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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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C. 2. v. 4. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch] der Völcker, Geschlechter und Ordnungen,)
geholfen werde, (sothenai, selig gemachet
werden, nach dem Nachdruck des unmittelbar
vorhergehenden Worts soteros, Heylandes,
oder Seligmachers) und (der zur Seligkeit ge-
machten Ordnung nach,) zur Erkenntniß der
Wahrheit kommen,
(gläubig werden, und
in wahrer Bekehrung das Evangelium von
Christo, und darinn Christum selbst aufneh-
men.)

Anmerckungen.

1. Bey diesem Haupt-Spruche von der
Seligkeit der Menschen sind drey Stücke wohl
zu mercken: erstlich der Wille GOttes; her-
nach diejenigen, an welche er gehet: und denn
die Ordnung, in welche diese sich begeben müs-
sen. Von dem auf unsere Seligkeit gerichteten
Willen GOttes ist zu mercken, daß er sehr
ernstlich und folglich auch zur Seligkeit hin-
länglich wircksam
sey, welches aus folgenden
Gründen erhellet, als da sind:

a. Die eigentliche Beschaffenheit des Willens:
welche ist etwas recht und mit Ernst wollen:
und also auch also wollen, daß, da man den
Zweck will, man auch die Mittel darzu dar-
reiche und gebrauche; wie es auch sonst heißt:
Qui vult finem, vult media ad finem
ducentia.
Ein Wille, der kein ernstlicher
und wohlgefälliger Wille ist, der ist eigent-
lich gar kein Wille, sondern nur eine Zulas-
sung: und da man das Wort wollen von
keinem tugendhaften und Wahrheit-lieben-
den Menschen anders, als von seinem ernstli-
chen und, so viel an ihm ist, wircksamen Wil-
len sagen kan, zumal in einer sehr wichtigen
Sache, davon er mit Nachdruck seinen Wil-
len bezeuget; wie könte es alhier, da von der
wichtigsten Sache, der Seligkeit der Men-
schen, die Rede ist, immer mehr von GOtt
anders, als von seinem recht ernstlichen und
kräftigen Willen gesaget werden.
b. Die Natur GOttes, welcher die wesent-
liche Wahrheit ist, und dessen Liebe gegen die
Menschen unendlich ist, und also von ihm un-
möglich gesaget werden kan, daß er die Se-
ligkeit aller Menschen anders, als ernstlich
wolle. Und eben dieses hatte Paulus an sei-
nem eignen Exempel erfahren, wie er vorher
bezeuget; daher er denn so viel weniger diese
Worte ohne ihre gantz eigentliche Bedeutung
kan gesetzet und verstanden haben; und ob-
gleich sein Exempel ausserordentlich war, so
gehet er von demselben doch zur gemeinen Re-
gul, c. 1, 16.
c. Der Zweck dieser Worte: welcher war, ei-
nen kräftigen Grund, der einen zum Gebet
für alle noch unbekehrte Menschen antreiben
könte, zu geben: was könte einem aber der
nicht ernstliche Wille GOttes für einen Trieb
dazu geben?
d. Die vielen Parallel-Oerter der heiligen
Schrift:
z. E. Ezech. 23, 11. da es heißt:
So wahr, als ich lebe, spricht der HErr,
HErr, ich habe keinen Gefallen am To-
[Spaltenumbruch] de des Gottlosen, sondern daß sich der
Gottlose bekehre von seinem bösen We-
sen und lebe. So bekehret euch doch
nun von eurem bösen Wesen! warum
wollt ihr sterben, ihr vom Hause Jsra-
el?
Und was kan nachdrücklicher seyn, als
wenn unser Heyland, der die Wahrheit
selbst ist, mit Thränen bezeuget, wie hertz-
lich und ernstlich er das Heyl der widerspen-
stigen Einwohner zu Jerusalem gewolt und
gesuchet habe? Matth. 23, 37. Luc. 19, 41. u. f.
Mit eben solchem Nachdrucke spricht Petrus
2 Epist. 3, 9. GOTT hat Geduld mit uns,
und will nicht, daß iemand verloren
werde, sondern daß sich iedermann zur
Busse kehre.

2. Nicht weniger Nachdruck lieget in den
Worten allen Menschen: als welches auf al-
le Menschen, ohne Ausnahme eines eintzigen
Menschen, in dem gantzen menschlichen Ge-
schlechte gehet: und also nicht anzeiget col-
lective genera singulorum,
daß alle soviel
sey, als allerley, nemlich allerley Menschen
von allerhand Nationen und Geschlechten; son-
dern universaliter, singula generum, alle
und iede
aller Völcker und Geschlechter, ohne
eintzige Ausnahme; welchen Nachdruck dieser
Worte folgende Gründe erweisen:

a. Der zuvor bezeugete ernstliche Wille
GOttes von der Menschen Seligkeit.

Wie könte es aber immermehr mit solchem
Ernste bestehen, wenn man sagen wolte, der
Wille GOttes gehe nur auf die allerwenig-
sten, nemlich, nur allein auf die, welche
würcklich selig werden? zumal da alle Men-
schen ohne Unterscheid von Natur Sünder
sind, und keiner ist, der den Willen GOt-
tes für sich zur Gnade und Seligkeit erwecken
kan.
b. Die eigentliche Bedeutung des Worts
alle. Denn obgleich dasselbe an einigen Or-
ten, da von der Seligkeit die Rede nicht ist,
so viel heißt, als allerley, z. E. Matth. 4, 25.
da von Christo stehet, daß er pasan noson, kai
pasan malakian, Luth. allerley Seuche und
allerley Kranckheit im Volcke gehei-
let;
da man gleich siehet, daß alle alhier so viel
sey, als allerley; sintemal nicht zu vermuthen
ist, daß auch die Feinde Christi ihre Krancke
zu Christo werben gebracht haben: so ist doch
an diesem Orte nichts vorhanden, welches die
Universalität könte einschräncken, hingegen
streitet die Einschränckung, da man, was von
allen gesaget wird, von den allerwenigsten
verstehen will, wie wider den klaren Buchsta-
ben, also auch wider die Idee, die man sich nach
dem Lichte der Natur und der Offenbarung
von GOtt, und seinem vor erwiesenen und auf
die Seligkeit der Menschen gehenden ernstli-
chen Willen zu machen hat; und folglich strei-
tet sie auch wider die Principia einer gesunden
hermeneutic und logic.
c. Der Context und Zweck des Apostels:
welcher war, die ersten Christen mit einem
vorgehaltenen kräftigen Bewegungs-Grunde
dazu
N

C. 2. v. 4. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch] der Voͤlcker, Geſchlechter und Ordnungen,)
geholfen werde, (σωϑῆναι, ſelig gemachet
werden, nach dem Nachdruck des unmittelbar
vorhergehenden Worts σωτῆρος, Heylandes,
oder Seligmachers) und (der zur Seligkeit ge-
machten Ordnung nach,) zur Erkenntniß der
Wahrheit kommen,
(glaͤubig werden, und
in wahrer Bekehrung das Evangelium von
Chriſto, und darinn Chriſtum ſelbſt aufneh-
men.)

Anmerckungen.

1. Bey dieſem Haupt-Spruche von der
Seligkeit der Menſchen ſind drey Stuͤcke wohl
zu mercken: erſtlich der Wille GOttes; her-
nach diejenigen, an welche er gehet: und denn
die Ordnung, in welche dieſe ſich begeben muͤſ-
ſen. Von dem auf unſere Seligkeit gerichteten
Willen GOttes iſt zu mercken, daß er ſehr
ernſtlich und folglich auch zur Seligkeit hin-
laͤnglich wirckſam
ſey, welches aus folgenden
Gruͤnden erhellet, als da ſind:

a. Die eigentliche Beſchaffenheit des Willens:
welche iſt etwas recht und mit Ernſt wollen:
und alſo auch alſo wollen, daß, da man den
Zweck will, man auch die Mittel darzu dar-
reiche und gebrauche; wie es auch ſonſt heißt:
Qui vult finem, vult media ad finem
ducentia.
Ein Wille, der kein ernſtlicher
und wohlgefaͤlliger Wille iſt, der iſt eigent-
lich gar kein Wille, ſondern nur eine Zulaſ-
ſung: und da man das Wort wollen von
keinem tugendhaften und Wahrheit-lieben-
den Menſchen anders, als von ſeinem ernſtli-
chen und, ſo viel an ihm iſt, wirckſamen Wil-
len ſagen kan, zumal in einer ſehr wichtigen
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len bezeuget; wie koͤnte es alhier, da von der
wichtigſten Sache, der Seligkeit der Men-
ſchen, die Rede iſt, immer mehr von GOtt
anders, als von ſeinem recht ernſtlichen und
kraͤftigen Willen geſaget werden.
b. Die Natur GOttes, welcher die weſent-
liche Wahrheit iſt, und deſſen Liebe gegen die
Menſchen unendlich iſt, und alſo von ihm un-
moͤglich geſaget werden kan, daß er die Se-
ligkeit aller Menſchen anders, als ernſtlich
wolle. Und eben dieſes hatte Paulus an ſei-
nem eignen Exempel erfahren, wie er vorher
bezeuget; daher er denn ſo viel weniger dieſe
Worte ohne ihre gantz eigentliche Bedeutung
kan geſetzet und verſtanden haben; und ob-
gleich ſein Exempel auſſerordentlich war, ſo
gehet er von demſelben doch zur gemeinen Re-
gul, c. 1, 16.
c. Der Zweck dieſer Worte: welcher war, ei-
nen kraͤftigen Grund, der einen zum Gebet
fuͤr alle noch unbekehrte Menſchen antreiben
koͤnte, zu geben: was koͤnte einem aber der
nicht ernſtliche Wille GOttes fuͤr einen Trieb
dazu geben?
d. Die vielen Parallel-Oerter der heiligen
Schrift:
z. E. Ezech. 23, 11. da es heißt:
So wahr, als ich lebe, ſpricht der HErr,
HErr, ich habe keinen Gefallen am To-
[Spaltenumbruch] de des Gottloſen, ſondern daß ſich der
Gottloſe bekehre von ſeinem boͤſen We-
ſen und lebe. So bekehret euch doch
nun von eurem boͤſen Weſen! warum
wollt ihr ſterben, ihr vom Hauſe Jſra-
el?
Und was kan nachdruͤcklicher ſeyn, als
wenn unſer Heyland, der die Wahrheit
ſelbſt iſt, mit Thraͤnen bezeuget, wie hertz-
lich und ernſtlich er das Heyl der widerſpen-
ſtigen Einwohner zu Jeruſalem gewolt und
geſuchet habe? Matth. 23, 37. Luc. 19, 41. u. f.
Mit eben ſolchem Nachdrucke ſpricht Petrus
2 Epiſt. 3, 9. GOTT hat Geduld mit uns,
und will nicht, daß iemand verloren
werde, ſondern daß ſich iedermann zur
Buſſe kehre.

2. Nicht weniger Nachdruck lieget in den
Worten allen Menſchen: als welches auf al-
le Menſchen, ohne Ausnahme eines eintzigen
Menſchen, in dem gantzen menſchlichen Ge-
ſchlechte gehet: und alſo nicht anzeiget col-
lective genera ſingulorum,
daß alle ſoviel
ſey, als allerley, nemlich allerley Menſchen
von allerhand Nationen und Geſchlechten; ſon-
dern univerſaliter, ſingula generum, alle
und iede
aller Voͤlcker und Geſchlechter, ohne
eintzige Ausnahme; welchen Nachdruck dieſer
Worte folgende Gruͤnde erweiſen:

a. Der zuvor bezeugete ernſtliche Wille
GOttes von der Menſchen Seligkeit.

Wie koͤnte es aber immermehr mit ſolchem
Ernſte beſtehen, wenn man ſagen wolte, der
Wille GOttes gehe nur auf die allerwenig-
ſten, nemlich, nur allein auf die, welche
wuͤrcklich ſelig werden? zumal da alle Men-
ſchen ohne Unterſcheid von Natur Suͤnder
ſind, und keiner iſt, der den Willen GOt-
tes fuͤr ſich zur Gnade und Seligkeit erwecken
kan.
b. Die eigentliche Bedeutung des Worts
alle. Denn obgleich daſſelbe an einigen Or-
ten, da von der Seligkeit die Rede nicht iſt,
ſo viel heißt, als allerley, z. E. Matth. 4, 25.
da von Chriſto ſtehet, daß er πᾶσαν νόσον, καὶ
πᾶσαν μαλακίαν, Luth. allerley Seuche und
allerley Kranckheit im Volcke gehei-
let;
da man gleich ſiehet, daß alle alhier ſo viel
ſey, als allerley; ſintemal nicht zu vermuthen
iſt, daß auch die Feinde Chriſti ihre Krancke
zu Chriſto werben gebracht haben: ſo iſt doch
an dieſem Orte nichts vorhanden, welches die
Univerſalitaͤt koͤnte einſchraͤncken, hingegen
ſtreitet die Einſchraͤnckung, da man, was von
allen geſaget wird, von den allerwenigſten
verſtehen will, wie wider den klaren Buchſta-
ben, alſo auch wider die Idee, die man ſich nach
dem Lichte der Natur und der Offenbarung
von GOtt, und ſeinem vor erwieſenen und auf
die Seligkeit der Menſchen gehenden ernſtli-
chen Willen zu machen hat; und folglich ſtrei-
tet ſie auch wider die Principia einer geſunden
hermeneutic und logic.
c. Der Context und Zweck des Apoſtels:
welcher war, die erſten Chriſten mit einem
vorgehaltenen kraͤftigen Bewegungs-Grunde
dazu
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[97/0099] C. 2. v. 4. an den Timotheum. der Voͤlcker, Geſchlechter und Ordnungen,) geholfen werde, (σωϑῆναι, ſelig gemachet werden, nach dem Nachdruck des unmittelbar vorhergehenden Worts σωτῆρος, Heylandes, oder Seligmachers) und (der zur Seligkeit ge- machten Ordnung nach,) zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, (glaͤubig werden, und in wahrer Bekehrung das Evangelium von Chriſto, und darinn Chriſtum ſelbſt aufneh- men.) Anmerckungen. 1. Bey dieſem Haupt-Spruche von der Seligkeit der Menſchen ſind drey Stuͤcke wohl zu mercken: erſtlich der Wille GOttes; her- nach diejenigen, an welche er gehet: und denn die Ordnung, in welche dieſe ſich begeben muͤſ- ſen. Von dem auf unſere Seligkeit gerichteten Willen GOttes iſt zu mercken, daß er ſehr ernſtlich und folglich auch zur Seligkeit hin- laͤnglich wirckſam ſey, welches aus folgenden Gruͤnden erhellet, als da ſind: a. Die eigentliche Beſchaffenheit des Willens: welche iſt etwas recht und mit Ernſt wollen: und alſo auch alſo wollen, daß, da man den Zweck will, man auch die Mittel darzu dar- reiche und gebrauche; wie es auch ſonſt heißt: Qui vult finem, vult media ad finem ducentia. Ein Wille, der kein ernſtlicher und wohlgefaͤlliger Wille iſt, der iſt eigent- lich gar kein Wille, ſondern nur eine Zulaſ- ſung: und da man das Wort wollen von keinem tugendhaften und Wahrheit-lieben- den Menſchen anders, als von ſeinem ernſtli- chen und, ſo viel an ihm iſt, wirckſamen Wil- len ſagen kan, zumal in einer ſehr wichtigen Sache, davon er mit Nachdruck ſeinen Wil- len bezeuget; wie koͤnte es alhier, da von der wichtigſten Sache, der Seligkeit der Men- ſchen, die Rede iſt, immer mehr von GOtt anders, als von ſeinem recht ernſtlichen und kraͤftigen Willen geſaget werden. b. Die Natur GOttes, welcher die weſent- liche Wahrheit iſt, und deſſen Liebe gegen die Menſchen unendlich iſt, und alſo von ihm un- moͤglich geſaget werden kan, daß er die Se- ligkeit aller Menſchen anders, als ernſtlich wolle. Und eben dieſes hatte Paulus an ſei- nem eignen Exempel erfahren, wie er vorher bezeuget; daher er denn ſo viel weniger dieſe Worte ohne ihre gantz eigentliche Bedeutung kan geſetzet und verſtanden haben; und ob- gleich ſein Exempel auſſerordentlich war, ſo gehet er von demſelben doch zur gemeinen Re- gul, c. 1, 16. c. Der Zweck dieſer Worte: welcher war, ei- nen kraͤftigen Grund, der einen zum Gebet fuͤr alle noch unbekehrte Menſchen antreiben koͤnte, zu geben: was koͤnte einem aber der nicht ernſtliche Wille GOttes fuͤr einen Trieb dazu geben? d. Die vielen Parallel-Oerter der heiligen Schrift: z. E. Ezech. 23, 11. da es heißt: So wahr, als ich lebe, ſpricht der HErr, HErr, ich habe keinen Gefallen am To- de des Gottloſen, ſondern daß ſich der Gottloſe bekehre von ſeinem boͤſen We- ſen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem boͤſen Weſen! warum wollt ihr ſterben, ihr vom Hauſe Jſra- el? Und was kan nachdruͤcklicher ſeyn, als wenn unſer Heyland, der die Wahrheit ſelbſt iſt, mit Thraͤnen bezeuget, wie hertz- lich und ernſtlich er das Heyl der widerſpen- ſtigen Einwohner zu Jeruſalem gewolt und geſuchet habe? Matth. 23, 37. Luc. 19, 41. u. f. Mit eben ſolchem Nachdrucke ſpricht Petrus 2 Epiſt. 3, 9. GOTT hat Geduld mit uns, und will nicht, daß iemand verloren werde, ſondern daß ſich iedermann zur Buſſe kehre. 2. Nicht weniger Nachdruck lieget in den Worten allen Menſchen: als welches auf al- le Menſchen, ohne Ausnahme eines eintzigen Menſchen, in dem gantzen menſchlichen Ge- ſchlechte gehet: und alſo nicht anzeiget col- lective genera ſingulorum, daß alle ſoviel ſey, als allerley, nemlich allerley Menſchen von allerhand Nationen und Geſchlechten; ſon- dern univerſaliter, ſingula generum, alle und iede aller Voͤlcker und Geſchlechter, ohne eintzige Ausnahme; welchen Nachdruck dieſer Worte folgende Gruͤnde erweiſen: a. Der zuvor bezeugete ernſtliche Wille GOttes von der Menſchen Seligkeit. Wie koͤnte es aber immermehr mit ſolchem Ernſte beſtehen, wenn man ſagen wolte, der Wille GOttes gehe nur auf die allerwenig- ſten, nemlich, nur allein auf die, welche wuͤrcklich ſelig werden? zumal da alle Men- ſchen ohne Unterſcheid von Natur Suͤnder ſind, und keiner iſt, der den Willen GOt- tes fuͤr ſich zur Gnade und Seligkeit erwecken kan. b. Die eigentliche Bedeutung des Worts alle. Denn obgleich daſſelbe an einigen Or- ten, da von der Seligkeit die Rede nicht iſt, ſo viel heißt, als allerley, z. E. Matth. 4, 25. da von Chriſto ſtehet, daß er πᾶσαν νόσον, καὶ πᾶσαν μαλακίαν, Luth. allerley Seuche und allerley Kranckheit im Volcke gehei- let; da man gleich ſiehet, daß alle alhier ſo viel ſey, als allerley; ſintemal nicht zu vermuthen iſt, daß auch die Feinde Chriſti ihre Krancke zu Chriſto werben gebracht haben: ſo iſt doch an dieſem Orte nichts vorhanden, welches die Univerſalitaͤt koͤnte einſchraͤncken, hingegen ſtreitet die Einſchraͤnckung, da man, was von allen geſaget wird, von den allerwenigſten verſtehen will, wie wider den klaren Buchſta- ben, alſo auch wider die Idee, die man ſich nach dem Lichte der Natur und der Offenbarung von GOtt, und ſeinem vor erwieſenen und auf die Seligkeit der Menſchen gehenden ernſtli- chen Willen zu machen hat; und folglich ſtrei- tet ſie auch wider die Principia einer geſunden hermeneutic und logic. c. Der Context und Zweck des Apoſtels: welcher war, die erſten Chriſten mit einem vorgehaltenen kraͤftigen Bewegungs-Grunde dazu N

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/99>, abgerufen am 27.11.2024.