[Spaltenumbruch]
Dinge mit auf das gottlose Leben gegangen ist; so erkennet man daraus, was die wesentliche Eigenschaft eines Ketzers sey, nemlich bey den Grund-Jrrthümern auch auf ein gottloses Le- ben fallen. Denn gleichwie bey der reinen Lehre, wo sie durch den Glauben im Hertzen angenommen ist, unmöglich ein gottloses Le- ben bestehen kan: also kan eben so wenig die wahre Gottseligkeit bey den Grund-Jrrthü- mern statt finden.
7. Daß der, wer in der Lehre CHristi bleibet, und also den Sohn GOttes im Glau- ben hat und behält, auch den Vater habe, das kömmt daher, weil der Sohn nicht Sohn wäre, wo er nicht einen Vater hätte, und ihn niemand als Sohn erkennen würde, wo er nicht zugleich den Vater erkennete. Und da sie beyde eines Wesens sind Joh. c. 10, 30. so hat man mit dem Vater auch den Sohn, und zu- gleich den Heiligen Geist, als den Geist des Vaters und des Sohnes. Siehe v. 3. und 1 Joh. c. 2, 22. 23.
V. 11. 12.
So iemand (der vorhin gedachten Ver- führer, welche in die Welt ausgegangen sind, und sich hie und da einschleichen, Jünger und Jüngerinnen zu machen 2 Tim. c. 4, 6.) zu euch kömmt, und bringet diese Lehre (von CHristo oder dem gantzen Rathe GOttes) nicht (also daß er sie nach dem Glauben seines Hertzens aufrichtigst mit dem Munde bekennet, auch mit seinem Leben erweiset,) den nehmet nicht zu hause (in sofern ihr ihn schon vor- her habt kennen gelernet) und grüsset ihn auch nicht (bezeiget ihm auch ausserhalb eures Hau- ses keine brüderliche Gemeinschaft.) denn wer ihn (also) grüsset (und aufnimmt) der ma- chet sich theilhaftig seiner bösen Wercke, (seiner Dinge, welche mit Verfälschung der Lehre und ärgerlichen Leben von ihm bekannt und erwiesen worden sind.)
Anmerckungen.
1. Es war der verführischen Lehrer Ei- genschaft, daß sie sich den Aposteln gleich mach- ten, und sich ohne ordentliche Berufung wo nicht gantzen Gemeinen aufdrungen, doch hie und da Seelen an sich zogen, und sich einen Anhang machten. Darum unser Heiland Matth. c. 7, 15. spricht: Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schaafs- Kleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reissende Wölfe. Siehe auch Ap. Gesch. c. 20, 29. 30. 2 Tim. c. 4, 6. Judä v. 4.
2. Was die Einigkeit und Reinigkeit der Lehre und des Glaubens betrift, so muß man darauf sorgfältig und getreulich halten, wie Paulus sie auch daher den Corinthiern im ersten Briefe recht angelegentlich anbefiehlet. Es muß aber dabey ein gedoppelter Abweg ver- mieden werden; nicht allein der zur rechten, daß man nicht auf einen solchen Indifferen- tismum verfalle, nach welchem man aus den Glaubens-Lehren nichts, oder doch wenig, [Spaltenumbruch]
machen, noch sie unterscheiden wolte in die Grund- oder Haupt- und Neben-Lehren, son- dern sich eine iede Lehr-Form wolte gleichviel seyn lassen: sondern auch den zur lincken, da man die Einigkeit auch auf alle Neben-Lehren, oder in den Haupt-Lehren auf gewisse Neben- Puncte extendiret und auch darinn, wie auch in der Erklärung gewisser Oerter der Heiligen Schrift, eine Ubereinstimmung erzwingen will. Welche doch zu erhalten unmöglich ist, nem- lich unter denen, unter welchen einer dem andern nicht blindlings nachspricht, sondern ein ieder nach seinem eigenen Maaße der Erkänntniß ur- theilet. Denn da dieses gar sehr unterschieden ist, so ists unmöglich, daß alle miteinander in allen Neben-Dingen übereinstimmen können. Und eben darinnen thut sich eine grosse Weis- heit GOttes hervor, und deswegen wird auch einer geschickt, dem andern mit seinem Maße zu dienen, zur Erbauung des gantzen Leibes: welches nicht statt fünde, wofern alle in allen Stücken zu einer gleichen Einsicht kommen könnten.
3. Man kan demnach die Einigkeit in der Lehre und Erkänntniß bey ihrem Unterscheide gar füglich mit dem menschlichen Angesichte vergleichen. Denn gleichwie alle gesunde und wohlgestalte Angesichter darinn mit einander übereinkommen, daß ihre Haupttheile, als Stirne, Augen, die Nase, die Backen, der Mund und der Kinn, sich gehöriges Orts in einer gehörigen Proportion und Symmetrie befinden, aber doch unter einander an unterschiede- nen Gesichtern in einem solchen Unterscheide ste- hen, daß unter tausenden nicht zwey mit einan- der überein kommen, und doch alle wohl ge- staltet sind: also können und müssen auch alle gläubige Glieder Christi in allen Haupt-Stü- cken der Lehre mit einander harmoniren; in den Neben-Lehren aber ist bey ihnen unmög- lich eine Ubereinstimmung zu erhalten. Daß diese aber in jenen möglich ist, das kömmt da- her, weil sie ihrer Nothwendigkeit wegen aufs deutlichste und reichlichste vorgestellet sind.
4. Da man nun keine Vollkommenheit der Erkenntniß von allen fordern kan nach ih- rem Verstande, daß sie nemlich ohne alle Jrr- thümer seyn solten; eben so wenig, als man Menschen finden würde, welche nach der Be- schaffenheit ihres Willens und gantzen Lebens ohne alle Fehler wären; auch kein Lehrer, wenn er es auch noch so weit durch die Gnade GOttes gebracht hat, sich von solcher gedop- pelten Unvollkommenheit frey sprechen kan und wird; so hat man sich vor dem extremo, da man keine Jrrthümer, wenn sie auch schon den Grund des Glaubens nicht berühren, vielweni- ger umwerffen, an andern tragen will, sondern mit Censuren hart wider sie verfähret, wohl zu hüten. Es pflegen auch diejenigen, welche auf gedachtes extremum fallen, gemeiniglich selbst am tiefsten in Jrrthümern zu stecken, sol- che aber nicht an sich zu erkennen. Welches denn auf eine Ketzermacherey hinaus lauft, die bey manchen ist, als die Ketzerey selbst, zu-
mal
Richtige und erbauliche Erklaͤrung V. 10-12.
[Spaltenumbruch]
Dinge mit auf das gottloſe Leben gegangen iſt; ſo erkennet man daraus, was die weſentliche Eigenſchaft eines Ketzers ſey, nemlich bey den Grund-Jrrthuͤmern auch auf ein gottloſes Le- ben fallen. Denn gleichwie bey der reinen Lehre, wo ſie durch den Glauben im Hertzen angenommen iſt, unmoͤglich ein gottloſes Le- ben beſtehen kan: alſo kan eben ſo wenig die wahre Gottſeligkeit bey den Grund-Jrrthuͤ- mern ſtatt finden.
7. Daß der, wer in der Lehre CHriſti bleibet, und alſo den Sohn GOttes im Glau- ben hat und behaͤlt, auch den Vater habe, das koͤmmt daher, weil der Sohn nicht Sohn waͤre, wo er nicht einen Vater haͤtte, und ihn niemand als Sohn erkennen wuͤrde, wo er nicht zugleich den Vater erkennete. Und da ſie beyde eines Weſens ſind Joh. c. 10, 30. ſo hat man mit dem Vater auch den Sohn, und zu- gleich den Heiligen Geiſt, als den Geiſt des Vaters und des Sohnes. Siehe v. 3. und 1 Joh. c. 2, 22. 23.
V. 11. 12.
So iemand (der vorhin gedachten Ver- fuͤhrer, welche in die Welt ausgegangen ſind, und ſich hie und da einſchleichen, Juͤnger und Juͤngerinnen zu machen 2 Tim. c. 4, 6.) zu euch koͤmmt, und bringet dieſe Lehre (von CHriſto oder dem gantzen Rathe GOttes) nicht (alſo daß er ſie nach dem Glauben ſeines Hertzens aufrichtigſt mit dem Munde bekennet, auch mit ſeinem Leben erweiſet,) den nehmet nicht zu hauſe (in ſofern ihr ihn ſchon vor- her habt kennen gelernet) und gruͤſſet ihn auch nicht (bezeiget ihm auch auſſerhalb eures Hau- ſes keine bruͤderliche Gemeinſchaft.) denn wer ihn (alſo) gruͤſſet (und aufnimmt) der ma- chet ſich theilhaftig ſeiner boͤſen Wercke, (ſeiner Dinge, welche mit Verfaͤlſchung der Lehre und aͤrgerlichen Leben von ihm bekannt und erwieſen worden ſind.)
Anmerckungen.
1. Es war der verfuͤhriſchen Lehrer Ei- genſchaft, daß ſie ſich den Apoſteln gleich mach- ten, und ſich ohne ordentliche Berufung wo nicht gantzen Gemeinen aufdrungen, doch hie und da Seelen an ſich zogen, und ſich einen Anhang machten. Darum unſer Heiland Matth. c. 7, 15. ſpricht: Sehet euch vor vor den falſchen Propheten, die in Schaafs- Kleidern zu euch kommen, inwendig aber ſind ſie reiſſende Woͤlfe. Siehe auch Ap. Geſch. c. 20, 29. 30. 2 Tim. c. 4, 6. Judaͤ v. 4.
2. Was die Einigkeit und Reinigkeit der Lehre und des Glaubens betrift, ſo muß man darauf ſorgfaͤltig und getreulich halten, wie Paulus ſie auch daher den Corinthiern im erſten Briefe recht angelegentlich anbefiehlet. Es muß aber dabey ein gedoppelter Abweg ver- mieden werden; nicht allein der zur rechten, daß man nicht auf einen ſolchen Indifferen- tismum verfalle, nach welchem man aus den Glaubens-Lehren nichts, oder doch wenig, [Spaltenumbruch]
machen, noch ſie unterſcheiden wolte in die Grund- oder Haupt- und Neben-Lehren, ſon- dern ſich eine iede Lehr-Form wolte gleichviel ſeyn laſſen: ſondern auch den zur lincken, da man die Einigkeit auch auf alle Neben-Lehren, oder in den Haupt-Lehren auf gewiſſe Neben- Puncte extendiret und auch darinn, wie auch in der Erklaͤrung gewiſſer Oerter der Heiligen Schrift, eine Ubereinſtimmung erzwingen will. Welche doch zu erhalten unmoͤglich iſt, nem- lich unter denen, unter welchen einer dem andern nicht blindlings nachſpricht, ſondern ein ieder nach ſeinem eigenen Maaße der Erkaͤnntniß ur- theilet. Denn da dieſes gar ſehr unterſchieden iſt, ſo iſts unmoͤglich, daß alle miteinander in allen Neben-Dingen uͤbereinſtimmen koͤnnen. Und eben darinnen thut ſich eine groſſe Weis- heit GOttes hervor, und deswegen wird auch einer geſchickt, dem andern mit ſeinem Maße zu dienen, zur Erbauung des gantzen Leibes: welches nicht ſtatt fuͤnde, wofern alle in allen Stuͤcken zu einer gleichen Einſicht kommen koͤnnten.
3. Man kan demnach die Einigkeit in der Lehre und Erkaͤnntniß bey ihrem Unterſcheide gar fuͤglich mit dem menſchlichen Angeſichte vergleichen. Denn gleichwie alle geſunde und wohlgeſtalte Angeſichter darinn mit einander uͤbereinkommen, daß ihre Haupttheile, als Stirne, Augen, die Naſe, die Backen, der Mund und der Kinn, ſich gehoͤriges Orts in einer gehoͤrigen Proportion und Symmetrie befinden, aber doch unter einander an unterſchiede- nen Geſichtern in einem ſolchen Unterſcheide ſte- hen, daß unter tauſenden nicht zwey mit einan- der uͤberein kommen, und doch alle wohl ge- ſtaltet ſind: alſo koͤnnen und muͤſſen auch alle glaͤubige Glieder Chriſti in allen Haupt-Stuͤ- cken der Lehre mit einander harmoniren; in den Neben-Lehren aber iſt bey ihnen unmoͤg- lich eine Ubereinſtimmung zu erhalten. Daß dieſe aber in jenen moͤglich iſt, das koͤmmt da- her, weil ſie ihrer Nothwendigkeit wegen aufs deutlichſte und reichlichſte vorgeſtellet ſind.
4. Da man nun keine Vollkommenheit der Erkenntniß von allen fordern kan nach ih- rem Verſtande, daß ſie nemlich ohne alle Jrr- thuͤmer ſeyn ſolten; eben ſo wenig, als man Menſchen finden wuͤrde, welche nach der Be- ſchaffenheit ihres Willens und gantzen Lebens ohne alle Fehler waͤren; auch kein Lehrer, wenn er es auch noch ſo weit durch die Gnade GOttes gebracht hat, ſich von ſolcher gedop- pelten Unvollkommenheit frey ſprechen kan und wird; ſo hat man ſich vor dem extremo, da man keine Jrrthuͤmer, wenn ſie auch ſchon den Grund des Glaubens nicht beruͤhren, vielweni- ger umwerffen, an andern tragen will, ſondern mit Cenſuren hart wider ſie verfaͤhret, wohl zu huͤten. Es pflegen auch diejenigen, welche auf gedachtes extremum fallen, gemeiniglich ſelbſt am tiefſten in Jrrthuͤmern zu ſtecken, ſol- che aber nicht an ſich zu erkennen. Welches denn auf eine Ketzermacherey hinaus lauft, die bey manchen iſt, als die Ketzerey ſelbſt, zu-
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[752/0752]
Richtige und erbauliche Erklaͤrung V. 10-12.
Dinge mit auf das gottloſe Leben gegangen iſt;
ſo erkennet man daraus, was die weſentliche
Eigenſchaft eines Ketzers ſey, nemlich bey den
Grund-Jrrthuͤmern auch auf ein gottloſes Le-
ben fallen. Denn gleichwie bey der reinen
Lehre, wo ſie durch den Glauben im Hertzen
angenommen iſt, unmoͤglich ein gottloſes Le-
ben beſtehen kan: alſo kan eben ſo wenig die
wahre Gottſeligkeit bey den Grund-Jrrthuͤ-
mern ſtatt finden.
7. Daß der, wer in der Lehre CHriſti
bleibet, und alſo den Sohn GOttes im Glau-
ben hat und behaͤlt, auch den Vater habe,
das koͤmmt daher, weil der Sohn nicht Sohn
waͤre, wo er nicht einen Vater haͤtte, und ihn
niemand als Sohn erkennen wuͤrde, wo er
nicht zugleich den Vater erkennete. Und da ſie
beyde eines Weſens ſind Joh. c. 10, 30. ſo hat
man mit dem Vater auch den Sohn, und zu-
gleich den Heiligen Geiſt, als den Geiſt des
Vaters und des Sohnes. Siehe v. 3. und
1 Joh. c. 2, 22. 23.
V. 11. 12.
So iemand (der vorhin gedachten Ver-
fuͤhrer, welche in die Welt ausgegangen ſind,
und ſich hie und da einſchleichen, Juͤnger und
Juͤngerinnen zu machen 2 Tim. c. 4, 6.) zu
euch koͤmmt, und bringet dieſe Lehre (von
CHriſto oder dem gantzen Rathe GOttes)
nicht (alſo daß er ſie nach dem Glauben ſeines
Hertzens aufrichtigſt mit dem Munde bekennet,
auch mit ſeinem Leben erweiſet,) den nehmet
nicht zu hauſe (in ſofern ihr ihn ſchon vor-
her habt kennen gelernet) und gruͤſſet ihn auch
nicht (bezeiget ihm auch auſſerhalb eures Hau-
ſes keine bruͤderliche Gemeinſchaft.) denn wer
ihn (alſo) gruͤſſet (und aufnimmt) der ma-
chet ſich theilhaftig ſeiner boͤſen Wercke,
(ſeiner Dinge, welche mit Verfaͤlſchung der
Lehre und aͤrgerlichen Leben von ihm bekannt
und erwieſen worden ſind.)
Anmerckungen.
1. Es war der verfuͤhriſchen Lehrer Ei-
genſchaft, daß ſie ſich den Apoſteln gleich mach-
ten, und ſich ohne ordentliche Berufung wo
nicht gantzen Gemeinen aufdrungen, doch hie
und da Seelen an ſich zogen, und ſich einen
Anhang machten. Darum unſer Heiland
Matth. c. 7, 15. ſpricht: Sehet euch vor vor
den falſchen Propheten, die in Schaafs-
Kleidern zu euch kommen, inwendig aber
ſind ſie reiſſende Woͤlfe. Siehe auch Ap.
Geſch. c. 20, 29. 30. 2 Tim. c. 4, 6. Judaͤ v. 4.
2. Was die Einigkeit und Reinigkeit
der Lehre und des Glaubens betrift, ſo muß
man darauf ſorgfaͤltig und getreulich halten,
wie Paulus ſie auch daher den Corinthiern im
erſten Briefe recht angelegentlich anbefiehlet.
Es muß aber dabey ein gedoppelter Abweg ver-
mieden werden; nicht allein der zur rechten,
daß man nicht auf einen ſolchen Indifferen-
tismum verfalle, nach welchem man aus den
Glaubens-Lehren nichts, oder doch wenig,
machen, noch ſie unterſcheiden wolte in die
Grund- oder Haupt- und Neben-Lehren, ſon-
dern ſich eine iede Lehr-Form wolte gleichviel
ſeyn laſſen: ſondern auch den zur lincken, da
man die Einigkeit auch auf alle Neben-Lehren,
oder in den Haupt-Lehren auf gewiſſe Neben-
Puncte extendiret und auch darinn, wie auch
in der Erklaͤrung gewiſſer Oerter der Heiligen
Schrift, eine Ubereinſtimmung erzwingen will.
Welche doch zu erhalten unmoͤglich iſt, nem-
lich unter denen, unter welchen einer dem andern
nicht blindlings nachſpricht, ſondern ein ieder
nach ſeinem eigenen Maaße der Erkaͤnntniß ur-
theilet. Denn da dieſes gar ſehr unterſchieden
iſt, ſo iſts unmoͤglich, daß alle miteinander in
allen Neben-Dingen uͤbereinſtimmen koͤnnen.
Und eben darinnen thut ſich eine groſſe Weis-
heit GOttes hervor, und deswegen wird auch
einer geſchickt, dem andern mit ſeinem Maße
zu dienen, zur Erbauung des gantzen Leibes:
welches nicht ſtatt fuͤnde, wofern alle in allen
Stuͤcken zu einer gleichen Einſicht kommen
koͤnnten.
3. Man kan demnach die Einigkeit in der
Lehre und Erkaͤnntniß bey ihrem Unterſcheide
gar fuͤglich mit dem menſchlichen Angeſichte
vergleichen. Denn gleichwie alle geſunde und
wohlgeſtalte Angeſichter darinn mit einander
uͤbereinkommen, daß ihre Haupttheile, als
Stirne, Augen, die Naſe, die Backen, der
Mund und der Kinn, ſich gehoͤriges Orts in
einer gehoͤrigen Proportion und Symmetrie
befinden, aber doch unter einander an unterſchiede-
nen Geſichtern in einem ſolchen Unterſcheide ſte-
hen, daß unter tauſenden nicht zwey mit einan-
der uͤberein kommen, und doch alle wohl ge-
ſtaltet ſind: alſo koͤnnen und muͤſſen auch alle
glaͤubige Glieder Chriſti in allen Haupt-Stuͤ-
cken der Lehre mit einander harmoniren; in
den Neben-Lehren aber iſt bey ihnen unmoͤg-
lich eine Ubereinſtimmung zu erhalten. Daß
dieſe aber in jenen moͤglich iſt, das koͤmmt da-
her, weil ſie ihrer Nothwendigkeit wegen aufs
deutlichſte und reichlichſte vorgeſtellet ſind.
4. Da man nun keine Vollkommenheit
der Erkenntniß von allen fordern kan nach ih-
rem Verſtande, daß ſie nemlich ohne alle Jrr-
thuͤmer ſeyn ſolten; eben ſo wenig, als man
Menſchen finden wuͤrde, welche nach der Be-
ſchaffenheit ihres Willens und gantzen Lebens
ohne alle Fehler waͤren; auch kein Lehrer,
wenn er es auch noch ſo weit durch die Gnade
GOttes gebracht hat, ſich von ſolcher gedop-
pelten Unvollkommenheit frey ſprechen kan und
wird; ſo hat man ſich vor dem extremo, da
man keine Jrrthuͤmer, wenn ſie auch ſchon den
Grund des Glaubens nicht beruͤhren, vielweni-
ger umwerffen, an andern tragen will, ſondern
mit Cenſuren hart wider ſie verfaͤhret, wohl
zu huͤten. Es pflegen auch diejenigen, welche
auf gedachtes extremum fallen, gemeiniglich
ſelbſt am tiefſten in Jrrthuͤmern zu ſtecken, ſol-
che aber nicht an ſich zu erkennen. Welches
denn auf eine Ketzermacherey hinaus lauft, die
bey manchen iſt, als die Ketzerey ſelbſt, zu-
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/752>, abgerufen am 24.11.2024.
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