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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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ganz gewiß noch verschwinden, wenn nicht 1) die Mädchen
sehr häufig neben ihren Examenstudien noch eine Menge
häuslicher und gesellschaftlicher Ansprüche befriedigen müß-
ten oder wollten und wenn 2) ihnen vom Hause stets die
genügende Zeit und die genügenden Mittel zur Verfügung
gestellt würden. Da soll aber häufig in einem Jahre bei
oft ungenügenden Vorkenntnissen ein Resultat erzielt wer-
den, zu dessen Erreichung mindestens das Doppelte an
Zeit nötig wäre. Und bei dem großen Eifer, mit dem im
Durchschnitt die jungen Mädchen arbeiten, wird es auch
oft erreicht, selbstverständlich aber auf Kosten ihrer Ge-
sundheit. Wollten die Eltern einer Tochter, um sie er-
werbsfähig zu machen, auch nur die Hälfte der Zeit und
Mittel gewähren, die ein Sohn -- verstudiert, so würde
ein vorher gesundes junges Mädchen auch ganz gewiß
keine Schädigung durch seine Studien erfahren, ja, wir
sind fest überzeugt, daß es unter dieser Bedingung sich
auch der Anstrengung, die eine Vertiefung ihres Studiums
mit sich brächte, gewachsen zeigen würde, um so mehr als
dies Studium erst bei genügender geistiger und körperlicher
Reife, frühestens mit dem 20., nicht wie jetzt mit dem

Äußerungen sind, so wenig können wir seine damals und später wieder
ausgesprochene Überzeugung teilen, daß die Lehrerinnen zu viel lernen.
Eins zwar geben wir zu: daß auch das Lehrerinnenexamen unter
dem "Memoriermaterialismus" stark zu leiden hat
; nicht das
Lernen selbst, die Art des Lernens wirkt erschlaffend auf die Nerven ein.
Im übrigen teilen wir vollständig die am 17. März 1885 im preußi-
schen Abgeordnetenhaus ausgesprochene Ansicht des Herrn Dr. Schläger,
welcher die Hauptursache des von vielen Seiten beklagten mangelhaften
Unterrichts in den Mädchenschulen darin sieht: "daß die Lehrerinnen an
den höheren Mädchenschulen nicht die gründliche und gehörige Vorbildung
haben, die sie haben müssen und haben sollen." Er wünscht dringend:
"daß an den Mädchenschulen höherer und niederer Art viel mehr Leh-
rerinnen
angestellt werden mögen, als dies bisher der Fall gewesen ist.
Es ist dies eine Frage, die von den schätzenswertesten Seiten immer be-
jaht, nur aus einzelnen Lehrerkreisen bestritten wird, vielleicht
aus einer Konkurrenzbesorgnis, auf die ich deshalb so viel Gewicht nicht
lege, wie man sonst wohl auf sachverständiges Urteil legen müßte."

ganz gewiß noch verschwinden, wenn nicht 1) die Mädchen
sehr häufig neben ihren Examenstudien noch eine Menge
häuslicher und gesellschaftlicher Ansprüche befriedigen müß-
ten oder wollten und wenn 2) ihnen vom Hause stets die
genügende Zeit und die genügenden Mittel zur Verfügung
gestellt würden. Da soll aber häufig in einem Jahre bei
oft ungenügenden Vorkenntnissen ein Resultat erzielt wer-
den, zu dessen Erreichung mindestens das Doppelte an
Zeit nötig wäre. Und bei dem großen Eifer, mit dem im
Durchschnitt die jungen Mädchen arbeiten, wird es auch
oft erreicht, selbstverständlich aber auf Kosten ihrer Ge-
sundheit. Wollten die Eltern einer Tochter, um sie er-
werbsfähig zu machen, auch nur die Hälfte der Zeit und
Mittel gewähren, die ein Sohn — verstudiert, so würde
ein vorher gesundes junges Mädchen auch ganz gewiß
keine Schädigung durch seine Studien erfahren, ja, wir
sind fest überzeugt, daß es unter dieser Bedingung sich
auch der Anstrengung, die eine Vertiefung ihres Studiums
mit sich brächte, gewachsen zeigen würde, um so mehr als
dies Studium erst bei genügender geistiger und körperlicher
Reife, frühestens mit dem 20., nicht wie jetzt mit dem

Äußerungen sind, so wenig können wir seine damals und später wieder
ausgesprochene Überzeugung teilen, daß die Lehrerinnen zu viel lernen.
Eins zwar geben wir zu: daß auch das Lehrerinnenexamen unter
dem „Memoriermaterialismus“ stark zu leiden hat
; nicht das
Lernen selbst, die Art des Lernens wirkt erschlaffend auf die Nerven ein.
Im übrigen teilen wir vollständig die am 17. März 1885 im preußi-
schen Abgeordnetenhaus ausgesprochene Ansicht des Herrn Dr. Schläger,
welcher die Hauptursache des von vielen Seiten beklagten mangelhaften
Unterrichts in den Mädchenschulen darin sieht: „daß die Lehrerinnen an
den höheren Mädchenschulen nicht die gründliche und gehörige Vorbildung
haben, die sie haben müssen und haben sollen.“ Er wünscht dringend:
„daß an den Mädchenschulen höherer und niederer Art viel mehr Leh-
rerinnen
angestellt werden mögen, als dies bisher der Fall gewesen ist.
Es ist dies eine Frage, die von den schätzenswertesten Seiten immer be-
jaht, nur aus einzelnen Lehrerkreisen bestritten wird, vielleicht
aus einer Konkurrenzbesorgnis, auf die ich deshalb so viel Gewicht nicht
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[54/0055] ganz gewiß noch verschwinden, wenn nicht 1) die Mädchen sehr häufig neben ihren Examenstudien noch eine Menge häuslicher und gesellschaftlicher Ansprüche befriedigen müß- ten oder wollten und wenn 2) ihnen vom Hause stets die genügende Zeit und die genügenden Mittel zur Verfügung gestellt würden. Da soll aber häufig in einem Jahre bei oft ungenügenden Vorkenntnissen ein Resultat erzielt wer- den, zu dessen Erreichung mindestens das Doppelte an Zeit nötig wäre. Und bei dem großen Eifer, mit dem im Durchschnitt die jungen Mädchen arbeiten, wird es auch oft erreicht, selbstverständlich aber auf Kosten ihrer Ge- sundheit. Wollten die Eltern einer Tochter, um sie er- werbsfähig zu machen, auch nur die Hälfte der Zeit und Mittel gewähren, die ein Sohn — verstudiert, so würde ein vorher gesundes junges Mädchen auch ganz gewiß keine Schädigung durch seine Studien erfahren, ja, wir sind fest überzeugt, daß es unter dieser Bedingung sich auch der Anstrengung, die eine Vertiefung ihres Studiums mit sich brächte, gewachsen zeigen würde, um so mehr als dies Studium erst bei genügender geistiger und körperlicher Reife, frühestens mit dem 20., nicht wie jetzt mit dem 1) 1) Äußerungen sind, so wenig können wir seine damals und später wieder ausgesprochene Überzeugung teilen, daß die Lehrerinnen zu viel lernen. Eins zwar geben wir zu: daß auch das Lehrerinnenexamen unter dem „Memoriermaterialismus“ stark zu leiden hat; nicht das Lernen selbst, die Art des Lernens wirkt erschlaffend auf die Nerven ein. Im übrigen teilen wir vollständig die am 17. März 1885 im preußi- schen Abgeordnetenhaus ausgesprochene Ansicht des Herrn Dr. Schläger, welcher die Hauptursache des von vielen Seiten beklagten mangelhaften Unterrichts in den Mädchenschulen darin sieht: „daß die Lehrerinnen an den höheren Mädchenschulen nicht die gründliche und gehörige Vorbildung haben, die sie haben müssen und haben sollen.“ Er wünscht dringend: „daß an den Mädchenschulen höherer und niederer Art viel mehr Leh- rerinnen angestellt werden mögen, als dies bisher der Fall gewesen ist. Es ist dies eine Frage, die von den schätzenswertesten Seiten immer be- jaht, nur aus einzelnen Lehrerkreisen bestritten wird, vielleicht aus einer Konkurrenzbesorgnis, auf die ich deshalb so viel Gewicht nicht lege, wie man sonst wohl auf sachverständiges Urteil legen müßte.“

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/55>, abgerufen am 22.05.2024.