12. Das Wort epanorthosis heißt eigent- lich eine solche Wiederaufrichtung und Wieder- zurechtbringung, dadurch man das gefallene und sinckende wieder in die Höhe richtet und das krumme oder verrenckte wieder gerade machet und recht einrichtet. Und also kömmt es mit dem usu epanorthotico sonderlich darauf an, daß er ohne Ubernehmung, und, wenn ja ein Ernst gebrauchet werden muß, ohne Hitze und viele Härte durch kräftige Beweis-Gründe zur Uber- zeugung geführet werde.
13. Das Wort paideia heißt eine Un- terweisung, welche mit Unterricht und Er- mahnung geschiehet: dadurch denn die Lehre, die Uberzeugung und die Zurechtbringung zu ih- rer rechten Application und Ubung gebracht wird; zumal was das gottselige Leben betrift; als darauf die paedia eigentlich gehet. Welches auch mit den dazu gesetzten Worten ten en dikaio- sune, die in der Gerechtigkeit geschiehet, angezei- get wird. Denn obgleich auch alhier in diesem Worte in so fern auch mit auf die Glaubens- Gerechtigkeit, davon es sonst am gewöhnlich- sten vorkömmt, gesehen wird, da alle wahre Lebens-Gerechtigkeit jene zum Grunde haben muß; so läßt es sich doch alhier am füglichsten in dem Verstande nehmen, daß es alle Lebens- Pflichten in sich fasset.
V. 17.
Daß ein Mensch GOttes (ein GOtt er- gebener Mensch, ein Eigenthum GOttes, zuvor- derst ein Lehrer, und auch ein ieglicher recht- schafner Zuhörer 1 Tim. 6, 11.) sey vollkom- men (artios, sonst teleios, also beschaffen, daß [Spaltenumbruch]
es ihme an keiner nöthigen Gabe, an keinem Stü- cke des Christenthums und seiner Pflichten gegen GOTT, ihn selbst und den Nechsten fehlt,) zu allem guten Werck geschickt (also daß er durch GOttes Gnade dazu zubereitet sey, darinnen zu wandeln, Eph. 2, 10. daß er auch dem Verstan- de nach geübte Sinne habe zum Unterscheid des guten und des bösen.)
Anmerckungen.
1. O wie wohl thut ein Lehrer, wenn er be- denckt, wie daß er vor andern seyn soll ein Got- tes-Mensch, der selbst GOTT von Hertzen er- geben sey. Denn wo diß nicht ist, da ist er nur ein Menschen-Knecht, der nur seine krumme und falsche Absichten und menschliche Gewohnheit im Amte und in seinem Leben zur Regel nimt.
2. Ein ieder Christ gedencke, daß er son- derlich vermöge seines Tauf-Bundes ein GOt- tes-Mensch seyn müsse, der nicht sich, noch der Welt, sondern mit Verleugnung seiner selbst und der Welt GOtt lebe.
3. Eines GOttes-Menschen Eigenschaft ist, daß er fleißig mit der Heil. Schrift umgehe, und den würdigen Gebrauch der heiligen Schrift auch in der That erweise, und in der Ubung guter Wercke immer völliger werde.
4. Die wahre Vollkommenheit erweiset sich bey der Unvollkommenheit darinn, daß man die durch den würdigen Gebrauch des göttlichen Worts empfangene Gnaden-Kraft nicht nur zu einem und dem andern, sondern zu allen guten Wercke in allen Pflichten wie recht aufrichtig, also auch beständig anwende.
Das Vierte Capitel, Darinnen Der Apostel zum Beschluß des Briefes schreitet, und Ti- motheum noch einmal mit grossem Ernst zu getreulicher Verrichtung seines Amts ermahnet/ und davon die Nothwendigkeit wegen der einbrechenden bösen Zeiten und seines bevorstehenden Abschiedes aus dieser Welt vor- stellet/ und ihn zu sich bestellet/ mit hinzugethanen unterschied- lichen andern Erinnerungen.
V. 1.
[Spaltenumbruch]
So bezeuge ich nun (da du die hei- lige Schrift schon von Kindheit an so wohl inne hast und an der- selben, wie auch an meiner ehe- maligen Anführung zur Wahr- nehmung deiner selbst und zu würdiger Füh- rung deines Amts einen so herrlichen undnutz- baren Schatz in kräftiger Anweisung und be- ständigem Antriebe hast, dadurch auch zu aller Treue so vielmehr verbunden bist) vor GOTT (dem Dreyeinigen) und dem HErrn JESU Christo (der ausser dem, daß er wahrer GOtt und in der heiligen Dreyeinigkeit die andere Person ist, auch Mensch und der Mittler zwi- [Spaltenumbruch]
schen GOtt und den Menschen worden) der da zukünftig ist zu richten die Lebendigen (die der Richter bey seiner Zukunft noch im Leben an- treffen und verwandeln wird) und die Todten (die solche gewesen, alsdenn aber schon erwecket sind) mit seiner Erscheinung und mit seinem Reich (kata ten epiphaneian autou~ &c. nach seiner Erscheinung und seinem Reich, das ist, wie es seine maiestätische Zukunft ihrem Zwecke nach, wie auch sein Reich der Herrlichkeit, in dasselbe die Gläubige aus dem Reiche der Gna- den einzuführen, mit sich bringet: vor diesem bezeuge ich, oder ich vermahne dich also, daß ich die zu bezeugende Sache zu deiner Verantwor-
tung
Z 2
C. 3. v. 16. 17. C. 4. v. 1. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
12. Das Wort ἐπανόρθωσις heißt eigent- lich eine ſolche Wiederaufrichtung und Wieder- zurechtbringung, dadurch man das gefallene und ſinckende wieder in die Hoͤhe richtet und das krumme oder verrenckte wieder gerade machet und recht einrichtet. Und alſo koͤmmt es mit dem uſu epanorthotico ſonderlich darauf an, daß er ohne Ubernehmung, und, wenn ja ein Ernſt gebrauchet werden muß, ohne Hitze und viele Haͤrte durch kraͤftige Beweis-Gruͤnde zur Uber- zeugung gefuͤhret werde.
13. Das Wort παιδεία heißt eine Un- terweiſung, welche mit Unterricht und Er- mahnung geſchiehet: dadurch denn die Lehre, die Uberzeugung und die Zurechtbringung zu ih- rer rechten Application und Ubung gebracht wird; zumal was das gottſelige Leben betrift; als darauf die pædia eigentlich gehet. Welches auch mit den dazu geſetzten Worten τὴν εν δικαιο- σύνῃ, die in der Gerechtigkeit geſchiehet, angezei- get wird. Denn obgleich auch alhier in dieſem Worte in ſo fern auch mit auf die Glaubens- Gerechtigkeit, davon es ſonſt am gewoͤhnlich- ſten vorkoͤmmt, geſehen wird, da alle wahre Lebens-Gerechtigkeit jene zum Grunde haben muß; ſo laͤßt es ſich doch alhier am fuͤglichſten in dem Verſtande nehmen, daß es alle Lebens- Pflichten in ſich faſſet.
V. 17.
Daß ein Menſch GOttes (ein GOtt er- gebener Menſch, ein Eigenthum GOttes, zuvor- derſt ein Lehrer, und auch ein ieglicher recht- ſchafner Zuhoͤrer 1 Tim. 6, 11.) ſey vollkom- men (ἂρτιος, ſonſt τέλειος, alſo beſchaffen, daß [Spaltenumbruch]
es ihme an keiner noͤthigen Gabe, an keinem Stuͤ- cke des Chriſtenthums und ſeiner Pflichten gegen GOTT, ihn ſelbſt und den Nechſten fehlt,) zu allem guten Werck geſchickt (alſo daß er durch GOttes Gnade dazu zubereitet ſey, darinnen zu wandeln, Eph. 2, 10. daß er auch dem Verſtan- de nach geuͤbte Sinne habe zum Unterſcheid des guten und des boͤſen.)
Anmerckungen.
1. O wie wohl thut ein Lehrer, wenn er be- denckt, wie daß er vor andern ſeyn ſoll ein Got- tes-Menſch, der ſelbſt GOTT von Hertzen er- geben ſey. Denn wo diß nicht iſt, da iſt er nur ein Menſchen-Knecht, der nur ſeine krumme und falſche Abſichten und menſchliche Gewohnheit im Amte und in ſeinem Leben zur Regel nimt.
2. Ein ieder Chriſt gedencke, daß er ſon- derlich vermoͤge ſeines Tauf-Bundes ein GOt- tes-Menſch ſeyn muͤſſe, der nicht ſich, noch der Welt, ſondern mit Verleugnung ſeiner ſelbſt und der Welt GOtt lebe.
3. Eines GOttes-Menſchen Eigenſchaft iſt, daß er fleißig mit der Heil. Schrift umgehe, und den wuͤrdigen Gebrauch der heiligen Schrift auch in der That erweiſe, und in der Ubung guter Wercke immer voͤlliger werde.
4. Die wahre Vollkommenheit erweiſet ſich bey der Unvollkommenheit darinn, daß man die durch den wuͤrdigen Gebrauch des goͤttlichen Worts empfangene Gnaden-Kraft nicht nur zu einem und dem andern, ſondern zu allen guten Wercke in allen Pflichten wie recht aufrichtig, alſo auch beſtaͤndig anwende.
Das Vierte Capitel, Darinnen Der Apoſtel zum Beſchluß des Briefes ſchreitet, und Ti- motheum noch einmal mit groſſem Ernſt zu getreulicher Verrichtung ſeines Amts ermahnet/ und davon die Nothwendigkeit wegen der einbrechenden boͤſen Zeiten und ſeines bevorſtehenden Abſchiedes aus dieſer Welt vor- ſtellet/ und ihn zu ſich beſtellet/ mit hinzugethanen unterſchied- lichen andern Erinnerungen.
V. 1.
[Spaltenumbruch]
So bezeuge ich nun (da du die hei- lige Schrift ſchon von Kindheit an ſo wohl inne haſt und an der- ſelben, wie auch an meiner ehe- maligen Anfuͤhrung zur Wahr- nehmung deiner ſelbſt und zu wuͤrdiger Fuͤh- rung deines Amts einen ſo herrlichen undnutz- baren Schatz in kraͤftiger Anweiſung und be- ſtaͤndigem Antriebe haſt, dadurch auch zu aller Treue ſo vielmehr verbunden biſt) vor GOTT (dem Dreyeinigen) und dem HErrn JESU Chriſto (der auſſer dem, daß er wahrer GOtt und in der heiligen Dreyeinigkeit die andere Perſon iſt, auch Menſch und der Mittler zwi- [Spaltenumbruch]
ſchen GOtt und den Menſchen worden) der da zukuͤnftig iſt zu richten die Lebendigen (die der Richter bey ſeiner Zukunft noch im Leben an- treffen und verwandeln wird) und die Todten (die ſolche geweſen, alsdenn aber ſchon erwecket ſind) mit ſeiner Erſcheinung und mit ſeinem Reich (κατὰ τὴν εϖιφάνειαν ἀυτου῀ &c. nach ſeiner Erſcheinung und ſeinem Reich, das iſt, wie es ſeine maieſtaͤtiſche Zukunft ihrem Zwecke nach, wie auch ſein Reich der Herrlichkeit, in daſſelbe die Glaͤubige aus dem Reiche der Gna- den einzufuͤhren, mit ſich bringet: vor dieſem bezeuge ich, oder ich vermahne dich alſo, daß ich die zu bezeugende Sache zu deiner Verantwor-
tung
Z 2
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[179/0181]
C. 3. v. 16. 17. C. 4. v. 1. an den Timotheum.
12. Das Wort ἐπανόρθωσις heißt eigent-
lich eine ſolche Wiederaufrichtung und Wieder-
zurechtbringung, dadurch man das gefallene
und ſinckende wieder in die Hoͤhe richtet und das
krumme oder verrenckte wieder gerade machet
und recht einrichtet. Und alſo koͤmmt es mit dem
uſu epanorthotico ſonderlich darauf an, daß
er ohne Ubernehmung, und, wenn ja ein Ernſt
gebrauchet werden muß, ohne Hitze und viele
Haͤrte durch kraͤftige Beweis-Gruͤnde zur Uber-
zeugung gefuͤhret werde.
13. Das Wort παιδεία heißt eine Un-
terweiſung, welche mit Unterricht und Er-
mahnung geſchiehet: dadurch denn die Lehre,
die Uberzeugung und die Zurechtbringung zu ih-
rer rechten Application und Ubung gebracht
wird; zumal was das gottſelige Leben betrift;
als darauf die pædia eigentlich gehet. Welches
auch mit den dazu geſetzten Worten τὴν εν δικαιο-
σύνῃ, die in der Gerechtigkeit geſchiehet, angezei-
get wird. Denn obgleich auch alhier in dieſem
Worte in ſo fern auch mit auf die Glaubens-
Gerechtigkeit, davon es ſonſt am gewoͤhnlich-
ſten vorkoͤmmt, geſehen wird, da alle wahre
Lebens-Gerechtigkeit jene zum Grunde haben
muß; ſo laͤßt es ſich doch alhier am fuͤglichſten in
dem Verſtande nehmen, daß es alle Lebens-
Pflichten in ſich faſſet.
V. 17.
Daß ein Menſch GOttes (ein GOtt er-
gebener Menſch, ein Eigenthum GOttes, zuvor-
derſt ein Lehrer, und auch ein ieglicher recht-
ſchafner Zuhoͤrer 1 Tim. 6, 11.) ſey vollkom-
men (ἂρτιος, ſonſt τέλειος, alſo beſchaffen, daß
es ihme an keiner noͤthigen Gabe, an keinem Stuͤ-
cke des Chriſtenthums und ſeiner Pflichten gegen
GOTT, ihn ſelbſt und den Nechſten fehlt,) zu
allem guten Werck geſchickt (alſo daß er durch
GOttes Gnade dazu zubereitet ſey, darinnen zu
wandeln, Eph. 2, 10. daß er auch dem Verſtan-
de nach geuͤbte Sinne habe zum Unterſcheid des
guten und des boͤſen.)
Anmerckungen.
1. O wie wohl thut ein Lehrer, wenn er be-
denckt, wie daß er vor andern ſeyn ſoll ein Got-
tes-Menſch, der ſelbſt GOTT von Hertzen er-
geben ſey. Denn wo diß nicht iſt, da iſt er nur
ein Menſchen-Knecht, der nur ſeine krumme und
falſche Abſichten und menſchliche Gewohnheit
im Amte und in ſeinem Leben zur Regel nimt.
2. Ein ieder Chriſt gedencke, daß er ſon-
derlich vermoͤge ſeines Tauf-Bundes ein GOt-
tes-Menſch ſeyn muͤſſe, der nicht ſich, noch der
Welt, ſondern mit Verleugnung ſeiner ſelbſt
und der Welt GOtt lebe.
3. Eines GOttes-Menſchen Eigenſchaft
iſt, daß er fleißig mit der Heil. Schrift umgehe,
und den wuͤrdigen Gebrauch der heiligen Schrift
auch in der That erweiſe, und in der Ubung guter
Wercke immer voͤlliger werde.
4. Die wahre Vollkommenheit erweiſet
ſich bey der Unvollkommenheit darinn, daß man
die durch den wuͤrdigen Gebrauch des goͤttlichen
Worts empfangene Gnaden-Kraft nicht nur zu
einem und dem andern, ſondern zu allen guten
Wercke in allen Pflichten wie recht aufrichtig,
alſo auch beſtaͤndig anwende.
Das Vierte Capitel,
Darinnen
Der Apoſtel zum Beſchluß des Briefes ſchreitet, und Ti-
motheum noch einmal mit groſſem Ernſt zu getreulicher Verrichtung ſeines
Amts ermahnet/ und davon die Nothwendigkeit wegen der einbrechenden
boͤſen Zeiten und ſeines bevorſtehenden Abſchiedes aus dieſer Welt vor-
ſtellet/ und ihn zu ſich beſtellet/ mit hinzugethanen unterſchied-
lichen andern Erinnerungen.
V. 1.
So bezeuge ich nun (da du die hei-
lige Schrift ſchon von Kindheit
an ſo wohl inne haſt und an der-
ſelben, wie auch an meiner ehe-
maligen Anfuͤhrung zur Wahr-
nehmung deiner ſelbſt und zu wuͤrdiger Fuͤh-
rung deines Amts einen ſo herrlichen undnutz-
baren Schatz in kraͤftiger Anweiſung und be-
ſtaͤndigem Antriebe haſt, dadurch auch zu aller
Treue ſo vielmehr verbunden biſt) vor GOTT
(dem Dreyeinigen) und dem HErrn JESU
Chriſto (der auſſer dem, daß er wahrer GOtt
und in der heiligen Dreyeinigkeit die andere
Perſon iſt, auch Menſch und der Mittler zwi-
ſchen GOtt und den Menſchen worden) der da
zukuͤnftig iſt zu richten die Lebendigen (die
der Richter bey ſeiner Zukunft noch im Leben an-
treffen und verwandeln wird) und die Todten
(die ſolche geweſen, alsdenn aber ſchon erwecket
ſind) mit ſeiner Erſcheinung und mit ſeinem
Reich (κατὰ τὴν εϖιφάνειαν ἀυτου῀ &c. nach
ſeiner Erſcheinung und ſeinem Reich, das iſt,
wie es ſeine maieſtaͤtiſche Zukunft ihrem Zwecke
nach, wie auch ſein Reich der Herrlichkeit, in
daſſelbe die Glaͤubige aus dem Reiche der Gna-
den einzufuͤhren, mit ſich bringet: vor dieſem
bezeuge ich, oder ich vermahne dich alſo, daß ich
die zu bezeugende Sache zu deiner Verantwor-
tung
Z 2
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/181>, abgerufen am 21.11.2024.
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