Wir (die wir durch GOttes Gnade besser verstehen, was wir sagen und als Wahrheit be- vestigen) wissen aber (also daß wir solche un- sere Wissenschaft auch zur Ubung in rechter An- wendung des Gesetzes bringen) daß das (Mo- ral-) Gesetze (samt allem übrigen dem Jüdi- schen Volcke von GOTT gegebenen Gesetze) gut ist (recht heilig, geistlich und vortreflich ist, als ein Abdruck und Muster des guten und heili- gen Willens GOttes, und nach solcher seiner wesentlichen Güte einen vielfachen herrlichen Nutzen hat) so sein iemand recht gebrau- chet (wie es dem Absehen GOttes gemäß ist.)
Anmerckungen.
1. Die Güte des Gesetzes GOttes ist recht groß und herrlich. Denn dieses erhellet aus des Gesetzes Ursprung, Natur, Tiefe und Weite und ewigen Dauerung.
2. Der Ursprung und das Muster des Gesetzes ist GOtt selbst, als dessen Wille im Gesetze ausgedrucket ist; da nun GOtt wesent- lich gut, ja die Güte selbst ist, so ist leichtlich zu erachten, wie gut sein seinem Willen gemäßes Gesetz seyn müsse.
3. Die Natur oder wesentliche Beschaf- fenheit des Gesetzes bestehet, dem gedachten göttlichen Ursprunge nach, in lauter Gerechtig- keit und Heiligkeit, welche lauter Wahrheit oder rechtschaffenes Wesen in sich hat: und da der menschlichen Natur am Ebenbilde GOttes dieses Gesetz anerschaffen, und derselben, da sie nach GOtt erschaffen, gantz gemäß war und noch ist, so ist es ein rechtes Natur-Gesetz; davon daher auch in der menschlichen Natur et- was übrig geblieben ist. Und da wir dieses Ge- setz dem kurtzen Begriffe nach in den zehen Gebo- ten, der völligen Erläuterung nach aber in der gantzen heiligen Schrift altes und neues Testa- ments haben; so haben die so genannten Natu- ralisten, welche ausser dem blossen Licht und Recht der Natur keine andere Offenbarung an- nehmen, nur einen Schatten von dem Cörper, welchen wir an der heiligen Schrift, als dem rech- ten corpore juris naturalis, besitzen.
4. Des Gesetzes Tiefe, Weite und Brei- te ist daraus zu erkennen, daß es gantz geistlich ist, und von Rechts wegen fordert, daß die menschliche Natur also seyn soll, wie sie anfäng- lich in Adam erschaffen worden, das ist ohn alle Sünde, vollkommen rein und heilig. Röm. 7, 7. u. f. Und da das Gesetz dem gantzen Men- schen gegeben ist, der Mensch aber aus Leib und Seele bestehet, so gehet das Gesetz nicht allein über die Worte und äusserlich mit den Gliedern des Leibes verrichteten Wercke, sondern auch über alle Gedancken, alle Begterden und Rath- schlüsse der Seele; also daß nichts so klein und so groß von äusserlichen und innerlichen willkührli- chen Handlungen gedacht werden kan, darauf das Gesetz nicht geht und es reguliret.
5. Es ist auch kein geringer Character von der Güte des Gesetzes, welchen es in der beständigen Dauerung hat; denn es kommt [Spaltenumbruch]
in demselben alles an auf die Liebe, und in die- ser auf die Pflichten gegen GOtt, uns selbst und andere Menschen. Da nun die Liebe mit ihrer Ubung ewig ist, so ist auch das Gesetz ewig, und also auch in sofern ein Gesetz der Natur, welches samt der menschlichen Natur immerwährend ist. Siehe 1 Cor. 13, 8.
6. Da nun das Gesetz von solcher Güte ist, so haben wir an demselben ein rechtes Kennzei- chen von der göttlichen Wahrheit und göttlichen Offenbarung der heiligen Schrift; denn ist das Gesetz der Natur, so wie es nach dem Fall noch übrig ist, von GOTT, wie auch die Natura- listen selbst erkennen; so muß gewiß desselben Aufklärung, welche wir in der heiligen Schrift haben, und welche so vortreflich ist, daß sie kein menschlicher Verstand vor sich erreichen kan, und also die heilige Schrift selbst von GOTT seyn. Was die Heyden in ihren Schriften gu- tes haben, ist entweder nur wie eine Nacht gegen diesen hellen Mittag, oder durch die Commu- nication und Tradition daher erborget.
7. Es ist demnach ein wahrer Ausspruch Mosis, wenn er im 5 Buch 4, v. 6. 7. vom Gese- tze saget: So behaltets nun und thuts: denn das wird eure Weisheit und Ver- stand seyn bey allen Völckern, wenn sie hören werden alle diese Gebot, daß sie müssen sagen: Ey welche weise und ver- stände Leute sind das, und ein herrlich Volck! - - - Und wo ist ein so herr- lich Volck, das so gerechte Sitten und Ge- bote habe, als alle dis Gesetz, welches ich euch heutiges Tages vorlese:
8. Jst nun das Gesetz an sich selbst so gut, so ist leichtlich zu erachten, daß es auch einen sehr guten und recht herrlichen Gebrauch habe; die- ser bestehet nun im lehren, bestrafen vom bö- sen, und im Antreiben zum guten.
9. Zuvorderst lehret uns das Gesetz, was GOttes Wille gegen uns Menschen sey, und was er von uns wolle gethan und gelassen haben. Und durch diese Lehre ist das Gesetz die Richt- schnur aller unserer innerlichen und äusserlichen Handlungen, welcher wir auch bey dem Evan- gelio nicht weniger gebrauchen, als einer, der eine lahme, oder gar verdorrete, Hand gehabt hat, nachdem sie gesund worden, und er will schreiben lernen, eine gute Vorschrift nöthig hat, sonsten er gewiß nach seiner eignen Phanta- sie wunderliche Züge und Figuren machen würde.
10. Weil nun aber die menschliche Na- tur durch den Sünden-Fall über die massen sehr verderbet ist, so ist der rechtmäßige Gebrauch des Gesetzes ferner dieser, daß es dem Menschen solchen meist verborgenen Sünden-Greuel aufdecket, und darüber den gerechten Zorn GOttes offenbaret und androhet, 5 B. Mos. 27, 26. Röm. 3, 20. c. 4, 15. c. 7, 7. 1 Cor. 15, 5. 6. Gal. 3, 10. auf welche Art denn das Gesetz un- ser Zucht meister wird auf Christum: oder ver- ursachet, daß wir, um selig zu werden, einen Erlöser suchen, und ihn im Evangelio anneh- Gal. 3, 24.
11. Es
Erklaͤrung des erſten Briefes Pauli C. 1. v. 8.
[Spaltenumbruch]
V. 8.
Wir (die wir durch GOttes Gnade beſſer verſtehen, was wir ſagen und als Wahrheit be- veſtigen) wiſſen aber (alſo daß wir ſolche un- ſere Wiſſenſchaft auch zur Ubung in rechter An- wendung des Geſetzes bringen) daß das (Mo- ral-) Geſetze (ſamt allem uͤbrigen dem Juͤdi- ſchen Volcke von GOTT gegebenen Geſetze) gut iſt (recht heilig, geiſtlich und vortreflich iſt, als ein Abdruck und Muſter des guten und heili- gen Willens GOttes, und nach ſolcher ſeiner weſentlichen Guͤte einen vielfachen herrlichen Nutzen hat) ſo ſein iemand recht gebrau- chet (wie es dem Abſehen GOttes gemaͤß iſt.)
Anmerckungen.
1. Die Guͤte des Geſetzes GOttes iſt recht groß und herrlich. Denn dieſes erhellet aus des Geſetzes Urſprung, Natur, Tiefe und Weite und ewigen Dauerung.
2. Der Urſprung und das Muſter des Geſetzes iſt GOtt ſelbſt, als deſſen Wille im Geſetze ausgedrucket iſt; da nun GOtt weſent- lich gut, ja die Guͤte ſelbſt iſt, ſo iſt leichtlich zu erachten, wie gut ſein ſeinem Willen gemaͤßes Geſetz ſeyn muͤſſe.
3. Die Natur oder weſentliche Beſchaf- fenheit des Geſetzes beſtehet, dem gedachten goͤttlichen Urſprunge nach, in lauter Gerechtig- keit und Heiligkeit, welche lauter Wahrheit oder rechtſchaffenes Weſen in ſich hat: und da der menſchlichen Natur am Ebenbilde GOttes dieſes Geſetz anerſchaffen, und derſelben, da ſie nach GOtt erſchaffen, gantz gemaͤß war und noch iſt, ſo iſt es ein rechtes Natur-Geſetz; davon daher auch in der menſchlichen Natur et- was uͤbrig geblieben iſt. Und da wir dieſes Ge- ſetz dem kurtzen Begriffe nach in den zehen Gebo- ten, der voͤlligen Erlaͤuterung nach aber in der gantzen heiligen Schrift altes und neues Teſta- ments haben; ſo haben die ſo genannten Natu- raliſten, welche auſſer dem bloſſen Licht und Recht der Natur keine andere Offenbarung an- nehmen, nur einen Schatten von dem Coͤrper, welchen wir an der heiligen Schrift, als dem rech- ten corpore juris naturalis, beſitzen.
4. Des Geſetzes Tiefe, Weite und Brei- te iſt daraus zu erkennen, daß es gantz geiſtlich iſt, und von Rechts wegen fordert, daß die menſchliche Natur alſo ſeyn ſoll, wie ſie anfaͤng- lich in Adam erſchaffen worden, das iſt ohn alle Suͤnde, vollkommen rein und heilig. Roͤm. 7, 7. u. f. Und da das Geſetz dem gantzen Men- ſchen gegeben iſt, der Menſch aber aus Leib und Seele beſtehet, ſo gehet das Geſetz nicht allein uͤber die Worte und aͤuſſerlich mit den Gliedern des Leibes verrichteten Wercke, ſondern auch uͤber alle Gedancken, alle Begterden und Rath- ſchluͤſſe der Seele; alſo daß nichts ſo klein und ſo groß von aͤuſſerlichen und innerlichen willkuͤhrli- chen Handlungen gedacht werden kan, darauf das Geſetz nicht geht und es reguliret.
5. Es iſt auch kein geringer Character von der Guͤte des Geſetzes, welchen es in der beſtaͤndigen Dauerung hat; denn es kommt [Spaltenumbruch]
in demſelben alles an auf die Liebe, und in die- ſer auf die Pflichten gegen GOtt, uns ſelbſt und andere Menſchen. Da nun die Liebe mit ihrer Ubung ewig iſt, ſo iſt auch das Geſetz ewig, und alſo auch in ſofern ein Geſetz der Natur, welches ſamt der menſchlichen Natur immerwaͤhrend iſt. Siehe 1 Cor. 13, 8.
6. Da nun das Geſetz von ſolcher Guͤte iſt, ſo haben wir an demſelben ein rechtes Kennzei- chen von der goͤttlichen Wahrheit und goͤttlichen Offenbarung der heiligen Schrift; denn iſt das Geſetz der Natur, ſo wie es nach dem Fall noch uͤbrig iſt, von GOTT, wie auch die Natura- liſten ſelbſt erkennen; ſo muß gewiß deſſelben Aufklaͤrung, welche wir in der heiligen Schrift haben, und welche ſo vortreflich iſt, daß ſie kein menſchlicher Verſtand vor ſich erreichen kan, und alſo die heilige Schrift ſelbſt von GOTT ſeyn. Was die Heyden in ihren Schriften gu- tes haben, iſt entweder nur wie eine Nacht gegen dieſen hellen Mittag, oder durch die Commu- nication und Tradition daher erborget.
7. Es iſt demnach ein wahrer Ausſpruch Moſis, wenn er im 5 Buch 4, v. 6. 7. vom Geſe- tze ſaget: So behaltets nun und thuts: denn das wird eure Weisheit und Ver- ſtand ſeyn bey allen Voͤlckern, wenn ſie hoͤren werden alle dieſe Gebot, daß ſie muͤſſen ſagen: Ey welche weiſe und ver- ſtaͤnde Leute ſind das, und ein herrlich Volck! ‒ ‒ ‒ Und wo iſt ein ſo herr- lich Volck, das ſo gerechte Sitten und Ge- bote habe, als alle dis Geſetz, welches ich euch heutiges Tages vorleſe:
8. Jſt nun das Geſetz an ſich ſelbſt ſo gut, ſo iſt leichtlich zu erachten, daß es auch einen ſehr guten und recht herrlichen Gebrauch habe; die- ſer beſtehet nun im lehren, beſtrafen vom boͤ- ſen, und im Antreiben zum guten.
9. Zuvorderſt lehret uns das Geſetz, was GOttes Wille gegen uns Menſchen ſey, und was er von uns wolle gethan und gelaſſen haben. Und durch dieſe Lehre iſt das Geſetz die Richt- ſchnur aller unſerer innerlichen und aͤuſſerlichen Handlungen, welcher wir auch bey dem Evan- gelio nicht weniger gebrauchen, als einer, der eine lahme, oder gar verdorrete, Hand gehabt hat, nachdem ſie geſund worden, und er will ſchreiben lernen, eine gute Vorſchrift noͤthig hat, ſonſten er gewiß nach ſeiner eignen Phanta- ſie wunderliche Zuͤge und Figuren machen wuͤrde.
10. Weil nun aber die menſchliche Na- tur durch den Suͤnden-Fall uͤber die maſſen ſehr verderbet iſt, ſo iſt der rechtmaͤßige Gebrauch des Geſetzes ferner dieſer, daß es dem Menſchen ſolchen meiſt verborgenen Suͤnden-Greuel aufdecket, und daruͤber den gerechten Zorn GOttes offenbaret und androhet, 5 B. Moſ. 27, 26. Roͤm. 3, 20. c. 4, 15. c. 7, 7. 1 Cor. 15, 5. 6. Gal. 3, 10. auf welche Art denn das Geſetz un- ſer Zucht meiſter wird auf Chriſtum: oder ver- urſachet, daß wir, um ſelig zu werden, einen Erloͤſer ſuchen, und ihn im Evangelio anneh- Gal. 3, 24.
11. Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0086"n="84"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Erklaͤrung des erſten Briefes Pauli C. 1. v. 8.</hi></fw><lb/><cb/></div></div><divn="3"><head><hirendition="#b">V. 8.</hi></head><lb/><p><hirendition="#fr">Wir</hi> (die wir durch GOttes Gnade beſſer<lb/>
verſtehen, was wir ſagen und als Wahrheit be-<lb/>
veſtigen) <hirendition="#fr">wiſſen aber</hi> (alſo daß wir ſolche un-<lb/>ſere Wiſſenſchaft auch zur Ubung in rechter An-<lb/>
wendung des Geſetzes bringen) <hirendition="#fr">daß das</hi> (Mo-<lb/>
ral-) <hirendition="#fr">Geſetze</hi> (ſamt allem uͤbrigen dem Juͤdi-<lb/>ſchen Volcke von GOTT gegebenen Geſetze)<lb/><hirendition="#fr">gut iſt</hi> (recht heilig, geiſtlich und vortreflich iſt,<lb/>
als ein Abdruck und Muſter des guten und heili-<lb/>
gen Willens GOttes, und nach ſolcher ſeiner<lb/>
weſentlichen Guͤte einen vielfachen herrlichen<lb/>
Nutzen hat) <hirendition="#fr">ſo ſein iemand recht gebrau-<lb/>
chet</hi> (wie es dem Abſehen GOttes gemaͤß iſt.)</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. Die <hirendition="#fr">Guͤte</hi> des Geſetzes GOttes iſt<lb/>
recht groß und herrlich. Denn dieſes erhellet<lb/>
aus des Geſetzes <hirendition="#fr">Urſprung, Natur, Tiefe</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">Weite</hi> und ewigen <hirendition="#fr">Dauerung.</hi></p><lb/><p>2. Der <hirendition="#fr">Urſprung</hi> und das <hirendition="#fr">Muſter</hi> des<lb/>
Geſetzes iſt <hirendition="#fr">GOtt ſelbſt,</hi> als deſſen Wille im<lb/>
Geſetze ausgedrucket iſt; da nun GOtt weſent-<lb/>
lich gut, ja die Guͤte ſelbſt iſt, ſo iſt leichtlich zu<lb/>
erachten, wie gut ſein ſeinem Willen gemaͤßes<lb/>
Geſetz ſeyn muͤſſe.</p><lb/><p>3. Die <hirendition="#fr">Natur</hi> oder <hirendition="#fr">weſentliche Beſchaf-<lb/>
fenheit</hi> des Geſetzes beſtehet, dem gedachten<lb/>
goͤttlichen Urſprunge nach, in lauter Gerechtig-<lb/>
keit und Heiligkeit, welche lauter Wahrheit<lb/>
oder rechtſchaffenes Weſen in ſich hat: und da<lb/>
der menſchlichen Natur am Ebenbilde GOttes<lb/>
dieſes Geſetz anerſchaffen, und derſelben, da ſie<lb/>
nach GOtt erſchaffen, gantz gemaͤß war und<lb/>
noch iſt, ſo iſt es ein rechtes <hirendition="#fr">Natur-Geſetz;</hi><lb/>
davon daher auch in der menſchlichen Natur et-<lb/>
was uͤbrig geblieben iſt. Und da wir dieſes Ge-<lb/>ſetz dem kurtzen Begriffe nach in den zehen Gebo-<lb/>
ten, der voͤlligen Erlaͤuterung nach aber in der<lb/>
gantzen heiligen Schrift altes und neues Teſta-<lb/>
ments haben; ſo haben die ſo genannten Natu-<lb/>
raliſten, welche auſſer dem bloſſen Licht und<lb/>
Recht der Natur keine andere Offenbarung an-<lb/>
nehmen, nur einen Schatten von dem Coͤrper,<lb/>
welchen wir an der heiligen Schrift, als dem rech-<lb/>
ten <hirendition="#aq">corpore juris naturalis,</hi> beſitzen.</p><lb/><p>4. Des Geſetzes <hirendition="#fr">Tiefe, Weite</hi> und <hirendition="#fr">Brei-<lb/>
te</hi> iſt daraus zu erkennen, daß es gantz <hirendition="#fr">geiſtlich</hi><lb/>
iſt, und von Rechts wegen fordert, daß die<lb/>
menſchliche Natur alſo ſeyn ſoll, wie ſie anfaͤng-<lb/>
lich in Adam erſchaffen worden, das iſt ohn alle<lb/>
Suͤnde, vollkommen rein und heilig. Roͤm.<lb/>
7, 7. u. f. Und da das Geſetz dem gantzen Men-<lb/>ſchen gegeben iſt, der Menſch aber aus Leib und<lb/>
Seele beſtehet, ſo gehet das Geſetz nicht allein<lb/>
uͤber die Worte und aͤuſſerlich mit den Gliedern<lb/>
des Leibes verrichteten Wercke, ſondern auch<lb/>
uͤber alle Gedancken, alle Begterden und Rath-<lb/>ſchluͤſſe der Seele; alſo daß nichts ſo klein und ſo<lb/>
groß von aͤuſſerlichen und innerlichen willkuͤhrli-<lb/>
chen Handlungen gedacht werden kan, darauf<lb/>
das Geſetz nicht geht und es <hirendition="#aq">regulir</hi>et.</p><lb/><p>5. Es iſt auch kein geringer <hirendition="#aq">Character</hi><lb/>
von der Guͤte des Geſetzes, welchen es in der<lb/><hirendition="#fr">beſtaͤndigen Dauerung</hi> hat; denn es kommt<lb/><cb/>
in demſelben alles an auf die Liebe, und in die-<lb/>ſer auf die Pflichten gegen GOtt, uns ſelbſt und<lb/>
andere Menſchen. Da nun die Liebe mit ihrer<lb/>
Ubung ewig iſt, ſo iſt auch das Geſetz ewig, und<lb/>
alſo auch in ſofern ein Geſetz der Natur, welches<lb/>ſamt der menſchlichen Natur immerwaͤhrend iſt.<lb/>
Siehe 1 Cor. 13, 8.</p><lb/><p>6. Da nun das Geſetz von ſolcher Guͤte iſt,<lb/>ſo haben wir an demſelben ein rechtes Kennzei-<lb/>
chen von der goͤttlichen Wahrheit und goͤttlichen<lb/>
Offenbarung der heiligen Schrift; denn iſt das<lb/>
Geſetz der Natur, ſo wie es nach dem Fall noch<lb/>
uͤbrig iſt, von GOTT, wie auch die Natura-<lb/>
liſten ſelbſt erkennen; ſo muß gewiß deſſelben<lb/>
Aufklaͤrung, welche wir in der heiligen Schrift<lb/>
haben, und welche ſo vortreflich iſt, daß ſie<lb/>
kein menſchlicher Verſtand vor ſich erreichen kan,<lb/>
und alſo die heilige Schrift ſelbſt von GOTT<lb/>ſeyn. Was die Heyden in ihren Schriften gu-<lb/>
tes haben, iſt entweder nur wie eine Nacht gegen<lb/>
dieſen hellen Mittag, oder durch die <hirendition="#aq">Commu-<lb/>
nication</hi> und <hirendition="#aq">Tradition</hi> daher erborget.</p><lb/><p>7. Es iſt demnach ein wahrer Ausſpruch<lb/>
Moſis, wenn er im 5 Buch 4, v. 6. 7. vom Geſe-<lb/>
tze ſaget: <hirendition="#fr">So behaltets nun und thuts:<lb/>
denn das wird eure Weisheit und Ver-<lb/>ſtand ſeyn bey allen Voͤlckern, wenn ſie<lb/>
hoͤren werden alle dieſe Gebot, daß ſie<lb/>
muͤſſen ſagen: Ey welche weiſe und ver-<lb/>ſtaͤnde Leute ſind das, und ein herrlich<lb/>
Volck! ‒‒‒ Und wo iſt ein ſo herr-<lb/>
lich Volck, das ſo gerechte Sitten und Ge-<lb/>
bote habe, als alle dis Geſetz, welches<lb/>
ich euch heutiges Tages vorleſe:</hi></p><lb/><p>8. Jſt nun das Geſetz an ſich ſelbſt ſo gut,<lb/>ſo iſt leichtlich zu erachten, daß es auch einen ſehr<lb/>
guten und recht herrlichen <hirendition="#fr">Gebrauch</hi> habe; die-<lb/>ſer beſtehet nun im <hirendition="#fr">lehren, beſtrafen</hi> vom boͤ-<lb/>ſen, und im <hirendition="#fr">Antreiben</hi> zum guten.</p><lb/><p>9. Zuvorderſt <hirendition="#fr">lehret</hi> uns das Geſetz, was<lb/>
GOttes Wille gegen uns Menſchen ſey, und<lb/>
was er von uns wolle gethan und gelaſſen haben.<lb/>
Und durch dieſe Lehre iſt das Geſetz die Richt-<lb/>ſchnur aller unſerer innerlichen und aͤuſſerlichen<lb/>
Handlungen, welcher wir auch bey dem Evan-<lb/>
gelio nicht weniger gebrauchen, als einer, der<lb/>
eine lahme, oder gar verdorrete, Hand gehabt<lb/>
hat, nachdem ſie geſund worden, und er will<lb/>ſchreiben lernen, eine gute Vorſchrift noͤthig<lb/>
hat, ſonſten er gewiß nach ſeiner eignen Phanta-<lb/>ſie wunderliche Zuͤge und Figuren machen<lb/>
wuͤrde.</p><lb/><p>10. Weil nun aber die menſchliche Na-<lb/>
tur durch den Suͤnden-Fall uͤber die maſſen ſehr<lb/>
verderbet iſt, ſo iſt der rechtmaͤßige Gebrauch<lb/>
des Geſetzes ferner dieſer, daß es dem Menſchen<lb/>ſolchen meiſt verborgenen <hirendition="#fr">Suͤnden-Greuel<lb/>
aufdecket,</hi> und daruͤber den gerechten Zorn<lb/>
GOttes offenbaret und androhet, 5 B. Moſ. 27,<lb/>
26. Roͤm. 3, 20. c. 4, 15. c. 7, 7. 1 Cor. 15, 5. 6.<lb/>
Gal. 3, 10. auf welche Art denn das Geſetz un-<lb/>ſer Zucht meiſter wird auf Chriſtum: oder ver-<lb/>
urſachet, daß wir, um ſelig zu werden, einen<lb/>
Erloͤſer ſuchen, und ihn im Evangelio anneh-<lb/>
Gal. 3, 24.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">11. Es</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[84/0086]
Erklaͤrung des erſten Briefes Pauli C. 1. v. 8.
V. 8.
Wir (die wir durch GOttes Gnade beſſer
verſtehen, was wir ſagen und als Wahrheit be-
veſtigen) wiſſen aber (alſo daß wir ſolche un-
ſere Wiſſenſchaft auch zur Ubung in rechter An-
wendung des Geſetzes bringen) daß das (Mo-
ral-) Geſetze (ſamt allem uͤbrigen dem Juͤdi-
ſchen Volcke von GOTT gegebenen Geſetze)
gut iſt (recht heilig, geiſtlich und vortreflich iſt,
als ein Abdruck und Muſter des guten und heili-
gen Willens GOttes, und nach ſolcher ſeiner
weſentlichen Guͤte einen vielfachen herrlichen
Nutzen hat) ſo ſein iemand recht gebrau-
chet (wie es dem Abſehen GOttes gemaͤß iſt.)
Anmerckungen.
1. Die Guͤte des Geſetzes GOttes iſt
recht groß und herrlich. Denn dieſes erhellet
aus des Geſetzes Urſprung, Natur, Tiefe
und Weite und ewigen Dauerung.
2. Der Urſprung und das Muſter des
Geſetzes iſt GOtt ſelbſt, als deſſen Wille im
Geſetze ausgedrucket iſt; da nun GOtt weſent-
lich gut, ja die Guͤte ſelbſt iſt, ſo iſt leichtlich zu
erachten, wie gut ſein ſeinem Willen gemaͤßes
Geſetz ſeyn muͤſſe.
3. Die Natur oder weſentliche Beſchaf-
fenheit des Geſetzes beſtehet, dem gedachten
goͤttlichen Urſprunge nach, in lauter Gerechtig-
keit und Heiligkeit, welche lauter Wahrheit
oder rechtſchaffenes Weſen in ſich hat: und da
der menſchlichen Natur am Ebenbilde GOttes
dieſes Geſetz anerſchaffen, und derſelben, da ſie
nach GOtt erſchaffen, gantz gemaͤß war und
noch iſt, ſo iſt es ein rechtes Natur-Geſetz;
davon daher auch in der menſchlichen Natur et-
was uͤbrig geblieben iſt. Und da wir dieſes Ge-
ſetz dem kurtzen Begriffe nach in den zehen Gebo-
ten, der voͤlligen Erlaͤuterung nach aber in der
gantzen heiligen Schrift altes und neues Teſta-
ments haben; ſo haben die ſo genannten Natu-
raliſten, welche auſſer dem bloſſen Licht und
Recht der Natur keine andere Offenbarung an-
nehmen, nur einen Schatten von dem Coͤrper,
welchen wir an der heiligen Schrift, als dem rech-
ten corpore juris naturalis, beſitzen.
4. Des Geſetzes Tiefe, Weite und Brei-
te iſt daraus zu erkennen, daß es gantz geiſtlich
iſt, und von Rechts wegen fordert, daß die
menſchliche Natur alſo ſeyn ſoll, wie ſie anfaͤng-
lich in Adam erſchaffen worden, das iſt ohn alle
Suͤnde, vollkommen rein und heilig. Roͤm.
7, 7. u. f. Und da das Geſetz dem gantzen Men-
ſchen gegeben iſt, der Menſch aber aus Leib und
Seele beſtehet, ſo gehet das Geſetz nicht allein
uͤber die Worte und aͤuſſerlich mit den Gliedern
des Leibes verrichteten Wercke, ſondern auch
uͤber alle Gedancken, alle Begterden und Rath-
ſchluͤſſe der Seele; alſo daß nichts ſo klein und ſo
groß von aͤuſſerlichen und innerlichen willkuͤhrli-
chen Handlungen gedacht werden kan, darauf
das Geſetz nicht geht und es reguliret.
5. Es iſt auch kein geringer Character
von der Guͤte des Geſetzes, welchen es in der
beſtaͤndigen Dauerung hat; denn es kommt
in demſelben alles an auf die Liebe, und in die-
ſer auf die Pflichten gegen GOtt, uns ſelbſt und
andere Menſchen. Da nun die Liebe mit ihrer
Ubung ewig iſt, ſo iſt auch das Geſetz ewig, und
alſo auch in ſofern ein Geſetz der Natur, welches
ſamt der menſchlichen Natur immerwaͤhrend iſt.
Siehe 1 Cor. 13, 8.
6. Da nun das Geſetz von ſolcher Guͤte iſt,
ſo haben wir an demſelben ein rechtes Kennzei-
chen von der goͤttlichen Wahrheit und goͤttlichen
Offenbarung der heiligen Schrift; denn iſt das
Geſetz der Natur, ſo wie es nach dem Fall noch
uͤbrig iſt, von GOTT, wie auch die Natura-
liſten ſelbſt erkennen; ſo muß gewiß deſſelben
Aufklaͤrung, welche wir in der heiligen Schrift
haben, und welche ſo vortreflich iſt, daß ſie
kein menſchlicher Verſtand vor ſich erreichen kan,
und alſo die heilige Schrift ſelbſt von GOTT
ſeyn. Was die Heyden in ihren Schriften gu-
tes haben, iſt entweder nur wie eine Nacht gegen
dieſen hellen Mittag, oder durch die Commu-
nication und Tradition daher erborget.
7. Es iſt demnach ein wahrer Ausſpruch
Moſis, wenn er im 5 Buch 4, v. 6. 7. vom Geſe-
tze ſaget: So behaltets nun und thuts:
denn das wird eure Weisheit und Ver-
ſtand ſeyn bey allen Voͤlckern, wenn ſie
hoͤren werden alle dieſe Gebot, daß ſie
muͤſſen ſagen: Ey welche weiſe und ver-
ſtaͤnde Leute ſind das, und ein herrlich
Volck! ‒ ‒ ‒ Und wo iſt ein ſo herr-
lich Volck, das ſo gerechte Sitten und Ge-
bote habe, als alle dis Geſetz, welches
ich euch heutiges Tages vorleſe:
8. Jſt nun das Geſetz an ſich ſelbſt ſo gut,
ſo iſt leichtlich zu erachten, daß es auch einen ſehr
guten und recht herrlichen Gebrauch habe; die-
ſer beſtehet nun im lehren, beſtrafen vom boͤ-
ſen, und im Antreiben zum guten.
9. Zuvorderſt lehret uns das Geſetz, was
GOttes Wille gegen uns Menſchen ſey, und
was er von uns wolle gethan und gelaſſen haben.
Und durch dieſe Lehre iſt das Geſetz die Richt-
ſchnur aller unſerer innerlichen und aͤuſſerlichen
Handlungen, welcher wir auch bey dem Evan-
gelio nicht weniger gebrauchen, als einer, der
eine lahme, oder gar verdorrete, Hand gehabt
hat, nachdem ſie geſund worden, und er will
ſchreiben lernen, eine gute Vorſchrift noͤthig
hat, ſonſten er gewiß nach ſeiner eignen Phanta-
ſie wunderliche Zuͤge und Figuren machen
wuͤrde.
10. Weil nun aber die menſchliche Na-
tur durch den Suͤnden-Fall uͤber die maſſen ſehr
verderbet iſt, ſo iſt der rechtmaͤßige Gebrauch
des Geſetzes ferner dieſer, daß es dem Menſchen
ſolchen meiſt verborgenen Suͤnden-Greuel
aufdecket, und daruͤber den gerechten Zorn
GOttes offenbaret und androhet, 5 B. Moſ. 27,
26. Roͤm. 3, 20. c. 4, 15. c. 7, 7. 1 Cor. 15, 5. 6.
Gal. 3, 10. auf welche Art denn das Geſetz un-
ſer Zucht meiſter wird auf Chriſtum: oder ver-
urſachet, daß wir, um ſelig zu werden, einen
Erloͤſer ſuchen, und ihn im Evangelio anneh-
Gal. 3, 24.
11. Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/86>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.