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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 1. v. 2. 3.
[Spaltenumbruch] Mein HERR, und mein GOTT. Joh.
20, 28.

V. 3.

Nachdem allerley seiner göttlichen
Kraft, was zum Leben und göttlichen
Wandel dienet, uns geschencket ist durch
die Erkenntniß deß, der uns berufen hat
durch seine Herrlichkeit und Tugend.

Anmerckungen.

1. Der Anfang dieser Worte ist der Con-
struction
nach mit dem Anfange des fünften
Verses zu verbinden: darnach auch der sel. Lu-
therus
die Ubersetzung eingerichtet hat: nach-
dem - - so wendet
u. f. Nur muß das Wörtlein
[fremdsprachliches Material]tos im Anfange des fünften Verses, als wäre
es ausdrücklich gesetzet, im Sinne verstanden
werden.

2. Das Wort dedoremenes stehet alhier acti-
ve,
und heißt: hat geschencket: davon nach
dem nicht ungewöhnlichen Graecismo mehrere
Exempel im Lateinischen Commentario ange-
führet sind. Man conferire unter andern Ap.
Ges. 8, 14. c. 13, 47. c. 17, 7. c. 23, 1. Röm. 4, 21.

3. Und folglich sind die Worte, theias duna-
meos anzusehen, als stünden sie im nominativo:
die göttliche Kraft hat geschencket. Die
göttliche Kraft ist GOtt selbst alhier, nach dem
Evangelio betrachtet, welches daher Röm. 1, 16.
genennet wird die Kraft GOttes. Wie mäch-
tig sich diese erweise in der Bekehrung und Anzün-
dung des Glaubens, das sehe man sonderlich Eph.
1, 19.

4. Diese göttliche Kraft ist unserer
menschlichen Schwachheit entgegen gesetzet,
und hilft ihr auf und ab. Wer sich demnach der-
gestalt auf die menschliche Schwachheit berufet,
daß er damit den Mangel des rechtfchaffnen Chri-
stenthums zu entschuldigen suchet, der verleugnet
in der That damit die göttliche Kraft. Jch
vermag alles,
muß es hingegen billig heissen,
durch den, der mich mächtig machet, Chri-
stum.
Phil. 4, 13.

5. Das Nehmen und Geben muß im Chri-
stenthum immer bey einander stehen, also daß das
Nehmen das Geben befördere, und das Geben
das Nehmen recht erweise. Nach dem Evange-
lio nehmen wir durch den Glauben alles, was
uns zum geben, oder zur Beweisung eines gott-
seligen Wandels nöthig ist: und nach dem Gesetze
wenden wir in solchem Wandel alle geschenckte
Gnaden-Kraft getreulich an. Und also muß das
Nehmen billig voran gehen: wie wir denn sehen,
daß uns Petrus alhier zuerst darauf führet.

6. Das Leben, worauf das Gnaden-Ge-
schenck gehet, ist alhier das geistliche und ewige
Leben: welches in uns durch den Glauben, der
selbst schon ein geistliches Leben ist, angefangen
wird, und beständig unterhalten, und dadurch zu-
gleich vermehret werden muß. Und wo es um das
Leben der Seelen in GOtt wohl stehet, da wird
auch dem gantzen äusserlichen Leben nach dem Leibe
in der bürgerlichen Lebens-Art recht gerathen.

7. Der göttliche Wandel, eusebeia, ist
[Spaltenumbruch] nichts anders, als die thätige Ubung und der
wirckliche Erweis dieses geistlichen Lebens, der sich
innerlich und äusserlich vor GOtt und Menschen,
nach den Pflichten der ersten und andern Tafel
des Gesetzes hervorthut. Denn obgleich die
Gottseligkeit es eigentlich mit den Pflichten gegen
GOtt zu thun hat; so können doch diese unmög-
lich rechter Art seyn, wo sie sich nicht auch zugleich
in denen gegen den Nächsten, und dabey zuvor-
derst gegen uns selbst erweisen.

8. Was nun zum Leben und göttlichen
Wandel dienet, das alles ist geschencket. Da
denn das Wort panta, alles, nicht ohne Nach-
druck stehet. Denn was uns von Gnaden-Ga-
ben zur Heiligung nöthig ist, davon versaget uns
GOTT nichts, sondern er giebt alles reichlich
dar. Und folglich kan im Christenthum keine
Entschuldigung statt finden, daß man sagen wol-
te, dieses und jenes, welches doch zur Kette der
Heyls-Ordnung, und Pflichten gehöret, sey ei-
nem nicht möglich, und könne dabey eine Aus-
nahme von der allgemeinen Regel statt haben.

9. Die Erkentniß ist alhier auch so viel
als der Glaube; wie vorher v. 2. Denn gleich-
wie der Glaube erstlich selbst ein Gnaden-Ge-
schenck GOttes ist: also wird er, wenn er gege-
ben ist, dasjenige Mittel, wodurch wir von
GOtt alles, was uns zum Leben und göttlichen
Wandel nöthig ist, also erkennen, daß wir uns
darnach sehnen, es zuversichtlich ergreifen, wirck-
lich empfangen und uns zueignen. Welches
denn ist aus der Fülle JEsu Gnade um Gna-
de nehmen.
Joh. 1, 16.

10. Die Berufung GOttes wird alhier,
wie auch sonst anderwärtig, mit einem solchen
Nachdruck verstanden, dazu die gläubige Folg-
samkeit mit gehöret. Und also ist sie eine so kräf-
tige durch das Evangelium geschehene Uberzeu-
gung von der Wahrheit, Vortreflichkeit und
Nothwendigkeit der Christlichen Religion und
unsers ewigen Heyls, dadurch der Mensch nach
Verstand und Willen geändert, zum Glauben
gebracht, bekehret und zugleich erleuchtet wird.
Und solcher gestalt hält die Berufung GOttes
die Wiedergeburt, Bekehrung und Erleuchtung
in sich. Jn welchem Verstande die gläubi-
gen Römer genennet werden berufene Hei-
lige.
c. 1, 7. Von vielen aber, welche GOTT
vergeblich rufen lassen, heißt es: Viele sind be-
rufen, aber wenig sind auserwehlet!
Matth.
20, 16. c. 22, 14.

11. Die Herrlichkeit, wodurch wir zum
Reiche GOttes berufen werden, ist alhier son-
derlich das Evangelium: welches eine Herr-
lichkeit genennet wird, weil uns darinnen Chri-
stus, die wesentliche Herrlichkeit GOttes, mit
aller herrlichen Gnade zu unserer ewigen Selig-
keit und Herrlichkeit aufs beste angepriesen
wird. Von welcher Herrlichkeit, oder Klar-
heit des Evangelii, Paulus handelt 2 Cor. 3, 6. u. f.
Wir werden demnach nicht allein berufen zur
Herrlichkeit,
sondern auch durch Herrlich-
keit:
Wie denn, wenn uns im Evangelio die
ewige Herrlichkeit vorgestellet wird, solche durch
die Vorstellung zugleich ein Mittel wird der Be-

rufung

Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 1. v. 2. 3.
[Spaltenumbruch] Mein HERR, und mein GOTT. Joh.
20, 28.

V. 3.

Nachdem allerley ſeiner goͤttlichen
Kraft, was zum Leben und goͤttlichen
Wandel dienet, uns geſchencket iſt durch
die Erkenntniß deß, der uns berufen hat
durch ſeine Herrlichkeit und Tugend.

Anmerckungen.

1. Der Anfang dieſer Worte iſt der Con-
ſtruction
nach mit dem Anfange des fuͤnften
Verſes zu verbinden: darnach auch der ſel. Lu-
therus
die Uberſetzung eingerichtet hat: nach-
dem ‒ ‒ ſo wendet
u. f. Nur muß das Woͤrtlein
[fremdsprachliches Material]τως im Anfange des fuͤnften Verſes, als waͤre
es ausdruͤcklich geſetzet, im Sinne verſtanden
werden.

2. Das Wort δεδωρημένης ſtehet alhier acti-
ve,
und heißt: hat geſchencket: davon nach
dem nicht ungewoͤhnlichen Græciſmo mehrere
Exempel im Lateiniſchen Commentario ange-
fuͤhret ſind. Man conferire unter andern Ap.
Geſ. 8, 14. c. 13, 47. c. 17, 7. c. 23, 1. Roͤm. 4, 21.

3. Und folglich ſind die Worte, ϑείας δυνά-
μεως anzuſehen, als ſtuͤnden ſie im nominativo:
die goͤttliche Kraft hat geſchencket. Die
goͤttliche Kraft iſt GOtt ſelbſt alhier, nach dem
Evangelio betrachtet, welches daher Roͤm. 1, 16.
genennet wird die Kraft GOttes. Wie maͤch-
tig ſich dieſe erweiſe in der Bekehrung und Anzuͤn-
dung des Glaubens, das ſehe man ſonderlich Eph.
1, 19.

4. Dieſe goͤttliche Kraft iſt unſerer
menſchlichen Schwachheit entgegen geſetzet,
und hilft ihr auf und ab. Wer ſich demnach der-
geſtalt auf die menſchliche Schwachheit berufet,
daß er damit den Mangel des rechtfchaffnen Chri-
ſtenthums zu entſchuldigen ſuchet, der verleugnet
in der That damit die goͤttliche Kraft. Jch
vermag alles,
muß es hingegen billig heiſſen,
durch den, der mich maͤchtig machet, Chri-
ſtum.
Phil. 4, 13.

5. Das Nehmen und Geben muß im Chri-
ſtenthum immer bey einander ſtehen, alſo daß das
Nehmen das Geben befoͤrdere, und das Geben
das Nehmen recht erweiſe. Nach dem Evange-
lio nehmen wir durch den Glauben alles, was
uns zum geben, oder zur Beweiſung eines gott-
ſeligen Wandels noͤthig iſt: und nach dem Geſetze
wenden wir in ſolchem Wandel alle geſchenckte
Gnaden-Kraft getreulich an. Und alſo muß das
Nehmen billig voran gehen: wie wir denn ſehen,
daß uns Petrus alhier zuerſt darauf fuͤhret.

6. Das Leben, worauf das Gnaden-Ge-
ſchenck gehet, iſt alhier das geiſtliche und ewige
Leben: welches in uns durch den Glauben, der
ſelbſt ſchon ein geiſtliches Leben iſt, angefangen
wird, und beſtaͤndig unterhalten, und dadurch zu-
gleich vermehret werden muß. Und wo es um das
Leben der Seelen in GOtt wohl ſtehet, da wird
auch dem gantzen aͤuſſerlichen Leben nach dem Leibe
in der buͤrgerlichen Lebens-Art recht gerathen.

7. Der goͤttliche Wandel, ἐυσέβεια, iſt
[Spaltenumbruch] nichts anders, als die thaͤtige Ubung und der
wirckliche Erweis dieſes geiſtlichen Lebens, der ſich
innerlich und aͤuſſerlich vor GOtt und Menſchen,
nach den Pflichten der erſten und andern Tafel
des Geſetzes hervorthut. Denn obgleich die
Gottſeligkeit es eigentlich mit den Pflichten gegen
GOtt zu thun hat; ſo koͤnnen doch dieſe unmoͤg-
lich rechter Art ſeyn, wo ſie ſich nicht auch zugleich
in denen gegen den Naͤchſten, und dabey zuvor-
derſt gegen uns ſelbſt erweiſen.

8. Was nun zum Leben und goͤttlichen
Wandel dienet, das alles iſt geſchencket. Da
denn das Wort πάντα, alles, nicht ohne Nach-
druck ſtehet. Denn was uns von Gnaden-Ga-
ben zur Heiligung noͤthig iſt, davon verſaget uns
GOTT nichts, ſondern er giebt alles reichlich
dar. Und folglich kan im Chriſtenthum keine
Entſchuldigung ſtatt finden, daß man ſagen wol-
te, dieſes und jenes, welches doch zur Kette der
Heyls-Ordnung, und Pflichten gehoͤret, ſey ei-
nem nicht moͤglich, und koͤnne dabey eine Aus-
nahme von der allgemeinen Regel ſtatt haben.

9. Die Erkentniß iſt alhier auch ſo viel
als der Glaube; wie vorher v. 2. Denn gleich-
wie der Glaube erſtlich ſelbſt ein Gnaden-Ge-
ſchenck GOttes iſt: alſo wird er, wenn er gege-
ben iſt, dasjenige Mittel, wodurch wir von
GOtt alles, was uns zum Leben und goͤttlichen
Wandel noͤthig iſt, alſo erkennen, daß wir uns
darnach ſehnen, es zuverſichtlich ergreifen, wirck-
lich empfangen und uns zueignen. Welches
denn iſt aus der Fuͤlle JEſu Gnade um Gna-
de nehmen.
Joh. 1, 16.

10. Die Berufung GOttes wird alhier,
wie auch ſonſt anderwaͤrtig, mit einem ſolchen
Nachdruck verſtanden, dazu die glaͤubige Folg-
ſamkeit mit gehoͤret. Und alſo iſt ſie eine ſo kraͤf-
tige durch das Evangelium geſchehene Uberzeu-
gung von der Wahrheit, Vortreflichkeit und
Nothwendigkeit der Chriſtlichen Religion und
unſers ewigen Heyls, dadurch der Menſch nach
Verſtand und Willen geaͤndert, zum Glauben
gebracht, bekehret und zugleich erleuchtet wird.
Und ſolcher geſtalt haͤlt die Berufung GOttes
die Wiedergeburt, Bekehrung und Erleuchtung
in ſich. Jn welchem Verſtande die glaͤubi-
gen Roͤmer genennet werden berufene Hei-
lige.
c. 1, 7. Von vielen aber, welche GOTT
vergeblich rufen laſſen, heißt es: Viele ſind be-
rufen, aber wenig ſind auserwehlet!
Matth.
20, 16. c. 22, 14.

11. Die Herrlichkeit, wodurch wir zum
Reiche GOttes berufen werden, iſt alhier ſon-
derlich das Evangelium: welches eine Herr-
lichkeit genennet wird, weil uns darinnen Chri-
ſtus, die weſentliche Herrlichkeit GOttes, mit
aller herrlichen Gnade zu unſerer ewigen Selig-
keit und Herrlichkeit aufs beſte angeprieſen
wird. Von welcher Herrlichkeit, oder Klar-
heit des Evangelii, Paulus handelt 2 Cor. 3, 6. u. f.
Wir werden demnach nicht allein berufen zur
Herrlichkeit,
ſondern auch durch Herrlich-
keit:
Wie denn, wenn uns im Evangelio die
ewige Herrlichkeit vorgeſtellet wird, ſolche durch
die Vorſtellung zugleich ein Mittel wird der Be-

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[588/0590] Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 1. v. 2. 3. Mein HERR, und mein GOTT. Joh. 20, 28. V. 3. Nachdem allerley ſeiner goͤttlichen Kraft, was zum Leben und goͤttlichen Wandel dienet, uns geſchencket iſt durch die Erkenntniß deß, der uns berufen hat durch ſeine Herrlichkeit und Tugend. Anmerckungen. 1. Der Anfang dieſer Worte iſt der Con- ſtruction nach mit dem Anfange des fuͤnften Verſes zu verbinden: darnach auch der ſel. Lu- therus die Uberſetzung eingerichtet hat: nach- dem ‒ ‒ ſo wendet u. f. Nur muß das Woͤrtlein _ τως im Anfange des fuͤnften Verſes, als waͤre es ausdruͤcklich geſetzet, im Sinne verſtanden werden. 2. Das Wort δεδωρημένης ſtehet alhier acti- ve, und heißt: hat geſchencket: davon nach dem nicht ungewoͤhnlichen Græciſmo mehrere Exempel im Lateiniſchen Commentario ange- fuͤhret ſind. Man conferire unter andern Ap. Geſ. 8, 14. c. 13, 47. c. 17, 7. c. 23, 1. Roͤm. 4, 21. 3. Und folglich ſind die Worte, ϑείας δυνά- μεως anzuſehen, als ſtuͤnden ſie im nominativo: die goͤttliche Kraft hat geſchencket. Die goͤttliche Kraft iſt GOtt ſelbſt alhier, nach dem Evangelio betrachtet, welches daher Roͤm. 1, 16. genennet wird die Kraft GOttes. Wie maͤch- tig ſich dieſe erweiſe in der Bekehrung und Anzuͤn- dung des Glaubens, das ſehe man ſonderlich Eph. 1, 19. 4. Dieſe goͤttliche Kraft iſt unſerer menſchlichen Schwachheit entgegen geſetzet, und hilft ihr auf und ab. Wer ſich demnach der- geſtalt auf die menſchliche Schwachheit berufet, daß er damit den Mangel des rechtfchaffnen Chri- ſtenthums zu entſchuldigen ſuchet, der verleugnet in der That damit die goͤttliche Kraft. Jch vermag alles, muß es hingegen billig heiſſen, durch den, der mich maͤchtig machet, Chri- ſtum. Phil. 4, 13. 5. Das Nehmen und Geben muß im Chri- ſtenthum immer bey einander ſtehen, alſo daß das Nehmen das Geben befoͤrdere, und das Geben das Nehmen recht erweiſe. Nach dem Evange- lio nehmen wir durch den Glauben alles, was uns zum geben, oder zur Beweiſung eines gott- ſeligen Wandels noͤthig iſt: und nach dem Geſetze wenden wir in ſolchem Wandel alle geſchenckte Gnaden-Kraft getreulich an. Und alſo muß das Nehmen billig voran gehen: wie wir denn ſehen, daß uns Petrus alhier zuerſt darauf fuͤhret. 6. Das Leben, worauf das Gnaden-Ge- ſchenck gehet, iſt alhier das geiſtliche und ewige Leben: welches in uns durch den Glauben, der ſelbſt ſchon ein geiſtliches Leben iſt, angefangen wird, und beſtaͤndig unterhalten, und dadurch zu- gleich vermehret werden muß. Und wo es um das Leben der Seelen in GOtt wohl ſtehet, da wird auch dem gantzen aͤuſſerlichen Leben nach dem Leibe in der buͤrgerlichen Lebens-Art recht gerathen. 7. Der goͤttliche Wandel, ἐυσέβεια, iſt nichts anders, als die thaͤtige Ubung und der wirckliche Erweis dieſes geiſtlichen Lebens, der ſich innerlich und aͤuſſerlich vor GOtt und Menſchen, nach den Pflichten der erſten und andern Tafel des Geſetzes hervorthut. Denn obgleich die Gottſeligkeit es eigentlich mit den Pflichten gegen GOtt zu thun hat; ſo koͤnnen doch dieſe unmoͤg- lich rechter Art ſeyn, wo ſie ſich nicht auch zugleich in denen gegen den Naͤchſten, und dabey zuvor- derſt gegen uns ſelbſt erweiſen. 8. Was nun zum Leben und goͤttlichen Wandel dienet, das alles iſt geſchencket. Da denn das Wort πάντα, alles, nicht ohne Nach- druck ſtehet. Denn was uns von Gnaden-Ga- ben zur Heiligung noͤthig iſt, davon verſaget uns GOTT nichts, ſondern er giebt alles reichlich dar. Und folglich kan im Chriſtenthum keine Entſchuldigung ſtatt finden, daß man ſagen wol- te, dieſes und jenes, welches doch zur Kette der Heyls-Ordnung, und Pflichten gehoͤret, ſey ei- nem nicht moͤglich, und koͤnne dabey eine Aus- nahme von der allgemeinen Regel ſtatt haben. 9. Die Erkentniß iſt alhier auch ſo viel als der Glaube; wie vorher v. 2. Denn gleich- wie der Glaube erſtlich ſelbſt ein Gnaden-Ge- ſchenck GOttes iſt: alſo wird er, wenn er gege- ben iſt, dasjenige Mittel, wodurch wir von GOtt alles, was uns zum Leben und goͤttlichen Wandel noͤthig iſt, alſo erkennen, daß wir uns darnach ſehnen, es zuverſichtlich ergreifen, wirck- lich empfangen und uns zueignen. Welches denn iſt aus der Fuͤlle JEſu Gnade um Gna- de nehmen. Joh. 1, 16. 10. Die Berufung GOttes wird alhier, wie auch ſonſt anderwaͤrtig, mit einem ſolchen Nachdruck verſtanden, dazu die glaͤubige Folg- ſamkeit mit gehoͤret. Und alſo iſt ſie eine ſo kraͤf- tige durch das Evangelium geſchehene Uberzeu- gung von der Wahrheit, Vortreflichkeit und Nothwendigkeit der Chriſtlichen Religion und unſers ewigen Heyls, dadurch der Menſch nach Verſtand und Willen geaͤndert, zum Glauben gebracht, bekehret und zugleich erleuchtet wird. Und ſolcher geſtalt haͤlt die Berufung GOttes die Wiedergeburt, Bekehrung und Erleuchtung in ſich. Jn welchem Verſtande die glaͤubi- gen Roͤmer genennet werden berufene Hei- lige. c. 1, 7. Von vielen aber, welche GOTT vergeblich rufen laſſen, heißt es: Viele ſind be- rufen, aber wenig ſind auserwehlet! Matth. 20, 16. c. 22, 14. 11. Die Herrlichkeit, wodurch wir zum Reiche GOttes berufen werden, iſt alhier ſon- derlich das Evangelium: welches eine Herr- lichkeit genennet wird, weil uns darinnen Chri- ſtus, die weſentliche Herrlichkeit GOttes, mit aller herrlichen Gnade zu unſerer ewigen Selig- keit und Herrlichkeit aufs beſte angeprieſen wird. Von welcher Herrlichkeit, oder Klar- heit des Evangelii, Paulus handelt 2 Cor. 3, 6. u. f. Wir werden demnach nicht allein berufen zur Herrlichkeit, ſondern auch durch Herrlich- keit: Wie denn, wenn uns im Evangelio die ewige Herrlichkeit vorgeſtellet wird, ſolche durch die Vorſtellung zugleich ein Mittel wird der Be- rufung

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/590>, abgerufen am 22.11.2024.