Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Richtige und erbauliche Cap. 1. v. 21-22. [Spaltenumbruch]
ne und geredete Menschen-Wort, daß es nem-lich von seiner Bedeutung dem Verstande ei- nen Eindruck giebet, und man sich einen Be- griff aus eigenen natürlichen Kräften davon machen kan: als welche Eigenschaft das Wort GOttes mit allem übrigen Worte, der mündlichen und schriftlichen Rede, ge- mein hat: sondern es hat über das auch eine übernatürliche Kraft. Denn es ist nicht al- lein ein Wort, oder eine Rede, sondern auch GOttes Wort: und darum hat es ausser der natürlichen, oder bloß buchstäblichen, zum historischen Begriff gehörigen, Kraft auch eine geistliche und recht göttliche Kraft. Und diese hat es von dem heiligen Geiste, der sich des Worts, als eines Gna- den-Mittels, also bedienet, daß er dadurch kräftigst wircket, den Menschen lencket, und von seinem sündlichen Elende, auch dagegen von seinem Heyl in Christo überzeuget, unter- richtet, züchtiget, zur Wiedergeburt bringet, den Glauben in ihm anzündet und ihn also zu einem gantz andern Menschen machet. Wie der Apostel vorher bezeuget hat, wenn er v. 18. spricht: GOtt hat uns gezeuget nach sei- nem Willen durch das Wort der Wahr- heit. Und daher nennet Paulus Röm. 1, 16. das Evangelium eine Kraft GOttes zur Seligkeit allen Gläubigen. b. Es sey demnach ferne von dem Worte GOt- tes, daß man es einen todten Buchstaben nennen wolte. Denn da das Gesetze nicht ein- mal also kan genennet werden; als welches nicht todt ist, sondern tödtet, oder den geist- lichen Tod offenbaret und den ewigen androhet 2 Cor. 3, 6. so kan es soviel weniger vom Evan- gelio gesaget werden. c. Diese Kraft des Worts ist nun seligma- chend. Jacobus richtet sie auf die Seele, als darauf sie eigentlich gehet. Denn von der Seligkeit der Seele dependiret auch die Verklärung des Leibes mit aller übrigen Seligkeit desselben. d. Diese Seligkeit der Seelen hebet sich be- reits bey der ersten Bekehrung an: sintemal der Mensch darinn, bey der rechten Annehmung des Worts, aus einem unseligen in einen seli- gen Zustand, in den Stand der Gnaden, in das Reich Christi versetzet wird. Und da diese Seligkeit auch alhier im Reiche der Gnaden viele Stufen hat, so erweiset sich dazu, daß man darinnen immer weiter komme, das Wort GOttes kräftig, also daß man in dieser Ord- nung zum Reiche der Herrlichkeit immer mehr zubereitet wird. e. Es gehören aber zu dieser Vermehrung der schon würcklichen Seligkeit diese zwey Haupt-Stücke: die immer hellere Aufklä- rung des Verstandes in der lebendigen Er- kenntniß GOttes und göttlicher Dinge: und die immer völligere Heiligung des Willens; und also die immer reichlichere Wiederauf- richtung des göttlichen Ebenbildes; und dabey der immer völligere Genuß der Heyls- Güter, als des Friedens in und mit GOtt, der [Spaltenumbruch] Freyheit und Freudigkeit des Gewissens, der Freude in dem Heiligen Geiste u. s. w. f. Einen schönen parallel-Ort finden wir 2 Tim. 3, 15. Da Paulus an den Timotheum und von ihm schreibet: weil du von Kindheit an die heilige Schrift weissest, kan dich die- selbe unterweisen (Gr. die heilige Schrift ta ounamena, die da mächtig, oder vermögend genug sind, dich zu unterweisen) zur Seligkeit durch den Glauben an Christo JEsu. V. 22. Seyd aber thäter des Worts, und Anmerckungen. 1. Es war eine alte Gewohnheit der Judi- 2. Hören und Thun gehöret dergestalt 3. Andere Leute betriegen ist arg; aber sich 4. Der Selbstbetrug bey dem Worte 5. Man hat sich aber auch wohl zu hüten, 6. Auch vor dieser Art des Selbst-Betruges wie
Richtige und erbauliche Cap. 1. v. 21-22. [Spaltenumbruch]
ne und geredete Menſchen-Wort, daß es nem-lich von ſeiner Bedeutung dem Verſtande ei- nen Eindruck giebet, und man ſich einen Be- griff aus eigenen natuͤrlichen Kraͤften davon machen kan: als welche Eigenſchaft das Wort GOttes mit allem uͤbrigen Worte, der muͤndlichen und ſchriftlichen Rede, ge- mein hat: ſondern es hat uͤber das auch eine uͤbernatuͤrliche Kraft. Denn es iſt nicht al- lein ein Wort, oder eine Rede, ſondern auch GOttes Wort: und darum hat es auſſer der natuͤrlichen, oder bloß buchſtaͤblichen, zum hiſtoriſchen Begriff gehoͤrigen, Kraft auch eine geiſtliche und recht goͤttliche Kraft. Und dieſe hat es von dem heiligen Geiſte, der ſich des Worts, als eines Gna- den-Mittels, alſo bedienet, daß er dadurch kraͤftigſt wircket, den Menſchen lencket, und von ſeinem ſuͤndlichen Elende, auch dagegen von ſeinem Heyl in Chriſto uͤberzeuget, unter- richtet, zuͤchtiget, zur Wiedergeburt bringet, den Glauben in ihm anzuͤndet und ihn alſo zu einem gantz andern Menſchen machet. Wie der Apoſtel vorher bezeuget hat, wenn er v. 18. ſpricht: GOtt hat uns gezeuget nach ſei- nem Willen durch das Wort der Wahr- heit. Und daher nennet Paulus Roͤm. 1, 16. das Evangelium eine Kraft GOttes zur Seligkeit allen Glaͤubigen. b. Es ſey demnach ferne von dem Worte GOt- tes, daß man es einen todten Buchſtaben nennen wolte. Denn da das Geſetze nicht ein- mal alſo kan genennet werden; als welches nicht todt iſt, ſondern toͤdtet, oder den geiſt- lichen Tod offenbaret und den ewigen androhet 2 Cor. 3, 6. ſo kan es ſoviel weniger vom Evan- gelio geſaget werden. c. Dieſe Kraft des Worts iſt nun ſeligma- chend. Jacobus richtet ſie auf die Seele, als darauf ſie eigentlich gehet. Denn von der Seligkeit der Seele dependiret auch die Verklaͤrung des Leibes mit aller uͤbrigen Seligkeit deſſelben. d. Dieſe Seligkeit der Seelen hebet ſich be- reits bey der erſten Bekehrung an: ſintemal der Menſch darinn, bey der rechten Annehmung des Worts, aus einem unſeligen in einen ſeli- gen Zuſtand, in den Stand der Gnaden, in das Reich Chriſti verſetzet wird. Und da dieſe Seligkeit auch alhier im Reiche der Gnaden viele Stufen hat, ſo erweiſet ſich dazu, daß man darinnen immer weiter komme, das Wort GOttes kraͤftig, alſo daß man in dieſer Ord- nung zum Reiche der Herrlichkeit immer mehr zubereitet wird. e. Es gehoͤren aber zu dieſer Vermehrung der ſchon wuͤrcklichen Seligkeit dieſe zwey Haupt-Stuͤcke: die immer hellere Aufklaͤ- rung des Verſtandes in der lebendigen Er- kenntniß GOttes und goͤttlicher Dinge: und die immer voͤlligere Heiligung des Willens; und alſo die immer reichlichere Wiederauf- richtung des goͤttlichen Ebenbildes; und dabey der immer voͤlligere Genuß der Heyls- Guͤter, als des Friedens in und mit GOtt, der [Spaltenumbruch] Freyheit und Freudigkeit des Gewiſſens, der Freude in dem Heiligen Geiſte u. ſ. w. f. Einen ſchoͤnen parallel-Ort finden wir 2 Tim. 3, 15. Da Paulus an den Timotheum und von ihm ſchreibet: weil du von Kindheit an die heilige Schrift weiſſeſt, kan dich die- ſelbe unterweiſen (Gr. die heilige Schrift τὰ ὸυνάμενα, die da maͤchtig, oder vermoͤgend genug ſind, dich zu unterweiſen) zur Seligkeit durch den Glauben an Chriſto JEſu. V. 22. Seyd aber thaͤter des Worts, und Anmerckungen. 1. Es war eine alte Gewohnheit der Judi- 2. Hoͤren und Thun gehoͤret dergeſtalt 3. Andere Leute betriegen iſt arg; aber ſich 4. Der Selbſtbetrug bey dem Worte 5. Man hat ſich aber auch wohl zu huͤten, 6. Auch vor dieſer Art des Selbſt-Betruges wie
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Richtige und erbauliche Cap. 1. v. 21-22.
ne und geredete Menſchen-Wort, daß es nem-
lich von ſeiner Bedeutung dem Verſtande ei-
nen Eindruck giebet, und man ſich einen Be-
griff aus eigenen natuͤrlichen Kraͤften davon
machen kan: als welche Eigenſchaft das
Wort GOttes mit allem uͤbrigen Worte,
der muͤndlichen und ſchriftlichen Rede, ge-
mein hat: ſondern es hat uͤber das auch eine
uͤbernatuͤrliche Kraft. Denn es iſt nicht al-
lein ein Wort, oder eine Rede, ſondern auch
GOttes Wort: und darum hat es auſſer
der natuͤrlichen, oder bloß buchſtaͤblichen,
zum hiſtoriſchen Begriff gehoͤrigen, Kraft
auch eine geiſtliche und recht goͤttliche
Kraft. Und dieſe hat es von dem heiligen
Geiſte, der ſich des Worts, als eines Gna-
den-Mittels, alſo bedienet, daß er dadurch
kraͤftigſt wircket, den Menſchen lencket, und
von ſeinem ſuͤndlichen Elende, auch dagegen
von ſeinem Heyl in Chriſto uͤberzeuget, unter-
richtet, zuͤchtiget, zur Wiedergeburt bringet,
den Glauben in ihm anzuͤndet und ihn alſo zu
einem gantz andern Menſchen machet. Wie
der Apoſtel vorher bezeuget hat, wenn er v. 18.
ſpricht: GOtt hat uns gezeuget nach ſei-
nem Willen durch das Wort der Wahr-
heit. Und daher nennet Paulus Roͤm. 1, 16.
das Evangelium eine Kraft GOttes zur
Seligkeit allen Glaͤubigen.
b. Es ſey demnach ferne von dem Worte GOt-
tes, daß man es einen todten Buchſtaben
nennen wolte. Denn da das Geſetze nicht ein-
mal alſo kan genennet werden; als welches
nicht todt iſt, ſondern toͤdtet, oder den geiſt-
lichen Tod offenbaret und den ewigen androhet
2 Cor. 3, 6. ſo kan es ſoviel weniger vom Evan-
gelio geſaget werden.
c. Dieſe Kraft des Worts iſt nun ſeligma-
chend. Jacobus richtet ſie auf die Seele, als
darauf ſie eigentlich gehet. Denn von der
Seligkeit der Seele dependiret auch die
Verklaͤrung des Leibes mit aller uͤbrigen
Seligkeit deſſelben.
d. Dieſe Seligkeit der Seelen hebet ſich be-
reits bey der erſten Bekehrung an: ſintemal
der Menſch darinn, bey der rechten Annehmung
des Worts, aus einem unſeligen in einen ſeli-
gen Zuſtand, in den Stand der Gnaden, in
das Reich Chriſti verſetzet wird. Und da dieſe
Seligkeit auch alhier im Reiche der Gnaden
viele Stufen hat, ſo erweiſet ſich dazu, daß man
darinnen immer weiter komme, das Wort
GOttes kraͤftig, alſo daß man in dieſer Ord-
nung zum Reiche der Herrlichkeit immer mehr
zubereitet wird.
e. Es gehoͤren aber zu dieſer Vermehrung der
ſchon wuͤrcklichen Seligkeit dieſe zwey
Haupt-Stuͤcke: die immer hellere Aufklaͤ-
rung des Verſtandes in der lebendigen Er-
kenntniß GOttes und goͤttlicher Dinge: und
die immer voͤlligere Heiligung des Willens;
und alſo die immer reichlichere Wiederauf-
richtung des goͤttlichen Ebenbildes; und
dabey der immer voͤlligere Genuß der Heyls-
Guͤter, als des Friedens in und mit GOtt, der
Freyheit und Freudigkeit des Gewiſſens, der
Freude in dem Heiligen Geiſte u. ſ. w.
f. Einen ſchoͤnen parallel-Ort finden wir 2 Tim.
3, 15. Da Paulus an den Timotheum und von
ihm ſchreibet: weil du von Kindheit an
die heilige Schrift weiſſeſt, kan dich die-
ſelbe unterweiſen (Gr. die heilige Schrift
τὰ ὸυνάμενα, die da maͤchtig, oder vermoͤgend
genug ſind, dich zu unterweiſen) zur Seligkeit
durch den Glauben an Chriſto JEſu.
V. 22.
Seyd aber thaͤter des Worts, und
nicht Hoͤrer allein, damit (womit) ihr euch
ſelbſt betruͤget.
Anmerckungen.
1. Es war eine alte Gewohnheit der Judi-
ſchen Nation, daß ſie ſich des Geſetzes, welches
ſie vor allen andern Voͤlckern hatte, ruͤhmete, aber
von dem wahren Gehorſam, ſonderlich dem inner-
lichen, ferne blieb: man ſehe davon ſonderlich
Roͤm. 2, 13. u. f. Und da ihnen dieſe Unart auch
noch nach der Bekehrung zum theil anhing, ſo
warnet ſie der Apoſtel davor.
2. Hoͤren und Thun gehoͤret dergeſtalt
zuſammen, wie Verſtand und Wille zu einer
Seele gehoͤret. Denn ſo wenig iemal eine Seele
geweſen, welche ohne die Kraft des Willens nur
einen bloſſen Verſtand gehabt haͤtte: ſowenig
ſoll das zuvorderſt auf den Verſtand gehende Hoͤ-
ren ohne den Gehorſam des Willens bleiben.
Wie ſehr unſer Heyland auf dieſen dringet, ſehe
man unter andern Matth. 7, 22. 24. u. f. deßglei-
chen Luc. 8, 15. da er ſpricht: daß aber auf dem
guten Lande, ſind die das Wort hoͤren
und behalten in einem feinen guten Her-
tzen und bringen Frucht in Geduld, ἐν τῆ
ὑπομονῆ, in der Beharrung.
3. Andere Leute betriegen iſt arg; aber ſich
ſelbſt betruͤgen, noch aͤrger; und dieſes letztere
noch gemeiner, als das erſte.
4. Der Selbſtbetrug bey dem Worte
GOttes geſchiehet ſonderlich auf dieſe Art, daß
man meinet, man habe damit auch die Sache
ſelbſt, wenn man einen Buchſtaͤblichen Begrif im
Verſtande davon hat. Da denn die Eigenliebe
geſchaͤftig iſt, ſich deßwegen die Sache ſelbſt zuzu-
eignen.
5. Man hat ſich aber auch wohl zu huͤten,
daß man die Thaͤtigkeit des Worts nicht in einem
ſolchen Verſtande nehme, da man alles auf ſeine
eigene natuͤrliche Kraͤfte ankommen laͤßt:
welches denn der Pelagianismus iſt. Gleichwie
man ſoll recht hoͤren, als es vorhin beſchrieben iſt:
alſo ſoll auch das Thun rechter Art ſeyn, nem-
lich alſo, daß man bey dem Hoͤren die zum Thun
noͤthige goͤttliche Gnaden-Kraft ſchoͤpfe und in
ſich ziehe, und ſo denn aus derſelben gutes wircke:
gleichwie man leiblicher Weiſe alſo arbeitet, daß
man die von der genoſſenen Speiſe empfangene
Nahrungs-Kraft dazu anwendet.
6. Auch vor dieſer Art des Selbſt-Betruges
hat man ſich zu huͤten, daß man die guten Bewe-
gungen nicht fuͤr eine wuͤrckliche That anſehe:
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