Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 3. v. 10-12.
[Spaltenumbruch]
2. Johannes weiß von keiner mittlern Gattung zwischen den Kindern GOttes und den Kindern des Teufels. Dannenhero hat man sich wohl zu prüfen, zu welcher Classe man ge- höre. Die in diesem Briefe durch und durch gezeigte Kennzeichen geben den Ausschlag. Die Heuchler gehören zu den Kindern des Teufels; und hingegen die Angefochtenen, auch Müh- seligen und Beladenen, zu den Kindern GOt- tes.
3. Ein Kind GOttes thut recht, oder wircket die Gerechtigkeit, wenn es aus dem Grunde und Geiste der Kindschaft handelt; und also ist seine Lebens-Gerechtigkeit eine Frucht eines solchen Baums, der an den Wasserbä- chen gepflantzet ist, dessen Blätter der äusserli- chen Ehrbarkeit auch nicht einmal verwelcken, nachdem sie eine Evangelische, oder Christliche Güte mit an sich genommen haben.
4. Wer nicht recht thut in solchem Evan- gelischen Verstande, der ist nicht von GOtt, nemlich geboren, hat auch keine Gemeinschaft mit GOtt; wenn er sonst schon unter Menschen den besten Namen hat, und sich dabey der rei- nen Lehre rühmet. Es muß schon zu Johannis Zeiten sehr gemein geworden seyn, daß man sich der Kindschaft GOttes so fälschlich gerühmet hat, weil er solchem Selbstbetruge so viele Kenn- zeichen zur Prüfung entgegen setzet.
5. Da das recht thun überhaupt auf die Pflichten nach beyden Tafeln des Gesetzes gehet, so erläutert es der Apostel damit, daß er darauf der Pflichten nach der andern Tafel insonderheit gedencket; als zu deren Ausübung der Mensch, nebst dem innerlichen Antriebe auch so viele äus- serliche Veranlassungen hat. Daß aber unter dem Namen des Bruders alhier der nächste ins- gemein verstanden werde, und also davon auch der Feind selbst nicht auszuschliessen sey, ist aus dem biblischen Gebrauche dieses Worts, auch aus den Orten, wo uns die Liebe gegen die Fein- de anbefohlen wird, als Matth. 5, 44. Röm. 12, 20. nicht unbekannt: wie denn Christus nach dem Gebote von der Liebe gegen die Feinde dazu setzet: aufdaß ihr Kinder seyd eures Va- ters im Himmel. Denn er läßt seine Son- ne aufgehen, u. s. w. Damit er denn bezeu- get, was Johannes alhier saget, daß die Kind- schaft GOttes sich daran offenbaren müsse.
6. Daß der Apostel alhier abermal des Ge- bots der Liebe, wie es gleich vom Anfange, nemlich der Evangelischen Oeconomie, ein- geschärfet und gehöret sey (wie er oben c. 2, 7. 8. bezeuget hat) gedencket, daraus kan man soviel schliessen, daß diejenigen, welche die Lehre des Evangelii auf Muthwillen gezogen, gedachtes Gebot von der Liebe für etwas neues ausgege- ben, auf welches Johannes vor andern nur allein dringe. Wie noch heute zu tage manche Leute von ihren rechtschaffnen Lehrern also urtheilen, als wenn sie dieses und jenes nur nach ihrem Kopfe also haben wolten. Wie sehr unser Hey- land die Liebes-Pflichten eingeschärfet habe, sehe man sonderlich Joh. 13, 34. c. 15, 15.
[Spaltenumbruch]
V. 12.
Nicht wie Cain (machet es) der von dem Argen (dem Teufel, als sein Kind,) war, und erwürgete seinen Bruder (den gläubi- gen und gottseligen Abel.) Und warum er- würgete er ihn? daß seine Wercke böse waren, und seines Bruders gerecht, (und er von ihm theils mit Worten, theils mit dem gantzen Leben in seiner Gottlosigkeit bestrafet wurde, und ihm solches unerträglich war. 1 B. Mos. 4. Hebr. 11, 4. 24.
Anmerckungen.
1. Was Johannes von den Kindern GOt- tes und den Kindern des Teufels gesaget hatte, das erläutert er aus der Familie unserer ersten Eltern an dem Exempel ihrer Kinder, Cains und Abels; als worinnen sich gleich anfangs der so gar sehr unterschiedene Zustand der Men- schen auf Erden, in der Kirche GOttes selbst, also hervor that, wie wir ihn noch heute zu tage finden.
2. Was kan gottseligen Eltern betrübter seyn, als wenn sie erfahren müssen, daß ihre Kinder, da sie zuvorderst GOttes Kinder seyn solten, Kinder des Teufels sind, oder werden! Welch ein Hertzeleid muß das dem Adam und der Eva an dem erstgebornen Sohne, dem Cain nicht gewesen seyn! zumal da sie durch ihn sich des gottseligen Abels noch dazu beraubet sehen musten. Was erleben nicht noch itzo manche Eltern an ihren Kindern; wie insgemein, also auch insonderheit an denen, welche sie auf die Universität schicken! Wie manchen Cain siehet man da nicht!
3. Der Arge, von welchem Cain gewesen ist, war der Teufel: als welchen Verstand nicht allein die Sache selbst also mit sich bringet, son- dern auch der vorhergehende Context erfordert. Und in gleichem Gebrauche stehet dieses Wort o poneros, der Arge, oder der Bösewicht, auch oben c. 2, 13. 14. und darinn kömmt es unten c. 5, 18. 19. noch zweymal vor. Dabey man auch ferner zu conferiren hat die Oerter, Matth. 6, 13. c. 13, 19. 38. Eph. 6, 16. 2 Thess. 3, 3.
4. Cain ließ sich bey dem äusserlichen Got- tesdienste sowol finden, als Abel 1 B. Mos. 4, 3. O wie manches Kind des Teufels schmücket da- mit noch itzo seinen heillosen Sinn!
5. Wie und womit Cain den Abel erwür- get habe, ist weder alhier, noch von Mose aus- gedrucket worden. Genug war es, daß es ein gewalsamer Tod war. O wie manche Cains- Brüder sind nicht noch itzo auch unter den Chri- sten! Sonderlich sind es die gantz vernunftlosen Duellanten, welche um einer vermeynten Be- schimpfung willen ihr und ihres Nächsten Leib und Seele in die alleräusserste Gefahr setzen, und sich vor allen andern als rechte Teufels-Kinder erweisen. Manche hohe Landes-Obrigkeit hat dißfals heilsame Gesetze gemachet. Wenn sie aber dabey durch die Finger siehet, und Duelle geschehen lässet, so versündiget sie sich damit gar schwerlich.
5. Die
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 3. v. 10-12.
[Spaltenumbruch]
2. Johannes weiß von keiner mittlern Gattung zwiſchen den Kindern GOttes und den Kindern des Teufels. Dannenhero hat man ſich wohl zu pruͤfen, zu welcher Claſſe man ge- hoͤre. Die in dieſem Briefe durch und durch gezeigte Kennzeichen geben den Ausſchlag. Die Heuchler gehoͤren zu den Kindern des Teufels; und hingegen die Angefochtenen, auch Muͤh- ſeligen und Beladenen, zu den Kindern GOt- tes.
3. Ein Kind GOttes thut recht, oder wircket die Gerechtigkeit, wenn es aus dem Grunde und Geiſte der Kindſchaft handelt; und alſo iſt ſeine Lebens-Gerechtigkeit eine Frucht eines ſolchen Baums, der an den Waſſerbaͤ- chen gepflantzet iſt, deſſen Blaͤtter der aͤuſſerli- chen Ehrbarkeit auch nicht einmal verwelcken, nachdem ſie eine Evangeliſche, oder Chriſtliche Guͤte mit an ſich genommen haben.
4. Wer nicht recht thut in ſolchem Evan- geliſchen Verſtande, der iſt nicht von GOtt, nemlich geboren, hat auch keine Gemeinſchaft mit GOtt; wenn er ſonſt ſchon unter Menſchen den beſten Namen hat, und ſich dabey der rei- nen Lehre ruͤhmet. Es muß ſchon zu Johannis Zeiten ſehr gemein geworden ſeyn, daß man ſich der Kindſchaft GOttes ſo faͤlſchlich geruͤhmet hat, weil er ſolchem Selbſtbetruge ſo viele Kenn- zeichen zur Pruͤfung entgegen ſetzet.
5. Da das recht thun uͤberhaupt auf die Pflichten nach beyden Tafeln des Geſetzes gehet, ſo erlaͤutert es der Apoſtel damit, daß er darauf der Pflichten nach der andern Tafel inſonderheit gedencket; als zu deren Ausuͤbung der Menſch, nebſt dem innerlichen Antriebe auch ſo viele aͤuſ- ſerliche Veranlaſſungen hat. Daß aber unter dem Namen des Bruders alhier der naͤchſte ins- gemein verſtanden werde, und alſo davon auch der Feind ſelbſt nicht auszuſchlieſſen ſey, iſt aus dem bibliſchen Gebrauche dieſes Worts, auch aus den Orten, wo uns die Liebe gegen die Fein- de anbefohlen wird, als Matth. 5, 44. Roͤm. 12, 20. nicht unbekannt: wie denn Chriſtus nach dem Gebote von der Liebe gegen die Feinde dazu ſetzet: aufdaß ihr Kinder ſeyd eures Va- ters im Himmel. Denn er laͤßt ſeine Son- ne aufgehen, u. ſ. w. Damit er denn bezeu- get, was Johannes alhier ſaget, daß die Kind- ſchaft GOttes ſich daran offenbaren muͤſſe.
6. Daß der Apoſtel alhier abermal des Ge- bots der Liebe, wie es gleich vom Anfange, nemlich der Evangeliſchen Oeconomie, ein- geſchaͤrfet und gehoͤret ſey (wie er oben c. 2, 7. 8. bezeuget hat) gedencket, daraus kan man ſoviel ſchlieſſen, daß diejenigen, welche die Lehre des Evangelii auf Muthwillen gezogen, gedachtes Gebot von der Liebe fuͤr etwas neues ausgege- ben, auf welches Johannes vor andern nur allein dringe. Wie noch heute zu tage manche Leute von ihren rechtſchaffnen Lehrern alſo urtheilen, als wenn ſie dieſes und jenes nur nach ihrem Kopfe alſo haben wolten. Wie ſehr unſer Hey- land die Liebes-Pflichten eingeſchaͤrfet habe, ſehe man ſonderlich Joh. 13, 34. c. 15, 15.
[Spaltenumbruch]
V. 12.
Nicht wie Cain (machet es) der von dem Argen (dem Teufel, als ſein Kind,) war, und erwuͤrgete ſeinen Bruder (den glaͤubi- gen und gottſeligen Abel.) Und warum er- wuͤrgete er ihn? daß ſeine Wercke boͤſe waren, und ſeines Bruders gerecht, (und er von ihm theils mit Worten, theils mit dem gantzen Leben in ſeiner Gottloſigkeit beſtrafet wurde, und ihm ſolches unertraͤglich war. 1 B. Moſ. 4. Hebr. 11, 4. 24.
Anmerckungen.
1. Was Johannes von den Kindern GOt- tes und den Kindern des Teufels geſaget hatte, das erlaͤutert er aus der Familie unſerer erſten Eltern an dem Exempel ihrer Kinder, Cains und Abels; als worinnen ſich gleich anfangs der ſo gar ſehr unterſchiedene Zuſtand der Men- ſchen auf Erden, in der Kirche GOttes ſelbſt, alſo hervor that, wie wir ihn noch heute zu tage finden.
2. Was kan gottſeligen Eltern betruͤbter ſeyn, als wenn ſie erfahren muͤſſen, daß ihre Kinder, da ſie zuvorderſt GOttes Kinder ſeyn ſolten, Kinder des Teufels ſind, oder werden! Welch ein Hertzeleid muß das dem Adam und der Eva an dem erſtgebornen Sohne, dem Cain nicht geweſen ſeyn! zumal da ſie durch ihn ſich des gottſeligen Abels noch dazu beraubet ſehen muſten. Was erleben nicht noch itzo manche Eltern an ihren Kindern; wie insgemein, alſo auch inſonderheit an denen, welche ſie auf die Univerſitaͤt ſchicken! Wie manchen Cain ſiehet man da nicht!
3. Der Arge, von welchem Cain geweſen iſt, war der Teufel: als welchen Verſtand nicht allein die Sache ſelbſt alſo mit ſich bringet, ſon- dern auch der vorhergehende Context erfordert. Und in gleichem Gebrauche ſtehet dieſes Wort ὁ πονηϱὸς, der Arge, oder der Boͤſewicht, auch oben c. 2, 13. 14. und darinn koͤmmt es unten c. 5, 18. 19. noch zweymal vor. Dabey man auch ferner zu conferiren hat die Oerter, Matth. 6, 13. c. 13, 19. 38. Eph. 6, 16. 2 Theſſ. 3, 3.
4. Cain ließ ſich bey dem aͤuſſerlichen Got- tesdienſte ſowol finden, als Abel 1 B. Moſ. 4, 3. O wie manches Kind des Teufels ſchmuͤcket da- mit noch itzo ſeinen heilloſen Sinn!
5. Wie und womit Cain den Abel erwuͤr- get habe, iſt weder alhier, noch von Moſe aus- gedrucket worden. Genug war es, daß es ein gewalſamer Tod war. O wie manche Cains- Bruͤder ſind nicht noch itzo auch unter den Chri- ſten! Sonderlich ſind es die gantz vernunftloſen Duellanten, welche um einer vermeynten Be- ſchimpfung willen ihr und ihres Naͤchſten Leib und Seele in die alleraͤuſſerſte Gefahr ſetzen, und ſich vor allen andern als rechte Teufels-Kinder erweiſen. Manche hohe Landes-Obrigkeit hat dißfals heilſame Geſetze gemachet. Wenn ſie aber dabey durch die Finger ſiehet, und Duelle geſchehen laͤſſet, ſo verſuͤndiget ſie ſich damit gar ſchwerlich.
5. Die
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[690/0692]
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 3. v. 10-12.
2. Johannes weiß von keiner mittlern
Gattung zwiſchen den Kindern GOttes und den
Kindern des Teufels. Dannenhero hat man
ſich wohl zu pruͤfen, zu welcher Claſſe man ge-
hoͤre. Die in dieſem Briefe durch und durch
gezeigte Kennzeichen geben den Ausſchlag. Die
Heuchler gehoͤren zu den Kindern des Teufels;
und hingegen die Angefochtenen, auch Muͤh-
ſeligen und Beladenen, zu den Kindern GOt-
tes.
3. Ein Kind GOttes thut recht, oder
wircket die Gerechtigkeit, wenn es aus dem
Grunde und Geiſte der Kindſchaft handelt; und
alſo iſt ſeine Lebens-Gerechtigkeit eine Frucht
eines ſolchen Baums, der an den Waſſerbaͤ-
chen gepflantzet iſt, deſſen Blaͤtter der aͤuſſerli-
chen Ehrbarkeit auch nicht einmal verwelcken,
nachdem ſie eine Evangeliſche, oder Chriſtliche
Guͤte mit an ſich genommen haben.
4. Wer nicht recht thut in ſolchem Evan-
geliſchen Verſtande, der iſt nicht von GOtt,
nemlich geboren, hat auch keine Gemeinſchaft
mit GOtt; wenn er ſonſt ſchon unter Menſchen
den beſten Namen hat, und ſich dabey der rei-
nen Lehre ruͤhmet. Es muß ſchon zu Johannis
Zeiten ſehr gemein geworden ſeyn, daß man ſich
der Kindſchaft GOttes ſo faͤlſchlich geruͤhmet
hat, weil er ſolchem Selbſtbetruge ſo viele Kenn-
zeichen zur Pruͤfung entgegen ſetzet.
5. Da das recht thun uͤberhaupt auf die
Pflichten nach beyden Tafeln des Geſetzes gehet,
ſo erlaͤutert es der Apoſtel damit, daß er darauf
der Pflichten nach der andern Tafel inſonderheit
gedencket; als zu deren Ausuͤbung der Menſch,
nebſt dem innerlichen Antriebe auch ſo viele aͤuſ-
ſerliche Veranlaſſungen hat. Daß aber unter
dem Namen des Bruders alhier der naͤchſte ins-
gemein verſtanden werde, und alſo davon auch
der Feind ſelbſt nicht auszuſchlieſſen ſey, iſt aus
dem bibliſchen Gebrauche dieſes Worts, auch
aus den Orten, wo uns die Liebe gegen die Fein-
de anbefohlen wird, als Matth. 5, 44. Roͤm. 12,
20. nicht unbekannt: wie denn Chriſtus nach
dem Gebote von der Liebe gegen die Feinde dazu
ſetzet: aufdaß ihr Kinder ſeyd eures Va-
ters im Himmel. Denn er laͤßt ſeine Son-
ne aufgehen, u. ſ. w. Damit er denn bezeu-
get, was Johannes alhier ſaget, daß die Kind-
ſchaft GOttes ſich daran offenbaren muͤſſe.
6. Daß der Apoſtel alhier abermal des Ge-
bots der Liebe, wie es gleich vom Anfange,
nemlich der Evangeliſchen Oeconomie, ein-
geſchaͤrfet und gehoͤret ſey (wie er oben c. 2, 7. 8.
bezeuget hat) gedencket, daraus kan man ſoviel
ſchlieſſen, daß diejenigen, welche die Lehre des
Evangelii auf Muthwillen gezogen, gedachtes
Gebot von der Liebe fuͤr etwas neues ausgege-
ben, auf welches Johannes vor andern nur allein
dringe. Wie noch heute zu tage manche Leute
von ihren rechtſchaffnen Lehrern alſo urtheilen,
als wenn ſie dieſes und jenes nur nach ihrem
Kopfe alſo haben wolten. Wie ſehr unſer Hey-
land die Liebes-Pflichten eingeſchaͤrfet habe, ſehe
man ſonderlich Joh. 13, 34. c. 15, 15.
V. 12.
Nicht wie Cain (machet es) der von
dem Argen (dem Teufel, als ſein Kind,) war,
und erwuͤrgete ſeinen Bruder (den glaͤubi-
gen und gottſeligen Abel.) Und warum er-
wuͤrgete er ihn? daß ſeine Wercke boͤſe
waren, und ſeines Bruders gerecht, (und
er von ihm theils mit Worten, theils mit dem
gantzen Leben in ſeiner Gottloſigkeit beſtrafet
wurde, und ihm ſolches unertraͤglich war. 1 B.
Moſ. 4. Hebr. 11, 4. 24.
Anmerckungen.
1. Was Johannes von den Kindern GOt-
tes und den Kindern des Teufels geſaget hatte,
das erlaͤutert er aus der Familie unſerer erſten
Eltern an dem Exempel ihrer Kinder, Cains
und Abels; als worinnen ſich gleich anfangs
der ſo gar ſehr unterſchiedene Zuſtand der Men-
ſchen auf Erden, in der Kirche GOttes ſelbſt,
alſo hervor that, wie wir ihn noch heute zu tage
finden.
2. Was kan gottſeligen Eltern betruͤbter
ſeyn, als wenn ſie erfahren muͤſſen, daß ihre
Kinder, da ſie zuvorderſt GOttes Kinder ſeyn
ſolten, Kinder des Teufels ſind, oder werden!
Welch ein Hertzeleid muß das dem Adam und
der Eva an dem erſtgebornen Sohne, dem Cain
nicht geweſen ſeyn! zumal da ſie durch ihn ſich
des gottſeligen Abels noch dazu beraubet ſehen
muſten. Was erleben nicht noch itzo manche
Eltern an ihren Kindern; wie insgemein, alſo
auch inſonderheit an denen, welche ſie auf die
Univerſitaͤt ſchicken! Wie manchen Cain ſiehet
man da nicht!
3. Der Arge, von welchem Cain geweſen
iſt, war der Teufel: als welchen Verſtand nicht
allein die Sache ſelbſt alſo mit ſich bringet, ſon-
dern auch der vorhergehende Context erfordert.
Und in gleichem Gebrauche ſtehet dieſes Wort
ὁ πονηϱὸς, der Arge, oder der Boͤſewicht, auch
oben c. 2, 13. 14. und darinn koͤmmt es unten c. 5,
18. 19. noch zweymal vor. Dabey man auch
ferner zu conferiren hat die Oerter, Matth. 6,
13. c. 13, 19. 38. Eph. 6, 16. 2 Theſſ. 3, 3.
4. Cain ließ ſich bey dem aͤuſſerlichen Got-
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O wie manches Kind des Teufels ſchmuͤcket da-
mit noch itzo ſeinen heilloſen Sinn!
5. Wie und womit Cain den Abel erwuͤr-
get habe, iſt weder alhier, noch von Moſe aus-
gedrucket worden. Genug war es, daß es ein
gewalſamer Tod war. O wie manche Cains-
Bruͤder ſind nicht noch itzo auch unter den Chri-
ſten! Sonderlich ſind es die gantz vernunftloſen
Duellanten, welche um einer vermeynten Be-
ſchimpfung willen ihr und ihres Naͤchſten Leib
und Seele in die alleraͤuſſerſte Gefahr ſetzen, und
ſich vor allen andern als rechte Teufels-Kinder
erweiſen. Manche hohe Landes-Obrigkeit hat
dißfals heilſame Geſetze gemachet. Wenn ſie
aber dabey durch die Finger ſiehet, und Duelle
geſchehen laͤſſet, ſo verſuͤndiget ſie ſich damit gar
ſchwerlich.
5. Die
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/692>, abgerufen am 24.11.2024.
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