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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des Briefs Pauli Cap. 2, v. 1. 2.
[Spaltenumbruch]

2. Ob gleich unter diesen Sünden und
Greueln einige sind, davor auch diejenigen Hey-
den, welche dem Lichte der Natur Platz gege-
ben, einen Abscheu gehabt haben; so sind doch
auch die vernünftigen und ehrbaren Heyden den
übrigen Sünden ergeben gewesen, also daß sie
dieselbe haben über sich herrschen lassen. Jst a-
ber iemand weiter gekommen, so hat man ihn
nicht als einen blossen Heyden anzusehen, son-
dern als einen solchen, welcher, ausser dem Lich-
te der Natur, auch den Fußstapfen der göttli-
chen Offenbarung nachgegangen; und zwar
wie sie dieselbe theils aus der uralten Tradition
[Spaltenumbruch] von den Kindern Noä, theils aus dem Um-
gange mit- und Kundschaft von den Jüden ge-
funden haben.

3. Welcher Leser in aufrichtiger Selbst-
Prüfung befindet, daß er auch noch in dieser
und jener den Heyden zugeschriebenen Sünde
lebet, und zwar also, daß sie die Herrschaft ü-
ber ihn besitzet, der hat zu erkennen, daß er des
Namens eines Christen unwürdig ist, und hat
sich daher durch die Gnade GOttes zu befleißi-
gen, daß er von einem solchen Joche und von
solchem Unflate gereiniget werde.

Das andere Capitel.
Darinnen gezeiget wird/ daß die Juden durch den blossen
Weg des Gesetzes und der gesetzlichen Gerechtigkeit so viel weniger zur
Seligkeit gelangen können/ so viel mehr sie dabey/ ohne den in-
nern Dienst GOttes/ nur im äusserlichen mit aufgeblase-
nem und fleischlichem Sinne stehen bleiben.
V. 1.
[Spaltenumbruch]

DArum (weil nemlich, wie zuvor
gezeiget, der Zorn GOttes über
alles nach der Länge erzehlte un-
göttliche Wesen und über die
Ungerechtigkeit zum Urtheil des
ewigen Todes offenbaret und erkant wird,)
o Mensch, wer du bist (überhaupt, der du
ausser dem Stande der Gnade und der verderb-
ten Natur und unter der Herrschaft der Sünde
stehest, du magst seyn ein Heyde, oder ein Ju-
de,) der da (in der That selbst nicht besser, ob
gleich etwas scheinbarer, ist, und doch) ande-
re
(bey ihren gröbern, und mehr in die Augen
fallenden Uberfahrungen) richtet, (für des e-
wigen Todes schuldige erkennet, sich selbst aber
für unschuldig hält,) kanst du dich nicht ent-
schuldigen,
(noch dich aus der Zahl derer,
welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhal-
ten c. 1, 18. und vor dem Gerichte GOttes kei-
ne Entschuldigung haben v. 20. ausnehmen.)
Denn worinnen du einen andern richtest,
verdammest du dich selbst,
(sprichst du in
der That dir selbst das Urtheil, ob du es gleich
nicht meinest:) sintemal du eben dasselbe
(ob gleich auf eine verdecktere Art) thust, das
du
(an andern) richtest.

Anmerckungen.

1. Hier verstehet der Apostel unter den
Heyden die Richter, auch wol insonderheit bey
den Römern die Censores morum, sonsten aber
die Philosophos, und, weil er die Rede im Con-
texte auch auf die Juden lencket, unter diesen
sonderlich die Pharisäer: und also alle diejeni-
gen, die sich etwa von den Gattungen der zu-
vor beschriebenen groben Sünden möchten mit
einigem Schein des Rechten ausnehmen und
dafür halten können, als wenn sie der Busse und
[Spaltenumbruch] des Glaubens an den Meßiam nicht bedürf-
tig.

2. Es ist kein gewöhnlicherer und schäd-
licherer Selb-Betrug, als wenn ein Mensch
sich von diesen und jenen Lastern gantz rein und
entfernet hält, und doch davon keinen andern
Grund hat, als daß der Unterscheid zwischen
ihm und andern, die er wol selbst richtet und
verdammet, nur in einem gewissen grad, son-
derlich des äusserlichen Ausbruchs bestehet; als
wovon er sich nicht so wol aus dem Triebe seines
Gewissens und aus Liebe zur Tugend, als aus
andern eiteln Ursachen, enthält.

V. 2.

Denn wir wissen, (auch aus dem Lichte
der Natur, und noch vielmehr aus dem göttli-
chen Gesetze,) daß GOttes Urtheil ist recht
(gehet nach dem Grunde der Wahrheit, und
eigentlichen Beschaffenheit einer Sache, nicht
auf das, was etwa äusserlich von Menschen mehr
glaubbar und entdecket ist; sintemal manche
verborgene oder verdeckte Sünde nach dem Ur-
theil GOttes grösser ist, als eine die ins Auge
fällt, aber innerlich bey manchen noch nicht ei-
nen so hohen grad der corruption bey sich füh-
ret,) über die, so solches (welches zuvor er-
zehlet ist,) thun. (es möge nun auf eine recht
grobe, oder auf eine mehr eingeschrenckte Art
geschehen.)

Anmerckung.

Es geschiehet gar leicht, daß sich ein
Mensch an GOttes Urtheil über die Sünde und
Sünder mit seinen eiteln Gedancken und Ein-
fällen versündiget. Was kan aber wol ver-
wegner seyn, als sich mit seinem Urtheil über
GOTTes, des allgemeinen und gerechtesten
Richters aller Welt, Urtheil erheben.

V. 3.
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 2, v. 1. 2.
[Spaltenumbruch]

2. Ob gleich unter dieſen Suͤnden und
Greueln einige ſind, davor auch diejenigen Hey-
den, welche dem Lichte der Natur Platz gege-
ben, einen Abſcheu gehabt haben; ſo ſind doch
auch die vernuͤnftigen und ehrbaren Heyden den
uͤbrigen Suͤnden ergeben geweſen, alſo daß ſie
dieſelbe haben uͤber ſich herrſchen laſſen. Jſt a-
ber iemand weiter gekommen, ſo hat man ihn
nicht als einen bloſſen Heyden anzuſehen, ſon-
dern als einen ſolchen, welcher, auſſer dem Lich-
te der Natur, auch den Fußſtapfen der goͤttli-
chen Offenbarung nachgegangen; und zwar
wie ſie dieſelbe theils aus der uralten Tradition
[Spaltenumbruch] von den Kindern Noaͤ, theils aus dem Um-
gange mit- und Kundſchaft von den Juͤden ge-
funden haben.

3. Welcher Leſer in aufrichtiger Selbſt-
Pruͤfung befindet, daß er auch noch in dieſer
und jener den Heyden zugeſchriebenen Suͤnde
lebet, und zwar alſo, daß ſie die Herrſchaft uͤ-
ber ihn beſitzet, der hat zu erkennen, daß er des
Namens eines Chriſten unwuͤrdig iſt, und hat
ſich daher durch die Gnade GOttes zu befleißi-
gen, daß er von einem ſolchen Joche und von
ſolchem Unflate gereiniget werde.

Das andere Capitel.
Darinnen gezeiget wird/ daß die Juden durch den bloſſen
Weg des Geſetzes und der geſetzlichen Gerechtigkeit ſo viel weniger zur
Seligkeit gelangen koͤnnen/ ſo viel mehr ſie dabey/ ohne den in-
nern Dienſt GOttes/ nur im aͤuſſerlichen mit aufgeblaſe-
nem und fleiſchlichem Sinne ſtehen bleiben.
V. 1.
[Spaltenumbruch]

DArum (weil nemlich, wie zuvor
gezeiget, der Zorn GOttes uͤber
alles nach der Laͤnge erzehlte un-
goͤttliche Weſen und uͤber die
Ungerechtigkeit zum Urtheil des
ewigen Todes offenbaret und erkant wird,)
o Menſch, wer du biſt (uͤberhaupt, der du
auſſer dem Stande der Gnade und der verderb-
ten Natur und unter der Herrſchaft der Suͤnde
ſteheſt, du magſt ſeyn ein Heyde, oder ein Ju-
de,) der da (in der That ſelbſt nicht beſſer, ob
gleich etwas ſcheinbarer, iſt, und doch) ande-
re
(bey ihren groͤbern, und mehr in die Augen
fallenden Uberfahrungen) richtet, (fuͤr des e-
wigen Todes ſchuldige erkennet, ſich ſelbſt aber
fuͤr unſchuldig haͤlt,) kanſt du dich nicht ent-
ſchuldigen,
(noch dich aus der Zahl derer,
welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhal-
ten c. 1, 18. und vor dem Gerichte GOttes kei-
ne Entſchuldigung haben v. 20. ausnehmen.)
Denn worinnen du einen andern richteſt,
verdammeſt du dich ſelbſt,
(ſprichſt du in
der That dir ſelbſt das Urtheil, ob du es gleich
nicht meineſt:) ſintemal du eben daſſelbe
(ob gleich auf eine verdecktere Art) thuſt, das
du
(an andern) richteſt.

Anmerckungen.

1. Hier verſtehet der Apoſtel unter den
Heyden die Richter, auch wol inſonderheit bey
den Roͤmern die Cenſores morum, ſonſten aber
die Philoſophos, und, weil er die Rede im Con-
texte auch auf die Juden lencket, unter dieſen
ſonderlich die Phariſaͤer: und alſo alle diejeni-
gen, die ſich etwa von den Gattungen der zu-
vor beſchriebenen groben Suͤnden moͤchten mit
einigem Schein des Rechten ausnehmen und
dafuͤr halten koͤnnen, als wenn ſie der Buſſe und
[Spaltenumbruch] des Glaubens an den Meßiam nicht beduͤrf-
tig.

2. Es iſt kein gewoͤhnlicherer und ſchaͤd-
licherer Selb-Betrug, als wenn ein Menſch
ſich von dieſen und jenen Laſtern gantz rein und
entfernet haͤlt, und doch davon keinen andern
Grund hat, als daß der Unterſcheid zwiſchen
ihm und andern, die er wol ſelbſt richtet und
verdammet, nur in einem gewiſſen grad, ſon-
derlich des aͤuſſerlichen Ausbruchs beſtehet; als
wovon er ſich nicht ſo wol aus dem Triebe ſeines
Gewiſſens und aus Liebe zur Tugend, als aus
andern eiteln Urſachen, enthaͤlt.

V. 2.

Denn wir wiſſen, (auch aus dem Lichte
der Natur, und noch vielmehr aus dem goͤttli-
chen Geſetze,) daß GOttes Urtheil iſt recht
(gehet nach dem Grunde der Wahrheit, und
eigentlichen Beſchaffenheit einer Sache, nicht
auf das, was etwa aͤuſſerlich von Menſchen mehr
glaubbar und entdecket iſt; ſintemal manche
verborgene oder verdeckte Suͤnde nach dem Ur-
theil GOttes groͤſſer iſt, als eine die ins Auge
faͤllt, aber innerlich bey manchen noch nicht ei-
nen ſo hohen grad der corruption bey ſich fuͤh-
ret,) uͤber die, ſo ſolches (welches zuvor er-
zehlet iſt,) thun. (es moͤge nun auf eine recht
grobe, oder auf eine mehr eingeſchrenckte Art
geſchehen.)

Anmerckung.

Es geſchiehet gar leicht, daß ſich ein
Menſch an GOttes Urtheil uͤber die Suͤnde und
Suͤnder mit ſeinen eiteln Gedancken und Ein-
faͤllen verſuͤndiget. Was kan aber wol ver-
wegner ſeyn, als ſich mit ſeinem Urtheil uͤber
GOTTes, des allgemeinen und gerechteſten
Richters aller Welt, Urtheil erheben.

V. 3.
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[36/0064] Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 2, v. 1. 2. 2. Ob gleich unter dieſen Suͤnden und Greueln einige ſind, davor auch diejenigen Hey- den, welche dem Lichte der Natur Platz gege- ben, einen Abſcheu gehabt haben; ſo ſind doch auch die vernuͤnftigen und ehrbaren Heyden den uͤbrigen Suͤnden ergeben geweſen, alſo daß ſie dieſelbe haben uͤber ſich herrſchen laſſen. Jſt a- ber iemand weiter gekommen, ſo hat man ihn nicht als einen bloſſen Heyden anzuſehen, ſon- dern als einen ſolchen, welcher, auſſer dem Lich- te der Natur, auch den Fußſtapfen der goͤttli- chen Offenbarung nachgegangen; und zwar wie ſie dieſelbe theils aus der uralten Tradition von den Kindern Noaͤ, theils aus dem Um- gange mit- und Kundſchaft von den Juͤden ge- funden haben. 3. Welcher Leſer in aufrichtiger Selbſt- Pruͤfung befindet, daß er auch noch in dieſer und jener den Heyden zugeſchriebenen Suͤnde lebet, und zwar alſo, daß ſie die Herrſchaft uͤ- ber ihn beſitzet, der hat zu erkennen, daß er des Namens eines Chriſten unwuͤrdig iſt, und hat ſich daher durch die Gnade GOttes zu befleißi- gen, daß er von einem ſolchen Joche und von ſolchem Unflate gereiniget werde. Das andere Capitel. Darinnen gezeiget wird/ daß die Juden durch den bloſſen Weg des Geſetzes und der geſetzlichen Gerechtigkeit ſo viel weniger zur Seligkeit gelangen koͤnnen/ ſo viel mehr ſie dabey/ ohne den in- nern Dienſt GOttes/ nur im aͤuſſerlichen mit aufgeblaſe- nem und fleiſchlichem Sinne ſtehen bleiben. V. 1. DArum (weil nemlich, wie zuvor gezeiget, der Zorn GOttes uͤber alles nach der Laͤnge erzehlte un- goͤttliche Weſen und uͤber die Ungerechtigkeit zum Urtheil des ewigen Todes offenbaret und erkant wird,) o Menſch, wer du biſt (uͤberhaupt, der du auſſer dem Stande der Gnade und der verderb- ten Natur und unter der Herrſchaft der Suͤnde ſteheſt, du magſt ſeyn ein Heyde, oder ein Ju- de,) der da (in der That ſelbſt nicht beſſer, ob gleich etwas ſcheinbarer, iſt, und doch) ande- re (bey ihren groͤbern, und mehr in die Augen fallenden Uberfahrungen) richtet, (fuͤr des e- wigen Todes ſchuldige erkennet, ſich ſelbſt aber fuͤr unſchuldig haͤlt,) kanſt du dich nicht ent- ſchuldigen, (noch dich aus der Zahl derer, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhal- ten c. 1, 18. und vor dem Gerichte GOttes kei- ne Entſchuldigung haben v. 20. ausnehmen.) Denn worinnen du einen andern richteſt, verdammeſt du dich ſelbſt, (ſprichſt du in der That dir ſelbſt das Urtheil, ob du es gleich nicht meineſt:) ſintemal du eben daſſelbe (ob gleich auf eine verdecktere Art) thuſt, das du (an andern) richteſt. Anmerckungen. 1. Hier verſtehet der Apoſtel unter den Heyden die Richter, auch wol inſonderheit bey den Roͤmern die Cenſores morum, ſonſten aber die Philoſophos, und, weil er die Rede im Con- texte auch auf die Juden lencket, unter dieſen ſonderlich die Phariſaͤer: und alſo alle diejeni- gen, die ſich etwa von den Gattungen der zu- vor beſchriebenen groben Suͤnden moͤchten mit einigem Schein des Rechten ausnehmen und dafuͤr halten koͤnnen, als wenn ſie der Buſſe und des Glaubens an den Meßiam nicht beduͤrf- tig. 2. Es iſt kein gewoͤhnlicherer und ſchaͤd- licherer Selb-Betrug, als wenn ein Menſch ſich von dieſen und jenen Laſtern gantz rein und entfernet haͤlt, und doch davon keinen andern Grund hat, als daß der Unterſcheid zwiſchen ihm und andern, die er wol ſelbſt richtet und verdammet, nur in einem gewiſſen grad, ſon- derlich des aͤuſſerlichen Ausbruchs beſtehet; als wovon er ſich nicht ſo wol aus dem Triebe ſeines Gewiſſens und aus Liebe zur Tugend, als aus andern eiteln Urſachen, enthaͤlt. V. 2. Denn wir wiſſen, (auch aus dem Lichte der Natur, und noch vielmehr aus dem goͤttli- chen Geſetze,) daß GOttes Urtheil iſt recht (gehet nach dem Grunde der Wahrheit, und eigentlichen Beſchaffenheit einer Sache, nicht auf das, was etwa aͤuſſerlich von Menſchen mehr glaubbar und entdecket iſt; ſintemal manche verborgene oder verdeckte Suͤnde nach dem Ur- theil GOttes groͤſſer iſt, als eine die ins Auge faͤllt, aber innerlich bey manchen noch nicht ei- nen ſo hohen grad der corruption bey ſich fuͤh- ret,) uͤber die, ſo ſolches (welches zuvor er- zehlet iſt,) thun. (es moͤge nun auf eine recht grobe, oder auf eine mehr eingeſchrenckte Art geſchehen.) Anmerckung. Es geſchiehet gar leicht, daß ſich ein Menſch an GOttes Urtheil uͤber die Suͤnde und Suͤnder mit ſeinen eiteln Gedancken und Ein- faͤllen verſuͤndiget. Was kan aber wol ver- wegner ſeyn, als ſich mit ſeinem Urtheil uͤber GOTTes, des allgemeinen und gerechteſten Richters aller Welt, Urtheil erheben. V. 3.

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/64>, abgerufen am 21.11.2024.