Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 3, v. 14. 15. an die Colosser. [Spaltenumbruch]
Menschen zeigen kan. Denn da hat ein kleinesKind zwar alle wesentliche und übrige Theile eines Menschen an sich, und ist also ein voll- kommener Mensch: aber es ist noch kein voll- kommener Mann, bey welchem alle Theile ihre rechte Grösse erreichet hätten. Und also hat man perfectionem partium und graduum, eine Voll- kommenheit der Theile allein, oder der Theile und Stuffen zugleich. 2. Was nun unsere Vollkommenheit vor GOTT im geistlichen Verstande betrifft, so haben wir von Natur nach dem Fall gar keine: aber wir erlangen sie doch; und zwar die abso- lutam, damit wir vor GOTT bestehen, allein von und in CHristo nach dem Grunde der Ver- söhnung und der Rechtfertigung, darinn uns CHristi Gerechtigkeit zugerechnet wird: die limitatam, diejenige, welche zwar alle Thei- le des rechtschaffnen Wesens und Christen- thums in sich hat, aber doch den Stuffen nach zu noch immer mehrern Wachsthum kommen muß, nach der Ordnung der Wiedergeburt und täglichen Erneuerung. 3. Von dieser letztern ist alhier die Rede; und zwar eigentlich im Absehen auf den unan- stößigen und erbaulichen Wandel und Umgang mit andern. Da soll seyn t[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]leiotes das gan- tze, das ist, es sollen alle Pflichten also bey einander seyn, daß es an keiner gantz und gar fehle. Und dazu erfodert nun der Apostel die Liebe, und spricht, sie sey das Band der Vollkommenheit. Davon uns unser Hei- land den Verstand am besten ausdrucket, wenn er Matth. 22, 40. saget: Jn diesen zweyen Geboten (von der Liebe GOttes und des Nech- sten und unser selbst) hanget das gantze Ge- setz und die Propheten. Darauf Paulus siehet, wenn er Rom. 13, 8. und 10. spricht: Wer den andern liebet, der hat das Ge- setz erfüllet. - - - Die Liebe ist des Gese- tzes Erfüllung. Siehe auch Gal. 5, 14. Al- le Gesetz werden in einem Worte (Gebot) erfüllet: Liebe deinen Nechsten, als dich selbst. 4. Damit man so viel eigentlicher erken- ne, wie die Liebe alle Pflichten in sich halte, so hat man zu erwegen, daß die Liebe nach dem vielfachen Unterscheide ihrer Art und ihrer Aus- übung nur ihre Namen verändere, daß sie bald heisse Geduld, Demuth, Sanftmuth u. s. w. Welches Paulus damit anzeiget, wenn er 1 Cor. 13. der Liebe so viele Eigenschaften bey- leget, und v. 4. u. f. spricht: Die Liebe ist langmüthig und freundlich - - sie verträ- get alles, sie duldet alles u. f. 5. Jm übrigen will der Apostel mit den Worten daß die Liebe das Band der Voll- kommenheit, oder rechten integrität sey, auch dieses sonderlich anzeigen, daß die Liebe ver- hüte, daß nicht ein Riß und eine Spaltung an dem geistlichen Leibe CHristi vorgehe; und wo etwa dergleichen entstehet, daß die Liebe gleichsam in die Lücke trete, sie ausfülle und al- les wieder ergäntze. V. 15. Und der Friede GOttes regiere in eu- Anmerckungen. 1. Die Ubung der Liebe erhält unter Menschen alles im Bande des Friedens und der Einigkeit. Soll aber der Friede unter ihnen rechter Art seyn, so muß er den Frieden in GOTT und mit GOTT, und also den geist- lichen Seelen-Frieden, daraus die wahre Liebe mit der Einigkeit gebohren wird, zum Grunde haben. Und eben diß ist es, worauf uns Pau- lus hiemit führet. 2. Der Friede GOTTes ist alhier der, welchen GOTT mit den Menschen hat, und welchen die Menschen mit GOtt und in GOtt haben: dessen Grund ist die Versöhnung Chri- sti, der daher heißt der Friedens-Fürst Jes. 9, 6. von dem Paulus oben cap. 1, 19. 20. spricht: Es ist das Wohlgefallen GOttes gewe- sen, daß in ihm alle Fülle wohnen solte, und alles durch ihn versöhnet würde, es sey auf Erden, oder im Himmel, damit daß er Friede machte durch das Blut an sei- nem Creutz durch sich selbst. 3. Da die Versöhnung der Grund die- ses Friedens bey GOTT ist, so wird er erlan- get, so bald die Versöhnung zur Application kömmt, nemlich in der Rechtfertigung. Dar- um Paulus Rom. 5, 1. spricht: Nachdem wir sind gerecht worden, so haben wir Friede mit GOTT durch unsern HErrn JEsum CHristum. 4. Wenn dieser Friede wircklich erlanget ist, so hat der Gerechtfertigte an demselben nicht allein ein in GOTT beruhigtes und vergnüg- tes Gewissen, sondern auch eine solche ihm bey- wohnende Gnaden-Kraft, dadurch er ist Mei- ster worden über seine von Natur ihn beherr- schende Affecten. Nicht weniger geniesset er in solchem Frieden der übrigen damit verknüpften Heils-Güter, als da sind: Die Kindschaft GOttes, die Freyheit des Gewissens, der Friede im Heiligen Geiste u. s. w. Wie denn daher der Friede bey den Hebräern und Griechen einen solchen Namen hat, welcher auf die Vollkommenheit, oder auf die geistliche Fül- le und Zusammenfassung, oder Verbindung, wie GOttes mit dem Menschen, also auch aller Heils-Schätze, führet. 5. Da es nun also um den Frieden GOt- tes stehet, so ist leichtlich zu erachten, warum ihm die Regierung der Hertzen zugeschrieben wer- de; und zwar eine solche, welche mit dem Wor- te brabeuein ausgedrucket wird: da dieses heißt, den Lauf nach dem Ziel des himmlischen Kleinods also dirigiren, daß er in ungehinderter Ordnung fortgehe, und denn darauf auch das Kleinod wircklich ertheilen. Und dieses thut der Friede GOttes. Denn er richtet das einfältige Auge des Gemüths also auf GOTT, daß alles Tich- ten J i i i i 3
Cap. 3, v. 14. 15. an die Coloſſer. [Spaltenumbruch]
Menſchen zeigen kan. Denn da hat ein kleinesKind zwar alle weſentliche und uͤbrige Theile eines Menſchen an ſich, und iſt alſo ein voll- kommener Menſch: aber es iſt noch kein voll- kommener Mann, bey welchem alle Theile ihre rechte Groͤſſe erreichet haͤtten. Und alſo hat man perfectionem partium und graduum, eine Voll- kommenheit der Theile allein, oder der Theile und Stuffen zugleich. 2. Was nun unſere Vollkommenheit vor GOTT im geiſtlichen Verſtande betrifft, ſo haben wir von Natur nach dem Fall gar keine: aber wir erlangen ſie doch; und zwar die abſo- lutam, damit wir vor GOTT beſtehen, allein von und in CHriſto nach dem Grunde der Ver- ſoͤhnung und der Rechtfertigung, darinn uns CHriſti Gerechtigkeit zugerechnet wird: die limitatam, diejenige, welche zwar alle Thei- le des rechtſchaffnen Weſens und Chriſten- thums in ſich hat, aber doch den Stuffen nach zu noch immer mehrern Wachsthum kommen muß, nach der Ordnung der Wiedergeburt und taͤglichen Erneuerung. 3. Von dieſer letztern iſt alhier die Rede; und zwar eigentlich im Abſehen auf den unan- ſtoͤßigen und erbaulichen Wandel und Umgang mit andern. Da ſoll ſeyn τ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]λειότης das gan- tze, das iſt, es ſollen alle Pflichten alſo bey einander ſeyn, daß es an keiner gantz und gar fehle. Und dazu erfodert nun der Apoſtel die Liebe, und ſpricht, ſie ſey das Band der Vollkommenheit. Davon uns unſer Hei- land den Verſtand am beſten ausdrucket, wenn er Matth. 22, 40. ſaget: Jn dieſen zweyen Geboten (von der Liebe GOttes und des Nech- ſten und unſer ſelbſt) hanget das gantze Ge- ſetz und die Propheten. Darauf Paulus ſiehet, wenn er Rom. 13, 8. und 10. ſpricht: Wer den andern liebet, der hat das Ge- ſetz erfuͤllet. ‒ ‒ ‒ Die Liebe iſt des Geſe- tzes Erfuͤllung. Siehe auch Gal. 5, 14. Al- le Geſetz werden in einem Worte (Gebot) erfuͤllet: Liebe deinen Nechſten, als dich ſelbſt. 4. Damit man ſo viel eigentlicher erken- ne, wie die Liebe alle Pflichten in ſich halte, ſo hat man zu erwegen, daß die Liebe nach dem vielfachen Unterſcheide ihrer Art und ihrer Aus- uͤbung nur ihre Namen veraͤndere, daß ſie bald heiſſe Geduld, Demuth, Sanftmuth u. ſ. w. Welches Paulus damit anzeiget, wenn er 1 Cor. 13. der Liebe ſo viele Eigenſchaften bey- leget, und v. 4. u. f. ſpricht: Die Liebe iſt langmuͤthig und freundlich ‒ ‒ ſie vertraͤ- get alles, ſie duldet alles u. f. 5. Jm uͤbrigen will der Apoſtel mit den Worten daß die Liebe das Band der Voll- kommenheit, oder rechten integritaͤt ſey, auch dieſes ſonderlich anzeigen, daß die Liebe ver- huͤte, daß nicht ein Riß und eine Spaltung an dem geiſtlichen Leibe CHriſti vorgehe; und wo etwa dergleichen entſtehet, daß die Liebe gleichſam in die Luͤcke trete, ſie ausfuͤlle und al- les wieder ergaͤntze. V. 15. Und der Friede GOttes regiere in eu- Anmerckungen. 1. Die Ubung der Liebe erhaͤlt unter Menſchen alles im Bande des Friedens und der Einigkeit. Soll aber der Friede unter ihnen rechter Art ſeyn, ſo muß er den Frieden in GOTT und mit GOTT, und alſo den geiſt- lichen Seelen-Frieden, daraus die wahre Liebe mit der Einigkeit gebohren wird, zum Grunde haben. Und eben diß iſt es, worauf uns Pau- lus hiemit fuͤhret. 2. Der Friede GOTTes iſt alhier der, welchen GOTT mit den Menſchen hat, und welchen die Menſchen mit GOtt und in GOtt haben: deſſen Grund iſt die Verſoͤhnung Chri- ſti, der daher heißt der Friedens-Fuͤrſt Jeſ. 9, 6. von dem Paulus oben cap. 1, 19. 20. ſpricht: Es iſt das Wohlgefallen GOttes gewe- ſen, daß in ihm alle Fuͤlle wohnen ſolte, und alles durch ihn verſoͤhnet wuͤrde, es ſey auf Erden, oder im Himmel, damit daß er Friede machte durch das Blut an ſei- nem Creutz durch ſich ſelbſt. 3. Da die Verſoͤhnung der Grund die- ſes Friedens bey GOTT iſt, ſo wird er erlan- get, ſo bald die Verſoͤhnung zur Application koͤmmt, nemlich in der Rechtfertigung. Dar- um Paulus Rom. 5, 1. ſpricht: Nachdem wir ſind gerecht worden, ſo haben wir Friede mit GOTT durch unſern HErrn JEſum CHriſtum. 4. Wenn dieſer Friede wircklich erlanget iſt, ſo hat der Gerechtfertigte an demſelben nicht allein ein in GOTT beruhigtes und vergnuͤg- tes Gewiſſen, ſondern auch eine ſolche ihm bey- wohnende Gnaden-Kraft, dadurch er iſt Mei- ſter worden uͤber ſeine von Natur ihn beherr- ſchende Affecten. Nicht weniger genieſſet er in ſolchem Frieden der uͤbrigen damit verknuͤpften Heils-Guͤter, als da ſind: Die Kindſchaft GOttes, die Freyheit des Gewiſſens, der Friede im Heiligen Geiſte u. ſ. w. Wie denn daher der Friede bey den Hebraͤern und Griechen einen ſolchen Namen hat, welcher auf die Vollkommenheit, oder auf die geiſtliche Fuͤl- le und Zuſammenfaſſung, oder Verbindung, wie GOttes mit dem Menſchen, alſo auch aller Heils-Schaͤtze, fuͤhret. 5. Da es nun alſo um den Frieden GOt- tes ſtehet, ſo iſt leichtlich zu erachten, warum ihm die Regierung der Hertzen zugeſchrieben wer- de; und zwar eine ſolche, welche mit dem Wor- te βραβεύειν ausgedrucket wird: da dieſes heißt, den Lauf nach dem Ziel des himmliſchen Kleinods alſo dirigiren, daß er in ungehinderter Ordnung fortgehe, und denn darauf auch das Kleinod wircklich ertheilen. Und dieſes thut der Friede GOttes. Denn er richtet das einfaͤltige Auge des Gemuͤths alſo auf GOTT, daß alles Tich- ten J i i i i 3
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Cap. 3, v. 14. 15. an die Coloſſer.
Menſchen zeigen kan. Denn da hat ein kleines
Kind zwar alle weſentliche und uͤbrige Theile
eines Menſchen an ſich, und iſt alſo ein voll-
kommener Menſch: aber es iſt noch kein voll-
kommener Mann, bey welchem alle Theile ihre
rechte Groͤſſe erreichet haͤtten. Und alſo hat man
perfectionem partium und graduum, eine Voll-
kommenheit der Theile allein, oder der Theile
und Stuffen zugleich.
2. Was nun unſere Vollkommenheit vor
GOTT im geiſtlichen Verſtande betrifft, ſo
haben wir von Natur nach dem Fall gar keine:
aber wir erlangen ſie doch; und zwar die abſo-
lutam, damit wir vor GOTT beſtehen, allein
von und in CHriſto nach dem Grunde der Ver-
ſoͤhnung und der Rechtfertigung, darinn
uns CHriſti Gerechtigkeit zugerechnet wird:
die limitatam, diejenige, welche zwar alle Thei-
le des rechtſchaffnen Weſens und Chriſten-
thums in ſich hat, aber doch den Stuffen nach
zu noch immer mehrern Wachsthum kommen
muß, nach der Ordnung der Wiedergeburt
und taͤglichen Erneuerung.
3. Von dieſer letztern iſt alhier die Rede;
und zwar eigentlich im Abſehen auf den unan-
ſtoͤßigen und erbaulichen Wandel und Umgang
mit andern. Da ſoll ſeyn τ_ λειότης das gan-
tze, das iſt, es ſollen alle Pflichten alſo bey
einander ſeyn, daß es an keiner gantz und gar
fehle. Und dazu erfodert nun der Apoſtel die
Liebe, und ſpricht, ſie ſey das Band der
Vollkommenheit. Davon uns unſer Hei-
land den Verſtand am beſten ausdrucket, wenn
er Matth. 22, 40. ſaget: Jn dieſen zweyen
Geboten (von der Liebe GOttes und des Nech-
ſten und unſer ſelbſt) hanget das gantze Ge-
ſetz und die Propheten. Darauf Paulus
ſiehet, wenn er Rom. 13, 8. und 10. ſpricht:
Wer den andern liebet, der hat das Ge-
ſetz erfuͤllet. ‒ ‒ ‒ Die Liebe iſt des Geſe-
tzes Erfuͤllung. Siehe auch Gal. 5, 14. Al-
le Geſetz werden in einem Worte (Gebot)
erfuͤllet: Liebe deinen Nechſten, als dich
ſelbſt.
4. Damit man ſo viel eigentlicher erken-
ne, wie die Liebe alle Pflichten in ſich halte, ſo
hat man zu erwegen, daß die Liebe nach dem
vielfachen Unterſcheide ihrer Art und ihrer Aus-
uͤbung nur ihre Namen veraͤndere, daß ſie
bald heiſſe Geduld, Demuth, Sanftmuth
u. ſ. w. Welches Paulus damit anzeiget, wenn
er 1 Cor. 13. der Liebe ſo viele Eigenſchaften bey-
leget, und v. 4. u. f. ſpricht: Die Liebe iſt
langmuͤthig und freundlich ‒ ‒ ſie vertraͤ-
get alles, ſie duldet alles u. f.
5. Jm uͤbrigen will der Apoſtel mit den
Worten daß die Liebe das Band der Voll-
kommenheit, oder rechten integritaͤt ſey, auch
dieſes ſonderlich anzeigen, daß die Liebe ver-
huͤte, daß nicht ein Riß und eine Spaltung
an dem geiſtlichen Leibe CHriſti vorgehe; und
wo etwa dergleichen entſtehet, daß die Liebe
gleichſam in die Luͤcke trete, ſie ausfuͤlle und al-
les wieder ergaͤntze.
V. 15.
Und der Friede GOttes regiere in eu-
ren Hertzen, zu welchem ihr auch berufen
ſeyd in einem Leibe, und ſeyd danck-
bar.
Anmerckungen.
1. Die Ubung der Liebe erhaͤlt unter
Menſchen alles im Bande des Friedens und der
Einigkeit. Soll aber der Friede unter ihnen
rechter Art ſeyn, ſo muß er den Frieden in
GOTT und mit GOTT, und alſo den geiſt-
lichen Seelen-Frieden, daraus die wahre Liebe
mit der Einigkeit gebohren wird, zum Grunde
haben. Und eben diß iſt es, worauf uns Pau-
lus hiemit fuͤhret.
2. Der Friede GOTTes iſt alhier der,
welchen GOTT mit den Menſchen hat, und
welchen die Menſchen mit GOtt und in GOtt
haben: deſſen Grund iſt die Verſoͤhnung Chri-
ſti, der daher heißt der Friedens-Fuͤrſt Jeſ. 9,
6. von dem Paulus oben cap. 1, 19. 20. ſpricht:
Es iſt das Wohlgefallen GOttes gewe-
ſen, daß in ihm alle Fuͤlle wohnen ſolte,
und alles durch ihn verſoͤhnet wuͤrde, es
ſey auf Erden, oder im Himmel, damit
daß er Friede machte durch das Blut an ſei-
nem Creutz durch ſich ſelbſt.
3. Da die Verſoͤhnung der Grund die-
ſes Friedens bey GOTT iſt, ſo wird er erlan-
get, ſo bald die Verſoͤhnung zur Application
koͤmmt, nemlich in der Rechtfertigung. Dar-
um Paulus Rom. 5, 1. ſpricht: Nachdem wir
ſind gerecht worden, ſo haben wir Friede
mit GOTT durch unſern HErrn JEſum
CHriſtum.
4. Wenn dieſer Friede wircklich erlanget
iſt, ſo hat der Gerechtfertigte an demſelben nicht
allein ein in GOTT beruhigtes und vergnuͤg-
tes Gewiſſen, ſondern auch eine ſolche ihm bey-
wohnende Gnaden-Kraft, dadurch er iſt Mei-
ſter worden uͤber ſeine von Natur ihn beherr-
ſchende Affecten. Nicht weniger genieſſet er in
ſolchem Frieden der uͤbrigen damit verknuͤpften
Heils-Guͤter, als da ſind: Die Kindſchaft
GOttes, die Freyheit des Gewiſſens, der
Friede im Heiligen Geiſte u. ſ. w. Wie
denn daher der Friede bey den Hebraͤern und
Griechen einen ſolchen Namen hat, welcher auf
die Vollkommenheit, oder auf die geiſtliche Fuͤl-
le und Zuſammenfaſſung, oder Verbindung,
wie GOttes mit dem Menſchen, alſo auch aller
Heils-Schaͤtze, fuͤhret.
5. Da es nun alſo um den Frieden GOt-
tes ſtehet, ſo iſt leichtlich zu erachten, warum
ihm die Regierung der Hertzen zugeſchrieben wer-
de; und zwar eine ſolche, welche mit dem Wor-
te βραβεύειν ausgedrucket wird: da dieſes heißt,
den Lauf nach dem Ziel des himmliſchen Kleinods
alſo dirigiren, daß er in ungehinderter Ordnung
fortgehe, und denn darauf auch das Kleinod
wircklich ertheilen. Und dieſes thut der Friede
GOttes. Denn er richtet das einfaͤltige Auge
des Gemuͤths alſo auf GOTT, daß alles Tich-
ten
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