3. Ein rechtschaffener Lehrer kan keine grössere Freude haben, als wenn er aus dem der Wahrheit gemäßen Wandel siehet, daß Christus in diesen und jenen eine Gestalt ge- wonnen habe. Welches denn eine lautere geistli- che auf die Ehre GOttes gerichtete Freude machet, und einen rechten Character eines nach GOtt gesinneten Lehrers giebt: der sich denn auch hingegen über nichts so sehr betrü- bet, als darüber, wenn er das Gegentheil an so vielen wahrnimmet.
4. Hingegen ist es ein gewisses Kennzei- chen eines Miethlings und untreuen Hirten, wenn er sich nur darüber betrübet und erfreu- et, wenn ihm an eiteler Ehre und am irdischen Gute etwas abgehet oder zuwächset.
5. Daß der Sohn mit dem Vater eines einigen Göttlichen Wesens sey, das erkennet man auch daraus, daß das, was alhier vom Vater stehet, daß wir von ihm ein Gebot, nemlich das von der Liebe, empfangen haben, im ersten Briefe c. 2, 3. 4. 5. von dem Sohn ge- saget wird, nemlich daß wir sein Gebot von der Liebe haben und halten sollen.
V. 5.
Und nun bitte ich dich Frau, (in der Wahrheit und in der Liebe zu verharren) nicht als ein neu Gebot schreibe ich dir, sondern das wir gehöret haben von Anfang (un- serer Bekehrung zu CHristo) daß wir uns untereinander lieben (und damit erweisen sollen, daß wir aus der Wahrheit sind.)
Anmerckungen.
1. Der Evangelische Affect der Liebe dringet allemal bey den Ermahnungen am mei- sten ein: wie uns denn GOtt selbst mit lau- ter Liebe zu unsern Pflichten zu reitzen pfleget. Auf welche Art denn das Evangelium dem Ge- setze wohl zustatten kommt.
2. Man siehet hieraus, daß auch solche Seelen, welche im Guten schon sehr weit ge- kommen und bevestiget sind, noch einer Er- munterung bedürffen, oder doch, wenn sie sol- che empfangen, sie wohl annehmen und an- wenden; wie man von dieser gottseligen Ma- trone wohl versichert sein kan. Von dem neu- en, aber auch zugleich alten Gebote der Liebe sehe man Joh. c. 13, 34. 1 Joh. c. 2, 7. und c. 3, 11.
V. 6.
Und das ist die Liebe (das erfodert sie) daß wir wandeln nach seinem Gebot. Das ist das Gebot, wie ihr gehöret habt von Anfang, auf daß ihr daselbst inne wan- delt.
Anmerckungen.
1. Gleichwie der Mensch pfleget den Glau- ben vorzugeben, ohne die Liebe: also ist es ein neuer Betrug, wenn man sich auf die Liebe be- rufet, aber sie doch nicht thätig erweiset. Dar- um der Apostel alhier auf den thätigen Erweis der Liebe gehet. Und was zu erinnern der gott- [Spaltenumbruch]
seligen Matron wegen eben so nöthig nicht seyn mochte, daß hat doch derer, in welcher Hände dieser Brief kommen würde, und nun von so vie- len hundert Jahren gekommen ist, Zustand erfo- dert.
2. Jm Griechischen heißt es: nach seinen Geboten; sintemal die Liebe alle Gebote also in sich hält, daß sie nur nach ihrer besondern Ab- sicht und Ubung besondere Namen der Tugenden bekömmt, und was die Liebe gegen den Näch- sten betrift, bald heißt Geduld, bald Freundlich- keit, bald Gutthätigkeit und so weiter: davon man das dreyzehende Capitel des ersten Briefes an die Corinthier nachzulesen hat. Und eben also stehet es auch um die wohlgeordnete Liebe gegen GOtt und uns selbst, daß nemlich alle Pflichten, welche wir GOTT und uns selbst zu unserm besten schuldig sind, darinnen liegen. Darum unser Heyland gar recht saget Matth. 22, 37. u. f. Dn solt lieben GOTT deinen HErrn von gantzem Hertzen, von gantzer Seelen, und von gantzem Gemüthe: diß ist das fürnehmste und grösseste Gebot. Das andere ist dem gleich: du solt deinen Näch- sten lieben, als dich selbst. Jn diesen zweyen Geboten hanget das gantze Gesetz und die Propheten. Siehe Röm. 13, 10. Da es heißt: Die Liebe ist des Gesetzes Erfül- lung.
3. Es ist demnach vielmehr gesaget, wenn es heißt, daß wir einander lieben sollen, als wenn wir zu dieser und jener Pflicht insonderheit ermahnet werden: sintemal die Liebe sie alle- samt in sich fasset, und mit der Liebe uns ihre un- zertheilete Ubung anbefohlen wird: wie denn auch keine eintzige rechter Art ist, wo nicht alle übrigen damit verknüpfet sind; ob wol in unter- schiedenem Masse.
4. Die wahre Liebe ist weder blind, noch lahm. Nicht blind: denn sie hat die Wahr- heit zum Grunde und zur Leiterinn; nicht lahm: denn sie soll sich im wircklichen Wandel nach den Geboten GOttes thätig beweisen. Was dem- nach die muntern Füsse sind dem gesunden Leibe, das ist die wahre Liebe der Seele im Christen- thum.
5. Gleichwie aber der natürliche Wandel das natürliche Leben erfodert: also kan auch die Liebe in ihrer Ubung nicht statt finden, es sey denn, daß man aus GOTT geboren, und in der Wiedergeburt zum geistlichen Leben gelan- get sey; sonsten man im Pelagianismo und na- turalismo practico stehen bleibet; ob man sich gleich dabey der Evangelischen Lehre von der Gnade GOttes in Christo JEsu rühmet. Die- ser Evangelische Grund der Liebe war bey die- ser gottseligen Matrone und ihren Kindern: als welchen der Apostel v. 2. das Zeugniß giebet, daß die Wahrheit in ihnen sey und bleibe. Wie sehr und oft er auf diesen Grund im ersten Briefe dringe, das haben wir in allen Capiteln gesehen. Wir haben hierbey vor andern Oertern sonder- lich zu conferiren den, welcher 1 Pet. 1, 22. 23. von der Evangelischen Quelle und Art der wahren Liebe also lautet: Machet keusch eure
Seclen
Richtige und erbauliche Erklaͤrung V. 5. 6.
[Spaltenumbruch]
3. Ein rechtſchaffener Lehrer kan keine groͤſſere Freude haben, als wenn er aus dem der Wahrheit gemaͤßen Wandel ſiehet, daß Chriſtus in dieſen und jenen eine Geſtalt ge- wonnen habe. Welches denn eine lautere geiſtli- che auf die Ehre GOttes gerichtete Freude machet, und einen rechten Character eines nach GOtt geſinneten Lehrers giebt: der ſich denn auch hingegen uͤber nichts ſo ſehr betruͤ- bet, als daruͤber, wenn er das Gegentheil an ſo vielen wahrnimmet.
4. Hingegen iſt es ein gewiſſes Kennzei- chen eines Miethlings und untreuen Hirten, wenn er ſich nur daruͤber betruͤbet und erfreu- et, wenn ihm an eiteler Ehre und am irdiſchen Gute etwas abgehet oder zuwaͤchſet.
5. Daß der Sohn mit dem Vater eines einigen Goͤttlichen Weſens ſey, das erkennet man auch daraus, daß das, was alhier vom Vater ſtehet, daß wir von ihm ein Gebot, nemlich das von der Liebe, empfangen haben, im erſten Briefe c. 2, 3. 4. 5. von dem Sohn ge- ſaget wird, nemlich daß wir ſein Gebot von der Liebe haben und halten ſollen.
V. 5.
Und nun bitte ich dich Frau, (in der Wahrheit und in der Liebe zu verharren) nicht als ein neu Gebot ſchreibe ich dir, ſondern das wir gehoͤret haben von Anfang (un- ſerer Bekehrung zu CHriſto) daß wir uns untereinander lieben (und damit erweiſen ſollen, daß wir aus der Wahrheit ſind.)
Anmerckungen.
1. Der Evangeliſche Affect der Liebe dringet allemal bey den Ermahnungen am mei- ſten ein: wie uns denn GOtt ſelbſt mit lau- ter Liebe zu unſern Pflichten zu reitzen pfleget. Auf welche Art denn das Evangelium dem Ge- ſetze wohl zuſtatten kommt.
2. Man ſiehet hieraus, daß auch ſolche Seelen, welche im Guten ſchon ſehr weit ge- kommen und beveſtiget ſind, noch einer Er- munterung beduͤrffen, oder doch, wenn ſie ſol- che empfangen, ſie wohl annehmen und an- wenden; wie man von dieſer gottſeligen Ma- trone wohl verſichert ſein kan. Von dem neu- en, aber auch zugleich alten Gebote der Liebe ſehe man Joh. c. 13, 34. 1 Joh. c. 2, 7. und c. 3, 11.
V. 6.
Und das iſt die Liebe (das erfodert ſie) daß wir wandeln nach ſeinem Gebot. Das iſt das Gebot, wie ihr gehoͤret habt von Anfang, auf daß ihr daſelbſt inne wan- delt.
Anmerckungen.
1. Gleichwie der Menſch pfleget den Glau- ben vorzugeben, ohne die Liebe: alſo iſt es ein neuer Betrug, wenn man ſich auf die Liebe be- rufet, aber ſie doch nicht thaͤtig erweiſet. Dar- um der Apoſtel alhier auf den thaͤtigen Erweis der Liebe gehet. Und was zu erinnern der gott- [Spaltenumbruch]
ſeligen Matron wegen eben ſo noͤthig nicht ſeyn mochte, daß hat doch derer, in welcher Haͤnde dieſer Brief kommen wuͤrde, und nun von ſo vie- len hundert Jahren gekommen iſt, Zuſtand erfo- dert.
2. Jm Griechiſchen heißt es: nach ſeinen Geboten; ſintemal die Liebe alle Gebote alſo in ſich haͤlt, daß ſie nur nach ihrer beſondern Ab- ſicht und Ubung beſondere Namen der Tugenden bekoͤmmt, und was die Liebe gegen den Naͤch- ſten betrift, bald heißt Geduld, bald Freundlich- keit, bald Gutthaͤtigkeit und ſo weiter: davon man das dreyzehende Capitel des erſten Briefes an die Corinthier nachzuleſen hat. Und eben alſo ſtehet es auch um die wohlgeordnete Liebe gegen GOtt und uns ſelbſt, daß nemlich alle Pflichten, welche wir GOTT und uns ſelbſt zu unſerm beſten ſchuldig ſind, darinnen liegen. Darum unſer Heyland gar recht ſaget Matth. 22, 37. u. f. Dn ſolt lieben GOTT deinen HErrn von gantzem Hertzen, von gantzer Seelen, und von gantzem Gemuͤthe: diß iſt das fuͤrnehmſte und groͤſſeſte Gebot. Das andere iſt dem gleich: du ſolt deinen Naͤch- ſten lieben, als dich ſelbſt. Jn dieſen zweyen Geboten hanget das gantze Geſetz und die Propheten. Siehe Roͤm. 13, 10. Da es heißt: Die Liebe iſt des Geſetzes Erfuͤl- lung.
3. Es iſt demnach vielmehr geſaget, wenn es heißt, daß wir einander lieben ſollen, als wenn wir zu dieſer und jener Pflicht inſonderheit ermahnet werden: ſintemal die Liebe ſie alle- ſamt in ſich faſſet, und mit der Liebe uns ihre un- zertheilete Ubung anbefohlen wird: wie denn auch keine eintzige rechter Art iſt, wo nicht alle uͤbrigen damit verknuͤpfet ſind; ob wol in unter- ſchiedenem Maſſe.
4. Die wahre Liebe iſt weder blind, noch lahm. Nicht blind: denn ſie hat die Wahr- heit zum Grunde und zur Leiterinn; nicht lahm: denn ſie ſoll ſich im wircklichen Wandel nach den Geboten GOttes thaͤtig beweiſen. Was dem- nach die muntern Fuͤſſe ſind dem geſunden Leibe, das iſt die wahre Liebe der Seele im Chriſten- thum.
5. Gleichwie aber der natuͤrliche Wandel das natuͤrliche Leben erfodert: alſo kan auch die Liebe in ihrer Ubung nicht ſtatt finden, es ſey denn, daß man aus GOTT geboren, und in der Wiedergeburt zum geiſtlichen Leben gelan- get ſey; ſonſten man im Pelagianiſmo und na- turaliſmo practico ſtehen bleibet; ob man ſich gleich dabey der Evangeliſchen Lehre von der Gnade GOttes in Chriſto JEſu ruͤhmet. Die- ſer Evangeliſche Grund der Liebe war bey die- ſer gottſeligen Matrone und ihren Kindern: als welchen der Apoſtel v. 2. das Zeugniß giebet, daß die Wahrheit in ihnen ſey und bleibe. Wie ſehr und oft er auf dieſen Grund im erſten Briefe dringe, das haben wir in allen Capiteln geſehen. Wir haben hierbey vor andern Oertern ſonder- lich zu conferiren den, welcher 1 Pet. 1, 22. 23. von der Evangeliſchen Quelle und Art der wahren Liebe alſo lautet: Machet keuſch eure
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[748/0748]
Richtige und erbauliche Erklaͤrung V. 5. 6.
3. Ein rechtſchaffener Lehrer kan keine
groͤſſere Freude haben, als wenn er aus dem
der Wahrheit gemaͤßen Wandel ſiehet, daß
Chriſtus in dieſen und jenen eine Geſtalt ge-
wonnen habe. Welches denn eine lautere geiſtli-
che auf die Ehre GOttes gerichtete Freude
machet, und einen rechten Character eines
nach GOtt geſinneten Lehrers giebt: der ſich
denn auch hingegen uͤber nichts ſo ſehr betruͤ-
bet, als daruͤber, wenn er das Gegentheil an
ſo vielen wahrnimmet.
4. Hingegen iſt es ein gewiſſes Kennzei-
chen eines Miethlings und untreuen Hirten,
wenn er ſich nur daruͤber betruͤbet und erfreu-
et, wenn ihm an eiteler Ehre und am irdiſchen
Gute etwas abgehet oder zuwaͤchſet.
5. Daß der Sohn mit dem Vater eines
einigen Goͤttlichen Weſens ſey, das erkennet
man auch daraus, daß das, was alhier vom
Vater ſtehet, daß wir von ihm ein Gebot,
nemlich das von der Liebe, empfangen haben,
im erſten Briefe c. 2, 3. 4. 5. von dem Sohn ge-
ſaget wird, nemlich daß wir ſein Gebot von der
Liebe haben und halten ſollen.
V. 5.
Und nun bitte ich dich Frau, (in der
Wahrheit und in der Liebe zu verharren) nicht
als ein neu Gebot ſchreibe ich dir, ſondern
das wir gehoͤret haben von Anfang (un-
ſerer Bekehrung zu CHriſto) daß wir uns
untereinander lieben (und damit erweiſen
ſollen, daß wir aus der Wahrheit ſind.)
Anmerckungen.
1. Der Evangeliſche Affect der Liebe
dringet allemal bey den Ermahnungen am mei-
ſten ein: wie uns denn GOtt ſelbſt mit lau-
ter Liebe zu unſern Pflichten zu reitzen pfleget.
Auf welche Art denn das Evangelium dem Ge-
ſetze wohl zuſtatten kommt.
2. Man ſiehet hieraus, daß auch ſolche
Seelen, welche im Guten ſchon ſehr weit ge-
kommen und beveſtiget ſind, noch einer Er-
munterung beduͤrffen, oder doch, wenn ſie ſol-
che empfangen, ſie wohl annehmen und an-
wenden; wie man von dieſer gottſeligen Ma-
trone wohl verſichert ſein kan. Von dem neu-
en, aber auch zugleich alten Gebote der Liebe
ſehe man Joh. c. 13, 34. 1 Joh. c. 2, 7. und
c. 3, 11.
V. 6.
Und das iſt die Liebe (das erfodert ſie)
daß wir wandeln nach ſeinem Gebot. Das
iſt das Gebot, wie ihr gehoͤret habt von
Anfang, auf daß ihr daſelbſt inne wan-
delt.
Anmerckungen.
1. Gleichwie der Menſch pfleget den Glau-
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mochte, daß hat doch derer, in welcher Haͤnde
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len hundert Jahren gekommen iſt, Zuſtand erfo-
dert.
2. Jm Griechiſchen heißt es: nach ſeinen
Geboten; ſintemal die Liebe alle Gebote alſo
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bekoͤmmt, und was die Liebe gegen den Naͤch-
ſten betrift, bald heißt Geduld, bald Freundlich-
keit, bald Gutthaͤtigkeit und ſo weiter: davon
man das dreyzehende Capitel des erſten Briefes
an die Corinthier nachzuleſen hat. Und eben
alſo ſtehet es auch um die wohlgeordnete Liebe
gegen GOtt und uns ſelbſt, daß nemlich alle
Pflichten, welche wir GOTT und uns ſelbſt zu
unſerm beſten ſchuldig ſind, darinnen liegen.
Darum unſer Heyland gar recht ſaget Matth.
22, 37. u. f. Dn ſolt lieben GOTT deinen
HErrn von gantzem Hertzen, von gantzer
Seelen, und von gantzem Gemuͤthe: diß iſt
das fuͤrnehmſte und groͤſſeſte Gebot. Das
andere iſt dem gleich: du ſolt deinen Naͤch-
ſten lieben, als dich ſelbſt. Jn dieſen zweyen
Geboten hanget das gantze Geſetz und die
Propheten. Siehe Roͤm. 13, 10. Da es
heißt: Die Liebe iſt des Geſetzes Erfuͤl-
lung.
3. Es iſt demnach vielmehr geſaget, wenn
es heißt, daß wir einander lieben ſollen, als
wenn wir zu dieſer und jener Pflicht inſonderheit
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ſamt in ſich faſſet, und mit der Liebe uns ihre un-
zertheilete Ubung anbefohlen wird: wie denn
auch keine eintzige rechter Art iſt, wo nicht alle
uͤbrigen damit verknuͤpfet ſind; ob wol in unter-
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4. Die wahre Liebe iſt weder blind, noch
lahm. Nicht blind: denn ſie hat die Wahr-
heit zum Grunde und zur Leiterinn; nicht lahm:
denn ſie ſoll ſich im wircklichen Wandel nach den
Geboten GOttes thaͤtig beweiſen. Was dem-
nach die muntern Fuͤſſe ſind dem geſunden Leibe,
das iſt die wahre Liebe der Seele im Chriſten-
thum.
5. Gleichwie aber der natuͤrliche Wandel
das natuͤrliche Leben erfodert: alſo kan auch die
Liebe in ihrer Ubung nicht ſtatt finden, es ſey
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der Wiedergeburt zum geiſtlichen Leben gelan-
get ſey; ſonſten man im Pelagianiſmo und na-
turaliſmo practico ſtehen bleibet; ob man
ſich gleich dabey der Evangeliſchen Lehre von der
Gnade GOttes in Chriſto JEſu ruͤhmet. Die-
ſer Evangeliſche Grund der Liebe war bey die-
ſer gottſeligen Matrone und ihren Kindern: als
welchen der Apoſtel v. 2. das Zeugniß giebet,
daß die Wahrheit in ihnen ſey und bleibe. Wie
ſehr und oft er auf dieſen Grund im erſten Briefe
dringe, das haben wir in allen Capiteln geſehen.
Wir haben hierbey vor andern Oertern ſonder-
lich zu conferiren den, welcher 1 Pet. 1, 22. 23.
von der Evangeliſchen Quelle und Art der
wahren Liebe alſo lautet: Machet keuſch eure
Seclen
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/748>, abgerufen am 24.11.2024.
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