Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 4, v. 2. 3. [Spaltenumbruch]
lig, oder kindlich und aufrichtig: gläubig,zuversichtlich und vertraulich nach dem Evange- lio: heilig, kindlich und aufrichtig nach dem Gesetze: wie beydes der Grund des Evan- gelii und des Gesetzes, nemlich die Liebe und Heiligkeit GOttes, es mit sich bringet. Wo es an einem dieser Haupt-Stücke fehlet, da ist der Wandel vor GOtt nicht rechter Art. Denn Zuversicht ohne Heiligung ist eine fleischliche Sicherheit: und Heiligung ohne eine evange- lische Zuversicht ist ein gesetzliches Eigen- wircken. V. 2. Mit aller Demuth und Sanftmuth, Anmerckungen. 1. Der Grund von dieser Ermahnung ist auf Seiten der Menschen in ihrer noch nach der Bekehrung übrigen grossen Unvollkommenheit und Fehlern, welche bey andern zu allerhand An- stössen ausbrechen. Wie denn manche Kinder GOttes vor andern noch solche idiotismos, oder besondere Mängel, nach ihrer Nation, Ge- schlecht, Temperament, Erziehung und Ge- wohnheit an sich haben, welche andern oft viel zu schaffen machen: zumal, da man anderer ih- re Fehler ehe zu mercken pfleget, als seine eigene. Dazu kömmt dieses, daß man allenthalben mit noch gantz unbekehrten Leuten umgeben ist, und so vielen mehrern Versuchungen dadurch unter- worfen wird. 2. Die Pflichten, welche in solchen Fällen von uns erfodert werden, fliessen alle zusammen in der Liebe, als dem rechten Bande der Voll- kommenheit, dadurch der Leib in seinem gantzen Zusammenhange und in seiner Harmonie erhal- ten wird. Darum der Apostel die Ephesier er- mahnet, daß einer den andern tragen soll in der Liebe. 3. Zu solchem ertragen in der Liebe gehö- ret, daß man den andern mit Erbarmung anse- he, und sich vorstelle, daß etwa dasjenige, wel- ches an ihm bey andern so anstößig ist, seine be- sondere Ursachen habe, welche sich bey andern nicht also finden, und welche von solcher Be- schaffenheit sind, daß sie zwar die Sache an sich nicht gut machen, doch aber entschuldigen, nach denen besondern Umständen, worinnen sich der sündigende befindet, und die bey ihm schwerer sind, als bey andern. Es geschiehet auch nicht selten, und ist geschehen, daß iemand dasjenige, womit er andern anstößig gewesen, nach em- pfundener heimlichen Züchtigung des Geistes schon bey sich bereuet und GOtt abgebeten hat. Da man denn so viel unbilliger handeln würde, wenn man einige Widrigkeit deswegen gegen den Nechsten hegen wolte. Und ob man es schon nicht weiß, daß sein Fehler von ihm erkant und bereuet worden, so kan man es doch hoffen. Ja wenn man auch gleich das Gegentheil siehet, so ist doch das Ertragen und Vertragen nützlich und nöthig. 4. Es gehören aber dazu sonderlich die drey in diesem Verse von Paulo erfoderte Tugenden: die Demuth, die Sanftmuth, und die Ge- duld, oder makrothumia, die Langmuth oder Großmüthigkeit. 5. Denn vermöge der Demuth machet man nichts aus sich selbst, geschweige, daß man sich dem andern vorziehen solte. Und folglich bleibet man bey der Demuth ohne Empfindung der Beleidigung; zum wenigsten ist sie gar leicht und erträglich. Dahingegen ein Ehrgeitziger und Stoltzer auf die geringste Veranlassung, ja auch wol nur aus blossem Argwohn mit vieler Empfindlicheit den Haß fasset, und diesen durch den Zorn ausbrechen lässet. 6. Und daß die Demuth von gedachter Art ist, das machet die aus ihr gebohrne und bey ihr befindliche Sanftmuth: welche auch daher der Demuth sehr ähnlich ist, und die rechte Lammes-Art an sich hat, und sich in aller Ge- lindigkeit erweiset. Unser Heiland hat beyde Tugenden in dem höchsten Grad ausgeübet, und fodert von uns darinnen eine getreue Nachfolge, wenn er beyde zusammen setzet und spricht: Lernet von mir; denn ich bin sanftmü- thig und von Hertzen demüthig. Matth. 11, 28. 7. Die Langmuth kömmt der Demuth und Sanftmuth alsdenn wohl zu statten, wenn die Beleidigung anhält, sich auch wohl häuffet und vermehret. Denn da will oft eine rechte geistliche Großmüthigkeit nöthig seyn, daß man sich nicht vom Bösen überwinden lasse, son- dern sich stärcker erweise und das Böse mit gutem vergelte. 8. Die Natur hat in den unbekehrten Welt-Menschen von diesen drey Tugenden nur einen Schatten; der zwar oft sehr ins Auge fällt. Denn es ist die verderbte Natur ein rechter Asse, und will es der Gnade nachthun- Das Schat- ten-Werck aber und der Zwang verrath sich bald, wenn der darunter geführte falsche Zweck nebst den übrigen Hindernissen hinweg fällt. Da denn der zuvor gehemmete Ausbruch arg genug ist. Die falsche Demuth und Sanftmuth nebst der falschen Großmüthigkeit erträget das Böse, weil sie nach der ratione status und ihres interesse wegen nicht wol anders kan: die wahre aber, weil sie nicht anders will, ob sie gleich könte. V. 3. Und seyd fleißig zu halten die Einig- Anmerckungen. 1. Das Wort Geist wird alhier am füg- lichsten genommen vom Geiste des Menschen, in so fern er wiedergebohren und erneuret ist von dem Heiligen Geiste. Da denn die Einigkeit des Geistes ist eine innerliche und geistliche Ei- nigkeit, welche die gläubigen Christen unter sich haben, und welche der Grund ist von der äusser- lichen guten Verträglichkeit. 2. Gleich-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 4, v. 2. 3. [Spaltenumbruch]
lig, oder kindlich und aufrichtig: glaͤubig,zuverſichtlich und vertraulich nach dem Evange- lio: heilig, kindlich und aufrichtig nach dem Geſetze: wie beydes der Grund des Evan- gelii und des Geſetzes, nemlich die Liebe und Heiligkeit GOttes, es mit ſich bringet. Wo es an einem dieſer Haupt-Stuͤcke fehlet, da iſt der Wandel vor GOtt nicht rechter Art. Denn Zuverſicht ohne Heiligung iſt eine fleiſchliche Sicherheit: und Heiligung ohne eine evange- liſche Zuverſicht iſt ein geſetzliches Eigen- wircken. V. 2. Mit aller Demuth und Sanftmuth, Anmerckungen. 1. Der Grund von dieſer Ermahnung iſt auf Seiten der Menſchen in ihrer noch nach der Bekehrung uͤbrigen groſſen Unvollkommenheit und Fehlern, welche bey andern zu allerhand An- ſtoͤſſen ausbrechen. Wie denn manche Kinder GOttes vor andern noch ſolche idiotiſmos, oder beſondere Maͤngel, nach ihrer Nation, Ge- ſchlecht, Temperament, Erziehung und Ge- wohnheit an ſich haben, welche andern oft viel zu ſchaffen machen: zumal, da man anderer ih- re Fehler ehe zu mercken pfleget, als ſeine eigene. Dazu koͤmmt dieſes, daß man allenthalben mit noch gantz unbekehrten Leuten umgeben iſt, und ſo vielen mehrern Verſuchungen dadurch unter- worfen wird. 2. Die Pflichten, welche in ſolchen Faͤllen von uns erfodert werden, flieſſen alle zuſammen in der Liebe, als dem rechten Bande der Voll- kommenheit, dadurch der Leib in ſeinem gantzen Zuſammenhange und in ſeiner Harmonie erhal- ten wird. Darum der Apoſtel die Epheſier er- mahnet, daß einer den andern tragen ſoll in der Liebe. 3. Zu ſolchem ertragen in der Liebe gehoͤ- ret, daß man den andern mit Erbarmung anſe- he, und ſich vorſtelle, daß etwa dasjenige, wel- ches an ihm bey andern ſo anſtoͤßig iſt, ſeine be- ſondere Urſachen habe, welche ſich bey andern nicht alſo finden, und welche von ſolcher Be- ſchaffenheit ſind, daß ſie zwar die Sache an ſich nicht gut machen, doch aber entſchuldigen, nach denen beſondern Umſtaͤnden, worinnen ſich der ſuͤndigende befindet, und die bey ihm ſchwerer ſind, als bey andern. Es geſchiehet auch nicht ſelten, und iſt geſchehen, daß iemand dasjenige, womit er andern anſtoͤßig geweſen, nach em- pfundener heimlichen Zuͤchtigung des Geiſtes ſchon bey ſich bereuet und GOtt abgebeten hat. Da man denn ſo viel unbilliger handeln wuͤrde, wenn man einige Widrigkeit deswegen gegen den Nechſten hegen wolte. Und ob man es ſchon nicht weiß, daß ſein Fehler von ihm erkant und bereuet worden, ſo kan man es doch hoffen. Ja wenn man auch gleich das Gegentheil ſiehet, ſo iſt doch das Ertragen und Vertragen nuͤtzlich und noͤthig. 4. Es gehoͤren aber dazu ſonderlich die drey in dieſem Verſe von Paulo erfoderte Tugenden: die Demuth, die Sanftmuth, und die Ge- duld, oder μακροϑυμία, die Langmuth oder Großmuͤthigkeit. 5. Denn vermoͤge der Demuth machet man nichts aus ſich ſelbſt, geſchweige, daß man ſich dem andern vorziehen ſolte. Und folglich bleibet man bey der Demuth ohne Empfindung der Beleidigung; zum wenigſten iſt ſie gar leicht und ertraͤglich. Dahingegen ein Ehrgeitziger und Stoltzer auf die geringſte Veranlaſſung, ja auch wol nur aus bloſſem Argwohn mit vieler Empfindlicheit den Haß faſſet, und dieſen durch den Zorn ausbrechen laͤſſet. 6. Und daß die Demuth von gedachter Art iſt, das machet die aus ihr gebohrne und bey ihr befindliche Sanftmuth: welche auch daher der Demuth ſehr aͤhnlich iſt, und die rechte Lammes-Art an ſich hat, und ſich in aller Ge- lindigkeit erweiſet. Unſer Heiland hat beyde Tugenden in dem hoͤchſten Grad ausgeuͤbet, und fodert von uns darinnen eine getreue Nachfolge, wenn er beyde zuſammen ſetzet und ſpricht: Lernet von mir; denn ich bin ſanftmuͤ- thig und von Hertzen demuͤthig. Matth. 11, 28. 7. Die Langmuth koͤmmt der Demuth und Sanftmuth alsdenn wohl zu ſtatten, wenn die Beleidigung anhaͤlt, ſich auch wohl haͤuffet und vermehret. Denn da will oft eine rechte geiſtliche Großmuͤthigkeit noͤthig ſeyn, daß man ſich nicht vom Boͤſen uͤberwinden laſſe, ſon- dern ſich ſtaͤrcker erweiſe und das Boͤſe mit gutem vergelte. 8. Die Natur hat in den unbekehrten Welt-Menſchen von dieſen drey Tugenden nur einen Schatten; der zwar oft ſehr ins Auge faͤllt. Denn es iſt die verderbte Natur ein rechter Aſſe, und will es der Gnade nachthun- Das Schat- ten-Werck aber und der Zwang verrath ſich bald, wenn der darunter gefuͤhrte falſche Zweck nebſt den uͤbrigen Hinderniſſen hinweg faͤllt. Da denn der zuvor gehemmete Ausbruch arg genug iſt. Die falſche Demuth und Sanftmuth nebſt der falſchen Großmuͤthigkeit ertraͤget das Boͤſe, weil ſie nach der ratione ſtatus und ihres intereſſe wegen nicht wol anders kan: die wahre aber, weil ſie nicht anders will, ob ſie gleich koͤnte. V. 3. Und ſeyd fleißig zu halten die Einig- Anmerckungen. 1. Das Wort Geiſt wird alhier am fuͤg- lichſten genommen vom Geiſte des Menſchen, in ſo fern er wiedergebohren und erneuret iſt von dem Heiligen Geiſte. Da denn die Einigkeit des Geiſtes iſt eine innerliche und geiſtliche Ei- nigkeit, welche die glaͤubigen Chriſten unter ſich haben, und welche der Grund iſt von der aͤuſſer- lichen guten Vertraͤglichkeit. 2. Gleich-
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 4, v. 2. 3.
lig, oder kindlich und aufrichtig: glaͤubig,
zuverſichtlich und vertraulich nach dem Evange-
lio: heilig, kindlich und aufrichtig nach
dem Geſetze: wie beydes der Grund des Evan-
gelii und des Geſetzes, nemlich die Liebe und
Heiligkeit GOttes, es mit ſich bringet. Wo
es an einem dieſer Haupt-Stuͤcke fehlet, da iſt
der Wandel vor GOtt nicht rechter Art. Denn
Zuverſicht ohne Heiligung iſt eine fleiſchliche
Sicherheit: und Heiligung ohne eine evange-
liſche Zuverſicht iſt ein geſetzliches Eigen-
wircken.
V. 2.
Mit aller Demuth und Sanftmuth,
mit Geduld (μακροϑυμίας, Langmuth) und
vertraget einer den andern in der Liebe.
Anmerckungen.
1. Der Grund von dieſer Ermahnung iſt
auf Seiten der Menſchen in ihrer noch nach der
Bekehrung uͤbrigen groſſen Unvollkommenheit
und Fehlern, welche bey andern zu allerhand An-
ſtoͤſſen ausbrechen. Wie denn manche Kinder
GOttes vor andern noch ſolche idiotiſmos, oder
beſondere Maͤngel, nach ihrer Nation, Ge-
ſchlecht, Temperament, Erziehung und Ge-
wohnheit an ſich haben, welche andern oft viel
zu ſchaffen machen: zumal, da man anderer ih-
re Fehler ehe zu mercken pfleget, als ſeine eigene.
Dazu koͤmmt dieſes, daß man allenthalben mit
noch gantz unbekehrten Leuten umgeben iſt, und
ſo vielen mehrern Verſuchungen dadurch unter-
worfen wird.
2. Die Pflichten, welche in ſolchen Faͤllen
von uns erfodert werden, flieſſen alle zuſammen
in der Liebe, als dem rechten Bande der Voll-
kommenheit, dadurch der Leib in ſeinem gantzen
Zuſammenhange und in ſeiner Harmonie erhal-
ten wird. Darum der Apoſtel die Epheſier er-
mahnet, daß einer den andern tragen ſoll in der
Liebe.
3. Zu ſolchem ertragen in der Liebe gehoͤ-
ret, daß man den andern mit Erbarmung anſe-
he, und ſich vorſtelle, daß etwa dasjenige, wel-
ches an ihm bey andern ſo anſtoͤßig iſt, ſeine be-
ſondere Urſachen habe, welche ſich bey andern
nicht alſo finden, und welche von ſolcher Be-
ſchaffenheit ſind, daß ſie zwar die Sache an ſich
nicht gut machen, doch aber entſchuldigen, nach
denen beſondern Umſtaͤnden, worinnen ſich der
ſuͤndigende befindet, und die bey ihm ſchwerer
ſind, als bey andern. Es geſchiehet auch nicht
ſelten, und iſt geſchehen, daß iemand dasjenige,
womit er andern anſtoͤßig geweſen, nach em-
pfundener heimlichen Zuͤchtigung des Geiſtes
ſchon bey ſich bereuet und GOtt abgebeten hat.
Da man denn ſo viel unbilliger handeln wuͤrde,
wenn man einige Widrigkeit deswegen gegen
den Nechſten hegen wolte. Und ob man es
ſchon nicht weiß, daß ſein Fehler von ihm erkant
und bereuet worden, ſo kan man es doch hoffen.
Ja wenn man auch gleich das Gegentheil ſiehet,
ſo iſt doch das Ertragen und Vertragen nuͤtzlich
und noͤthig.
4. Es gehoͤren aber dazu ſonderlich die drey
in dieſem Verſe von Paulo erfoderte Tugenden:
die Demuth, die Sanftmuth, und die Ge-
duld, oder μακροϑυμία, die Langmuth oder
Großmuͤthigkeit.
5. Denn vermoͤge der Demuth machet
man nichts aus ſich ſelbſt, geſchweige, daß man
ſich dem andern vorziehen ſolte. Und folglich
bleibet man bey der Demuth ohne Empfindung
der Beleidigung; zum wenigſten iſt ſie gar leicht
und ertraͤglich. Dahingegen ein Ehrgeitziger
und Stoltzer auf die geringſte Veranlaſſung,
ja auch wol nur aus bloſſem Argwohn mit vieler
Empfindlicheit den Haß faſſet, und dieſen durch
den Zorn ausbrechen laͤſſet.
6. Und daß die Demuth von gedachter Art
iſt, das machet die aus ihr gebohrne und bey ihr
befindliche Sanftmuth: welche auch daher
der Demuth ſehr aͤhnlich iſt, und die rechte
Lammes-Art an ſich hat, und ſich in aller Ge-
lindigkeit erweiſet. Unſer Heiland hat beyde
Tugenden in dem hoͤchſten Grad ausgeuͤbet, und
fodert von uns darinnen eine getreue Nachfolge,
wenn er beyde zuſammen ſetzet und ſpricht:
Lernet von mir; denn ich bin ſanftmuͤ-
thig und von Hertzen demuͤthig. Matth.
11, 28.
7. Die Langmuth koͤmmt der Demuth
und Sanftmuth alsdenn wohl zu ſtatten, wenn
die Beleidigung anhaͤlt, ſich auch wohl haͤuffet
und vermehret. Denn da will oft eine rechte
geiſtliche Großmuͤthigkeit noͤthig ſeyn, daß
man ſich nicht vom Boͤſen uͤberwinden laſſe, ſon-
dern ſich ſtaͤrcker erweiſe und das Boͤſe mit gutem
vergelte.
8. Die Natur hat in den unbekehrten
Welt-Menſchen von dieſen drey Tugenden nur
einen Schatten; der zwar oft ſehr ins Auge faͤllt.
Denn es iſt die verderbte Natur ein rechter Aſſe,
und will es der Gnade nachthun- Das Schat-
ten-Werck aber und der Zwang verrath ſich bald,
wenn der darunter gefuͤhrte falſche Zweck nebſt
den uͤbrigen Hinderniſſen hinweg faͤllt. Da
denn der zuvor gehemmete Ausbruch arg genug
iſt. Die falſche Demuth und Sanftmuth nebſt
der falſchen Großmuͤthigkeit ertraͤget das Boͤſe,
weil ſie nach der ratione ſtatus und ihres intereſſe
wegen nicht wol anders kan: die wahre aber,
weil ſie nicht anders will, ob ſie gleich koͤnte.
V. 3.
Und ſeyd fleißig zu halten die Einig-
keit im Geiſt (ihr, die ihr aus Juͤden und Heiden
zur Gemeinſchaft Chriſti gekommen ſeyd) durch
das Band des Friedens.
Anmerckungen.
1. Das Wort Geiſt wird alhier am fuͤg-
lichſten genommen vom Geiſte des Menſchen,
in ſo fern er wiedergebohren und erneuret iſt von
dem Heiligen Geiſte. Da denn die Einigkeit
des Geiſtes iſt eine innerliche und geiſtliche Ei-
nigkeit, welche die glaͤubigen Chriſten unter ſich
haben, und welche der Grund iſt von der aͤuſſer-
lichen guten Vertraͤglichkeit.
2. Gleich-
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