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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 2. v. 8-11. Erklärung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch] ben will; sondern auch weil dieser Wille GOt-
tes höchstbillig ist: sintemal ja niemand besser ist,
als der andere, sondern gleiche menschliche
Natur hat und von gleicher Bedürfniß ist, und
daher, was er gegen sich von andern, die ihn nicht
mehr angehen, als er sie, wünschet gethan und
gelassen zu werden, ihrentwegen zu thun, oder zu
lassen schuldig ist. Und da andere damit, was
sie dißfals versäumen, eine Schuld auf sich laden,
so erfordert die wohlgeordnete Liebe gegen uns
selbst, daß man sich von solcher Schuld frey be-
halte, und also nicht gleiches mit gleichem vergel-
te, sondern dem Gesetze der Liebe gegen andere
nachkomme.

5. Wenn man nun erweget, wie das Ge-
setze der Liebe gegen uns selbst sich gründet auf das
Gesetz der Liebe gegen GOtt, und die Liebe gegen
den Nächsten reguliret, die Liebe aber gegen
GOtt, uns selbst und den Nächsten alle schuldige
Pflichten dergestalt in sich fasset, daß nichts ge-
nennet werden könne, welches dazu nicht gehöre;
so siehet man daraus, wie wir am Moral- Gesetze
GOttes ein rechtes und vollkommenes Gesetz der
Natur haben, und dasjenige, was ausser demsel-
ben vom Gesetze der Natur vorgegeben und so hoch
gerühmet wird, nur ein geringer Schatte dage-
gen sey. Und solcher gestalt findet man auch dar-
inn an der heiligen Schrift und Christlichen Re-
ligion einen recht göttlichen Character von ihrer
Wahrheit und Vortreflichkeit. Denn da die
menschliche Natur selbst, und auch das derselben
eingepflantzte Gesetz von GOtt ist, dessen Aufklä-
rung aber sich dergestalt in der heiligen Schrift
und daher in der Christlichen Religion befindet,
daß wir darinnen ein vollkommenes Systema da-
von haben, so muß beydes von GOtt seyn. Denn
von wem könte die rechte Aufklärung und Erläu-
terung eines Gesetzes nebst desselben Execution
gegen die Ubertreter sonst herkommen, als von
dem Gesetzgeber selbst?

6. Weil nun dem also war, so beantwor-
tet unser Heyland mit grossem Nachdrucke Matth.
22, 36. u. f. die Frage von dem grössesten Ge-
bote im Gesetze
also: Du solt lieben GOTT
deinen HErrn von gantzem Hertzen, von
gantzer Seele, und von gantzem Gemüthe:
das ist das vornehmste und grösseste Ge-
bot. Das andere ist dem gleich: du solt
deinen Nächsten lieben, als dich selbst. Jn
diesen zweyen Geboten hänget das gantze
Gesetze und die Propheten.
Siehe auch
Röm. 13, 9. Gal. 5, 14. da die Liebe heißt des
Gesetzes Erfüllung.

7. Zur Erläuterung des neunten Verses
dienen die oben v. 1. gegebne Anmerckungen. Die
Bestrafung des Gesetzes gehet auf eine nach-
drückliche Uberzeugung des Gewissens, nach der
Eigenschaft des Worts elegkhein. Es bestehet die
Uberzeugung darinnen, daß der Mensch durch
das Gesetz, welches eine unpartheyische Liebe ha-
ben will, von seiner grossen Partheylichkeit bey
der Ansehung der Person überführet wird. Da-
zu kommet das besondere Gesetz von verbotener
Ansehung der Person, welches übertreten wird.
3 B. Mos. 19, 15. 5 B. Mos. 1, 17. c. 10. 17.

[Spaltenumbruch]
V. 10. 11.

Denn so iemand das gantze Gesetz
hält, und sündiget an einem, der ists gantz
schuldig
(wird für einen Ubertreter aller übrigen
Gebote gehalten, oder angesehen als einer, der
sich an dem gantzen Gesetze versündiget hat) denn
der da gesaget hat: du solt nicht ehebre-
chen, der hat auch gesaget: du solt nicht
tödten. So du nun nicht ehebrichst, töd-
test aber, bist du ein Ubertreter des Gese-
tzes.

Anmerckungen.

1. Zuvorderst fraget sich alhier, wie der
Mensch das Gesetz halten könne, oder
nicht?

a. Er kan es halten, aber nicht aus eignen Na-
tur-Kräften, sondern aus Gnaden-Kräften,
wenn man ein solches Halten verstehet, wie
man verstehen soll, das ist, welches nicht allein
in Vermeidung grosser äusserlicher Missetha-
ten, sondern auch in innerlicher Lust und Liebe
zum Guten, auch in williger und thätiger Aus-
übung bestehet.
b. Er kan es halten, aber nicht vollkommlich,
sondern nur aufrichtig, auch in allen Stü-
cken,
obgleich nicht in allen Stufen.
c. Er hält es, nicht daß er damit seine Seligkeit
bey GOtt verdiene; sintemal einer, der das
Gesetz aus Gnaden-Kräften hält, schon aus
der Gnade um Christi willen gerecht gespro-
chen ist, und daher nichts verdienen darf; son-
dern nur seinen schuldigen Gehorsam danck-
barlichst gegen GOtt zu erweisen hat.

2. Mit den Worten, daß man durch
Ubertretung des einen Gebots im Gesetz
auch der andern Gebote schuldig,
oder als
ein Ubertreter derselben angesehen werde, will
der Apostel so viel sagen, daß man sich des Ge-
horsams gegen alle Gebote ohne Unterscheid und
eigene Auswehlung befleißigen solle; und daß es
einem nichts helfen werde, wenn man suche allen
übrigen Geboten nach zu kommen, lasse es aber
an einem fehlen. Davon der Grund dieser ist, daß,
wer eine Sünde über sich herrschen läßt, zum Ex-
empel den Haß und Zorn, oder die Unbarmher-
tzigkeit wider seinen Nächsten (davon Jacobus
im Contexte redet) derselbe bezeuget damit, daß
er noch im Unglauben stehet, und daß die böse
Lust, als die Wurtzel und der kurtze Begrif aller
Sünden, noch in ihm herrschet. Jst aber diese
da, so hilft es einem nichts, daß er sich vor dem
groben Ausbruch der übrigen Sünden hütet, auch
derselben nicht beschuldiget, noch in sofern für
einen Ubertreter des Gesetzes gehalten werden kan.
Es ist arg genug, daß er in der herrschenden Lust
stehet, welche wider alle Gebote GOttes streitet.
Und darum heißt es 5 B. Mos. 27, 26. Verflu-
chet sey, wer nicht alle Worte dieses Gese-
tzes erfüllet!
Gleichwie nun ein Gläubiger alle
Gebote des Gesetzes erfüllet, zuvorderst der Zu-
rechnung nach in Christo; und denn auch in dem
Verstande, daß er, an statt der bösen Lust zur
Ubertretung, die aus der Gnaden-Kraft des Hei-

ligen
L l l 3

Cap. 2. v. 8-11. Erklaͤrung des Briefes Jacobi.
[Spaltenumbruch] ben will; ſondern auch weil dieſer Wille GOt-
tes hoͤchſtbillig iſt: ſintemal ja niemand beſſer iſt,
als der andere, ſondern gleiche menſchliche
Natur hat und von gleicher Beduͤrfniß iſt, und
daher, was er gegen ſich von andern, die ihn nicht
mehr angehen, als er ſie, wuͤnſchet gethan und
gelaſſen zu werden, ihrentwegen zu thun, oder zu
laſſen ſchuldig iſt. Und da andere damit, was
ſie dißfals verſaͤumen, eine Schuld auf ſich laden,
ſo erfordert die wohlgeordnete Liebe gegen uns
ſelbſt, daß man ſich von ſolcher Schuld frey be-
halte, und alſo nicht gleiches mit gleichem vergel-
te, ſondern dem Geſetze der Liebe gegen andere
nachkomme.

5. Wenn man nun erweget, wie das Ge-
ſetze der Liebe gegen uns ſelbſt ſich gruͤndet auf das
Geſetz der Liebe gegen GOtt, und die Liebe gegen
den Naͤchſten reguliret, die Liebe aber gegen
GOtt, uns ſelbſt und den Naͤchſten alle ſchuldige
Pflichten dergeſtalt in ſich faſſet, daß nichts ge-
nennet werden koͤnne, welches dazu nicht gehoͤre;
ſo ſiehet man daraus, wie wir am Moral- Geſetze
GOttes ein rechtes und vollkommenes Geſetz der
Natur haben, und dasjenige, was auſſer demſel-
ben vom Geſetze der Natur vorgegeben und ſo hoch
geruͤhmet wird, nur ein geringer Schatte dage-
gen ſey. Und ſolcher geſtalt findet man auch dar-
inn an der heiligen Schrift und Chriſtlichen Re-
ligion einen recht goͤttlichen Character von ihrer
Wahrheit und Vortreflichkeit. Denn da die
menſchliche Natur ſelbſt, und auch das derſelben
eingepflantzte Geſetz von GOtt iſt, deſſen Aufklaͤ-
rung aber ſich dergeſtalt in der heiligen Schrift
und daher in der Chriſtlichen Religion befindet,
daß wir darinnen ein vollkommenes Syſtema da-
von haben, ſo muß beydes von GOtt ſeyn. Denn
von wem koͤnte die rechte Aufklaͤrung und Erlaͤu-
terung eines Geſetzes nebſt deſſelben Execution
gegen die Ubertreter ſonſt herkommen, als von
dem Geſetzgeber ſelbſt?

6. Weil nun dem alſo war, ſo beantwor-
tet unſer Heyland mit groſſem Nachdrucke Matth.
22, 36. u. f. die Frage von dem groͤſſeſten Ge-
bote im Geſetze
alſo: Du ſolt lieben GOTT
deinen HErrn von gantzem Hertzen, von
gantzer Seele, und von gantzem Gemuͤthe:
das iſt das vornehmſte und groͤſſeſte Ge-
bot. Das andere iſt dem gleich: du ſolt
deinen Naͤchſten lieben, als dich ſelbſt. Jn
dieſen zweyen Geboten haͤnget das gantze
Geſetze und die Propheten.
Siehe auch
Roͤm. 13, 9. Gal. 5, 14. da die Liebe heißt des
Geſetzes Erfuͤllung.

7. Zur Erlaͤuterung des neunten Verſes
dienen die oben v. 1. gegebne Anmerckungen. Die
Beſtrafung des Geſetzes gehet auf eine nach-
druͤckliche Uberzeugung des Gewiſſens, nach der
Eigenſchaft des Worts ἐλέγχειν. Es beſtehet die
Uberzeugung darinnen, daß der Menſch durch
das Geſetz, welches eine unpartheyiſche Liebe ha-
ben will, von ſeiner groſſen Partheylichkeit bey
der Anſehung der Perſon uͤberfuͤhret wird. Da-
zu kommet das beſondere Geſetz von verbotener
Anſehung der Perſon, welches uͤbertreten wird.
3 B. Moſ. 19, 15. 5 B. Moſ. 1, 17. c. 10. 17.

[Spaltenumbruch]
V. 10. 11.

Denn ſo iemand das gantze Geſetz
haͤlt, und ſuͤndiget an einem, der iſts gantz
ſchuldig
(wird fuͤr einen Ubertreter aller uͤbrigen
Gebote gehalten, oder angeſehen als einer, der
ſich an dem gantzen Geſetze verſuͤndiget hat) denn
der da geſaget hat: du ſolt nicht ehebre-
chen, der hat auch geſaget: du ſolt nicht
toͤdten. So du nun nicht ehebrichſt, toͤd-
teſt aber, biſt du ein Ubertreter des Geſe-
tzes.

Anmerckungen.

1. Zuvorderſt fraget ſich alhier, wie der
Menſch das Geſetz halten koͤnne, oder
nicht?

a. Er kan es halten, aber nicht aus eignen Na-
tur-Kraͤften, ſondern aus Gnaden-Kraͤften,
wenn man ein ſolches Halten verſtehet, wie
man verſtehen ſoll, das iſt, welches nicht allein
in Vermeidung groſſer aͤuſſerlicher Miſſetha-
ten, ſondern auch in innerlicher Luſt und Liebe
zum Guten, auch in williger und thaͤtiger Aus-
uͤbung beſtehet.
b. Er kan es halten, aber nicht vollkommlich,
ſondern nur aufrichtig, auch in allen Stuͤ-
cken,
obgleich nicht in allen Stufen.
c. Er haͤlt es, nicht daß er damit ſeine Seligkeit
bey GOtt verdiene; ſintemal einer, der das
Geſetz aus Gnaden-Kraͤften haͤlt, ſchon aus
der Gnade um Chriſti willen gerecht geſpro-
chen iſt, und daher nichts verdienen darf; ſon-
dern nur ſeinen ſchuldigen Gehorſam danck-
barlichſt gegen GOtt zu erweiſen hat.

2. Mit den Worten, daß man durch
Ubertretung des einen Gebots im Geſetz
auch der andern Gebote ſchuldig,
oder als
ein Ubertreter derſelben angeſehen werde, will
der Apoſtel ſo viel ſagen, daß man ſich des Ge-
horſams gegen alle Gebote ohne Unterſcheid und
eigene Auswehlung befleißigen ſolle; und daß es
einem nichts helfen werde, wenn man ſuche allen
uͤbrigen Geboten nach zu kommen, laſſe es aber
an einem fehlen. Davon der Grund dieſer iſt, daß,
wer eine Suͤnde uͤber ſich herrſchen laͤßt, zum Ex-
empel den Haß und Zorn, oder die Unbarmher-
tzigkeit wider ſeinen Naͤchſten (davon Jacobus
im Contexte redet) derſelbe bezeuget damit, daß
er noch im Unglauben ſtehet, und daß die boͤſe
Luſt, als die Wurtzel und der kurtze Begrif aller
Suͤnden, noch in ihm herrſchet. Jſt aber dieſe
da, ſo hilft es einem nichts, daß er ſich vor dem
groben Ausbruch der uͤbrigen Suͤnden huͤtet, auch
derſelben nicht beſchuldiget, noch in ſofern fuͤr
einen Ubertreter des Geſetzes gehalten werden kan.
Es iſt arg genug, daß er in der herrſchenden Luſt
ſtehet, welche wider alle Gebote GOttes ſtreitet.
Und darum heißt es 5 B. Moſ. 27, 26. Verflu-
chet ſey, wer nicht alle Worte dieſes Geſe-
tzes erfuͤllet!
Gleichwie nun ein Glaͤubiger alle
Gebote des Geſetzes erfuͤllet, zuvorderſt der Zu-
rechnung nach in Chriſto; und denn auch in dem
Verſtande, daß er, an ſtatt der boͤſen Luſt zur
Ubertretung, die aus der Gnaden-Kraft des Hei-

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[453/0455] Cap. 2. v. 8-11. Erklaͤrung des Briefes Jacobi. ben will; ſondern auch weil dieſer Wille GOt- tes hoͤchſtbillig iſt: ſintemal ja niemand beſſer iſt, als der andere, ſondern gleiche menſchliche Natur hat und von gleicher Beduͤrfniß iſt, und daher, was er gegen ſich von andern, die ihn nicht mehr angehen, als er ſie, wuͤnſchet gethan und gelaſſen zu werden, ihrentwegen zu thun, oder zu laſſen ſchuldig iſt. Und da andere damit, was ſie dißfals verſaͤumen, eine Schuld auf ſich laden, ſo erfordert die wohlgeordnete Liebe gegen uns ſelbſt, daß man ſich von ſolcher Schuld frey be- halte, und alſo nicht gleiches mit gleichem vergel- te, ſondern dem Geſetze der Liebe gegen andere nachkomme. 5. Wenn man nun erweget, wie das Ge- ſetze der Liebe gegen uns ſelbſt ſich gruͤndet auf das Geſetz der Liebe gegen GOtt, und die Liebe gegen den Naͤchſten reguliret, die Liebe aber gegen GOtt, uns ſelbſt und den Naͤchſten alle ſchuldige Pflichten dergeſtalt in ſich faſſet, daß nichts ge- nennet werden koͤnne, welches dazu nicht gehoͤre; ſo ſiehet man daraus, wie wir am Moral- Geſetze GOttes ein rechtes und vollkommenes Geſetz der Natur haben, und dasjenige, was auſſer demſel- ben vom Geſetze der Natur vorgegeben und ſo hoch geruͤhmet wird, nur ein geringer Schatte dage- gen ſey. Und ſolcher geſtalt findet man auch dar- inn an der heiligen Schrift und Chriſtlichen Re- ligion einen recht goͤttlichen Character von ihrer Wahrheit und Vortreflichkeit. Denn da die menſchliche Natur ſelbſt, und auch das derſelben eingepflantzte Geſetz von GOtt iſt, deſſen Aufklaͤ- rung aber ſich dergeſtalt in der heiligen Schrift und daher in der Chriſtlichen Religion befindet, daß wir darinnen ein vollkommenes Syſtema da- von haben, ſo muß beydes von GOtt ſeyn. Denn von wem koͤnte die rechte Aufklaͤrung und Erlaͤu- terung eines Geſetzes nebſt deſſelben Execution gegen die Ubertreter ſonſt herkommen, als von dem Geſetzgeber ſelbſt? 6. Weil nun dem alſo war, ſo beantwor- tet unſer Heyland mit groſſem Nachdrucke Matth. 22, 36. u. f. die Frage von dem groͤſſeſten Ge- bote im Geſetze alſo: Du ſolt lieben GOTT deinen HErrn von gantzem Hertzen, von gantzer Seele, und von gantzem Gemuͤthe: das iſt das vornehmſte und groͤſſeſte Ge- bot. Das andere iſt dem gleich: du ſolt deinen Naͤchſten lieben, als dich ſelbſt. Jn dieſen zweyen Geboten haͤnget das gantze Geſetze und die Propheten. Siehe auch Roͤm. 13, 9. Gal. 5, 14. da die Liebe heißt des Geſetzes Erfuͤllung. 7. Zur Erlaͤuterung des neunten Verſes dienen die oben v. 1. gegebne Anmerckungen. Die Beſtrafung des Geſetzes gehet auf eine nach- druͤckliche Uberzeugung des Gewiſſens, nach der Eigenſchaft des Worts ἐλέγχειν. Es beſtehet die Uberzeugung darinnen, daß der Menſch durch das Geſetz, welches eine unpartheyiſche Liebe ha- ben will, von ſeiner groſſen Partheylichkeit bey der Anſehung der Perſon uͤberfuͤhret wird. Da- zu kommet das beſondere Geſetz von verbotener Anſehung der Perſon, welches uͤbertreten wird. 3 B. Moſ. 19, 15. 5 B. Moſ. 1, 17. c. 10. 17. V. 10. 11. Denn ſo iemand das gantze Geſetz haͤlt, und ſuͤndiget an einem, der iſts gantz ſchuldig (wird fuͤr einen Ubertreter aller uͤbrigen Gebote gehalten, oder angeſehen als einer, der ſich an dem gantzen Geſetze verſuͤndiget hat) denn der da geſaget hat: du ſolt nicht ehebre- chen, der hat auch geſaget: du ſolt nicht toͤdten. So du nun nicht ehebrichſt, toͤd- teſt aber, biſt du ein Ubertreter des Geſe- tzes. Anmerckungen. 1. Zuvorderſt fraget ſich alhier, wie der Menſch das Geſetz halten koͤnne, oder nicht? a. Er kan es halten, aber nicht aus eignen Na- tur-Kraͤften, ſondern aus Gnaden-Kraͤften, wenn man ein ſolches Halten verſtehet, wie man verſtehen ſoll, das iſt, welches nicht allein in Vermeidung groſſer aͤuſſerlicher Miſſetha- ten, ſondern auch in innerlicher Luſt und Liebe zum Guten, auch in williger und thaͤtiger Aus- uͤbung beſtehet. b. Er kan es halten, aber nicht vollkommlich, ſondern nur aufrichtig, auch in allen Stuͤ- cken, obgleich nicht in allen Stufen. c. Er haͤlt es, nicht daß er damit ſeine Seligkeit bey GOtt verdiene; ſintemal einer, der das Geſetz aus Gnaden-Kraͤften haͤlt, ſchon aus der Gnade um Chriſti willen gerecht geſpro- chen iſt, und daher nichts verdienen darf; ſon- dern nur ſeinen ſchuldigen Gehorſam danck- barlichſt gegen GOtt zu erweiſen hat. 2. Mit den Worten, daß man durch Ubertretung des einen Gebots im Geſetz auch der andern Gebote ſchuldig, oder als ein Ubertreter derſelben angeſehen werde, will der Apoſtel ſo viel ſagen, daß man ſich des Ge- horſams gegen alle Gebote ohne Unterſcheid und eigene Auswehlung befleißigen ſolle; und daß es einem nichts helfen werde, wenn man ſuche allen uͤbrigen Geboten nach zu kommen, laſſe es aber an einem fehlen. Davon der Grund dieſer iſt, daß, wer eine Suͤnde uͤber ſich herrſchen laͤßt, zum Ex- empel den Haß und Zorn, oder die Unbarmher- tzigkeit wider ſeinen Naͤchſten (davon Jacobus im Contexte redet) derſelbe bezeuget damit, daß er noch im Unglauben ſtehet, und daß die boͤſe Luſt, als die Wurtzel und der kurtze Begrif aller Suͤnden, noch in ihm herrſchet. Jſt aber dieſe da, ſo hilft es einem nichts, daß er ſich vor dem groben Ausbruch der uͤbrigen Suͤnden huͤtet, auch derſelben nicht beſchuldiget, noch in ſofern fuͤr einen Ubertreter des Geſetzes gehalten werden kan. Es iſt arg genug, daß er in der herrſchenden Luſt ſtehet, welche wider alle Gebote GOttes ſtreitet. Und darum heißt es 5 B. Moſ. 27, 26. Verflu- chet ſey, wer nicht alle Worte dieſes Geſe- tzes erfuͤllet! Gleichwie nun ein Glaͤubiger alle Gebote des Geſetzes erfuͤllet, zuvorderſt der Zu- rechnung nach in Chriſto; und denn auch in dem Verſtande, daß er, an ſtatt der boͤſen Luſt zur Ubertretung, die aus der Gnaden-Kraft des Hei- ligen L l l 3

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/455>, abgerufen am 22.11.2024.