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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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men hat, hat die notgedrungene Beschäftigung mit dem
Kleinen und Kleinsten den geistigen Horizont der Frau
immer mehr verengert. Wahrlich, hätte nicht die Beschäf-
tigung mit den Kindern der Frau immer wieder Frische
und Kraft verliehen, unser Geschlecht müßte längst ver-
kommen sein. Nach demselben Gesetz aber, nach dem Eng-
herzigkeit und Kleinlichkeit zur Geschlechtseigentümlichkeit
der Frau werden konnte -- was wir übrigens lange nicht
in dem Maße zugeben können, wie es von seiten der Män-
ner behauptet wird -- nach demselben Gesetz wird die Be-
schäftigung mit großen Interessen den Gesichtskreis der
Frau auch wieder erweitern und ihre Leistungsfähigkeit
erhöhen und wahrlich nicht zum Schaden der Männer.
Ein weiter geistiger Horizont und eine große Lebens-
anschauung werden eben nicht angeboren, sie werden
erworben, und zwar durch Studium einerseits, durch
Arbeit an großen, öffentlichen Interessen andrerseits. Wir
sehen die Probe auf das Exempel schon jetzt in England,
wo Studium und die Arbeit in Armen- und Schulverwal-
tung, an welcher -- nicht bloß in dienender, sondern auch
in leitender Stellung -- in großherziger Weise den Frauen
Anteil verstattet ist, das Niveau ihrer Bildung rasch zu
heben beginnt. Statt auch in Deutschland den Versuch
zu machen, ob ernsthafte Arbeit und Teilnahme an den
öffentlichen Interessen, gerade am Armen- und Schulwesen,
den engen geistigen Horizont der Frauen nicht erweitern
könne, wird der Fehler, der bei der Erziehung der Frauen
im ganzen gemacht ist, bei jeder einzelnen wiederholt, in-
dem nie eine ernste Anstrengung gefordert, sondern die
geistige Kost ihr stets zubereitet gegeben wird unter wieder-
holter Berufung auf die feststehende Theorie der mangel-
haften geistigen Organisation der Frau, auf jene fehlenden
acht Lot Gehirn, die allmählich einen Secundaner zum
Lachen bringen könnten. Sind die Zweifel der Männer,
besonders der Töchterschulmänner, an der Befähigung der
Frau ganz ehrlich und ihre Motive völlig idealer Art, so

men hat, hat die notgedrungene Beschäftigung mit dem
Kleinen und Kleinsten den geistigen Horizont der Frau
immer mehr verengert. Wahrlich, hätte nicht die Beschäf-
tigung mit den Kindern der Frau immer wieder Frische
und Kraft verliehen, unser Geschlecht müßte längst ver-
kommen sein. Nach demselben Gesetz aber, nach dem Eng-
herzigkeit und Kleinlichkeit zur Geschlechtseigentümlichkeit
der Frau werden konnte — was wir übrigens lange nicht
in dem Maße zugeben können, wie es von seiten der Män-
ner behauptet wird — nach demselben Gesetz wird die Be-
schäftigung mit großen Interessen den Gesichtskreis der
Frau auch wieder erweitern und ihre Leistungsfähigkeit
erhöhen und wahrlich nicht zum Schaden der Männer.
Ein weiter geistiger Horizont und eine große Lebens-
anschauung werden eben nicht angeboren, sie werden
erworben, und zwar durch Studium einerseits, durch
Arbeit an großen, öffentlichen Interessen andrerseits. Wir
sehen die Probe auf das Exempel schon jetzt in England,
wo Studium und die Arbeit in Armen- und Schulverwal-
tung, an welcher — nicht bloß in dienender, sondern auch
in leitender Stellung — in großherziger Weise den Frauen
Anteil verstattet ist, das Niveau ihrer Bildung rasch zu
heben beginnt. Statt auch in Deutschland den Versuch
zu machen, ob ernsthafte Arbeit und Teilnahme an den
öffentlichen Interessen, gerade am Armen- und Schulwesen,
den engen geistigen Horizont der Frauen nicht erweitern
könne, wird der Fehler, der bei der Erziehung der Frauen
im ganzen gemacht ist, bei jeder einzelnen wiederholt, in-
dem nie eine ernste Anstrengung gefordert, sondern die
geistige Kost ihr stets zubereitet gegeben wird unter wieder-
holter Berufung auf die feststehende Theorie der mangel-
haften geistigen Organisation der Frau, auf jene fehlenden
acht Lot Gehirn, die allmählich einen Secundaner zum
Lachen bringen könnten. Sind die Zweifel der Männer,
besonders der Töchterschulmänner, an der Befähigung der
Frau ganz ehrlich und ihre Motive völlig idealer Art, so

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[49/0050] men hat, hat die notgedrungene Beschäftigung mit dem Kleinen und Kleinsten den geistigen Horizont der Frau immer mehr verengert. Wahrlich, hätte nicht die Beschäf- tigung mit den Kindern der Frau immer wieder Frische und Kraft verliehen, unser Geschlecht müßte längst ver- kommen sein. Nach demselben Gesetz aber, nach dem Eng- herzigkeit und Kleinlichkeit zur Geschlechtseigentümlichkeit der Frau werden konnte — was wir übrigens lange nicht in dem Maße zugeben können, wie es von seiten der Män- ner behauptet wird — nach demselben Gesetz wird die Be- schäftigung mit großen Interessen den Gesichtskreis der Frau auch wieder erweitern und ihre Leistungsfähigkeit erhöhen und wahrlich nicht zum Schaden der Männer. Ein weiter geistiger Horizont und eine große Lebens- anschauung werden eben nicht angeboren, sie werden erworben, und zwar durch Studium einerseits, durch Arbeit an großen, öffentlichen Interessen andrerseits. Wir sehen die Probe auf das Exempel schon jetzt in England, wo Studium und die Arbeit in Armen- und Schulverwal- tung, an welcher — nicht bloß in dienender, sondern auch in leitender Stellung — in großherziger Weise den Frauen Anteil verstattet ist, das Niveau ihrer Bildung rasch zu heben beginnt. Statt auch in Deutschland den Versuch zu machen, ob ernsthafte Arbeit und Teilnahme an den öffentlichen Interessen, gerade am Armen- und Schulwesen, den engen geistigen Horizont der Frauen nicht erweitern könne, wird der Fehler, der bei der Erziehung der Frauen im ganzen gemacht ist, bei jeder einzelnen wiederholt, in- dem nie eine ernste Anstrengung gefordert, sondern die geistige Kost ihr stets zubereitet gegeben wird unter wieder- holter Berufung auf die feststehende Theorie der mangel- haften geistigen Organisation der Frau, auf jene fehlenden acht Lot Gehirn, die allmählich einen Secundaner zum Lachen bringen könnten. Sind die Zweifel der Männer, besonders der Töchterschulmänner, an der Befähigung der Frau ganz ehrlich und ihre Motive völlig idealer Art, so

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/50>, abgerufen am 30.04.2024.