[Spaltenumbruch]
dahin gehet, daß sie in seiner und der Sünden ver- dammlichen Dienstbarkeit bleiben sollen.)
Anmerckungen.
1. Ein Lehrer soll seyn ein Knecht des HErrn, nicht der Sünden, noch der Menschen, daß er von ihrem bösen Willen dependire, und rede, auch handele, wie sie es gern hören wollen: wie leider vieler ihre Art ist.
2. Es kan niemand ein Knecht des HErrn seyn, er sey denn auch zuvorderst ein Kind des HErrn. Denn ist iemand kein Kind GOttes, so ist er ein Kind, und also auch ein Knecht, der Sünden und des Teufels 1 Joh. 3, 10. Joh. 8, 44. und folglich kein Knecht GOttes: da niemand solchen zween widerwärtigen Herrn dienen kan. Matth. 6, 24. Man kan demnach keinen unbekehrten und ärgerlich lebenden Lehrer im eigentlichen Verstande einen Knecht, oder Diener, GOttes nennen.
3. Der Apostel fordert von einem Lehrer beydes, nicht zänckisch seyn, und doch auch die Widerspenstigen strafen und unterwei- sen. Damit er denn anzeiget, wie man im Amte weder eines theils unnützen Streit anfangen, oder unterhalten, noch auch andern theils zu allem, was der Wahrheit nachtheilig ist, stille schweigen, sondern dißfals die Mittel-Strasse halten solle.
4. Offenb. 2, 2. wird es dem Engel der Gemeine zu Ephesus zu einem besondern Lobe ge- rechnet, daß er die Bösen nicht tragen kön- ne. Welches denn von einem solchen ertragen zu verstehen ist, da man zu allem stille schweiget, oder es doch nur so obenhin mißbilliget, wie Eli die übermachte Bosheit seiner Söhne: damit man sich denn fremder Sünden theilhaftig machet, und den Arm der Gottlosen nur stärcket.
5. Es pflegen ungeübte Lehrer in die Ver- suchung zu fallen, daß, wenn sie bey diesen und jenen nicht bald eine Frucht von ihrer Arbeit sehen, sondern dagegen wol wahrnehmen, daß Ubel nur noch ärger wird, sie ihren Muth von der Zeit an sincken lassen, und nicht mit genugsamer Geduld anhalten. Dagegen Paulus erfodert, daß sie seyn sollen anexikakoi, die das böse und die bösen selbst tragen können. Dazu auch gehöret, daß man sie als Mitleidens würdige Leute mit Er- barmen ansiehet. Da es denn ofte geschiehet, daß sie noch gewonnen werden.
6. Jm dem Geben der Busse, oder der Gnade zur wahren Bekehrung, kömmt es mit auf die Ordnung an, in welcher der Mensch der Gnade fähig ist; nemlich daß er durch die züchtigende Gnade GOttes von der Repugnantz ablasse, und sie gläubig und gehorsamlich annehme. Da nun ein Lehrer nicht wissen kan, ob auch solches von Seiten der Menschen geschehen werde: so heisset es: ob ihnen GOtt Busse gebe. Sie- he fast desgleichen Ap. Gesch. 8, 22.
7. Zur Erkenntniß der Wahrheit gehöret [Spaltenumbruch]
die Ordnung der wahren Bekehrung: Und also hat kein unbekehrter Lehrer, oder Zuhörer, die wahre lebendige und lautere Erkenntniß GOttes. Kein beharrlich Gottloser ist wahrhaftig erleuchtet, ob er gleich mit den blinden Pharisäern eine weite und breite buchstäbliche Wissenschaft von GOtt und göttlichen Dingen hat, oder haben kan.
8. Jn den Worten: wieder nüchtern werden aus des Teufels Stricken, kommen zwey Gleichnisse zusammen: das eine von der Trunckenheit und der damit oft verknüpften Schlaf-Sucht, oder dem tiefen Schlafe, und das andere von der Gefangenschaft. Die sünd- lichen Lüste und bösen Affecten machen in ihrer Beherrschung den Menschen gleichsam recht trun- cken, daß er sich auch seines natürlichen Verstan- des nicht einmal recht gebrauchet, sondern wie ein Trunckener handelt. Und da sie die Herrschaft über ihn haben, so wird er dadurch recht gefangen gehalten, wie ein wildes Thier, und also gleich- sam zur Schlachtbanck geführet. Gleichwie nun der Mensch durch die Bekehrung zur wahren Freyheit gelanget; also kömmt er auch dadurch zur rechten Nüchternheit und Wachsamkeit des Gemüths, welche die Griechen sophrosunen und sophronismon nennen.
9. Ein iede herrschende Sünde führet eine Verstrickung mit sich. Dannenhero muß keine eintzige über den Menschen die Herrschaft behal- ten; wie denn auch eine Sünde ohne die andere nicht kan abgeleget werden. Denn wolte der Mensch diese und jene Sünde ablegen, aber in ei- ner andern muthwillig fortfahren, so wäre solches ja eine solche Bosheit, daraus man leichtlich ab- nehmen könte, daß es ihm auch um die Ablassung von den übrigen Sünden kein Ernst sey, sondern daß er eine vorsetzliche Schalckheit im Hertzen be- hält, dabey keine Vergebung der Sünden statt findet. Und gesetzt auch, jenes ginge an; was wür- de das für eine Freyheit seyn, wenn er dabey doch durch die noch übrige Sünde ein Sclave des Teufels bliebe? was würde es einem gefesselten Thiere, das an zehen Ketten lieget, helfen, wenn es von neunen los gemachet, aber doch an der ze- henden vest gehalten würde?
10. Es hat der Mensch freylich einen freyen Willen, dadurch er kan der Sünde widerstehen: allein in geistlichen Dingen fehlet es demselben an Kräften. Und obgleich in natürlichen Dingen, dazu auch einige Mäßigung der Sünden von dem äusserlichen Ausbruch gehöret, mittelmäßige Kräfte übrig sind, so kan doch der Mensch durch den Mißbrauch seines freyen Willens, oder durch den der reitzenden Sünde nachgelassenen Zügel derselben dergestalt beraubet werden, daß er in na- türlichen Dingen ein rechter Sclave und gleich- sam leibeigner des Satans ist, der der Macht der ihn hinreissenden und überwältigenden bösen Affecten nicht mehr widerstehen kan.
Das
Cap. 2. v. 24-26 an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
dahin gehet, daß ſie in ſeiner und der Suͤnden ver- dammlichen Dienſtbarkeit bleiben ſollen.)
Anmerckungen.
1. Ein Lehrer ſoll ſeyn ein Knecht des HErrn, nicht der Suͤnden, noch der Menſchen, daß er von ihrem boͤſen Willen dependire, und rede, auch handele, wie ſie es gern hoͤren wollen: wie leider vieler ihre Art iſt.
2. Es kan niemand ein Knecht des HErrn ſeyn, er ſey denn auch zuvorderſt ein Kind des HErrn. Denn iſt iemand kein Kind GOttes, ſo iſt er ein Kind, und alſo auch ein Knecht, der Suͤnden und des Teufels 1 Joh. 3, 10. Joh. 8, 44. und folglich kein Knecht GOttes: da niemand ſolchen zween widerwaͤrtigen Herrn dienen kan. Matth. 6, 24. Man kan demnach keinen unbekehrten und aͤrgerlich lebenden Lehrer im eigentlichen Verſtande einen Knecht, oder Diener, GOttes nennen.
3. Der Apoſtel fordert von einem Lehrer beydes, nicht zaͤnckiſch ſeyn, und doch auch die Widerſpenſtigen ſtrafen und unterwei- ſen. Damit er denn anzeiget, wie man im Amte weder eines theils unnuͤtzen Streit anfangen, oder unterhalten, noch auch andern theils zu allem, was der Wahrheit nachtheilig iſt, ſtille ſchweigen, ſondern dißfals die Mittel-Straſſe halten ſolle.
4. Offenb. 2, 2. wird es dem Engel der Gemeine zu Epheſus zu einem beſondern Lobe ge- rechnet, daß er die Boͤſen nicht tragen koͤn- ne. Welches denn von einem ſolchen ertragen zu verſtehen iſt, da man zu allem ſtille ſchweiget, oder es doch nur ſo obenhin mißbilliget, wie Eli die uͤbermachte Bosheit ſeiner Soͤhne: damit man ſich denn fremder Suͤnden theilhaftig machet, und den Arm der Gottloſen nur ſtaͤrcket.
5. Es pflegen ungeuͤbte Lehrer in die Ver- ſuchung zu fallen, daß, wenn ſie bey dieſen und jenen nicht bald eine Frucht von ihrer Arbeit ſehen, ſondern dagegen wol wahrnehmen, daß Ubel nur noch aͤrger wird, ſie ihren Muth von der Zeit an ſincken laſſen, und nicht mit genugſamer Geduld anhalten. Dagegen Paulus erfodert, daß ſie ſeyn ſollen ἀνεξίκακοι, die das boͤſe und die boͤſen ſelbſt tragen koͤnnen. Dazu auch gehoͤret, daß man ſie als Mitleidens wuͤrdige Leute mit Er- barmen anſiehet. Da es denn ofte geſchiehet, daß ſie noch gewonnen werden.
6. Jm dem Geben der Buſſe, oder der Gnade zur wahren Bekehrung, koͤmmt es mit auf die Ordnung an, in welcher der Menſch der Gnade faͤhig iſt; nemlich daß er durch die zuͤchtigende Gnade GOttes von der Repugnantz ablaſſe, und ſie glaͤubig und gehorſamlich annehme. Da nun ein Lehrer nicht wiſſen kan, ob auch ſolches von Seiten der Menſchen geſchehen werde: ſo heiſſet es: ob ihnen GOtt Buſſe gebe. Sie- he faſt desgleichen Ap. Geſch. 8, 22.
7. Zur Erkenntniß der Wahrheit gehoͤret [Spaltenumbruch]
die Ordnung der wahren Bekehrung: Und alſo hat kein unbekehrter Lehrer, oder Zuhoͤrer, die wahre lebendige und lautere Erkenntniß GOttes. Kein beharrlich Gottloſer iſt wahrhaftig erleuchtet, ob er gleich mit den blinden Phariſaͤern eine weite und breite buchſtaͤbliche Wiſſenſchaft von GOtt und goͤttlichen Dingen hat, oder haben kan.
8. Jn den Worten: wieder nuͤchtern werden aus des Teufels Stricken, kommen zwey Gleichniſſe zuſammen: das eine von der Trunckenheit und der damit oft verknuͤpften Schlaf-Sucht, oder dem tiefen Schlafe, und das andere von der Gefangenſchaft. Die ſuͤnd- lichen Luͤſte und boͤſen Affecten machen in ihrer Beherrſchung den Menſchen gleichſam recht trun- cken, daß er ſich auch ſeines natuͤrlichen Verſtan- des nicht einmal recht gebrauchet, ſondern wie ein Trunckener handelt. Und da ſie die Herrſchaft uͤber ihn haben, ſo wird er dadurch recht gefangen gehalten, wie ein wildes Thier, und alſo gleich- ſam zur Schlachtbanck gefuͤhret. Gleichwie nun der Menſch durch die Bekehrung zur wahren Freyheit gelanget; alſo koͤmmt er auch dadurch zur rechten Nuͤchternheit und Wachſamkeit des Gemuͤths, welche die Griechen σωϕροσύνην und σωϕρονισμὸν nennen.
9. Ein iede herrſchende Suͤnde fuͤhret eine Verſtrickung mit ſich. Dannenhero muß keine eintzige uͤber den Menſchen die Herrſchaft behal- ten; wie denn auch eine Suͤnde ohne die andere nicht kan abgeleget werden. Denn wolte der Menſch dieſe und jene Suͤnde ablegen, aber in ei- ner andern muthwillig fortfahren, ſo waͤre ſolches ja eine ſolche Bosheit, daraus man leichtlich ab- nehmen koͤnte, daß es ihm auch um die Ablaſſung von den uͤbrigen Suͤnden kein Ernſt ſey, ſondern daß er eine vorſetzliche Schalckheit im Hertzen be- haͤlt, dabey keine Vergebung der Suͤnden ſtatt findet. Und geſetzt auch, jenes ginge an; was wuͤr- de das fuͤr eine Freyheit ſeyn, wenn er dabey doch durch die noch uͤbrige Suͤnde ein Sclave des Teufels bliebe? was wuͤrde es einem gefeſſelten Thiere, das an zehen Ketten lieget, helfen, wenn es von neunen los gemachet, aber doch an der ze- henden veſt gehalten wuͤrde?
10. Es hat der Menſch freylich einen freyen Willen, dadurch er kan der Suͤnde widerſtehen: allein in geiſtlichen Dingen fehlet es demſelben an Kraͤften. Und obgleich in natuͤrlichen Dingen, dazu auch einige Maͤßigung der Suͤnden von dem aͤuſſerlichen Ausbruch gehoͤret, mittelmaͤßige Kraͤfte uͤbrig ſind, ſo kan doch der Menſch durch den Mißbrauch ſeines freyen Willens, oder durch den der reitzenden Suͤnde nachgelaſſenen Zuͤgel derſelben dergeſtalt beraubet werden, daß er in na- tuͤrlichen Dingen ein rechter Sclave und gleich- ſam leibeigner des Satans iſt, der der Macht der ihn hinreiſſenden und uͤberwaͤltigenden boͤſen Affecten nicht mehr widerſtehen kan.
Das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0169"n="167"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Cap. 2. v. 24-26 an den Timotheum.</hi></fw><lb/><cb/>
dahin gehet, daß ſie in ſeiner und der Suͤnden ver-<lb/>
dammlichen Dienſtbarkeit bleiben ſollen.)</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. Ein <hirendition="#fr">Lehrer</hi>ſoll ſeyn ein <hirendition="#fr">Knecht des<lb/>
HErrn,</hi> nicht der Suͤnden, noch der Menſchen,<lb/>
daß er von ihrem boͤſen Willen <hirendition="#aq">dependir</hi>e, und<lb/>
rede, auch handele, wie ſie es gern hoͤren wollen:<lb/>
wie leider vieler ihre Art iſt.</p><lb/><p>2. Es kan niemand ein <hirendition="#fr">Knecht des<lb/>
HErrn</hi>ſeyn, er ſey denn auch zuvorderſt ein<lb/><hirendition="#fr">Kind des HErrn.</hi> Denn iſt iemand kein<lb/><hirendition="#fr">Kind GOttes,</hi>ſo iſt er ein Kind, und alſo auch<lb/>
ein Knecht, der Suͤnden und des Teufels 1 Joh. 3,<lb/>
10. Joh. 8, 44. und folglich kein Knecht GOttes:<lb/>
da niemand ſolchen zween widerwaͤrtigen Herrn<lb/>
dienen kan. Matth. 6, 24. Man kan demnach<lb/>
keinen unbekehrten und aͤrgerlich lebenden Lehrer<lb/>
im eigentlichen Verſtande einen Knecht, oder<lb/>
Diener, GOttes nennen.</p><lb/><p>3. Der Apoſtel fordert von einem Lehrer<lb/>
beydes, <hirendition="#fr">nicht zaͤnckiſch ſeyn,</hi> und doch auch<lb/><hirendition="#fr">die Widerſpenſtigen ſtrafen</hi> und <hirendition="#fr">unterwei-<lb/>ſen.</hi> Damit er denn anzeiget, wie man im Amte<lb/>
weder eines theils unnuͤtzen Streit anfangen, oder<lb/>
unterhalten, noch auch andern theils zu allem,<lb/>
was der Wahrheit nachtheilig iſt, ſtille ſchweigen,<lb/>ſondern dißfals die Mittel-Straſſe halten ſolle.</p><lb/><p>4. Offenb. 2, 2. wird es dem Engel der<lb/>
Gemeine zu Epheſus zu einem beſondern Lobe ge-<lb/>
rechnet, <hirendition="#fr">daß er die Boͤſen nicht tragen koͤn-<lb/>
ne.</hi> Welches denn von einem ſolchen ertragen<lb/>
zu verſtehen iſt, da man zu allem ſtille ſchweiget,<lb/>
oder es doch nur ſo obenhin mißbilliget, wie Eli<lb/>
die uͤbermachte Bosheit ſeiner Soͤhne: damit<lb/>
man ſich denn fremder Suͤnden theilhaftig machet,<lb/>
und den Arm der Gottloſen nur ſtaͤrcket.</p><lb/><p>5. Es pflegen ungeuͤbte Lehrer in die Ver-<lb/>ſuchung zu fallen, daß, wenn ſie bey dieſen und<lb/>
jenen nicht bald eine Frucht von ihrer Arbeit ſehen,<lb/>ſondern dagegen wol wahrnehmen, daß Ubel nur<lb/>
noch aͤrger wird, ſie ihren Muth von der Zeit an<lb/>ſincken laſſen, und nicht mit genugſamer Geduld<lb/>
anhalten. Dagegen Paulus erfodert, daß ſie<lb/>ſeyn ſollen ἀνεξίκακοι, die <hirendition="#fr">das boͤſe</hi> und <hirendition="#fr">die<lb/>
boͤſen</hi>ſelbſt tragen koͤnnen. Dazu auch gehoͤret,<lb/>
daß man ſie als Mitleidens wuͤrdige Leute mit Er-<lb/>
barmen anſiehet. Da es denn ofte geſchiehet, daß<lb/>ſie noch gewonnen werden.</p><lb/><p>6. Jm dem <hirendition="#fr">Geben der Buſſe,</hi> oder der<lb/>
Gnade zur wahren Bekehrung, koͤmmt es mit auf<lb/>
die Ordnung an, in welcher der Menſch der Gnade<lb/>
faͤhig iſt; nemlich daß er durch die zuͤchtigende<lb/>
Gnade GOttes von der <hirendition="#aq">Repugnan</hi>tz ablaſſe,<lb/>
und ſie glaͤubig und gehorſamlich annehme. Da<lb/>
nun ein Lehrer nicht wiſſen kan, ob auch ſolches<lb/>
von Seiten der Menſchen geſchehen werde: ſo<lb/>
heiſſet es: <hirendition="#fr">ob ihnen GOtt Buſſe gebe.</hi> Sie-<lb/>
he faſt desgleichen Ap. Geſch. 8, 22.</p><lb/><p>7. Zur Erkenntniß der Wahrheit gehoͤret<lb/><cb/>
die <hirendition="#fr">Ordnung der wahren Bekehrung:</hi> Und<lb/>
alſo hat kein unbekehrter Lehrer, oder Zuhoͤrer, die<lb/>
wahre lebendige und lautere Erkenntniß GOttes.<lb/>
Kein beharrlich Gottloſer iſt wahrhaftig erleuchtet,<lb/>
ob er gleich mit den blinden Phariſaͤern eine weite<lb/>
und breite buchſtaͤbliche Wiſſenſchaft von GOtt<lb/>
und goͤttlichen Dingen hat, oder haben kan.</p><lb/><p>8. Jn den Worten: <hirendition="#fr">wieder nuͤchtern<lb/>
werden aus des Teufels Stricken,</hi> kommen<lb/>
zwey Gleichniſſe zuſammen: das eine von der<lb/><hirendition="#fr">Trunckenheit</hi> und der damit oft verknuͤpften<lb/><hirendition="#fr">Schlaf-Sucht,</hi> oder dem tiefen Schlafe, und<lb/>
das andere von der <hirendition="#fr">Gefangenſchaft.</hi> Die ſuͤnd-<lb/>
lichen Luͤſte und boͤſen <hirendition="#aq">Affect</hi>en machen in ihrer<lb/>
Beherrſchung den Menſchen gleichſam recht trun-<lb/>
cken, daß er ſich auch ſeines natuͤrlichen Verſtan-<lb/>
des nicht einmal recht gebrauchet, ſondern wie<lb/>
ein Trunckener handelt. Und da ſie die Herrſchaft<lb/>
uͤber ihn haben, ſo wird er dadurch recht gefangen<lb/>
gehalten, wie ein wildes Thier, und alſo gleich-<lb/>ſam zur Schlachtbanck gefuͤhret. Gleichwie nun<lb/>
der Menſch durch die Bekehrung zur wahren<lb/>
Freyheit gelanget; alſo koͤmmt er auch dadurch<lb/>
zur rechten Nuͤchternheit und Wachſamkeit des<lb/>
Gemuͤths, welche die Griechen σωϕροσύνην und<lb/>σωϕρονισμὸν nennen.</p><lb/><p>9. Ein iede herrſchende Suͤnde fuͤhret eine<lb/>
Verſtrickung mit ſich. Dannenhero muß keine<lb/>
eintzige uͤber den Menſchen die Herrſchaft behal-<lb/>
ten; wie denn auch eine Suͤnde ohne die andere<lb/>
nicht kan abgeleget werden. Denn wolte der<lb/>
Menſch dieſe und jene Suͤnde ablegen, aber in ei-<lb/>
ner andern muthwillig fortfahren, ſo waͤre ſolches<lb/>
ja eine ſolche Bosheit, daraus man leichtlich ab-<lb/>
nehmen koͤnte, daß es ihm auch um die Ablaſſung<lb/>
von den uͤbrigen Suͤnden kein Ernſt ſey, ſondern<lb/>
daß er eine vorſetzliche Schalckheit im Hertzen be-<lb/>
haͤlt, dabey keine Vergebung der Suͤnden ſtatt<lb/>
findet. Und geſetzt auch, jenes ginge an; was wuͤr-<lb/>
de das fuͤr eine Freyheit ſeyn, wenn er dabey doch<lb/>
durch die noch uͤbrige Suͤnde ein Sclave des<lb/>
Teufels bliebe? was wuͤrde es einem gefeſſelten<lb/>
Thiere, das an zehen Ketten lieget, helfen, wenn<lb/>
es von neunen los gemachet, aber doch an der ze-<lb/>
henden veſt gehalten wuͤrde?</p><lb/><p>10. Es hat der Menſch freylich einen freyen<lb/>
Willen, dadurch er kan der Suͤnde widerſtehen:<lb/>
allein in geiſtlichen Dingen fehlet es demſelben an<lb/>
Kraͤften. Und obgleich in natuͤrlichen Dingen,<lb/>
dazu auch einige Maͤßigung der Suͤnden von dem<lb/>
aͤuſſerlichen Ausbruch gehoͤret, mittelmaͤßige<lb/>
Kraͤfte uͤbrig ſind, ſo kan doch der Menſch durch<lb/>
den Mißbrauch ſeines freyen Willens, oder durch<lb/>
den der reitzenden Suͤnde nachgelaſſenen Zuͤgel<lb/>
derſelben dergeſtalt beraubet werden, daß er in na-<lb/>
tuͤrlichen Dingen ein rechter Sclave und gleich-<lb/>ſam leibeigner des Satans iſt, der der Macht der<lb/>
ihn hinreiſſenden und uͤberwaͤltigenden boͤſen<lb/><hirendition="#aq">Affect</hi>en nicht mehr widerſtehen kan.</p></div></div></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Das</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[167/0169]
Cap. 2. v. 24-26 an den Timotheum.
dahin gehet, daß ſie in ſeiner und der Suͤnden ver-
dammlichen Dienſtbarkeit bleiben ſollen.)
Anmerckungen.
1. Ein Lehrer ſoll ſeyn ein Knecht des
HErrn, nicht der Suͤnden, noch der Menſchen,
daß er von ihrem boͤſen Willen dependire, und
rede, auch handele, wie ſie es gern hoͤren wollen:
wie leider vieler ihre Art iſt.
2. Es kan niemand ein Knecht des
HErrn ſeyn, er ſey denn auch zuvorderſt ein
Kind des HErrn. Denn iſt iemand kein
Kind GOttes, ſo iſt er ein Kind, und alſo auch
ein Knecht, der Suͤnden und des Teufels 1 Joh. 3,
10. Joh. 8, 44. und folglich kein Knecht GOttes:
da niemand ſolchen zween widerwaͤrtigen Herrn
dienen kan. Matth. 6, 24. Man kan demnach
keinen unbekehrten und aͤrgerlich lebenden Lehrer
im eigentlichen Verſtande einen Knecht, oder
Diener, GOttes nennen.
3. Der Apoſtel fordert von einem Lehrer
beydes, nicht zaͤnckiſch ſeyn, und doch auch
die Widerſpenſtigen ſtrafen und unterwei-
ſen. Damit er denn anzeiget, wie man im Amte
weder eines theils unnuͤtzen Streit anfangen, oder
unterhalten, noch auch andern theils zu allem,
was der Wahrheit nachtheilig iſt, ſtille ſchweigen,
ſondern dißfals die Mittel-Straſſe halten ſolle.
4. Offenb. 2, 2. wird es dem Engel der
Gemeine zu Epheſus zu einem beſondern Lobe ge-
rechnet, daß er die Boͤſen nicht tragen koͤn-
ne. Welches denn von einem ſolchen ertragen
zu verſtehen iſt, da man zu allem ſtille ſchweiget,
oder es doch nur ſo obenhin mißbilliget, wie Eli
die uͤbermachte Bosheit ſeiner Soͤhne: damit
man ſich denn fremder Suͤnden theilhaftig machet,
und den Arm der Gottloſen nur ſtaͤrcket.
5. Es pflegen ungeuͤbte Lehrer in die Ver-
ſuchung zu fallen, daß, wenn ſie bey dieſen und
jenen nicht bald eine Frucht von ihrer Arbeit ſehen,
ſondern dagegen wol wahrnehmen, daß Ubel nur
noch aͤrger wird, ſie ihren Muth von der Zeit an
ſincken laſſen, und nicht mit genugſamer Geduld
anhalten. Dagegen Paulus erfodert, daß ſie
ſeyn ſollen ἀνεξίκακοι, die das boͤſe und die
boͤſen ſelbſt tragen koͤnnen. Dazu auch gehoͤret,
daß man ſie als Mitleidens wuͤrdige Leute mit Er-
barmen anſiehet. Da es denn ofte geſchiehet, daß
ſie noch gewonnen werden.
6. Jm dem Geben der Buſſe, oder der
Gnade zur wahren Bekehrung, koͤmmt es mit auf
die Ordnung an, in welcher der Menſch der Gnade
faͤhig iſt; nemlich daß er durch die zuͤchtigende
Gnade GOttes von der Repugnantz ablaſſe,
und ſie glaͤubig und gehorſamlich annehme. Da
nun ein Lehrer nicht wiſſen kan, ob auch ſolches
von Seiten der Menſchen geſchehen werde: ſo
heiſſet es: ob ihnen GOtt Buſſe gebe. Sie-
he faſt desgleichen Ap. Geſch. 8, 22.
7. Zur Erkenntniß der Wahrheit gehoͤret
die Ordnung der wahren Bekehrung: Und
alſo hat kein unbekehrter Lehrer, oder Zuhoͤrer, die
wahre lebendige und lautere Erkenntniß GOttes.
Kein beharrlich Gottloſer iſt wahrhaftig erleuchtet,
ob er gleich mit den blinden Phariſaͤern eine weite
und breite buchſtaͤbliche Wiſſenſchaft von GOtt
und goͤttlichen Dingen hat, oder haben kan.
8. Jn den Worten: wieder nuͤchtern
werden aus des Teufels Stricken, kommen
zwey Gleichniſſe zuſammen: das eine von der
Trunckenheit und der damit oft verknuͤpften
Schlaf-Sucht, oder dem tiefen Schlafe, und
das andere von der Gefangenſchaft. Die ſuͤnd-
lichen Luͤſte und boͤſen Affecten machen in ihrer
Beherrſchung den Menſchen gleichſam recht trun-
cken, daß er ſich auch ſeines natuͤrlichen Verſtan-
des nicht einmal recht gebrauchet, ſondern wie
ein Trunckener handelt. Und da ſie die Herrſchaft
uͤber ihn haben, ſo wird er dadurch recht gefangen
gehalten, wie ein wildes Thier, und alſo gleich-
ſam zur Schlachtbanck gefuͤhret. Gleichwie nun
der Menſch durch die Bekehrung zur wahren
Freyheit gelanget; alſo koͤmmt er auch dadurch
zur rechten Nuͤchternheit und Wachſamkeit des
Gemuͤths, welche die Griechen σωϕροσύνην und
σωϕρονισμὸν nennen.
9. Ein iede herrſchende Suͤnde fuͤhret eine
Verſtrickung mit ſich. Dannenhero muß keine
eintzige uͤber den Menſchen die Herrſchaft behal-
ten; wie denn auch eine Suͤnde ohne die andere
nicht kan abgeleget werden. Denn wolte der
Menſch dieſe und jene Suͤnde ablegen, aber in ei-
ner andern muthwillig fortfahren, ſo waͤre ſolches
ja eine ſolche Bosheit, daraus man leichtlich ab-
nehmen koͤnte, daß es ihm auch um die Ablaſſung
von den uͤbrigen Suͤnden kein Ernſt ſey, ſondern
daß er eine vorſetzliche Schalckheit im Hertzen be-
haͤlt, dabey keine Vergebung der Suͤnden ſtatt
findet. Und geſetzt auch, jenes ginge an; was wuͤr-
de das fuͤr eine Freyheit ſeyn, wenn er dabey doch
durch die noch uͤbrige Suͤnde ein Sclave des
Teufels bliebe? was wuͤrde es einem gefeſſelten
Thiere, das an zehen Ketten lieget, helfen, wenn
es von neunen los gemachet, aber doch an der ze-
henden veſt gehalten wuͤrde?
10. Es hat der Menſch freylich einen freyen
Willen, dadurch er kan der Suͤnde widerſtehen:
allein in geiſtlichen Dingen fehlet es demſelben an
Kraͤften. Und obgleich in natuͤrlichen Dingen,
dazu auch einige Maͤßigung der Suͤnden von dem
aͤuſſerlichen Ausbruch gehoͤret, mittelmaͤßige
Kraͤfte uͤbrig ſind, ſo kan doch der Menſch durch
den Mißbrauch ſeines freyen Willens, oder durch
den der reitzenden Suͤnde nachgelaſſenen Zuͤgel
derſelben dergeſtalt beraubet werden, daß er in na-
tuͤrlichen Dingen ein rechter Sclave und gleich-
ſam leibeigner des Satans iſt, der der Macht der
ihn hinreiſſenden und uͤberwaͤltigenden boͤſen
Affecten nicht mehr widerſtehen kan.
Das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/169>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.