Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 4. v. 8. 9. des ersten Briefes Petri.
[Spaltenumbruch] einander eine brünstige Liebe: denn die
Liebe decket auch der Sünden Menge.

Anmerckungen.

1. Der Grund der lautern Liebe gegen den
Nächsten lieget in der lautern Liebe gegen GOtt
und in der wohlgeordneten Liebe gegen uns selbst.
Diese aber wird in uns durch die Wiedergeburt
angerichtet. Wenn denn nun nach diesem Grun-
de auch die Liebe des Nächsten zu ihrer rechten Ge-
stalt gekommen ist, da muß sie, wegen der bey den
Wiedergebornen noch übrigen grossen Unvoll-
kommenheit, immer mehr gereiniget und zugleich
gestärcket werden: Wie der Apostel schon oben
c. 1, 22. mit den nachdrücklichsten Worten von
Keuschmachung der Seelen im Gehorsam
der Wahrheit zur ungefärbten Bruder-
Liebe
bezeuget hat: bey welchem Orte der
Nachdruck des Worts ektenes, ektenos, brünstig,
mit mehrern gezeiget ist.

2. Daß der Apostel die Pflicht der Liebe,
darauf er auch schon c. 3, 8. geführet hat, aufs
neue einschärfet, kömmt daher, weil sie gemei-
niglich viel Hinderungen an den Schwachheiten
des Nächsten, auch des Bruders in Christo fin-
det. Denn obgleich solchen der eine sowol als
der andere unterworfen ist, und der eine mehr, als
der andere: so pfleget doch fast ein ieder des an-
dern Fehler eher zu sehen, als seine eigene, und
daher manchen Anstoß zu nehmen, und sich solches
zu einer Kaltsinnigkeit gegen denselben dienen zu
lassen.

3. Dagegen ist nun Petri Ermahnung ge-
richtet, und daher spricht er: denn die Liebe de-
cket auch der Sünden Menge.
Welche
Worte genommen sind aus Sprüchw. 10, 12. da
es heißt: Haß erreget Hader, aber Liebe
decket zu alle Ubertretung.

4. Wir haben aber zuvorderst den grossen
Mißbrauch dieses Spruchs wohl zu erkennen,
und davon hinwegzuthun: dieser ist dreyfach

a. Wenn man, wie die Papisten thun, die Liebe
zu einer verdienstlichen Sache machet, dieselbe
noch dazu auch wohl in solchen Wercken setzet,
darinnen sie sich doch nicht eigentlich und nicht
recht characterisiret; und denn meynet, man
wolle und könne damit bey GOtt seine Sünden
zudecken, deren Vergebung verdienen und da-
durch die Seligkeit erlangen. Da doch alhier
die Rede nicht ist, von den eignen, sondern von
des Nächsten Sünden, Petrus uns auch vor-
her in den herrlichen Zeugnissen von dem für
unsere Sünde gebrachten Versöhn-Opfer
Christi den rechten Grund von der Vergebung
unserer Sünde angewiesen hat.
b. Wenn man, wie sichere Welt-Menschen es
haben wollen und machen, auch offenbare
Sünden ungestraft lässet, ja wohl gar aus Fin-
sterniß Licht, aus sauer süsse macher: darauf
doch GOtt das Wehe gesetzet hat Jes. 5, 20.
welches von manchen Lehrern sonderlich in den
Leich-Predigten zu geschehen pfleget.
c. Wenn man auch der brüderlichen Erinnerung
keinen Platz läßt, sondern dagegen verlanget,
daß man entweder alles gut heissen, oder doch
zu allen stille schweigen soll.
[Spaltenumbruch]

5. Hingegen ist der rechte Gebrauch die-
ser Liebes-Pflicht folgender:

a. Wenn man des Nächsten Fehler, da sie andern
noch nicht kund worden sind, verschweiget;
sintemal durch die Kundmachung nur erst ein
Aergerniß würde angerichtet werden.
b. Wenn man eine Sache lieber geringer, als
grösser machet: wie denn oft einer und der an-
dere entweder nicht bekannte, oder nicht genug-
same erwogene Umstand einem eine gantz ande-
re Gestalt giebt.
c. Wenn man diesen und jenen Anstoß, der da
könte als eine Beleidigung angesehen werden,
nicht achtet, sondern dem Nächsten zu gute hält,
und es als eine Prüfung der Liebe ansiehet, ob
sie auch etwas tragen könne.
d. Wenn man etwas, sofern dabey eine Ent-
schuldigung statt findet, entschuldiget und zum
besten deutet; sonderlich in Erwegung der
Umstände, wodurch der andere hierzu und da-
zu ist verleitet worden Man hat hierbey son-
derlich die im 13ten Capitel des ersten Briefes
an die Corinthier nach einander bemeldeten
Eigenschaften der Liebe zu conferiren.
V. 9.

Seyd gastfrey unter einander ohne
Murmeln.

Anmerckungen.

1. Die Gastfreyheit, als eine besondere
Ubung der Liebe gegen den Nächsten, bestand bey
den ersten Christen darinn, daß, da sie unter vie-
lem Drucke waren, und ihnen an einem Orte
mehr zugesetzet wurde, als an dem andern, man-
che auch wohl aus ihren Oertern vertrieben wur-
den, oder solche wegen der versagten freyen äus-
serlichen Ubung der Christlichen Religion zu ver-
lassen genöthiget wurden, man solche an denen
Orten, wo mehrere Ruhe und Freyheit war, in
Liebe aufnahm, und ihnen gütlich that. Dabey
denn der Apostel vorausgesetzet hat, daß es nicht
auf eines und das andere Glied der Gemeine an-
komme, sondern daß dazu eine gemeine Anstalt
nach Möglichkeit müste gemachet werden.

2. Das Murmeln war ein Zeichen der Un-
zufriedenheit und des Mangels von der Liebe: und
konte wohl nicht besser zurück gehalten werden,
als wenn man bedachte, was unser Heyland sa-
get: Was ihr wollet, daß euch die Leute
thun sollen, das thut ihr ihnen
Matth. 7,
12. Wie hoch unser Heyland die Beweisung der
Liebe gegen die Fremden, als seine Glieder gerüh-
met habe, und wie er sie als ihm selbst gethan an-
sehen wolle, daß siehet man Matth. 25, 25. u. f.

3. Es findet sich zwar unter den Exulanten
in der Christlichen Kirche von langer Zeit her ein
sehr unlauteres und unordentliches Wesen: un-
terdessen hat man doch allerdinge Ursache in dem
Urtheil von ihnen behutsam zu seyn, und sich nicht
so hart und lieblos gegen sie zu erweisen; sintemal
doch gleichwol, ehe man sichs versieht, ein wah-
res Glied Christi darunter seyn kan. Ein meh-
rers von der Gastfreyheit sehe man Röm. 12,
13. 1 Tim. 3, 2. Tit. 1, 8. Hebr. 13, 2.

4. Sind
B b b b 3

Cap. 4. v. 8. 9. des erſten Briefes Petri.
[Spaltenumbruch] einander eine bruͤnſtige Liebe: denn die
Liebe decket auch der Suͤnden Menge.

Anmerckungen.

1. Der Grund der lautern Liebe gegen den
Naͤchſten lieget in der lautern Liebe gegen GOtt
und in der wohlgeordneten Liebe gegen uns ſelbſt.
Dieſe aber wird in uns durch die Wiedergeburt
angerichtet. Wenn denn nun nach dieſem Grun-
de auch die Liebe des Naͤchſten zu ihrer rechten Ge-
ſtalt gekommen iſt, da muß ſie, wegen der bey den
Wiedergebornen noch uͤbrigen groſſen Unvoll-
kommenheit, immer mehr gereiniget und zugleich
geſtaͤrcket werden: Wie der Apoſtel ſchon oben
c. 1, 22. mit den nachdruͤcklichſten Worten von
Keuſchmachung der Seelen im Gehorſam
der Wahrheit zur ungefaͤrbten Bruder-
Liebe
bezeuget hat: bey welchem Orte der
Nachdruck des Worts ἐκτενὴς, ἐκτενῶς, bruͤnſtig,
mit mehrern gezeiget iſt.

2. Daß der Apoſtel die Pflicht der Liebe,
darauf er auch ſchon c. 3, 8. gefuͤhret hat, aufs
neue einſchaͤrfet, koͤmmt daher, weil ſie gemei-
niglich viel Hinderungen an den Schwachheiten
des Naͤchſten, auch des Bruders in Chriſto fin-
det. Denn obgleich ſolchen der eine ſowol als
der andere unterworfen iſt, und der eine mehr, als
der andere: ſo pfleget doch faſt ein ieder des an-
dern Fehler eher zu ſehen, als ſeine eigene, und
daher manchen Anſtoß zu nehmen, und ſich ſolches
zu einer Kaltſinnigkeit gegen denſelben dienen zu
laſſen.

3. Dagegen iſt nun Petri Ermahnung ge-
richtet, und daher ſpricht er: denn die Liebe de-
cket auch der Suͤnden Menge.
Welche
Worte genommen ſind aus Spruͤchw. 10, 12. da
es heißt: Haß erreget Hader, aber Liebe
decket zu alle Ubertretung.

4. Wir haben aber zuvorderſt den groſſen
Mißbrauch dieſes Spruchs wohl zu erkennen,
und davon hinwegzuthun: dieſer iſt dreyfach

a. Wenn man, wie die Papiſten thun, die Liebe
zu einer verdienſtlichen Sache machet, dieſelbe
noch dazu auch wohl in ſolchen Wercken ſetzet,
darinnen ſie ſich doch nicht eigentlich und nicht
recht characteriſiret; und denn meynet, man
wolle und koͤnne damit bey GOtt ſeine Suͤnden
zudecken, deren Vergebung verdienen und da-
durch die Seligkeit erlangen. Da doch alhier
die Rede nicht iſt, von den eignen, ſondern von
des Naͤchſten Suͤnden, Petrus uns auch vor-
her in den herrlichen Zeugniſſen von dem fuͤr
unſere Suͤnde gebrachten Verſoͤhn-Opfer
Chriſti den rechten Grund von der Vergebung
unſerer Suͤnde angewieſen hat.
b. Wenn man, wie ſichere Welt-Menſchen es
haben wollen und machen, auch offenbare
Suͤnden ungeſtraft laͤſſet, ja wohl gar aus Fin-
ſterniß Licht, aus ſauer ſuͤſſe macher: darauf
doch GOtt das Wehe geſetzet hat Jeſ. 5, 20.
welches von manchen Lehrern ſonderlich in den
Leich-Predigten zu geſchehen pfleget.
c. Wenn man auch der bruͤderlichen Erinnerung
keinen Platz laͤßt, ſondern dagegen verlanget,
daß man entweder alles gut heiſſen, oder doch
zu allen ſtille ſchweigen ſoll.
[Spaltenumbruch]

5. Hingegen iſt der rechte Gebrauch die-
ſer Liebes-Pflicht folgender:

a. Wenn man des Naͤchſten Fehler, da ſie andern
noch nicht kund worden ſind, verſchweiget;
ſintemal durch die Kundmachung nur erſt ein
Aergerniß wuͤrde angerichtet werden.
b. Wenn man eine Sache lieber geringer, als
groͤſſer machet: wie denn oft einer und der an-
dere entweder nicht bekannte, oder nicht genug-
ſame erwogene Umſtand einem eine gantz ande-
re Geſtalt giebt.
c. Wenn man dieſen und jenen Anſtoß, der da
koͤnte als eine Beleidigung angeſehen werden,
nicht achtet, ſondern dem Naͤchſten zu gute haͤlt,
und es als eine Pruͤfung der Liebe anſiehet, ob
ſie auch etwas tragen koͤnne.
d. Wenn man etwas, ſofern dabey eine Ent-
ſchuldigung ſtatt findet, entſchuldiget und zum
beſten deutet; ſonderlich in Erwegung der
Umſtaͤnde, wodurch der andere hierzu und da-
zu iſt verleitet worden Man hat hierbey ſon-
derlich die im 13ten Capitel des erſten Briefes
an die Corinthier nach einander bemeldeten
Eigenſchaften der Liebe zu conferiren.
V. 9.

Seyd gaſtfrey unter einander ohne
Murmeln.

Anmerckungen.

1. Die Gaſtfreyheit, als eine beſondere
Ubung der Liebe gegen den Naͤchſten, beſtand bey
den erſten Chriſten darinn, daß, da ſie unter vie-
lem Drucke waren, und ihnen an einem Orte
mehr zugeſetzet wurde, als an dem andern, man-
che auch wohl aus ihren Oertern vertrieben wur-
den, oder ſolche wegen der verſagten freyen aͤuſ-
ſerlichen Ubung der Chriſtlichen Religion zu ver-
laſſen genoͤthiget wurden, man ſolche an denen
Orten, wo mehrere Ruhe und Freyheit war, in
Liebe aufnahm, und ihnen guͤtlich that. Dabey
denn der Apoſtel vorausgeſetzet hat, daß es nicht
auf eines und das andere Glied der Gemeine an-
komme, ſondern daß dazu eine gemeine Anſtalt
nach Moͤglichkeit muͤſte gemachet werden.

2. Das Murmeln war ein Zeichen der Un-
zufriedenheit und des Mangels von der Liebe: und
konte wohl nicht beſſer zuruͤck gehalten werden,
als wenn man bedachte, was unſer Heyland ſa-
get: Was ihr wollet, daß euch die Leute
thun ſollen, das thut ihr ihnen
Matth. 7,
12. Wie hoch unſer Heyland die Beweiſung der
Liebe gegen die Fremden, als ſeine Glieder geruͤh-
met habe, und wie er ſie als ihm ſelbſt gethan an-
ſehen wolle, daß ſiehet man Matth. 25, 25. u. f.

3. Es findet ſich zwar unter den Exulanten
in der Chriſtlichen Kirche von langer Zeit her ein
ſehr unlauteres und unordentliches Weſen: un-
terdeſſen hat man doch allerdinge Urſache in dem
Urtheil von ihnen behutſam zu ſeyn, und ſich nicht
ſo hart und lieblos gegen ſie zu erweiſen; ſintemal
doch gleichwol, ehe man ſichs verſieht, ein wah-
res Glied Chriſti darunter ſeyn kan. Ein meh-
rers von der Gaſtfreyheit ſehe man Roͤm. 12,
13. 1 Tim. 3, 2. Tit. 1, 8. Hebr. 13, 2.

4. Sind
B b b b 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0567" n="565"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Cap. 4. v. 8. 9. des er&#x017F;ten Briefes Petri.</hi> </fw><lb/>
              <cb/> <hi rendition="#fr">einander eine bru&#x0364;n&#x017F;tige Liebe: denn die<lb/>
Liebe decket auch der Su&#x0364;nden Menge.</hi> </p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Der Grund der lautern Liebe gegen den<lb/>
Na&#x0364;ch&#x017F;ten lieget in der lautern Liebe gegen GOtt<lb/>
und in der wohlgeordneten Liebe gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Die&#x017F;e aber wird in uns durch die Wiedergeburt<lb/>
angerichtet. Wenn denn nun nach die&#x017F;em Grun-<lb/>
de auch die Liebe des Na&#x0364;ch&#x017F;ten zu ihrer rechten Ge-<lb/>
&#x017F;talt gekommen i&#x017F;t, da muß &#x017F;ie, wegen der bey den<lb/>
Wiedergebornen noch u&#x0364;brigen gro&#x017F;&#x017F;en Unvoll-<lb/>
kommenheit, immer mehr gereiniget und zugleich<lb/>
ge&#x017F;ta&#x0364;rcket werden: Wie der Apo&#x017F;tel &#x017F;chon oben<lb/>
c. 1, 22. mit den nachdru&#x0364;cklich&#x017F;ten Worten von<lb/><hi rendition="#fr">Keu&#x017F;chmachung der Seelen im Gehor&#x017F;am<lb/>
der Wahrheit zur ungefa&#x0364;rbten Bruder-<lb/>
Liebe</hi> bezeuget hat: bey welchem Orte der<lb/>
Nachdruck des Worts &#x1F10;&#x03BA;&#x03C4;&#x03B5;&#x03BD;&#x1F74;&#x03C2;, &#x1F10;&#x03BA;&#x03C4;&#x03B5;&#x03BD;&#x1FF6;&#x03C2;, <hi rendition="#fr">bru&#x0364;n&#x017F;tig,</hi><lb/>
mit mehrern gezeiget i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>2. Daß der Apo&#x017F;tel die Pflicht der Liebe,<lb/>
darauf er auch &#x017F;chon c. 3, 8. gefu&#x0364;hret hat, aufs<lb/>
neue ein&#x017F;cha&#x0364;rfet, ko&#x0364;mmt daher, weil &#x017F;ie gemei-<lb/>
niglich viel Hinderungen an den Schwachheiten<lb/>
des Na&#x0364;ch&#x017F;ten, auch des Bruders in Chri&#x017F;to fin-<lb/>
det. Denn obgleich &#x017F;olchen der eine &#x017F;owol als<lb/>
der andere unterworfen i&#x017F;t, und der eine mehr, als<lb/>
der andere: &#x017F;o pfleget doch fa&#x017F;t ein ieder des an-<lb/>
dern Fehler eher zu &#x017F;ehen, als &#x017F;eine eigene, und<lb/>
daher manchen An&#x017F;toß zu nehmen, und &#x017F;ich &#x017F;olches<lb/>
zu einer Kalt&#x017F;innigkeit gegen den&#x017F;elben dienen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>3. Dagegen i&#x017F;t nun Petri Ermahnung ge-<lb/>
richtet, und daher &#x017F;pricht er: <hi rendition="#fr">denn die Liebe de-<lb/>
cket auch der Su&#x0364;nden Menge.</hi> Welche<lb/>
Worte genommen &#x017F;ind aus Spru&#x0364;chw. 10, 12. da<lb/>
es heißt: <hi rendition="#fr">Haß erreget Hader, aber Liebe<lb/>
decket zu alle Ubertretung.</hi></p><lb/>
              <p>4. Wir haben aber zuvorder&#x017F;t den gro&#x017F;&#x017F;en<lb/><hi rendition="#fr">Mißbrauch</hi> die&#x017F;es Spruchs wohl zu erkennen,<lb/>
und davon hinwegzuthun: die&#x017F;er i&#x017F;t dreyfach</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq">a.</hi> Wenn man, wie die Papi&#x017F;ten thun, die Liebe<lb/>
zu einer verdien&#x017F;tlichen Sache machet, die&#x017F;elbe<lb/>
noch dazu auch wohl in &#x017F;olchen Wercken &#x017F;etzet,<lb/>
darinnen &#x017F;ie &#x017F;ich doch nicht eigentlich und nicht<lb/>
recht <hi rendition="#aq">characteri&#x017F;ir</hi>et; und denn meynet, man<lb/>
wolle und ko&#x0364;nne damit bey GOtt &#x017F;eine Su&#x0364;nden<lb/>
zudecken, deren Vergebung verdienen und da-<lb/>
durch die Seligkeit erlangen. Da doch alhier<lb/>
die Rede nicht i&#x017F;t, von den eignen, &#x017F;ondern von<lb/>
des Na&#x0364;ch&#x017F;ten Su&#x0364;nden, Petrus uns auch vor-<lb/>
her in den herrlichen Zeugni&#x017F;&#x017F;en von dem fu&#x0364;r<lb/>
un&#x017F;ere Su&#x0364;nde gebrachten Ver&#x017F;o&#x0364;hn-Opfer<lb/>
Chri&#x017F;ti den rechten Grund von der Vergebung<lb/>
un&#x017F;erer Su&#x0364;nde angewie&#x017F;en hat.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">b.</hi> Wenn man, wie &#x017F;ichere Welt-Men&#x017F;chen es<lb/>
haben wollen und machen, auch offenbare<lb/>
Su&#x0364;nden unge&#x017F;traft la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, ja wohl gar aus Fin-<lb/>
&#x017F;terniß Licht, aus &#x017F;auer &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e macher: darauf<lb/>
doch GOtt das <hi rendition="#fr">Wehe</hi> ge&#x017F;etzet hat Je&#x017F;. 5, 20.<lb/>
welches von manchen Lehrern &#x017F;onderlich in den<lb/>
Leich-Predigten zu ge&#x017F;chehen pfleget.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">c.</hi> Wenn man auch der bru&#x0364;derlichen Erinnerung<lb/>
keinen Platz la&#x0364;ßt, &#x017F;ondern dagegen verlanget,<lb/>
daß man entweder alles gut hei&#x017F;&#x017F;en, oder doch<lb/>
zu allen &#x017F;tille &#x017F;chweigen &#x017F;oll.</item>
              </list><lb/>
              <cb/>
              <p>5. Hingegen i&#x017F;t der <hi rendition="#fr">rechte Gebrauch</hi> die-<lb/>
&#x017F;er Liebes-Pflicht folgender:</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq">a.</hi> Wenn man des Na&#x0364;ch&#x017F;ten Fehler, da &#x017F;ie andern<lb/>
noch nicht kund worden &#x017F;ind, ver&#x017F;chweiget;<lb/>
&#x017F;intemal durch die Kundmachung nur er&#x017F;t ein<lb/>
Aergerniß wu&#x0364;rde angerichtet werden.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">b.</hi> Wenn man eine Sache lieber geringer, als<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er machet: wie denn oft einer und der an-<lb/>
dere entweder nicht bekannte, oder nicht genug-<lb/>
&#x017F;ame erwogene Um&#x017F;tand einem eine gantz ande-<lb/>
re Ge&#x017F;talt giebt.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">c.</hi> Wenn man die&#x017F;en und jenen An&#x017F;toß, der da<lb/>
ko&#x0364;nte als eine Beleidigung ange&#x017F;ehen werden,<lb/>
nicht achtet, &#x017F;ondern dem Na&#x0364;ch&#x017F;ten zu gute ha&#x0364;lt,<lb/>
und es als eine Pru&#x0364;fung der Liebe an&#x017F;iehet, ob<lb/>
&#x017F;ie auch etwas tragen ko&#x0364;nne.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">d.</hi> Wenn man etwas, &#x017F;ofern dabey eine Ent-<lb/>
&#x017F;chuldigung &#x017F;tatt findet, ent&#x017F;chuldiget und zum<lb/>
be&#x017F;ten deutet; &#x017F;onderlich in Erwegung der<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde, wodurch der andere hierzu und da-<lb/>
zu i&#x017F;t verleitet worden Man hat hierbey &#x017F;on-<lb/>
derlich die im 13ten Capitel des er&#x017F;ten Briefes<lb/>
an die Corinthier nach einander bemeldeten<lb/>
Eigen&#x017F;chaften der Liebe zu <hi rendition="#aq">conferir</hi>en.</item>
              </list>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">V. 9.</hi> </head><lb/>
            <p> <hi rendition="#fr">Seyd ga&#x017F;tfrey unter einander ohne<lb/>
Murmeln.</hi> </p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Die <hi rendition="#fr">Ga&#x017F;tfreyheit,</hi> als eine be&#x017F;ondere<lb/>
Ubung der Liebe gegen den Na&#x0364;ch&#x017F;ten, be&#x017F;tand bey<lb/>
den er&#x017F;ten Chri&#x017F;ten darinn, daß, da &#x017F;ie unter vie-<lb/>
lem Drucke waren, und ihnen an einem Orte<lb/>
mehr zuge&#x017F;etzet wurde, als an dem andern, man-<lb/>
che auch wohl aus ihren Oertern vertrieben wur-<lb/>
den, oder &#x017F;olche wegen der ver&#x017F;agten freyen a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erlichen Ubung der Chri&#x017F;tlichen Religion zu ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en geno&#x0364;thiget wurden, man &#x017F;olche an denen<lb/>
Orten, wo mehrere Ruhe und Freyheit war, in<lb/>
Liebe aufnahm, und ihnen gu&#x0364;tlich that. Dabey<lb/>
denn der Apo&#x017F;tel vorausge&#x017F;etzet hat, daß es nicht<lb/>
auf eines und das andere Glied der Gemeine an-<lb/>
komme, &#x017F;ondern daß dazu eine gemeine An&#x017F;talt<lb/>
nach Mo&#x0364;glichkeit mu&#x0364;&#x017F;te gemachet werden.</p><lb/>
              <p>2. Das Murmeln war ein Zeichen der Un-<lb/>
zufriedenheit und des Mangels von der Liebe: und<lb/>
konte wohl nicht be&#x017F;&#x017F;er zuru&#x0364;ck gehalten werden,<lb/>
als wenn man bedachte, was un&#x017F;er Heyland &#x017F;a-<lb/>
get: <hi rendition="#fr">Was ihr wollet, daß euch die Leute<lb/>
thun &#x017F;ollen, das thut ihr ihnen</hi> Matth. 7,<lb/>
12. Wie hoch un&#x017F;er Heyland die Bewei&#x017F;ung der<lb/>
Liebe gegen die Fremden, als &#x017F;eine Glieder geru&#x0364;h-<lb/>
met habe, und wie er &#x017F;ie als ihm &#x017F;elb&#x017F;t gethan an-<lb/>
&#x017F;ehen wolle, daß &#x017F;iehet man Matth. 25, 25. u. f.</p><lb/>
              <p>3. Es findet &#x017F;ich zwar unter den <hi rendition="#aq">Exulant</hi>en<lb/>
in der Chri&#x017F;tlichen Kirche von langer Zeit her ein<lb/>
&#x017F;ehr unlauteres und unordentliches We&#x017F;en: un-<lb/>
terde&#x017F;&#x017F;en hat man doch allerdinge Ur&#x017F;ache in dem<lb/>
Urtheil von ihnen behut&#x017F;am zu &#x017F;eyn, und &#x017F;ich nicht<lb/>
&#x017F;o hart und lieblos gegen &#x017F;ie zu erwei&#x017F;en; &#x017F;intemal<lb/>
doch gleichwol, ehe man &#x017F;ichs ver&#x017F;ieht, ein wah-<lb/>
res Glied Chri&#x017F;ti darunter &#x017F;eyn kan. Ein meh-<lb/>
rers von der <hi rendition="#fr">Ga&#x017F;tfreyheit</hi> &#x017F;ehe man Ro&#x0364;m. 12,<lb/>
13. 1 Tim. 3, 2. Tit. 1, 8. Hebr. 13, 2.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">B b b b 3</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">4. Sind</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[565/0567] Cap. 4. v. 8. 9. des erſten Briefes Petri. einander eine bruͤnſtige Liebe: denn die Liebe decket auch der Suͤnden Menge. Anmerckungen. 1. Der Grund der lautern Liebe gegen den Naͤchſten lieget in der lautern Liebe gegen GOtt und in der wohlgeordneten Liebe gegen uns ſelbſt. Dieſe aber wird in uns durch die Wiedergeburt angerichtet. Wenn denn nun nach dieſem Grun- de auch die Liebe des Naͤchſten zu ihrer rechten Ge- ſtalt gekommen iſt, da muß ſie, wegen der bey den Wiedergebornen noch uͤbrigen groſſen Unvoll- kommenheit, immer mehr gereiniget und zugleich geſtaͤrcket werden: Wie der Apoſtel ſchon oben c. 1, 22. mit den nachdruͤcklichſten Worten von Keuſchmachung der Seelen im Gehorſam der Wahrheit zur ungefaͤrbten Bruder- Liebe bezeuget hat: bey welchem Orte der Nachdruck des Worts ἐκτενὴς, ἐκτενῶς, bruͤnſtig, mit mehrern gezeiget iſt. 2. Daß der Apoſtel die Pflicht der Liebe, darauf er auch ſchon c. 3, 8. gefuͤhret hat, aufs neue einſchaͤrfet, koͤmmt daher, weil ſie gemei- niglich viel Hinderungen an den Schwachheiten des Naͤchſten, auch des Bruders in Chriſto fin- det. Denn obgleich ſolchen der eine ſowol als der andere unterworfen iſt, und der eine mehr, als der andere: ſo pfleget doch faſt ein ieder des an- dern Fehler eher zu ſehen, als ſeine eigene, und daher manchen Anſtoß zu nehmen, und ſich ſolches zu einer Kaltſinnigkeit gegen denſelben dienen zu laſſen. 3. Dagegen iſt nun Petri Ermahnung ge- richtet, und daher ſpricht er: denn die Liebe de- cket auch der Suͤnden Menge. Welche Worte genommen ſind aus Spruͤchw. 10, 12. da es heißt: Haß erreget Hader, aber Liebe decket zu alle Ubertretung. 4. Wir haben aber zuvorderſt den groſſen Mißbrauch dieſes Spruchs wohl zu erkennen, und davon hinwegzuthun: dieſer iſt dreyfach a. Wenn man, wie die Papiſten thun, die Liebe zu einer verdienſtlichen Sache machet, dieſelbe noch dazu auch wohl in ſolchen Wercken ſetzet, darinnen ſie ſich doch nicht eigentlich und nicht recht characteriſiret; und denn meynet, man wolle und koͤnne damit bey GOtt ſeine Suͤnden zudecken, deren Vergebung verdienen und da- durch die Seligkeit erlangen. Da doch alhier die Rede nicht iſt, von den eignen, ſondern von des Naͤchſten Suͤnden, Petrus uns auch vor- her in den herrlichen Zeugniſſen von dem fuͤr unſere Suͤnde gebrachten Verſoͤhn-Opfer Chriſti den rechten Grund von der Vergebung unſerer Suͤnde angewieſen hat. b. Wenn man, wie ſichere Welt-Menſchen es haben wollen und machen, auch offenbare Suͤnden ungeſtraft laͤſſet, ja wohl gar aus Fin- ſterniß Licht, aus ſauer ſuͤſſe macher: darauf doch GOtt das Wehe geſetzet hat Jeſ. 5, 20. welches von manchen Lehrern ſonderlich in den Leich-Predigten zu geſchehen pfleget. c. Wenn man auch der bruͤderlichen Erinnerung keinen Platz laͤßt, ſondern dagegen verlanget, daß man entweder alles gut heiſſen, oder doch zu allen ſtille ſchweigen ſoll. 5. Hingegen iſt der rechte Gebrauch die- ſer Liebes-Pflicht folgender: a. Wenn man des Naͤchſten Fehler, da ſie andern noch nicht kund worden ſind, verſchweiget; ſintemal durch die Kundmachung nur erſt ein Aergerniß wuͤrde angerichtet werden. b. Wenn man eine Sache lieber geringer, als groͤſſer machet: wie denn oft einer und der an- dere entweder nicht bekannte, oder nicht genug- ſame erwogene Umſtand einem eine gantz ande- re Geſtalt giebt. c. Wenn man dieſen und jenen Anſtoß, der da koͤnte als eine Beleidigung angeſehen werden, nicht achtet, ſondern dem Naͤchſten zu gute haͤlt, und es als eine Pruͤfung der Liebe anſiehet, ob ſie auch etwas tragen koͤnne. d. Wenn man etwas, ſofern dabey eine Ent- ſchuldigung ſtatt findet, entſchuldiget und zum beſten deutet; ſonderlich in Erwegung der Umſtaͤnde, wodurch der andere hierzu und da- zu iſt verleitet worden Man hat hierbey ſon- derlich die im 13ten Capitel des erſten Briefes an die Corinthier nach einander bemeldeten Eigenſchaften der Liebe zu conferiren. V. 9. Seyd gaſtfrey unter einander ohne Murmeln. Anmerckungen. 1. Die Gaſtfreyheit, als eine beſondere Ubung der Liebe gegen den Naͤchſten, beſtand bey den erſten Chriſten darinn, daß, da ſie unter vie- lem Drucke waren, und ihnen an einem Orte mehr zugeſetzet wurde, als an dem andern, man- che auch wohl aus ihren Oertern vertrieben wur- den, oder ſolche wegen der verſagten freyen aͤuſ- ſerlichen Ubung der Chriſtlichen Religion zu ver- laſſen genoͤthiget wurden, man ſolche an denen Orten, wo mehrere Ruhe und Freyheit war, in Liebe aufnahm, und ihnen guͤtlich that. Dabey denn der Apoſtel vorausgeſetzet hat, daß es nicht auf eines und das andere Glied der Gemeine an- komme, ſondern daß dazu eine gemeine Anſtalt nach Moͤglichkeit muͤſte gemachet werden. 2. Das Murmeln war ein Zeichen der Un- zufriedenheit und des Mangels von der Liebe: und konte wohl nicht beſſer zuruͤck gehalten werden, als wenn man bedachte, was unſer Heyland ſa- get: Was ihr wollet, daß euch die Leute thun ſollen, das thut ihr ihnen Matth. 7, 12. Wie hoch unſer Heyland die Beweiſung der Liebe gegen die Fremden, als ſeine Glieder geruͤh- met habe, und wie er ſie als ihm ſelbſt gethan an- ſehen wolle, daß ſiehet man Matth. 25, 25. u. f. 3. Es findet ſich zwar unter den Exulanten in der Chriſtlichen Kirche von langer Zeit her ein ſehr unlauteres und unordentliches Weſen: un- terdeſſen hat man doch allerdinge Urſache in dem Urtheil von ihnen behutſam zu ſeyn, und ſich nicht ſo hart und lieblos gegen ſie zu erweiſen; ſintemal doch gleichwol, ehe man ſichs verſieht, ein wah- res Glied Chriſti darunter ſeyn kan. Ein meh- rers von der Gaſtfreyheit ſehe man Roͤm. 12, 13. 1 Tim. 3, 2. Tit. 1, 8. Hebr. 13, 2. 4. Sind B b b b 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/567
Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/567>, abgerufen am 22.11.2024.