmung ſeiner ſelbſt ziehe, und zur Verbeſſerung allen Ernſt be- weiſe. Der Leſer erwege, was von der Selbſt-Pruͤfung bereits 2 Cor. 13, 5. vor- geſtellet iſt. V. 5. Denn ein ieglicher (er ſey, wer er wolle,) wird (dermaleins an jenem groſſen Gerichts- Tage) ſeine (τὸ ἴδιον, ſeine eigene) Laſt (die er ſich der unvergebenen Suͤnden wegen ſelbſt auf- geladen hat, an dem goͤttlichen Straf-Gerich- te) tragen (wenn er deßhalben wird zur Rechen- ſchaft gezogen werden.) Anmerckungen. 1. Die Verbindung dieſes Verſes mit dem vorhergehenden iſt dieſe: der Apoſtel fuͤhret hie- mit eine Urſache an, warum man ſich ſelbſt und ſein eignes Werck wohl pruͤfen und recht einrich- ten ſoll. Und die nimmt er her von dem kuͤnf- tigen Gerichte, da man zuvorderſt von ſich ſelbſt wuͤrde muͤſſen Rechenſchaft geben. 2. Er hatte zwar vorher geſaget, daß einer des andern Laſt zu tragen habe. Damit man aber dabey den andern nicht unguͤtig beurtheilen, und mit Vergeſſung ſeiner ſelbſt nur auf den an- dern ſehen moͤchte, ſo fuͤhret er einen ieden dabey auf die nothwendige Selbſt-Pruͤfung, mit ange- fuͤhrter Beweg-Urſache, die er von der kuͤnftigen Verantwortung hernimmt. 3. Und D d d d

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/605>, abgerufen am 24.11.2024.