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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Cap. 3. v. 14. 15. des ersten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch]

3. So viel von der zu erkennenden Sache,
ob man aus dem Tode ins Leben gekommen und
im Stande der Gnaden stehe, oder nicht. Das
Kennzeichen davon ist die Bruder-Liebe: da-
bey folgendes zu mercken ist:

a. Das Wort Bruder stehet alhier in einem so
weiten Verstande, daß es soviel heißt, als der
Nächste: sintemal wir auch verbunden sind
die Feinde zu lieben, und an der Liebe gegen die
Feinde ein Zeichen von der Kindschaft GOttes
finden, nach Matth. 5, 44. 45. liebet eure
Feinde - - - auf daß ihr Kinder seyd eu-
res Vaters im Himmel.
u. f.
b. Sonderlich aber gehet dieses Wort auf dieje-
nigen, welche nach dem Grunde der Kindschaft
GOttes in Christo geistliche Brüder sind. Da
denn die Bruder-Liebe vor der gemeinen
Liebe
einen grossen Vorzug hat. 2 Pet. 1, 7.
c. Die Liebe, welche alhier verstanden wird, ist
nicht natürlich, so wenig ihr Grund, der
Glaube mit der Kindschaft GOttes, natürlich
ist; sondern übernatürlich aus der Gnade ge-
wircket. Denn bey der natürlichen und heuch-
lerischen, oder interessirten Liebe bleibet der
Mensch im geistlichen Tode. Jst sie aber über-
natürlich, so ist sie rein, lauter hertzlich, thätig,
und dabey beständig, erweiset sich in allen
Pflichten nach der andern Tafel gegen den
Nächsten: sie ist auch mit einer aufrichtigen
Liebe gegen GOtt und einer wohlgeordneten
Liebe gegen uns selbst, und folglich mit einer
Vermeidung alles dessen, was mit ihr streitet,
als da sonderlich alle herrschende Sünden sind,
verknüpfet.

4. Was der Apostel von dem an der Bru-
der-Liebe zu nehmenden Kennzeichen des Gnaden-
Standes gesaget hat, erläutert er nach dem cha-
ractere
seines stili mit dem Gegensatze, um da-
mit soviel mehreren Eindruck zu geben, wenn er
spricht: Wer den Bruder nicht liebet der
bleibet im Tode:
dabey zu mercken:

a. Daß durch das nicht lieben auch das Gegen-
theil, nemlich das Hassen, oder der Haß mit
allen seinen Ausbrüchen verstanden werde.
Denn bey dem Menschen ist kein vacuum
morale,
daß er zwar gantz leer wäre von
der Liebe, aber doch auch ferne bliebe vom
Hasse.
b. Daß, wenn auch der Haß sonst nicht aus-
bricht, und die Lieblosigkeit auch nur durch
eine Unterlassung der schuldigen Pflichten und
durch eine Härtigkeit, oder Unbarmhertzigkeit,
nach v. 19. sich äussert, solches in der That schon
Hasses, oder Arges, genug sey.
c. Daß ein solcher Zustand ein gewisses Kenn-
zeichen sey des geistlichen Todes, worinn man
sich entweder vorher allezeit befunden hat, oder
worein man wieder gefallen ist.
d. Daß, weil man durch solche Sünde der Lieb-
losigkeit im geistlichen Tode bleibet, man die
herrschenden Sünden zu unterscheiden habe
in mortifera und mortem spiritualem
continuantia,
oder opera mortua, in sol-
che, wodurch man das geistliche Leben verlie-
ret, und solche, durch welche, oder bey welchen
[Spaltenumbruch] man im geistlichen Tode bleibet; die denn sind
todte Wercke, oder böse Wercke eines geistli-
cher Weise Todten.
e. Daß der geistliche Tod sonderlich im Unglau-
ben bestehe; und, weil er den Zorn GOttes
über sich hat, zur Erläuterung dieses Ortes ge-
hore, was Christus saget Joh. 3, 36. Wer
an den Sohn gläubet, der hat das ewige
Leben; wer dem Sohn nicht gläubet,
der wird das Leben nicht sehen, sondern
der Zorn GOttes bleibet über ihm.
Und
also wird der geistliche Tod auch zum ewi-
gen.

5. Jm übrigen dienet dieser Ort vor, oder
unter so vielen andern den angefochtenen, wel-
che wircklich im Stande der Gnaden stehen, aber
doch daran zweifeln, zu einer grossen Aufmunte-
rung.
Denn wenn sie befinden daß sie gegen
diese und jene, welche sie für wahre Kinder GOt-
tes halten, eine wahre Liebe finden, also daß ihr
Hertz in einer Vereinigung mit ihnen stehet, man
auch gern mit ihnen umgehen mag, und sich an
ihrem erbaulichen Umgange erqvicket, ihnen auch
zu allen möglichen Liebes-Diensten zugethan ist,
ja auch eine Liebe gegen seine Feinde in sich befin-
det; so hat man daran ein gewisses Kennzeichen
seines Gnaden-Standes und seiner Kindschaft
bey GOtt. Und dieses wird so viel gewisser, wenn
man dagegen in sich befindet, daß man vor der
bösen Gesellschaft dieser und jener bekannten gott-
losen Menschen, ob man gleich ihre Personen lie-
bet, einen rechten Abscheu träget. Auf welche
Art Schwachgläubige sich kräftigst aufrichten
können. Denn es ist ein Wort der Wahrheit,
wenn der Apostel saget: Wir wissen, daß wir
aus dem Tode ins Leben kommen sind.
Denn wir lieben die Brüder.
Dabey man
sich denn auch zuversichtlich zuzueignen hat, was
unser Heyland im Anfange der Berg-Predigt
saget: Selig sind, die geistlich arm sind,
denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind
die da Leide tragen, denn sie sollen getrö-
stet werden. Selig sind die da hungert
und durstet nach der Gerechtigkeit. Denn
sie sollen satt werden.

V. 15.

Wer seinen Bruder hasset, der ist ein
Todschläger. Und ihr wisset, daß ein
Todschläger nicht hat das ewige Leben bey
ihm bleibend.

Anmerckungen.

1. Nachdem der Apostel geredet hat vom
Tode, worinnen ein liebloser und Haß-voller
Mensch lieget, so zeiget er darauf an, wie ein
solcher damit auch ein Todschläger gegen andere
wird. Denn ob er auch gleich den Tod bey ih-
nen nicht zuwege bringet, weder den geistlichen,
noch den leiblichen; so begehet er doch in und bey
sich selbst den Todschlag gegen andere. Dabey
folgendes zu mercken ist:

a. Der Grund davon ist auf Seiten des Gese-
tzes,
daß es geistlich ist, aufs innere gehet,
und einen solchen Zustand der Seelen erfordert,
wor-
S s s s 3
Cap. 3. v. 14. 15. des erſten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch]

3. So viel von der zu erkennenden Sache,
ob man aus dem Tode ins Leben gekommen und
im Stande der Gnaden ſtehe, oder nicht. Das
Kennzeichen davon iſt die Bruder-Liebe: da-
bey folgendes zu mercken iſt:

a. Das Wort Bruder ſtehet alhier in einem ſo
weiten Verſtande, daß es ſoviel heißt, als der
Naͤchſte: ſintemal wir auch verbunden ſind
die Feinde zu lieben, und an der Liebe gegen die
Feinde ein Zeichen von der Kindſchaft GOttes
finden, nach Matth. 5, 44. 45. liebet eure
Feinde ‒ ‒ ‒ auf daß ihr Kinder ſeyd eu-
res Vaters im Himmel.
u. f.
b. Sonderlich aber gehet dieſes Wort auf dieje-
nigen, welche nach dem Grunde der Kindſchaft
GOttes in Chriſto geiſtliche Bruͤder ſind. Da
denn die Bruder-Liebe vor der gemeinen
Liebe
einen groſſen Vorzug hat. 2 Pet. 1, 7.
c. Die Liebe, welche alhier verſtanden wird, iſt
nicht natuͤrlich, ſo wenig ihr Grund, der
Glaube mit der Kindſchaft GOttes, natuͤrlich
iſt; ſondern uͤbernatuͤrlich aus der Gnade ge-
wircket. Denn bey der natuͤrlichen und heuch-
leriſchen, oder interesſirten Liebe bleibet der
Menſch im geiſtlichen Tode. Jſt ſie aber uͤber-
natuͤrlich, ſo iſt ſie rein, lauter hertzlich, thaͤtig,
und dabey beſtaͤndig, erweiſet ſich in allen
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Naͤchſten: ſie iſt auch mit einer aufrichtigen
Liebe gegen GOtt und einer wohlgeordneten
Liebe gegen uns ſelbſt, und folglich mit einer
Vermeidung alles deſſen, was mit ihr ſtreitet,
als da ſonderlich alle herrſchende Suͤnden ſind,
verknuͤpfet.

4. Was der Apoſtel von dem an der Bru-
der-Liebe zu nehmenden Kennzeichen des Gnaden-
Standes geſaget hat, erlaͤutert er nach dem cha-
ractere
ſeines ſtili mit dem Gegenſatze, um da-
mit ſoviel mehreren Eindruck zu geben, wenn er
ſpricht: Wer den Bruder nicht liebet der
bleibet im Tode:
dabey zu mercken:

a. Daß durch das nicht lieben auch das Gegen-
theil, nemlich das Haſſen, oder der Haß mit
allen ſeinen Ausbruͤchen verſtanden werde.
Denn bey dem Menſchen iſt kein vacuum
morale,
daß er zwar gantz leer waͤre von
der Liebe, aber doch auch ferne bliebe vom
Haſſe.
b. Daß, wenn auch der Haß ſonſt nicht aus-
bricht, und die Liebloſigkeit auch nur durch
eine Unterlaſſung der ſchuldigen Pflichten und
durch eine Haͤrtigkeit, oder Unbarmhertzigkeit,
nach v. 19. ſich aͤuſſert, ſolches in der That ſchon
Haſſes, oder Arges, genug ſey.
c. Daß ein ſolcher Zuſtand ein gewiſſes Kenn-
zeichen ſey des geiſtlichen Todes, worinn man
ſich entweder vorher allezeit befunden hat, oder
worein man wieder gefallen iſt.
d. Daß, weil man durch ſolche Suͤnde der Lieb-
loſigkeit im geiſtlichen Tode bleibet, man die
herrſchenden Suͤnden zu unterſcheiden habe
in mortifera und mortem ſpiritualem
continuantia,
oder opera mortua, in ſol-
che, wodurch man das geiſtliche Leben verlie-
ret, und ſolche, durch welche, oder bey welchen
[Spaltenumbruch] man im geiſtlichen Tode bleibet; die denn ſind
todte Wercke, oder boͤſe Wercke eines geiſtli-
cher Weiſe Todten.
e. Daß der geiſtliche Tod ſonderlich im Unglau-
ben beſtehe; und, weil er den Zorn GOttes
uͤber ſich hat, zur Erlaͤuterung dieſes Ortes ge-
hore, was Chriſtus ſaget Joh. 3, 36. Wer
an den Sohn glaͤubet, der hat das ewige
Leben; wer dem Sohn nicht glaͤubet,
der wird das Leben nicht ſehen, ſondern
der Zorn GOttes bleibet uͤber ihm.
Und
alſo wird der geiſtliche Tod auch zum ewi-
gen.

5. Jm uͤbrigen dienet dieſer Ort vor, oder
unter ſo vielen andern den angefochtenen, wel-
che wircklich im Stande der Gnaden ſtehen, aber
doch daran zweifeln, zu einer groſſen Aufmunte-
rung.
Denn wenn ſie befinden daß ſie gegen
dieſe und jene, welche ſie fuͤr wahre Kinder GOt-
tes halten, eine wahre Liebe finden, alſo daß ihr
Hertz in einer Vereinigung mit ihnen ſtehet, man
auch gern mit ihnen umgehen mag, und ſich an
ihrem erbaulichen Umgange erqvicket, ihnen auch
zu allen moͤglichen Liebes-Dienſten zugethan iſt,
ja auch eine Liebe gegen ſeine Feinde in ſich befin-
det; ſo hat man daran ein gewiſſes Kennzeichen
ſeines Gnaden-Standes und ſeiner Kindſchaft
bey GOtt. Und dieſes wird ſo viel gewiſſer, wenn
man dagegen in ſich befindet, daß man vor der
boͤſen Geſellſchaft dieſer und jener bekannten gott-
loſen Menſchen, ob man gleich ihre Perſonen lie-
bet, einen rechten Abſcheu traͤget. Auf welche
Art Schwachglaͤubige ſich kraͤftigſt aufrichten
koͤnnen. Denn es iſt ein Wort der Wahrheit,
wenn der Apoſtel ſaget: Wir wiſſen, daß wir
aus dem Tode ins Leben kommen ſind.
Denn wir lieben die Bruͤder.
Dabey man
ſich denn auch zuverſichtlich zuzueignen hat, was
unſer Heyland im Anfange der Berg-Predigt
ſaget: Selig ſind, die geiſtlich arm ſind,
denn das Himmelreich iſt ihr. Selig ſind
die da Leide tragen, denn ſie ſollen getroͤ-
ſtet werden. Selig ſind die da hungert
und durſtet nach der Gerechtigkeit. Denn
ſie ſollen ſatt werden.

V. 15.

Wer ſeinen Bruder haſſet, der iſt ein
Todſchlaͤger. Und ihr wiſſet, daß ein
Todſchlaͤger nicht hat das ewige Leben bey
ihm bleibend.

Anmerckungen.

1. Nachdem der Apoſtel geredet hat vom
Tode, worinnen ein liebloſer und Haß-voller
Menſch lieget, ſo zeiget er darauf an, wie ein
ſolcher damit auch ein Todſchlaͤger gegen andere
wird. Denn ob er auch gleich den Tod bey ih-
nen nicht zuwege bringet, weder den geiſtlichen,
noch den leiblichen; ſo begehet er doch in und bey
ſich ſelbſt den Todſchlag gegen andere. Dabey
folgendes zu mercken iſt:

a. Der Grund davon iſt auf Seiten des Geſe-
tzes,
daß es geiſtlich iſt, aufs innere gehet,
und einen ſolchen Zuſtand der Seelen erfordert,
wor-
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[693/0695] Cap. 3. v. 14. 15. des erſten Briefes Johannis. 3. So viel von der zu erkennenden Sache, ob man aus dem Tode ins Leben gekommen und im Stande der Gnaden ſtehe, oder nicht. Das Kennzeichen davon iſt die Bruder-Liebe: da- bey folgendes zu mercken iſt: a. Das Wort Bruder ſtehet alhier in einem ſo weiten Verſtande, daß es ſoviel heißt, als der Naͤchſte: ſintemal wir auch verbunden ſind die Feinde zu lieben, und an der Liebe gegen die Feinde ein Zeichen von der Kindſchaft GOttes finden, nach Matth. 5, 44. 45. liebet eure Feinde ‒ ‒ ‒ auf daß ihr Kinder ſeyd eu- res Vaters im Himmel. u. f. b. Sonderlich aber gehet dieſes Wort auf dieje- nigen, welche nach dem Grunde der Kindſchaft GOttes in Chriſto geiſtliche Bruͤder ſind. Da denn die Bruder-Liebe vor der gemeinen Liebe einen groſſen Vorzug hat. 2 Pet. 1, 7. c. Die Liebe, welche alhier verſtanden wird, iſt nicht natuͤrlich, ſo wenig ihr Grund, der Glaube mit der Kindſchaft GOttes, natuͤrlich iſt; ſondern uͤbernatuͤrlich aus der Gnade ge- wircket. Denn bey der natuͤrlichen und heuch- leriſchen, oder interesſirten Liebe bleibet der Menſch im geiſtlichen Tode. Jſt ſie aber uͤber- natuͤrlich, ſo iſt ſie rein, lauter hertzlich, thaͤtig, und dabey beſtaͤndig, erweiſet ſich in allen Pflichten nach der andern Tafel gegen den Naͤchſten: ſie iſt auch mit einer aufrichtigen Liebe gegen GOtt und einer wohlgeordneten Liebe gegen uns ſelbſt, und folglich mit einer Vermeidung alles deſſen, was mit ihr ſtreitet, als da ſonderlich alle herrſchende Suͤnden ſind, verknuͤpfet. 4. Was der Apoſtel von dem an der Bru- der-Liebe zu nehmenden Kennzeichen des Gnaden- Standes geſaget hat, erlaͤutert er nach dem cha- ractere ſeines ſtili mit dem Gegenſatze, um da- mit ſoviel mehreren Eindruck zu geben, wenn er ſpricht: Wer den Bruder nicht liebet der bleibet im Tode: dabey zu mercken: a. Daß durch das nicht lieben auch das Gegen- theil, nemlich das Haſſen, oder der Haß mit allen ſeinen Ausbruͤchen verſtanden werde. Denn bey dem Menſchen iſt kein vacuum morale, daß er zwar gantz leer waͤre von der Liebe, aber doch auch ferne bliebe vom Haſſe. b. Daß, wenn auch der Haß ſonſt nicht aus- bricht, und die Liebloſigkeit auch nur durch eine Unterlaſſung der ſchuldigen Pflichten und durch eine Haͤrtigkeit, oder Unbarmhertzigkeit, nach v. 19. ſich aͤuſſert, ſolches in der That ſchon Haſſes, oder Arges, genug ſey. c. Daß ein ſolcher Zuſtand ein gewiſſes Kenn- zeichen ſey des geiſtlichen Todes, worinn man ſich entweder vorher allezeit befunden hat, oder worein man wieder gefallen iſt. d. Daß, weil man durch ſolche Suͤnde der Lieb- loſigkeit im geiſtlichen Tode bleibet, man die herrſchenden Suͤnden zu unterſcheiden habe in mortifera und mortem ſpiritualem continuantia, oder opera mortua, in ſol- che, wodurch man das geiſtliche Leben verlie- ret, und ſolche, durch welche, oder bey welchen man im geiſtlichen Tode bleibet; die denn ſind todte Wercke, oder boͤſe Wercke eines geiſtli- cher Weiſe Todten. e. Daß der geiſtliche Tod ſonderlich im Unglau- ben beſtehe; und, weil er den Zorn GOttes uͤber ſich hat, zur Erlaͤuterung dieſes Ortes ge- hore, was Chriſtus ſaget Joh. 3, 36. Wer an den Sohn glaͤubet, der hat das ewige Leben; wer dem Sohn nicht glaͤubet, der wird das Leben nicht ſehen, ſondern der Zorn GOttes bleibet uͤber ihm. Und alſo wird der geiſtliche Tod auch zum ewi- gen. 5. Jm uͤbrigen dienet dieſer Ort vor, oder unter ſo vielen andern den angefochtenen, wel- che wircklich im Stande der Gnaden ſtehen, aber doch daran zweifeln, zu einer groſſen Aufmunte- rung. Denn wenn ſie befinden daß ſie gegen dieſe und jene, welche ſie fuͤr wahre Kinder GOt- tes halten, eine wahre Liebe finden, alſo daß ihr Hertz in einer Vereinigung mit ihnen ſtehet, man auch gern mit ihnen umgehen mag, und ſich an ihrem erbaulichen Umgange erqvicket, ihnen auch zu allen moͤglichen Liebes-Dienſten zugethan iſt, ja auch eine Liebe gegen ſeine Feinde in ſich befin- det; ſo hat man daran ein gewiſſes Kennzeichen ſeines Gnaden-Standes und ſeiner Kindſchaft bey GOtt. Und dieſes wird ſo viel gewiſſer, wenn man dagegen in ſich befindet, daß man vor der boͤſen Geſellſchaft dieſer und jener bekannten gott- loſen Menſchen, ob man gleich ihre Perſonen lie- bet, einen rechten Abſcheu traͤget. Auf welche Art Schwachglaͤubige ſich kraͤftigſt aufrichten koͤnnen. Denn es iſt ein Wort der Wahrheit, wenn der Apoſtel ſaget: Wir wiſſen, daß wir aus dem Tode ins Leben kommen ſind. Denn wir lieben die Bruͤder. Dabey man ſich denn auch zuverſichtlich zuzueignen hat, was unſer Heyland im Anfange der Berg-Predigt ſaget: Selig ſind, die geiſtlich arm ſind, denn das Himmelreich iſt ihr. Selig ſind die da Leide tragen, denn ſie ſollen getroͤ- ſtet werden. Selig ſind die da hungert und durſtet nach der Gerechtigkeit. Denn ſie ſollen ſatt werden. V. 15. Wer ſeinen Bruder haſſet, der iſt ein Todſchlaͤger. Und ihr wiſſet, daß ein Todſchlaͤger nicht hat das ewige Leben bey ihm bleibend. Anmerckungen. 1. Nachdem der Apoſtel geredet hat vom Tode, worinnen ein liebloſer und Haß-voller Menſch lieget, ſo zeiget er darauf an, wie ein ſolcher damit auch ein Todſchlaͤger gegen andere wird. Denn ob er auch gleich den Tod bey ih- nen nicht zuwege bringet, weder den geiſtlichen, noch den leiblichen; ſo begehet er doch in und bey ſich ſelbſt den Todſchlag gegen andere. Dabey folgendes zu mercken iſt: a. Der Grund davon iſt auf Seiten des Geſe- tzes, daß es geiſtlich iſt, aufs innere gehet, und einen ſolchen Zuſtand der Seelen erfordert, wor- S s s s 3

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/695>, abgerufen am 24.11.2024.