Lange, Helene: Die parlamentarische Niederlage des Frauenstimmrechts in England. In: Die Frau 15 (1907), S. 420-423.Die parlamentarische Niederlage des Frauenstimmrechts in England. erheblichem Prozentsatz zu dem Kreis der neuen Wähler gehören würden. Ein andererEinwand gegen die Bill war der, daß Englands politische Haltung in der äußeren Politik durch das Frauenstimmrecht beeinflußt werden würde, und daß man das nicht wagen dürfe, so lange alle europäischen Länder durch "virile masculine vote" beherrscht wären. Als taktische Bedenken wurden vor allem zwei betont: eine so wichtige Maßnahme, die den Kreis der Wähler um etwa zwei Millionen erweitert, dürfe nicht von einem Einzelmitgliede eingebracht werden, sondern müsse unter Ver- antwortlichkeit der Regierung selbst diskutiert werden. Die Regierung aber möchte - trotz prinzipieller Zustimmung - diese Verantwortung momentan nicht übernehmen. Denn einmal gilt es als eine Forderung politischen Anstandes - und mit Recht - daß die Regierung nicht große einschneidende Fragen, neue Programmpunkte, im Ver- lauf der Legislaturperiode ausnimmt, zu denen sie sich bei den Wahlen nicht schon bekannt hat, und zu denen also die Wähler sich nicht haben äußern können. Das ist bei den letzten Wahlen mit bezug auf das Frauenstimmrecht wohl hier und da, aber doch nicht durchgehend geschehen. Dann aber würde die Annahme einer Frauenstimm- rechtsbill auch deshalb die Auflösung des Parlaments nach sich ziehen, weil eine Regierung, die von dem neuen Kreis von Wählern - in diesem Fall den Frauen - nicht mitgewählt ist, keine repräsentative Bedeutung mehr hat. Jmmerhin spricht dieser Grund wohl weniger mit, weil die Eintragung der Frauen in die Wählerlisten erst bis 1909 erfolgen könnte und bis dahin, wie Mr. Dickinson hervorhob, so wie so irgend eine Wahlrechtsreform neue Wahlen erfordern würde. Ob freilich in dieser Verknüpfung mit irgend einer neuen Wahlrechtsreform das Frauenstimmrecht nicht wieder der Parteikonstellation zum Opfer fallen wird, ist sehr fraglich. Der springende Punkt ist: die liberale Regierung will nicht ihre eben errungene Position aufs Spiel setzen, indem sie den Kampf für das Frauenstimmrecht von sich aus aufnimmt, und ohne die Regierung ist die Sache aussichtslos. Es heißt also wieder "arbeiten und nicht verzweifeln" - um der Regierung Vertrauen zu der Popularität des Frauen- stimmrechts einzuflößen. Niederdrückend aber ist es doch, daß ein Opfer, das für Handelspolitik und Die parlamentarische Niederlage des Frauenstimmrechts in England. erheblichem Prozentsatz zu dem Kreis der neuen Wähler gehören würden. Ein andererEinwand gegen die Bill war der, daß Englands politische Haltung in der äußeren Politik durch das Frauenstimmrecht beeinflußt werden würde, und daß man das nicht wagen dürfe, so lange alle europäischen Länder durch „virile masculine vote“ beherrscht wären. Als taktische Bedenken wurden vor allem zwei betont: eine so wichtige Maßnahme, die den Kreis der Wähler um etwa zwei Millionen erweitert, dürfe nicht von einem Einzelmitgliede eingebracht werden, sondern müsse unter Ver- antwortlichkeit der Regierung selbst diskutiert werden. Die Regierung aber möchte – trotz prinzipieller Zustimmung – diese Verantwortung momentan nicht übernehmen. Denn einmal gilt es als eine Forderung politischen Anstandes – und mit Recht – daß die Regierung nicht große einschneidende Fragen, neue Programmpunkte, im Ver- lauf der Legislaturperiode ausnimmt, zu denen sie sich bei den Wahlen nicht schon bekannt hat, und zu denen also die Wähler sich nicht haben äußern können. Das ist bei den letzten Wahlen mit bezug auf das Frauenstimmrecht wohl hier und da, aber doch nicht durchgehend geschehen. Dann aber würde die Annahme einer Frauenstimm- rechtsbill auch deshalb die Auflösung des Parlaments nach sich ziehen, weil eine Regierung, die von dem neuen Kreis von Wählern – in diesem Fall den Frauen – nicht mitgewählt ist, keine repräsentative Bedeutung mehr hat. Jmmerhin spricht dieser Grund wohl weniger mit, weil die Eintragung der Frauen in die Wählerlisten erst bis 1909 erfolgen könnte und bis dahin, wie Mr. Dickinson hervorhob, so wie so irgend eine Wahlrechtsreform neue Wahlen erfordern würde. Ob freilich in dieser Verknüpfung mit irgend einer neuen Wahlrechtsreform das Frauenstimmrecht nicht wieder der Parteikonstellation zum Opfer fallen wird, ist sehr fraglich. Der springende Punkt ist: die liberale Regierung will nicht ihre eben errungene Position aufs Spiel setzen, indem sie den Kampf für das Frauenstimmrecht von sich aus aufnimmt, und ohne die Regierung ist die Sache aussichtslos. Es heißt also wieder „arbeiten und nicht verzweifeln“ – um der Regierung Vertrauen zu der Popularität des Frauen- stimmrechts einzuflößen. Niederdrückend aber ist es doch, daß ein Opfer, das für Handelspolitik und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0004" n="423"/><fw place="top" type="header">Die parlamentarische Niederlage des Frauenstimmrechts in England.</fw><lb/> erheblichem Prozentsatz zu dem Kreis der neuen Wähler gehören würden. Ein anderer<lb/> Einwand gegen die Bill war der, daß Englands politische Haltung in der äußeren<lb/> Politik durch das Frauenstimmrecht beeinflußt werden würde, und daß man das nicht<lb/> wagen dürfe, so lange alle europäischen Länder durch „<hi rendition="#aq">virile masculine vote</hi>“<lb/> beherrscht wären. 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Die parlamentarische Niederlage des Frauenstimmrechts in England.
erheblichem Prozentsatz zu dem Kreis der neuen Wähler gehören würden. Ein anderer
Einwand gegen die Bill war der, daß Englands politische Haltung in der äußeren
Politik durch das Frauenstimmrecht beeinflußt werden würde, und daß man das nicht
wagen dürfe, so lange alle europäischen Länder durch „virile masculine vote“
beherrscht wären. Als taktische Bedenken wurden vor allem zwei betont: eine so
wichtige Maßnahme, die den Kreis der Wähler um etwa zwei Millionen erweitert,
dürfe nicht von einem Einzelmitgliede eingebracht werden, sondern müsse unter Ver-
antwortlichkeit der Regierung selbst diskutiert werden. Die Regierung aber möchte
– trotz prinzipieller Zustimmung – diese Verantwortung momentan nicht übernehmen.
Denn einmal gilt es als eine Forderung politischen Anstandes – und mit Recht –
daß die Regierung nicht große einschneidende Fragen, neue Programmpunkte, im Ver-
lauf der Legislaturperiode ausnimmt, zu denen sie sich bei den Wahlen nicht schon
bekannt hat, und zu denen also die Wähler sich nicht haben äußern können. Das ist
bei den letzten Wahlen mit bezug auf das Frauenstimmrecht wohl hier und da, aber
doch nicht durchgehend geschehen. Dann aber würde die Annahme einer Frauenstimm-
rechtsbill auch deshalb die Auflösung des Parlaments nach sich ziehen, weil eine
Regierung, die von dem neuen Kreis von Wählern – in diesem Fall den Frauen –
nicht mitgewählt ist, keine repräsentative Bedeutung mehr hat. Jmmerhin spricht dieser
Grund wohl weniger mit, weil die Eintragung der Frauen in die Wählerlisten erst
bis 1909 erfolgen könnte und bis dahin, wie Mr. Dickinson hervorhob, so wie so
irgend eine Wahlrechtsreform neue Wahlen erfordern würde. Ob freilich in dieser
Verknüpfung mit irgend einer neuen Wahlrechtsreform das Frauenstimmrecht nicht
wieder der Parteikonstellation zum Opfer fallen wird, ist sehr fraglich. Der springende
Punkt ist: die liberale Regierung will nicht ihre eben errungene Position aufs Spiel
setzen, indem sie den Kampf für das Frauenstimmrecht von sich aus aufnimmt, und
ohne die Regierung ist die Sache aussichtslos. Es heißt also wieder „arbeiten und
nicht verzweifeln“ – um der Regierung Vertrauen zu der Popularität des Frauen-
stimmrechts einzuflößen.
Niederdrückend aber ist es doch, daß ein Opfer, das für Handelspolitik und
Zollfreiheit selbstverständlich gebracht wird, für die Befreiung der Frauen ohne weiteres
als zu groß erscheint. Bei aller Wärme, die der Minister und die Freunde des
Frauenwahlrechts hier an den Tag gelegt haben – aus der Sachlage selbst geht doch
zu klar hervor, daß neben den politischen Programmpunkten des Freihandels und
allen, die sonst den Kurs der liberalen Regierung bezeichnen, das Frauenstimmrecht
als quantité négligeable gilt. Wenn man wirklich innerlich von seiner Notwendigkeit
so überzeugt ist, wie der Premier, dann ist kaum zu rechtfertigen, daß man diese Über-
zeugung nicht ebenso gut in die Tat umsetzt, wie irgend eine andere, mit der die
Regierung stehen und fallen würde. Handelt es sich doch, wie der Minister selbst
sagt, nicht nur um das Fortbestehen einer offensichtlichen Ungerechtigkeit, sondern um
die Schädigung und Vernachlässigung von Kulturaufgaben, die so lange unzulänglich
gelöst werden, als der Mann allein Einfluß auf die Gesetzgebung hat.
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(2018-02-02T14:13:03Z)
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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
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